Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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Linz, 17.01.2012

B E S C H L U S S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider aus Anlass der Eingabe ("Beschwerde gemäß Art. 129a Abs. 1 Z 2 B-VG") des 1.) X, geboren am X, der 2.) X, geboren am X, der 3.) X, geboren am X und der 4.) X, geboren am X, alle georgische Staatsangehörige, alle vertreten durch X, Rechtsanwalt in X, wegen behaupteter Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt aufgrund der vom Bezirkshauptmann von Vöcklabruck "für den 18.01.12 geplanten Abschiebung" den Beschluss gefasst:

 

 

Die Beschwerden werden als unzulässig zurückgewiesen.

 

Rechtsgrundlagen:

Art 129a Abs 1 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) iVm § 67 Abs 1 Z 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG; §§ 67c und 79a AVG

 

 

 

B e g r ü n d u n g:

 

1. Mit den beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich am 17. Jänner 2012 per E-Mail eingebrachten Eingaben haben die Beschwerdeführer (im Folgenden nur Bf) Maßnahmenbeschwerden erhoben und wie folgt (auszugsweise) vorgebracht:

 

"Es wird um dringende Bearbeitung ersucht, als ein Abschiebetermin für 18.01.12 angesetzt wird.

1.) Sachverhalt und Beschwerdegründe:

Der Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Georgien und Angehörige der armenischen Volksgruppe. Sie haben die Heimat am 29.10.11 verlassen und flüchteten zunächst nach X, danach nach X. Dort wurde zunächst ein Asylantrag gestellt. Im Weiteren sind die Beschwerdeführer nach Österreich geflüchtet und haben hier am 21.11.11 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Das Bundesasylamt hat die Anträge der Familie auf internationalen Schutz vom 21.11.11 ohne in die Sache einzutreten gem. § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen. Für die Prüfung der Anträge sei gemäß Art. 16 (1) c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Polen zuständig (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig erfolgte gem. § 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet (Spruchpunkt II.).

Durch den Rechtsvertreter wurde dagegen fristgerecht Beschwerde erhoben und die Zuerkennung aufschiebender Wirkung beantragt.

Heute wurde überraschenderweise bekannt, dass die Familie (offenbar im Auftrag der belangten Behörde bzw. über ihre Veranlassung der EAST WEST verhaft wurde und morgen die Abschiebung nach Polen stattfindet.

Die Nachforschungen des Rechtsvertreters haben ergeben, dass angeblich am 09.01.12 ein Erkenntnis des AGH ergangen sei (telefonische Auskunft von Herrn X von der EAST WEST).

Ein solches Erkenntnis wurde dem Rechtsvertreter bisher NICHT zugestellt, obwohl dies gesetzlich ausdrücklich gefordert ist (§ 23 AsylG).

Die maßgeblichen Fristen beginnen im Übrigen erst mit Zustellung an den Rechtsvertreter zu laufen.

Eine Abschiebung wäre demnach – vor Zustellung des Erkenntnisses des AGH und der möglichen Einbringung eines Rechtsmittels dagegen rechtswidrig.

Auch über die bevorstehende Abschiebung wurde der Rechtsvertreter nicht informiert.

Beweis:       Akt der EAST WEST, GZ: 11 14.085 bis 11 14.088;

                             vorzulegende Korrespondenz.

Es besteht im vorliegenden Fall keine Notwendigkeit für ein dringendes oder unaufschiebbares Handeln der Behörde.

 

................

 

Die Abschiebung der Beschwerdeführer stellt somit unzweifelhaft einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Artikel 8 EMRK dar.

...........

 

Eine anzustellende Interessensabwägung muss im vorliegenden Fall ergeben, dass die verfügte Ausweisung im Hinblick auf das angestrebte Ziel unverhältnismäßig ist und insbesondere einen unzulässigen Eingriff in das diesbezüglich gewährleistete Recht auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 EMRK darstellt.

Die sachverhaltsmäßigen und rechtlichen Voraussetzungen für eine Abschiebung liegen daher nicht vor.

Die Betroffenen haben besonders ausgeprägte private, soziale und wirtschaftliche Bindungen im Bundesgebiet. Sie sind seit Begründung des Aufenthaltes im Bundesgebiet weder strafgerichtlich verurteilt, noch angezeigt worden und es liegen auch keine sonstigen im FPG angeführten Gründe gegen die Betroffenen vor.

Unter Einbeziehung dieser gesetzlichen Vorgaben und Abwägungen der auf dem Spiel stehenden öffentlichen Interessen ergibt sich aber weiters zweifelsfrei, dass die sofortige Abschiebung der Beschwerdeführer nicht geboten ist.

Hervorzuheben ist nochmals, dass ein Erkenntnis des Asylgerichtshofes dem Rechtsvertreter bisher NICHT zugestellt wurde, obwohl dies gesetzlich ausdrücklich gefordert ist (§ 23 ASylG).

Gemäß Art1 des 7. ZPMRK muss einem Ausländer gestattet werden, seinen Fall prüfen zu lassen (lit b). Ein Ausländer kann zwar vor Ausübung dieses Rechtes ausgewiesen werden, jedoch NUR, wenn die Ausweisung im Interesse der öffentlichen Sicherheit erforderlich ist oder aus Gründen der nationalen Sicherheit erfolgt. Derartige Gründe liegen aber nicht vor.

Beweis: beiliegendes Mail des AGH vom 17.01.12.

 

2.) Beschwerdeanträge:

Die Beschwerdeführer stellen aus den angeführten Gründen die

Anträge:

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich möge eine öffentliche, mündliche Verhandlung durchführen und mit Erkenntnis feststellen, dass die für 18.01.12 geplante Abschiebung der Familie X, geb. X, und X, geb. X, und deren mj. Kinder X, geb. X, und X, geb. X, eine Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK), sowie nach Art 1 des 7. ZPMRK darstellt.

 

Der vorliegenden Beschwerde möge ausdrücklich die aufschiebende Wirkung zuerkannt werden und der Behörde die Unterlassung der für 18.01.12 geplanten Abschiebung aufgetragen werden.

 

Die belangte Partei (bzw. der Bund – Bundesminister für Inneres als Rechtsträger) möge zum Kostenersatz gemäß UVS-Aufwandersatzverordnung (Schriftsatzaufwand Euro 737,60 und Gebührenersatz) verpflichtet werden."

 

2. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat nach Einsicht in die Beschwerden festgestellt, dass die Beschwerden schon nach der Aktenlage zurückzuweisen sind.

 

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

3.1. Gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 AVG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten durch Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein (sog. Maßnahmenbeschwerde), ausgenommen Finanzstrafsachen des Bundes.

 

Die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt setzt nach der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts die unmittelbare Anwendung physischen Zwanges oder die Erteilung eines Befehles mit unverzüglichem Befolgungsanspruch voraus (vgl VwGH 14.12.1993, 93/05/0191; VfSlg 11935/1988; VfSlg 10319/1985; VfSlg 9931/1984 und 9813/1983; zahlreiche weitere Judikatur bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 [1998] E 55 ff zu § 67a AVG). Die bloße Untätigkeit einer Behörde erfüllt diesen Begriff nicht (vgl VfSlg 9813/1983; VfSlg 9931/1984; VfSlg 10319/1985, VfSlg 11935/1988). Für die Ausübung von Zwangsgewalt ist im Allgemeinen ein positives Tun begriffsnotwendig (vgl VwGH 25.4.1991, 91/06/0052; VwSlg 9461 A/1977; VfSlg 6993/1973; VfSlg 4696/1964). Dieses kann auch in einem schlüssigen Tun iSd § 863 ABGB bestehen (vgl Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit [1983], 74).

 

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer sog. Maßnahmenbeschwerde ist daher, dass gegen den Beschwerdeführer physischer Zwang ausgeübt wurde oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehles drohte (vgl mwN Walter/Mayer/Kuscko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 [2007] Rz 610). Maßnahmen im Rahmen der schlichten Hoheitsverwaltung können daher grundsätzlich nicht mit einer Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt bekämpft werden.

 

Im Übrigen dient der subsidiäre Rechtsbehelf der Maßnahmenbeschwerde nur dem Zweck, Lücken im Rechtsschutzsystem zu schließen. Zweigleisigkeiten für die Verfolgung ein- und desselben Rechts sollten mit der Maßnahmenbeschwerde nicht geschaffen werden. Was im Verwaltungsverfahren ausgetragen werden kann, ist daher kein zulässiger Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde (vgl z.B. VwGH 18.3.1997, 96/04/0231; VwGH 17.4.1998, 98/04/0005). Das gilt auch dann, wenn das für die Rechtsdurchsetzung zur Verfügung stehende Verwaltungsverfahren allenfalls länger dauert (vgl VwGH 15.6.1999, 99/05/0072, 0073, 0074 mwN). Demnach sind auch Zwangsmaßnahmen kein tauglicher Beschwerdegegenstand, wenn sie im Verwaltungsverfahren bekämpft werden können (vgl VwGH 25.4.1991, 91/06/0052; VwSlg 9.461 A/1977 und VwSlg 9.439 A/1977).

 

3.2. Nach dem Inhalt der gegenständlichen "Maßnahmenbeschwerden" bekämpfen die Bf nur die potentielle Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt auf Grund der gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG erfolgten Ausweisungen.

 

Die Bf erachten sich ausschließlich und ausdrücklich durch die "für 18. Jänner 2012 geplanten Abschiebungen" in ihren Rechten (Achtung des Privat- und Familienlebens; Überprüfung der Ausweisungsentscheidung) verletzt.

 

Damit steht aber fest, dass im Sinne der Beschwerdevorbringen und der gestellten Anträge eine faktische Amtshandlung, bei der physischer Zwang gegen die Bf tatsächlich ausgeübt wurde oder den Bf unmittelbar bei Nichtbefolgung eines Befehles drohte, noch nicht stattgefunden hatte.

 

Eine Maßnahmenbeschwerde kann erst gegen eine bereits gesetzte, in der Rechtssphäre des Betroffenen wirksam gewordene Maßnahme erhoben werden. Gegen zu einem späteren Zeitpunkt allenfalls drohende Maßnahme kann eine Beschwerde nicht erhoben werden (vgl VwGH 27.01.1995; Zl. 94/02/0442). Durch die "Planung der Abschiebung für den 18. Jänner 2012" wird noch keine Befehls- und Zwangsgewalt ausgeübt bzw in die persönliche Freiheit noch nicht eingegriffen.

 

Im Hinblick darauf, dass die Beschwerden als unzulässig zurückzuweisen waren, kann eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkungen entfallen.

 

Da das Fremdenpolizeigesetz in der anzuwendenden Fassung die von den Bf gewünschte Anordnung (Auftrag in Form einer einstweiligen Verfügung an die belangte Behörde, die für den 18. Jänner 2012 geplante Abschiebung zu unterlassen) nicht vorsieht, war dem Unabhängigen Verwaltungssenat die Erlassung der beantragten Verfügung verwehrt.

 

4. Im Ergebnis waren die vorliegenden Beschwerden aus den dargelegten Gründen als unzulässig zurückzuweisen Eine Kostenentscheidung zugunsten des Rechtsträgers der belangten Behörde, die gemäß § 79a Abs 3 AVG im Fall der Zurückweisung einer Beschwerde als obsiegende Partei anzusehen ist, war nicht zu treffen, weil die belangte Behörde noch nicht ins Verfahren eingebunden war und daher keine Kosten entstanden sind.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Bundestempelgebühren für die Beschwerde in Höhe von 14,30 Euro für die Eingabe und 3,90 Euro für die Beilage (insgesamt 18,20 Euro) angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt der weiteren Ausfertigung bei.

 

 

 

 

 

 

 

Mag. Christian Stierschneider

 

 

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