Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730385/2/SR/MZ/Jo

Linz, 16.01.2012

                                                                                                                                                        

E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X, geboren am X, Staatsangehöriger von Bosnien, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmanns von Vöcklabruck vom 2. Oktober 2008, GZ Sich40-23516-2005, betreffend ein auf 10 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG iVm §§ 9 Abs 1a, 64 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG (BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 112/2011).

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmanns von Vöcklabruck vom 2. Oktober 2008, GZ Sich40-23516-2005, zugestellt am 10. Oktober 2008, wurde über den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) ein auf 10 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot auf Grundlage der §§ 60 Abs. 2 Z 1 iVm 63 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (im Folgenden: FPG) in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung verhängt und dieser aufgefordert, bis zum 1. November 2008 das Bundesgebiet der Republik Österreich zu verlassen.

 

Begründend führt die belangte Behörde aus, dass der Bw bosnischer Staatsbürger und gemeinsam mit seiner damaligen Ehefrau und deren beiden gemeinsamen Kindern seit 26. März 1993 im Bundesgebiet der Republik Österreich aufhältig sei. Am X sei ein weiteres Kind auf die Welt gekommen.

 

Am 19. September 1994 und am 23. Dezember 1994 sei der Bw vom Gendarmerieposten Stanz im Mürztal wegen Körperverletzung dem zuständigen Bezirksgericht angezeigt worden. Am 4. August 2001 sei der Bw vom Gendarmerieposten Freistadt wegen Körperverletzung und gefährlicher Drohung der StA Linz angezeigt worden. Die Gattin des Bw und dessen beide Töchter hätten sich anschließend im Frauenhaus in Linz befunden. Die Gattin – von welcher der Bw am X rechtskräftig geschieden wurde – habe später die Ermächtigung zur Strafverfolgung zurückgezogen.

 

Am 10. Februar 2004 sei dem Bw von der BH Freistadt ein Niederlassungsnachweis - unbefristet ausgestellt worden.

 

Am 29. November 2004 sei der Bw vom BG Freistadt, Zl. U 107/04 s-6, wegen des Vergehens der Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen a € 2,00.-, im Nichteinbringungsfall zu 25 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, rechtskräftig verurteilt worden.

 

Am 23. März 2005 sei der Bw vom LG Linz, Zl. 26 Hv 12/05 t, wegen der Vergehen der versuchten Nötigung und der gefährlichen Drohung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten rechtskräftig verurteilt worden.

 

Am 12. Oktober 2006 sei der Bw vom LG Wels, Zl. 12 Hv 124/06 s-15, wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt worden.

 

Am 4. Dezember 2006 sei mit dem Bw eine Niederschrift bei der belangten Behörde aufgenommen worden, in welcher dem Bw mitgeteilt wurde, dass gegen ihn ein Aufenthaltsverbot verhängt werde, wenn er neuerlich gegen Rechtsnormen verstoße. Der Bw habe sich in besagter Niederschrift bereit erklärt, die Rechtsnormen einzuhalten.

 

Am 11. August 2008 sei der Bw vom LG Linz, Zl. 28 Hv 87/08 s-12, wegen der Vergehen der Körperverletzung, der versuchten Nötigung und der gefährlichen Drohung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten und zu einer unbedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen a € 2,00.-, im Nichteinbringungsfall zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 90 Tagen, rechtskräftig verurteilt worden.

 

Weiters sei der Bw vom BG Urfahr am 21. September 2007 wegen Verletzung der Unterhaltspflicht rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 1 Monat bedingt auf 3 Jahre verurteilt worden.

 

Zusätzlich seien nach dem Urteil des LG Linz vom 11. August 2008 erneut Anzeigen wegen gefährlicher Drohung und Körperverletzung erfolgt.

 

Eine Aufforderung der belangten Behörde, zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes Stellung zu nehmen, habe der Bw nicht behoben.

 

Die belangte Behörde zitiert in Folge die §§ 60, 63 Abs. 1 und 2 und 66 Abs. 1 und 2 FPG. Im Anschluss stellt sie fest, dass der Bw mehrmals rechtskräftig wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen verurteilt wurde. Trotz Kenntnis von einer im Falle eines weiteren Rechtsbruchs geplanten Verhängung eines Aufenthaltsverbotes habe er weitere strafbare Handlungen begangen und es bewusst in Kauf genommen, dass gegen ihn fremdenpolizeiliche Handlungen eingeleitet würden. Nach einer Abwägung hinsichtlich des Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Bw gegen die vom Bw ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit gelangt die belangte Behörde zur Auffassung, dass – obwohl der Gesetzgeber ein unbefristetes Aufenthaltsverbot ermöglichen würde – mit der Verhängung eines auf 10 Jahre befristeten Aufenthaltsverbots das Auslangen gefunden werden könne.

 

2. Gegen den Bescheid der belangten Behörde, der dem Bw durch die Polizei persönlich am 10. Oktober 2008 zugestellt wurde, erhob dieser mit Schreiben vom 16. Oktober 2008, zur Post gegeben am gleichen Tage, rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung.

 

Begründend führt der Bw zusammengefasst aus, dass aufgrund seiner Aufenthaltsverfestigung (rechtmäßiger Aufenthalt in Österreich bereits länger als 10 Jahre) eine Ausweisung und damit auch ein Aufenthaltsverbot nicht zulässig sei. Er sei zwar mehrmals rechtskräftig verurteilt, jedoch habe keine seiner Verurteilungen eine unbedingte Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten nach sich gezogen. Überdies sei er schon so lange in Österreich aufhältig, dass ihm bereits die Staatsbürgerschaft hätte verliehen werden können. Es folgen weitere Ausführungen betreffend das Privat- und Familienleben des Bw.

 

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vom 28. Jänner 2009, Zl. St 243/08, wurde der Berufung des Bw keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt.

 

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Mai 2011, Zl. 2009/21/0101-8, wurde der Bescheid der Sicherheitsdirektion Oberösterreich behoben. Begründend führt der Verwaltungsgerichtshof aus, die belangte Behörde habe "jedoch völlig außer Acht gelassen, dass dem Beschwerdeführer bereits am 10. Februar 2004, noch im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997, ein Niederlassungsnachweis erteilt worden war, der gemäß § 11 Abs. 1 Abschnitt C lit. b NAG-DV nunmehr als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EG" gilt. Dem Beschwerdeführer kommt daher die Rechtsstellung eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen zu, gegen den eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nur bei Vorliegen der im § 56 FPG genannten Voraussetzungen zulässig wäre (vgl. dazu ausführlich das hg. Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2008/21/0603). Das setzte aber voraus, dass die Annahme gerechtfertigt ist, der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers stelle eine (gegenwärtige, hinreichend) schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Sinne des § 56 FPG dar. […] Demgegenüber verlangt § 60 Abs. 1 FPG ("Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" oder "Zuwiderlaufen anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen") ein geringeres Maß für die zu befürchtende, vom Fremden ausgehende Gefahr (siehe auch dazu das schon genannte Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2008/21/0603). Angesichts dessen ist der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall schon dadurch in Rechten verletzt, dass die belangte Behörde nicht auf den - das Bestehen einer qualifizierten Gefährdung erfordernden - Tatbestand des § 56 FPG, der in seiner beispielsweisen Aufzählung im Abs. 2 die rechtskräftige Verurteilung wegen hier nicht gegebener Straftaten bzw. zu einem hier nicht verhängten Strafausmaß verlangt, abgestellt und lediglich eine Gefährdungsprognose iSd § 60 Abs. 1 FPG erstellt hat. […] Es ist daher nicht mehr näher darauf einzugehen, dass die belangte Behörde vor dem Hintergrund der Aufenthaltsverbots-Verbotstatbestände des § 61 Z 2 iVm § 55 Abs. 3 FPG und des § 61 Z 3 FPG auch darauf Bedacht zu nehmen gehabt hätte, ob der Beschwerdeführer - wie schon in der Berufung geltend gemacht wurde und nunmehr auch in der Beschwerde ins Treffen geführt wird - vor Verwirklichung der ersten maßgeblichen Straftat bereits mehr als zehn Jahre in Österreich rechtmäßig niedergelassen war."

 

3.1. Die Sicherheitsdirektion Oberösterreich hat mit Schreiben vom 29. Juli 2011 die Berufung des Bw samt Verfahrensakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl I 2011/38 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG 2005 in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass die Unabhängigen Verwaltungssenate zur Entscheidung über Berufungen gegen Rückkehrentscheidungen zuständig sind. Darüber hinaus stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 31. Mai 2011, 2011/22/097, zusammengefasst fest, dass nach den maßgeblichen innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Falle des rechtmäßigen Aufenthalts eines Fremden sowohl über die Beendigung des Aufenthaltsrechts entschieden als auch dem nicht mehr länger zum Aufenthalt berechtigten Drittstaatsangehörigen die Pflicht zum Verlassen des Bundesgebietes, sohin eine Rückkehrverpflichtung im Sinne der Rückführungsrichtlinie, auferlegt sowie der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet für einen bestimmten Zeitraum oder für unbefristete Zeit untersagt, sohin auch ein Einreiseverbot im Sinne der Rückführungsrichtlinie ausgesprochen werde. Diese Vorgangsweise, nämlich mit einer einzigen Entscheidung das Aufenthaltsrecht zu beenden sowie unter einem die Rückkehr des Drittstaatsangehörigen anzuordnen und ihm den künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu verbieten, stelle sich im Hinblick auf Art. 6 Abs. 6 Rückführungsrichtlinie als zulässig dar. Ungeachtet dessen seien dabei nach dieser Bestimmung die Verfahrensgarantien des Kapitels III der Rückführungsrichtlinie einzuhalten. Der Verwaltungsgerichtshof erachtet es sohin als nicht zweifelhaft, dass es sich bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes – unabhängig von der Benennung des innerstaatlich festgelegten Rechtsinstituts – um eine Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Z 4 Rückführungsrichtlinie und ein Einreiseverbot im Sinne des Art. 3 Z 6 dieser Richtlinie handelt, bei deren Erlassung die in der Richtlinie festgelegten Verfahrensgarantien einzuhalten seien. Daraus folge aber, dass für Entscheidungen über eine dagegen gerichtete Berufung seit Ablauf der Frist zur Umsetzung der Rückführungsrichtlinie die Unabhängigen Verwaltungssenate zuständig seien.

 

3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der belangten Behörde, durch Einsichtnahme in das Elektronische Kriminalpolizeiliche Informationssystem und das Zentrale Melderegister sowie durch Einholung eines Versicherungsdatenauszuges.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte trotz diesbezüglichem Antrag abgesehen werden, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

3.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich geht bei seiner Entscheidung von dem unter Punkt 1. dargestellten, im Wesentlichen unstrittigen Sachverhalt aus.

 

Ergänzend ist zur Verurteilung des Bw durch das BG Freistadt vom 29. November 2004, Zl. U 107/04 s-6, wegen des Vergehens der Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen a € 2,00.-, im Nichteinbringungsfall zu 25 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, festzuhalten, dass der Bw die dem Verfahren zugrundeliegende Tat, wie dem im Akt befindlichen Urteil zu entnehmen ist, am 10. September 2004 begangen hat.

 

Aus dem eingeholten Versicherungsdatenauszug geht hervor, dass der Bw von 26. März 1993 bis 26. März 2003, also in einem Zeitraum von 120 Monaten, etwa 106 Monate einer Beschäftigung nachgegangen ist.

 

3.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

4.1.1. Gemäß § 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011, kann gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt

1.      die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder

2.      anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen    zuwiderläuft.

 

Gemäß § 63 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 insbesondere jene des § 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 und Abs. 3. § 53 Abs. 5 und 6 gelten.

 

Gemäß § 63 Abs. 3 FPG ist ein Aufenthaltsverbot gemäß Abs. 1 in den Fällen des § 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 für die Dauer von mindestens 18 Monaten, höchstens jedoch für fünf Jahre, in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 4 für höchstens zehn Jahre und in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen. Die Frist beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

 

4.1.2. Laut dem unter der Überschrift "Aufenthaltsverfestigung" stehenden § 64 Abs. 1 Z 1 FPG darf ein Aufenthaltsverbot gemäß § 63 gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, nicht erlassen werden, wenn ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können.

 

4.2. Aus verfahrensökonomischer Sicht ist es aufgrund des nahezu 19-jährigen Aufenthalts des Bw im Bundesgebiet im gegenständlichen Fall zweckmäßig, nicht erst zu prüfen, ob ein Aufenthaltsverbot dem Grunde nach zu erlassen wäre, sondern erst die Frage zu klären, ob eine Aufenthaltsverfestigung im Sinne des § 64 Abs. 1 Z 1 FPG gegeben ist, weil der Bw vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts die österreichische Staatsbürgerschaft hätte erwerben können. Diesfalls darf ein Aufenthaltsverbot, mag es vor dem Hintergrund des § 63 auch berechtigt sein, ohnehin nicht erlassen werden.

 

4.2.1. Vorab ist bezüglich der hiebei heranzuziehenden Fassung des § 10 Abs. 1 StbG festzustellen:

 

Der unter der Überschrift "Verweisungen" stehende § 124 FPG normiert, dass, soweit in diesem Bundesgesetz auf Bestimmungen anderer Bundesgesetze verwiesen wird, diese in ihrer jeweils geltenden Fassung anzuwenden sind.

 

Die Kompetenzgrundlage für das Staatsbürgerschaftsgesetz stellt Art. 11 Abs. 1 Z 1 B-VG dar. Demnach obliegt die Gesetzgebung in Angelegenheiten der Staatsbürgerschaft dem Bund. § 124 FPG ist daher grundsätzlich bei Verweisungen auf das Staatsbürgerschaftsgesetz anzuwenden.

 

§ 64 Abs. 1 Z 1 FPG verweist jedoch ausdrücklich auf § 10 Abs. 1 StbG, BGBl. Nr. 311. Es ist daher vom Vorliegen einer lex specialis auszugehen und § 10 Abs. 1 leg cit in der explizit verwiesenen Fassung anzuwenden. Dies insbesondere auch deshalb, weil der Wortlaut der beiden widersprüchlichen Bestimmungen seit der Stammfassung des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl Nr. 100/2005, unverändert geblieben ist und die Bestimmungen zeitgleich in Kraft getreten sind.

 

4.2.2. § 10 Abs. 1 StbG in der Fassung BGBl. Nr. 311 lautet:

 

"Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn

1. er seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen ordentlichen Wohnsitz im Gebiet der Republik hat;

2. er durch ein inländisches Gericht

a) weder wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten

b) noch wegen eines Finanzvergehens zu einer Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist;

hiebei stehen der Verleihung der Staatsbürgerschaft auch Verurteilungen wegen einer strafbaren Handlung entgegen, die der Fremde vor der Vollendung des 18. Lebensjahres begangen hat; (BGBl. Nr. 170/1983, Art. I Z 8)

3. gegen ihn nicht

a) wegen des Verdachtes einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten bedroht sind, noch

b) wegen des Verdachtes eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist; (BGBl. Nr. 170/1983, Art. I Z 8)

4. er nicht von einem ausländischen Gericht wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist, die strafbaren Handlungen auch nach inländischem Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entsprechenden Verfahren ergangen ist; (BGBl. Nr. 202/1985, Art. I Z 6)

5. gegen ihn kein Aufenthaltsverbot besteht; (BGBl. Nr. 703/1974, Art. I Z 1)

6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, daß er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bildet;

7. sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder er sich ohne sein Verschulden in einer finanziellen Notlage befindet und

8. er nicht mit fremden Staaten in solchen Beziehungen steht, daß die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Interessen oder das Ansehen der Republik schädigen würde."

 

4.2.3. Gemäß § 64 Abs. 1 Z 1 FPG darf gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn diesem vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG verliehen hätte werden können. Aufgrund der zahlreichen strafrechtlichen Verurteilungen des Bw, auf welche die belangte Behörde ihre Entscheidung auch stützt, scheint dies im gegenständlichen Fall prima vista nicht möglich zu sein. Eine eingehende Analyse des zu beurteilenden Sachverhaltes führt jedoch zu einem anderen Resultat.

 

4.2.3.1. Wie unter Punkt 1. dargelegt, wurde der Bw erstmals mit Urteil des BG Freistadt vom 29. November 2004 wegen des Vergehens der Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen a € 2,00.- strafrechtlich verurteilt.

 

Da § 10 Abs. 1 Z 2 lit a StbG auf eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten abstellt, der Bw jedoch lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, ist der zitierte Versagungstatbestand zu diesem Zeitpunkt nicht erfüllt.

 

4.2.3.2. § 10 Abs. 1 Z 3 lit a StbG, der auf ein anhängiges Verfahren wegen des Verdachtes einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten bedroht sind, abstellt, ist in weiterer Folge nicht einschlägig. § 83 StGB sieht zwar eine maximale Strafdrohung von 12 Monaten vor. Jedoch wurde die im obigen Punkt genannte Tat vom Bw am 10. September 2004 begangen. Den Denkgesetzen entsprechend stellt der Tatzeitpunkt auch den frühest möglichen Zeitpunkt zur Einleitung eines diese Tat zum Gegenstand habenden Verfahrens dar.

 

4.3.1. Vor dem Hintergrund des im vorigen Punkt erlangten Ergebnisses reicht es in weiterer Folge daher die Frage zu stellen, ob dem Bw bis zum 10. September 2004 die österreichische Staatsbürgerschaft hätte verliehen werden können.

 

4.3.1.1. Die belangte Behörde führt im angefochtenen Bescheid aus, dass der Bw am 26. März 1993 ins Bundesgebiet eingereist sei und seither hier aufhältig sei. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Bw in Österreich ist im Verfahren unstrittig. Die Anforderung des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG für eine Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft ist daher ab dem 26. März 2003 als erfüllt anzusehen.

 

4.3.1.2. Dass der Bw im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 4 StbG von einem ausländischen Gericht wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten rechtskräftig verurteilt worden wäre oder gemäß Z 5 leg cit ein Aufenthaltsverbot bestanden hätte, ist im Verfahren nicht hervorgekommen.

 

4.3.1.3. Im relevanten Beurteilungszeitpunkt scheidet auch der in § 10 Abs. 1 Z 8 StbG enthaltene Tatbestand offensichtlich aus.

 

4.3.1.4. Da der Bw, wie dem Versicherungsdatenauszug zu entnehmen ist, von 26. März 1993 bis 26. März 2003 etwa 106 Monate einer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit nachgegangen ist, war zum Stichtag sein Lebensunterhalt unzweifelhaft hinreichend im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 7 StbG gesichert.

 

4.3.1.5. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich verkennt nicht, dass am 19. September 1994 und am 23. Dezember 1994 der Bw vom Gendarmerieposten Stanz im Mürztal und am 4. August 2001 vom Gendarmerieposten Freistadt wegen Körperverletzung und gefährlicher Drohung angezeigt worden ist. Zu einer Verurteilung ist es in Folge jedoch nicht gekommen.

 

Nach Ansicht des erkennenden Mitglieds des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich reichen alleine diese Anzeigen nicht aus, um im Sinne von § 10 Abs. 1 Z 6 StbG davon auszugehen, dass der Bw nach seinem bisherigen Verhalten nicht Gewähr dafür bieten würde, zur Republik Österreich bejahend eingestellt zu sein und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit zu bilden.

 

4.4. Es ist nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich daher davon auszugehen, dass mangels Erfüllung eines der Versagungstatbestände des § 10 Abs. 1 StbG dem Bw vor Verwirklichung des für das gegenständliche Aufenthaltsverbot maßgeblichen Sachverhalts im Sinne des § 64 Abs. 1 Z 1 FPG – konkret im Zeitraum von 26. März 2003 bis 10. September 2004, die österreichische Staatsbürgerschaft hätte verliehen werden können. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den Bw erweist sich aus diesem Grund als unzulässig.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

5. Auf eine Übersetzung des Spruches und der Rechtsmittelbelehrung in eine andere Sprache (vgl § 59 Abs. 1 FPG) kann aufgrund guten Deutschkenntnisse des Bw verzichtet werden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 14,30 Euro (Eingabegebühr) angefallen.

 

 

 

 

 

Mag. Christian Stierschneider

 

 

 

Beschlagwortung:

Aufenthaltsverbot; Staatsbürgerschaft; § 64 Abs.1 Z1 FPG

 

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