Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730115/9/BP/MB/Jo

Linz, 13.01.2012

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung des X, StA Libanon, geboren am X, wohnhaft in X, vertreten durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 13. September 2010, AZ: 1034455/FRB, betreffend eine Ausweisung des Berufungswerbers nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 13. September 2010,
AZ: 1034455/FRB wurde gegen den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 53 iVm. 31 Abs. 1 und 1a sowie 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung - die Ausweisung angeordnet.

 

Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass der Bw, ein Staatsangehöriger des Staates Libanon, im November 2002 illegal nach Österreich einreiste, einen Asylantrag stellte, welcher am 2. Juni 2010 rechtskräftig negativ abgewiesen wurde und seit diesem Zeitpunkt ohne jegliche fremde- bzw. asylrechtliche Bewilligung und somit nicht rechtmäßig in Österreich aufhältig sei.

 

Insbesondere gibt die belangte Behörde eine Stellungnahme des Bw vom 30. Juni 2010 wieder, aus der ua hervorgehe, dass der Bw im Libanon von X bis X 4 Jahre die Volksschule, von X bis X 4 Jahre die Hauptschule, von X bis X 3 Jahre eine höhere Schule samt Maturaabschluss und zwei Jahr, jedoch ohne Abschluss, die Universität besucht habe. Von X bis X habe der Bw den Militärdienst im Libanon geleistet.

 

Familienangehörige des Bw seien nicht in Österreich aufhältig. Zahlreiche in Österreich befindliche Freunde und Bekannte ergäben sich jedoch aus dem der Stellungnahme beigelegten Beiblatt. Die Eltern des Bw und weitere Geschwister seien im Libanon aufhältig.

 

Der Bw befinde sich überdies aufgrund der ausländerbeschäftigungsrechtlichen Bestimmungen in keinem Beschäftigungsverhältnis und lebe derzeit in einer Mitwohnung in X.

 

Auch besitze der Bw den österreichischen Führerschein und habe sich sehr gute Deutschkenntnisse angeeignet und den Deutsch-Integrationskurs der Stufe 3 absolviert.

 

Nach Erhalt einer Niederlassungsbewilligung könne der Bw unmittelbar einer geregelten Arbeitstätigkeit nachgehen und es werden dementsprechende Bestätigungen nachgereicht.

 

Weiters führt die belangte Behörde aus, dass über den vom Bw gestellten Asylantrag bereits am 20. November 2003 gem. §§ 7 und 8 AsylG in erster Instanz negativ entschieden wurde und er insofern ab diesem Zeitpunkt in Kenntnis der Unsicherheit seines weiteren Aufenthaltes sei.

 

Auch sei gegenüber dem Bw am 4. Juli 2006 vom Landesgericht Wien aufgrund des Suchtmittelgesetzes eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren ausgesprochen worden. Hierauf wiederum sei von der BPD Wien mit Bescheid vom 12. September 2006 ein nunmehr rechtskräftiges unbefristetes Rückkehrverbot erlassen worden.

 

Zusätzlich zur strafgerichtlichen Verurteilung – welche, die aus der Aufenthaltsdauer resultierende soziale Integration erheblich beeinträchtigt – scheinen 8 verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen auf.

 

1.1.2. In rechtlicher Hinsicht führt die belangte Behörde aus, dass aufgrund des rund 8-jährigen Aufenthalts in Österreich, des Deutsch-Integrationskurses auf der Stufe A3, sowie der zahlreichen Freunde und Bekannten die Ausweisung einen nicht unerheblichen Eingriff in das Privatleben des Bw darstelle, der allerdings dadurch zu relativieren sei, dass dieser Aufenthalt auf Rechtsgrundlage eines unbegründeten Asylantrages nur temporär auf legaler Basis beruht habe.

 

Am 20. November 2003 sei dem Bw der erstinstanzliche abweisende Bescheid im Asylverfahren zugestellt worden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe dem Bw bewusst sein müssen, dass es sich bei der Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG um eine mit der Dauer des Verfahrens befristete Berechtigung handle. Dem Bw habe bewusst sein müssen, dass er ein Privatleben während dieses Zeitraums geschaffen habe, in dem er einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt habe. So habe er nicht von vornherein damit rechnen können, nach einem allfälligen negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen.

 

Aus dem selben Grund relativiere sich auch die berufliche und sprachliche Integration.

 

Aus dem Grund des – letztlich auch zu einem unbefristeten Rückkehrverbot führenden – Verbrechens nach dem Suchtmittelgesetz, sei die aus der Aufenthaltsdauer abzuleitende Integration in ihrer sozialen Komponente erheblich beeinträchtigt. Zusätzlich relativiert werde dies durch die 8 aufscheinenden Verwaltungssstraftaten.

 

Auch sei der Bw bei seiner Einreise nach Österreich im November 2002 bereits 25 Jahre alt gewesen und habe den überwiegenden Teil seines Lebens im Heimatstaat verbracht. Er habe seine Ausbildung in selbigen absolviert und seine Eltern sowie mehrere Geschwister seien im Libanon aufhältig.

 

Dies führe dazu, dass dem Bw eine Bindung in sein Heimatland nicht abgesprochen werden könne und eine Reintegration zumutbar sei.

 

Abschließend sei auf den schwerwiegenden Verstoß gegen die öffentliche Ordnung hinzuweisen, der sich durch die nicht rechtzeitige Ausreise des Bw aus dem Bundesgebiet, nach negativem Abschluss seines Asylverfahrens ergibt. Es könne nicht hingenommen werden, dass Fremde ihren nicht rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet beharrlich fortsetzen und die Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen versuchen.

 

Zusammenfassend könne daher nur festgestellt werden, dass die Ausweisung nicht nur zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und somit im Lichte des § 66 Abs. 1 FPG zulässig scheine, sondern auch unter Beachtung der Bestimmungen des § 66 Abs. 2 und 3 FPG zulässig sei.

 

1.2. Gegen diesen Bescheid erhob der Bw – rechtzeitig – Berufung mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2010.

 

Eingangs werden darin die Berufungsanträge gestellt, die Berufungsbehörde möge:

a)    den gegenständlichen Bescheid der Bundespolizeidirektion von Linz vom 13. September 2010, AZ: 1034455/FRB, zugestellt am 17. September 2010, dahingehend abändern, dass die gegen den Bw eingeleiteten Ausweisungsverfahren eingestellt und die ausgesprochenen Ausweisungen aufgehoben werden, in eventu

b)    den gegenständlichen Bescheid dahingehend abändern, dass die erstinstanzlichen Bescheide zur Gänze behoben und zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Erstinstanz zurückverwiesen werden.

 

In der Berufung wird dem im angefochtenen Bescheid dargestellten Sachverhalt nicht entgegengetreten, sondern werden vielmehr die für den hohen Grad an sozialer Integration sprechenden Elemente nochmals betont.

 

Insbesondere wird argumentiert, dass die zahlreichen Freunde und Bekannte, sowie der abgelegte Deutschkurs Stufe 3 Zeichen für eine entsprechende soziale Integration darstellen.

 

Die Tatsache, dass er gegen den erstinstanzlichen Asylbescheid Berufung erhoben habe, könne den Grad der Integration nicht mindern, es spräche vielmehr die unvorhersehbare, überlange Dauer des Wartens auf eine Entscheidung der Rechtsmittelinstanz in Asylsachen für den Bw und die in dieser Zeit vorgenommene Integration müsse voll zum Ausschlag gelangen.

 

Betreffend des Verbrechens im Bezug auf das Suchtmittelgesetz wird angeführt, dass dies ein einmaliges Verbrechen sei und überdies jeglicher Kontakt zu Suchtgiftkreisen abgebrochen wurde. Der Bw sei seit diesem Zeitpunkt nicht mehr straffällig geworden.

 

Auch habe der Bw aufgrund seines langen Aufenthalts in Österreich seinen Kontakt zu seinem Heimatland gänzlich abgebrochen und habe keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Bei einer zwangsweisen Rückkehr in den Libanon hätte der Bw daher keinen familiären Rückhalt zu erwarten.

 

1.3. Mit Schreiben vom 9. März 2011, eingelangt am 10. März 2011 bei der Sicherheitsdirektion des Landes Oberösterreich, gibt der Bw bekannt, das Vollmachtsverhältnis zu seiner bisherigen Rechtsvertreterin zu lösen und nunmehr durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft, X, vertreten zu sein.

 

Weiters teilt der Bw zur Berufung ergänzend mit, dass er am X vor dem Standesamt Braunau am Inn Frau X geehelicht habe. Frau X habe eine Niederlassungsbewilligung unbeschränkt von der BH-Salzburg-Umgebung und der Bw habe nunmehr ein im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 EMRK schützenswertes Familienleben vorzuweisen, welches gegen eine Ausweisung aus dem Bundesgebiet spräche.

 

 

2.1. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 112/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion – nach In-Krafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Oö. Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde, durch Einsichtnahme in das Elektronische Kriminalpolizeiliche Informationssystem, Abfrage des Zentralen Melderegisters und Einholung eines aktuellen Sozialversicherungsdatenauszuges mit Abfragetag: 11. Jänner 2012. Aus letzterem ist ersichtlich, dass der Bw seit seiner Einreise im Jahr 2002 vom 1. September 2008 bis zum 31. Dezember 2008 (4 Monate) als Arbeiter in der X tätig war. Eine weitere Tätigkeit am österreichischen Arbeitsmarkt ist nicht ausgewiesen.

 

Darüber hinaus wurde der Bw mit Schreiben vom 30. August 2011 im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung zur Abgabe einer Stellungnahme betreffend einer möglicherweise bestehenden Sorgepflicht (indiziert durch Urteilsausfertigung zu AZ: 34 Hv 78/05g) aufgefordert. Diesbezüglich gab der Bw mit Schreiben vom 7. September 2011 an, dass er keine Sorgepflicht habe, er aber mit seiner Frau (X) ein Kind erwarte, welches am 21. März 2012 zu Welt kommen solle. Zum Beweis legte er eine Bestätigung der Frauenärztin X vom 16. August 2011, sowie die Heiratsurkunde vor. Abschließend wies der Bw nochmals auf das schützenswerte Privat- und Familienleben in Österreich hin.

 

Zudem scheint in der am 10. Jänner 2012 durchgeführten Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich zusätzlich eine mit 29. Juni 2007 rechtskräftig gewordene Verurteilung gem. § 83 Abs. 1 Strafgesetzbuch auf. Gem. §§ 31 und 40 Strafgesetzbuch ist von der Verhängung einer Zusatzstrafe abgesehen worden.

 

2.3. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG). Ein Antrag auf Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde ebenfalls nicht gestellt.

 

Hiezu ist auch darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen ua. vom 21. Dezember 2010, Zl. 2007/21/0528 und vom 5. Juli 2011; Zl. 2008/21/0671-6, explizit ausgeführt hat, dass im fremdenpolizeilichen Administrativverfahren ein Recht des Fremden von der Berufungsbehörde mündlich gehört zu werden, nicht besteht.

 

2.4. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1.1., 1.1.2., 1.2. und 2.1. dieses Erkenntnisses dargestellten unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

2.5. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1.1. Gemäß § 125 Abs. 14 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 112/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 53 als Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden ist.

 

3.1.2. Im vorliegenden Fall ist völlig klar, dass die in Rede stehende Ausweisung auf Basis des § 53 FPG ("alte Fassung") erlassen wurde, weshalb diese Ausweisung als Rückkehrentscheidung im Sinne des nunmehrigen § 52 FPG anzusehen und zu beurteilen ist.

 

3.2.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 112/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

3.2.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst auch vom Bw selbst unbestritten, dass er über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt und somit grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig ist. Die Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 FPG idF BGBl 112/2011 sind somit erfüllt. Allerdings ist bei der Beurteilung der Ausweisung bzw. der Rückkehrentscheidung auf Art 8 EMRK sowie § 61 FPG Bedacht zu nehmen.

 

3.3.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

3.3.2. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der        bisherige Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des      Asyl-          Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem   Zeitpunkt    entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren         Aufenthaltstatus   bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß § 125 Abs. 20 FPG gelten, vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 38/2011 vorgenommene Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 66 als Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 61 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

3.4.1. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessensabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

Zunächst ist zu erkennen, dass nunmehr mit der Ausweisung in das Familienleben des Bw eingegriffen wird. Nachweislich hat der Bw am X Frau X geehelicht und wohnt mit ihr seit dem 7. April 2011 unter einer gemeinsamen Meldeadresse. Die Ehefrau des Bw ist überdies in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigt und erwartet vom Bw ein Kind, welches am 21. März 2012 zur Welt kommen soll.

 

3.4.2. Auch ist festzuhalten, dass gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte es grundsätzlich zulässig und erforderlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Ausweisung grundsätzlich ein adäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch ebenfalls nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

3.4.3. Ein gegen das Interesse des Bw am Privat- und Familienleben weiters abzuwiegendes, hoch anzusetzendes öffentliches Interesse ist an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität (vgl. VwGH vom 10. September 2003, Zl. 2003/18/0222) und der Gewaltkriminalität (vgl. VwGH vom 18. März 2003, Zl. 2000/18/0074) gegeben.

 

3.4.4. Im vorliegenden Fall ist überdies auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach bei einem über zehnjährigen (rechtmäßigen) inländischen Aufenthalt in Zusammenhang mit einem durch Art. 8 EMRK geschützten familiären Zusammenleben oder in Zusammenhalt mit einer über mehr als 9 Jahre hinweg kontinuierlich ausgeübten unselbstständigen Erwerbstätigkeit (in Verbindung mit weiteren Aspekten der erreichten Integration) dem persönlichen Interessen des Fremden am Verbleib im Bundesgebiet ein derart großes Gewicht zukommt, das die Ausweisung – auch bei alleinigen Eingriff in das Privatleben – als unverhältnismäßig erscheint (VwGH vom 20. Jänner 2011, Zl. 2010/22/0158 und VwGH vom 10. Dezember 2008, Zl. 2008/22/0843).

 

3.4.5. Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, befindet sich der Bw schon seit etwas mehr als 9 Jahren im Bundesgebiet. Beinahe 8 Jahre lang war der Aufenthalt durch die diesbezügliche Dauer des Asylverfahrens grundsätzlich rechtmäßig. Eine berufliche Integration des Bw hat aber in dieser Zeit kaum stattgefunden. Laut aktuellem Sozialversicherungsdatenauszug ging der Bw 4 Monate der Beschäftigung bei der X als Arbeiter nach.

 

3.4.6. Eine über die berufliche Sphäre hinausgehende soziale bzw. private Integration kann aus den geltend gemachten Angaben des Bw geschlossen werden und wird durch die lange Aufenthaltsdauer entsprechend verstärkt. Dass diese Integration während – bewusstem – unsicheren Aufenthalts stattgefunden hat, ist bei der Interessensabwägung mindernd zu berücksichtigten, wird jedoch durch die unverschuldet lange Verfahrensdauer wiederum relativiert.

 

3.4.7. Sonstige gesellschaftlich integrative Elemente brachte der Bw nicht vor (Vereinstätigkeit, etc.). Verstärkend ist hier lediglich zu erkennen, dass der Bw den Deutsch-Integrationskurs auf Stufe 3 positiv absolviert hat und er der deutschen Sprache mächtig ist.

 

3.4.8. Ein, über die – noch zu bewertende – Eheschließung hinausgehendes kernfamiliäres Netzwerk hat der Bw ebenso nicht dargelegt. Der Bw kann nach seinen eigenen Angaben in Österreich lediglich auf einen Freundes- bzw. Bekanntenkreis zurückgreifen. Die Eltern und Geschwister des Bw sind im Heimatstaat aufhältig.

 

3.4.9. Hinzukommt, dass der Bw im Alter von 25 Jahren in das Bundesgebiet eingereist ist und somit den überwiegenden Teil seines bisherigen Lebens im Heimatstaat verbracht hat. Eine Reintegration wird auch durch die langjährige Abwesenheit des Bw nicht verhindert. Zu beachten gilt hier, dass der Bw Volksschule, Hauptschule sowie eine höhere Schule im Libanon erfolgreich besucht hat und 2 Jahre an der Universität studierte. Auch den Militärdienst hat der Bw im Heimatstaat absolviert. Dass seitens des Bw überhaupt kein Kontakt mehr zum Heimatstaat gehalten wird, vermag eine Reintegration des Bw ebenso wenig verhindern.

 

3.4.10. Für die im Sinne des Art 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung ist weiters zu beachten, dass die Ehe des Bw nach rechtskräftig negativem Abschluss des Asylverfahrens und während schon anhängigen "Ausweisungsverfahren" geschlossen wurde. Insofern ist das Gewicht dieses Umstandes als eher gering anzusehen (VwGH vom 17. Februar 2005, Zl. 2005/18/0025; siehe auch VwGH vom 27. Februar 2003, Zl. 2002/18/0207 mwN). Hinzu kommt, dass weder im erstinstanzlichen Verfahren noch in der Berufung der Umstand einer Beziehung zur nunmehrigen Ehefrau des Bw geltend gemacht wurde. Eine über lange Jahre hinweg stattgefundene "familiäre" Integration kann somit aus diesem Umstand ebenfalls nicht erkannt werden.

 

3.5.1. Verglichen mit den oben angeführten Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes zu Zl. 2010/22/0158 und Zl. 2008/22/0843 ist somit hier nicht nur die dort beschriebene – allenfalls exemplarisch angeführte – Aufenthaltsdauer von über 10 Jahren unterschritten, sondern es fehlt auch an der Verfestigung der beruflichen Integration und Langjährigkeit des familiären Zusammenlebens in Österreich.

 

3.5.2. Bei einer Gesamtbetrachtung schon auf Basis dieser Umstände ist festzuhalten, dass die für die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung sprechenden Elemente des öffentlichen Interesses gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK die persönlichen Interessen des Bw an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen. Daran vermögen auch die anstehende Geburt des Kindes und die Eheschließung des Bw nichts ändern. Zumal zusätzlich zu den unter Pkt. 3.4.10. ausgeführten Gründen festzustellen ist, dass die Ehefrau des Bw ebenfalls libanesische Staatsangehörige ist, Umstände, welche eine besondere Betreuungsbedürftigkeit der Ehefrau oder des Ungeborenen indizieren, nicht vorliegen und auch der Bw nicht als wirtschaftlicher Lebenserhalter angeführt werden kann. In der – nicht auf Verschulden des Bw zurückzuführenden – langen Zeitspanne des Asylverfahrens konnte sich der Bw am legalen Arbeitsmarkt in keinster Weise integrieren. Warum dies in Hinkunft – auch mit dem anhaftendem Strafregisterauszug – eine Änderung erfahren solle, kann objektiv nachvollziehbar nicht festgestellt werden.

 

3.5.3. Bestätigung findet dieses Ergebnis, wenn zusätzlich zu den unter Pkt. 3.4.2. angeführten Interessen die öffentlichen Interessen am Schutz vor Suchtgift- und Gewaltkriminalität hinzutreten. Der Bw wurde wegen der Einfuhr, dem Besitz und der Weitergabe von Suchtgift in einem die Grenzmenge überschreitenden Ausmaß in der Form der Gewerbsmäßigkeit zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt und am 24. Jänner 2008 bedingt mit Verhängung einer Probezeit von 3 Jahren entlassen. Der Bw hatte im Rahmen des Tatgeschehens in den Jahren 2004 bis 2006 gewerbsmäßig die in Bezug stehenden Mengen von Suchtgift (Oktober 2009: 180 Gramm Kokain; Dezember 2005: 290 Gramm Kokain) bei einem in den X aufhältigen, nicht näher bekannten Lieferanten bestellt und durch unbekannte Kuriere nach Österreich einführen lassen. In Österreich nahm der Bw sodann das Suchtgift entgegen und setzte es gewerbsmäßig teils mittelbar, teils unmittelbar in Verkehr (s dazu Urteil LG Wien 61 Hv 71/2006S vom 4. Juli 2007, S 6 ff.). Zur Beschaffung des Suchtgiftes übersiedelte der Bw sogar von Februar 2004 bis September 2005 in die X, um aktiv die entsprechenden Kontakte herzustellen. Nach seiner Rückkehr nach Österreich beschloss der Bw sodann seine schlechte finanzielle Situation zu verbessern, indem er Suchtgift in insgesamt großer Menge importierte und in Verkehr setzte. Den zu erzielenden Erlös wollte der Bw im Rahmen seines Tatplanes zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes verwenden. Darüber hinaus gab der Bw in der Hauptverhandlung an, selbst große Mengen von Suchtgift (Kokain) zu konsumieren. Ein entsprechender Anklagevorwurf gem. § 27 SMG wurde jedoch wegen Zweifel der zuständigen Staatsanwaltschaft nicht weiter verfolgt.

 

Das öffentliche Interesse an der Unterbindung des Suchtgiftimportes und Suchtgifthandels kann dahingehend als in Relation zur Eigenbedarfskriminalität besonders hoch angesiedelt werden, zumal, wie aus dem zuvor geschilderten Tatgeschehen erkenntlich ist, ein schwerer Fall der Suchtgiftkriminalität vorliegt. Nicht "bloß" der Eigenbedarf als Triebmittel und Auswirkung der Kriminalität, sondern vielmehr ein geplantes Vorgehen mit erheblicher krimineller Energie und dem Potential an weiter Verbreitung der Suchtmittel verletzen dieses öffentliche Interesse in besonderem Maß.

 

Die seit dem Zeitraum der Tatbegehung (2004 bis 2006), als auch seit dem Zeitpunkt der Entlassung des Bw aus seiner Strafhaft (24. Jänner 2008) verstrichene Zeitspanne vermag diese vom Bw ausgehende Gefährdung und sohin Verletzung der öffentlichen Interessen nicht beseitigen oder entscheidungsrelevant mindern (siehe dazu – eine zwar geringere Zeitspanne, aber auch geringere unbedingte Freiheitsstrafe bewertende – gleichlaufende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2007, Zl. 2007/18/0699).

 

Auch die Beteuerungen des Bw, sämtliche Kontakte zur Suchtgiftszene abgebrochen zu haben, können Gegenteiliges nicht bewirken. Die Kontaktaufnahme zur Szene erfolgte eben auch im Jahr 2004 vom Bw aus eigener Initiative (z.B.: Umzug in die X) und hatte ihre Grundlage in der finanziellen Situation des Bw. Dass durch die Heirat und die anstehende Geburt des Sohnes erheblich verbessernde Umstände eingetreten sind bzw. eintreten werden, kann nicht angenommen werden.

 

Abschließend tritt noch die – wenn auch als sehr gering zu bewertende – Verletzung des öffentlichen Interesses am Schutz vor Gewaltkriminalität durch die am 29. Juni 2007 erfolgte Verurteilung des Bw gem. § 83 Abs. 1 Strafgesetzbuch durch das Landesgericht Linz (34 Hv 78/05g) hinzu.

 

3.6. Es war daher die Berufung als unbegründet abzuweisen und der angefochtene Bescheid zu bestätigen.

 

 

4.1.1. Aufgrund der Aktenlage kann davon ausgegangen werden, dass der Bw der deutschen Sprache hinreichend mächtig ist. Eine Übersetzung gem. § 59 FPG idF BGBl I Nr. 112/2011 konnte daher unterbleiben.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 22,10 Euro (Eingabegebühr samt Beilagen) angefallen.

 

 

Bernhard Pree

Beachte:


Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt.


VwGH vom 05.07.2012, Zl.: 2012/21/0083-4

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