Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-750015/3/Wg/Gru

Linz, 31.01.2012

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Wolfgang Weigl über die Berufung der X, geb. X, X, X, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land vom 8. November 2011, Sich96-234-2011, zu Recht erkannt:

 

             I.      Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG eingestellt.

 

          II.      Die Berufungswerberin hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat zu leisten.

 

 

Rechtsgrundlagen:

zu I.: §§ 24, 45 Abs.1 Z2 und 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) iVm § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG);

zu II.: § 66 Abs.1 VStG.

 


Entscheidungsgründe:

 

 

Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land hat der Berufungswerberin (im Folgenden: Bw) mit Straferkenntnis vom 8. November 2011, Sich96-234-2011, folgende Verwaltungsübertretungen angelastet:

 

"Sie haben bis zumindest 14. Oktober 2011 (Tatzeit) in der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land (4600 Wels, Herrengasse 8) trotz Verpflichtung keine geeigneten Nachweise erbracht, die die Tragfähigkeit Ihrer Haftungserklärung vom 1. März 2011 belegen, obwohl wer eine Haftungserklärung (§ 2 Abs. 1 Z. 15 NAG) abgibt, und er weiß oder wissen müsste, dass seine Leistungsfähigkeit zum Tragen der in Betracht kommenden Kosten nicht ausreicht und er daher seiner Verpflichtung aus der Haftungserklärung nicht nachkommen kann oder nicht nachkommen wird können, eine Verwaltungsübertretung begeht."

 

Sie habe dadurch die Rechtsvorschrift des § 77 Abs. 2 Z. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl.Nr. 100/2005, in der geltenden Fassung verletzt. Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über die Bw eine Geldstrafe von 1.000,-- Euro, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 168 Stunden gem. § 77 Abs. 1 Z. 2 NAG sowie ein Kostenbeitrag in der Höhe von 100,-- Euro verhängt. Die Behörde argumentierte, die Bw habe als Tragfähigkeit der Haftungserklärung eine vom AMS mit 5. Mai 2011 ausgestellte Bezugsbestätigung beigebracht, wonach sie bis 3. Juni 2011 einen Arbeitslosengeldbezug mit einem Tagsatz von 23,04 Euro gehabt hätte. Am 10. Oktober 2011 seien bei der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land per Fax vier Lohnnachweise ihres Ehegatten eingelangt. Daraus ergäbe sich ein durchschnittlicher Monatslohn aus den Monaten Mai 2011 bis August 2011 von 2.061,76 Euro. Um den Lohn des Ehegatten für die Tragfähigkeit der Haftungserklärung zu berücksichtigen, müsse nachweislich eine Erklärung des Ehegatten vorliegen, wonach herausgehe, dass er einverstanden sei, mit seinem Einkommen zum Haushaltsrichtsatz beizutragen. Diese Erklärung sei bis dato nicht eingereicht worden, was allerdings nichts an der Sache ändern würde, da der Ehegatte Kredite zur Rückzahlung offen habe und dadurch sein Einkommen wiederum um die monatlichen Ratenzahlungen geschmälert werden würde. Als Berechnungsgrundlage für die Tragfähigkeit der Haftungserklärung würden die Bezüge des § 1 Oö. Mindestsicherungsverordnung herangezogen. Eine Abdeckung der erforderlichen 2.114,40 Euro habe die Bw bis zur Tatzeit nicht nachweisen können.

 

Mit E-Mail vom 15. November 2011 wandte sich die Bw an das Amt der oö. Landesregierung. Im Betreff scheint folgender Text auf: "Ich versuche um eine Erklärung wie in der Zeit bis 14.10.2011 Problemen gekommen ist". Das Amt der oö. Landesregierung leitete diese Eingabe per Mail an die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land weiter mit dem Hinweis, dass diese "Erklärung" als Berufung gewertet werde. Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land legte daraufhin den Verfahrensakt dem Verwaltungssenat zur Entscheidung vor.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat stellt folgenden Sachverhalt fest:

 

Die Bw wurde am X geboren und ist Staatsangehörige von X. Sie ist bereits seit mehreren Jahren im Bundesgebiet niedergelassen. Sie hat gemeinsam mit ihrem rumänischen Ehegatten X an der Adresse X, X, Unterkunft genommen. Mit 25. Jänner 2011 begründete dort auch die Mutter der Bw (X, geb. X) ihren Hauptwohnsitz. Am 4. Februar 2011 stellte X bei der belangten Behörde einen Antrag auf Erteilung einer Anmeldebescheinigung.

 

Zum Nachweis der erforderlichen Unterhaltsmittel unterfertigte die Bw am 1. März 2011 eine Haftungserklärung gem. § 2 Abs. 1 Z. 15 NAG, die laut Angaben der belangten Behörde noch im März 2011 eingereicht wurde.

 

Die Bw war zum damaligen Zeitpunkt arbeitslos. Laut Bezugsbestätigung des AMS vom 5. Mai 2011 erhielt sie vom 1.1.2011 bis 20. März 2011 sowie vom 14. April 2011 bis 3. Juni 2011 Arbeitslosengeld in der Höhe von 23,04 Euro täglich. In der Zeit vom 21. März 2011 bis 13. April 2011 war sie über die X zur Sozialversicherung als Arbeiterin angemeldet.

 

Laut Auskunft aus der X vom 3. Mai 2011 ist sie mit ihrem Gatten X Mitverpflichtete aus Kreditverträgen vom 12. März 2007 (Rahmenkredit 57.000,-- Euro) und vom 15. Juni 2007 (Abstattungskredit 100.000,-- Euro).

 

In den Folgemonaten wechselten sich die Zeiträume zwischen Arbeitslosengeldbezug, Krankengeldbezug und Ersatzzeiten ohne Notstandshilfe ab. Vom 11. Oktober 2011 jedenfalls bis zur Erlassung des bekämpften Bescheides erhielt sie einen Wochengeldbezug.

 

Ihr Ehegatte verdiente in den Monaten Mai 2011 bis August 2011 einen durchschnittlichen Monatslohn in der Höhe von 2.061,76 Euro.

 

 

 

 

Zur Beweiswürdigung:

 

Der OÖ. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt. Da bereits auf Grund der Aktenlage fest steht, dass das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben ist, konnte eine Verhandlung gem. § 51e Abs. 2 Z. 1 VStG entfallen.

 

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich bereits aus dem bekämpften Straferkenntnis bzw. aus den im erstinstanzlichen Verfahrensakt enthaltenen Unterlagen. Auf Anfrage des UVS teilte die BH Wels Land mit email vom 29. Dezember 2011 mit, dass die Haftungserklärung irgendwann im März 2011 eingelangt sei.

 

Der Verwaltungssenat hat dazu in rechtlicher Hinsicht erwogen:

 

Die Mutter der Bw ist als rumänische Staatsangehörige EWR-Bürgerin. Der Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung ist im Akt der BH Wels Land mit dem Hinweis "Sonstige Angehörige" versehen. Einschlägige Bestimmung für das Aufenthaltsrecht der X ist daher § 52 Abs. 1 Z. 3 bzw. Z. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

 

§ 52 Abs 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) idF BGBl I Nr. 38/2011 lautet:

 

Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. Ehegatte oder eingetragener Partner sind;

2. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

3. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

4. Lebenspartner sind, der das Bestehen einer dauerhaften Beziehung nachweist, oder

5. sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind,

a) die vom EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat Unterhalt tatsächlich bezogen haben,

b) die mit dem EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder

c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen.

 

Anders als in § 56 Abs. 1 NAG (Sonderfälle der Niederlassung von Angehörigen von EWR-Bürgern) ist in § 52 Abs. 1 NAG die Abgabe einer Haftungserklärung nicht vorgesehen. Das Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union verbietet den Mitgliedstaaten, die für den Nachweis ausreichender Existenzmittel zulässigen Beweismittel zu begrenzen. Die Haftungserklärung der Bw ist daher – ungeachtet der Bestimmung des § 11 Abs 6 NAG - zu berücksichtigen.

 

Damit ist auch die Strafbestimmung des § 77 Abs 2 Z 2 NAG anwendbar. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 18. Februar 2009, GZ. 2007/21/0563, zur Strafbestimmung des § 77 Abs. 2 Z. 2 NAG idF BGBl. I Nr. 100/2005 geäußert. Gemäß dieser Bestimmung beging eine Verwaltungsübertretung und war mit Geldstrafe bis zu 1.500,-- Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Wochen zu bestrafen, wer eine Haftungserklärung gem. § 2 Abs. 1 Z. 15 abgegeben hat, obwohl er wusste oder wissen musste, dass er seiner Verpflichtung aus der Haftungserklärung nicht nachkommen kann.

 

Unter Hinweis auf die Definition des Begriffes "Haftungserklärung" in § 2 Abs. 1 Z. 15 NAG kam der VwGH dabei zu dem Ergebnis, dass diese Strafbestimmung nach ihrem klaren (auch durch die zitierte Regierungsvorlage, die zu dieser Bestimmung keine Erläuterungen enthält, als nicht weiter interpretationsbedürftig angesehenen) Wortlaut – neben der Abgabe einer Haftungserklärung, die erst vorliegt, wenn die Leistungsfähigkeit des Dritten zur Kostentragung nachgewiesen wird, was eine Prüfpflicht der Aufenthaltsbehörde impliziert – voraussetzt, dass der Erklärende dieser "nicht nachkommen kann". Schon aus der Verwendung des Indikativs ist somit als Erfordernis der Strafbarkeit abzuleiten, dass der Erklärende eine konkret an ihn herangetragene Zahlungspflicht nicht erfüllen konnte. Der Gesetzeswortlaut des § 77 Abs. 2 Z. 2 NAG idF BGBl. I Nr. 100/2005 bot nach Ansicht des VwGH keinen Hinweis darauf, dass die genannte Strafbestimmung einer erweiternden Interpretation im Sinn hypothetischer Überlegungen zur Vorhersehbarkeit derartiger Inanspruchnahmen und dann voraussichtlich nicht gegebener Leistungsfähigkeit bereits bei Abgabe der Haftungserklärung zugänglich wäre.

 

Der Gesetzgeber änderte daraufhin mit der Novelle BGBl. I Nr. 122/2009 (in Kraft getreten am 1. Jänner 2010) die Bestimmung des § 77 Abs. 2 Z. 2 NAG. Gem. § 77 Abs. 2 Z. 2 NAG idF BGBl. I Nr. 122/2009 begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 1.000,-- Euro bis zu 5.000,-- Euro, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Wochen, zu bestrafen, wer eine Haftungserklärung oder Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z. 15 oder 18) abgibt, obwohl er weiß oder wissen müsste, dass seine Leistungsfähigkeit zum Tragen der in Betracht kommenden Kosten nicht ausreicht und er daher seiner Verpflichtung aus der Haftungserklärung oder Patenschaftserklärung nicht nachkommen kann oder nicht nachkommen wird können.

 

In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage wird dazu ausgeführt: "Die Z. 2 wird sprachlich angepasst und soll damit klarstellen, dass, wer eine Haftungserklärung oder Patenschaftserklärung abgibt, obwohl er weiß oder wissen müsste, dass die Leistungsfähigkeit nicht ausreicht und er daher seiner Verpflichtung nicht nachkommen kann oder nicht nachkommen wird können, den Verwaltungsstraftatbestand erfüllt, unabhängig davon, ob die Verpflichtung zur Haftung eingetreten ist oder künftig eintreten wird."

 

Nunmehr ist durch den ausdrücklichen Wortlaut der Gesetzes klar gestellt, dass nicht nur die Nichterfüllung einer konkreten an den Erklärenden herangetragenen Zahlungsverpflichtung strafbar ist. § 77 Abs. 2 Z. 2 NAG pönalisiert darüber hinaus auch den Fall, dass eine Haftungserklärung abgegeben wird, obwohl der Erklärende weiß oder wissen müsste, dass seine Leistungsfähigkeit nicht ausreicht und er daher seiner Verpflichtung aus der Haftungserklärung nicht nachkommen wird können. Geringfügige Unterschreitungen der einschlägigen Richtsätze begründen dabei noch keine Strafbarkeit. Insbesondere in Hinblick auf die relativ hohe Mindeststrafe von 1.000 Euro muss es sich um erhebliche Abweichungen handeln, die es als sehr unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Täter jemals seiner Haftungsverpflichtung nachkommen wird können.

 

Eine Haftungserklärung wird im Sinn des § 77 Abs. 2 Z. 2 NAG abgegeben, wenn sie bei der für die Erteilung des jeweiligen Aufenthaltstitels zuständigen Behörde tatsächlich einlangt. Dies ist der Tatzeitpunkt im Sinn des § 44a Z. 1 VStG. Gleichzeitig wird damit die örtliche Zuständigkeit nach § 27 Abs. 1 VStG begründet.

 

Im gegenständlichen Fall ist die Haftungserklärung mit 1. März 2011 datiert. Auf der Haftungserklärung befindet sich kein Eingangsstempel. Laut Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land dürfte die Haftungserklärung irgendwann im März 2011 eingelangt sein.

 

Das Verwaltungsstrafverfahren wurde mit Aufforderung zur Rechtfertigung vom 14. Oktober 2011 eingeleitet. Zu diesem Zeitpunkt war die 6-monatige Verfolgungsverjährungsfrist des § 31 Abs. 2 VStG bereits abgelaufen. Die Verfolgungsverjährung ist mittlerweile eingetreten. Aus diesem Grund war das Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

 

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

Mag. Wolfgang Weigl

 

 

 

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