Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730141/15/Sr/ER/Wu

Linz, 31.01.2012

E R K E N NT N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung der X alias X, geb. X alias X, StA von Georgien, vertreten durch X, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors der Landeshauptstadt Linz vom 20. Jänner 2011, AZ.: 1048576/FRB, betreffend eine Ausweisung der Berufungswerberin nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

             I.      Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

 

          II.      Eine Rückkehrentscheidung ist auf Dauer unzulässig.

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Bescheid des Polizeidirektors der Landeshauptstadt Linz vom 20. Jänner 2011, AZ.: 1048576/FRB, wurde gegen die Berufungswerberin (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 31 Abs. 1 und 1a, 53 Abs. 1 in Verbindung mit § 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, die Ausweisung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich angeordnet.

 

Neben der Wiedergabe der anzuwendenden Rechtsvorschriften führt die belangte Behörde zum Sachverhalt im Wesentlichen aus, dass die Bw, eine Staatsangehörige von Georgien, erstmalig am 6. August 2003 illegal nach Österreich eingereist sei und am selben Tag einen Asylantrag gestellt habe, der mit Bescheid vom 2. Juni 2010 rechtskräftig negativ entschieden worden sei.

Der Bw sei am 2. Juli 2010 die beabsichtigte Ausweisung mitgeteilt worden und sie sei aufgefordert worden, dazu binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen und ihre Privat- und Familienverhältnisse darzulegen.

Daraufhin habe die Bw in ihrer Stellungnahme vom 12. Juli 2010 angegeben, einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG in der damals geltenden Fassung gestellt zu haben, unbescholten zu sein, sowie ihre Krankenversicherung und ihren Unterhalt aufgrund ihrer Hilfsbedürftigkeit aus der Grundversorgung zu bestreiten. Sie verfüge über einen Dienstvorvertrag der Firma X vom 11. November 2009 und wäre aufgrund dessen ab Erteilung eines Aufenthaltstitels selbsterhaltungsfähig. Darüber hinaus sei sie in X sozial und gesellschaftlich integriert, sei seit mehreren Jahren aktives Mitglied der serbisch-orthodoxen Kirchengemeinde in X, beherrsche die deutsche Sprache und habe an Deutschkursen zur Vorbereitung für die Deutschprüfung auf dem Niveau A2 teilgenommen, die sie am 16. Juli 2010 ablegen und das Ergebnis bekannt geben werde.

Die Bw sei in ihrer Heimat Lehrerin für Biologie und Rechtswissenschaften gewesen, mittlerweile wären dort keine Familienmitglieder mehr anwesend und habe sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Heimat. Diese Angaben habe sie durch mehrere Unterlagen und Unterstützungsschreiben untermauert.

 

In ihrer rechtlichen Beurteilung kommt die belangte Behörde im Wesentlichen zum Ergebnis, dass die Ausweisung einen nicht unerheblichen Eingriff in das Privatleben der Bw bedeute, der allerdings dadurch zu relativieren sei, dass ihr Aufenthalt auf Rechtsgrundlage eines offensichtlich unbegründeten Asylantrags beruhe.

 

Sie hätte die erstinstanzliche negative Asylentscheidung vom 1. März 2004 als eindeutiges Indiz für ihren unsicheren Aufenthaltstatus erkennen müssen.

 

Die Bw sei verheiratet und lebe mit ihrem Gatten in Österreich. Ihre beiden Kinder befänden sich nicht in Österreich, und weitere familiäre Beziehungen zu Österreich habe sie nicht behauptet. Von einem Eingriff in ihr Familienleben könne nicht gesprochen werden, da auch gegen ihren Gatten eine Ausweisung verfügt werde.

 

Die behauptete Integration in Österreich werde in ihrem Gewicht maßgeblich reduziert, da die integrationsbegründenden Umstände während eines Aufenthalts erworben worden seien, der auf einen von Anfang an unbegründeten Asylantrag gegründet gewesen sei. Das Ergebnis der Sprachprüfung habe die Bw nie nachgereicht.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit könne der Bw nicht zu ihren Gunsten angerechnet werden, da diese Umstände weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung des die Ausweisung gebietenden öffentlichen Interesses zur Folge hätten.

Die Bw habe während ihres gesamten Aufenthalts ihren Unterhalt aus der Grundversorgung bestritten und sei nie einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen, weshalb von einer beruflichen und sozialen Verfestigung, die eine gelungene Integration erkennen lassen würde, nicht gesprochen werden könne. 

 

Die Bw sei mit etwa 52 Jahren nach Österreich gekommen, habe in Georgien den überwiegenden Teil ihres bisherigen Lebens verbracht, dort ihre Ausbildung absolviert und ihren Beruf ausgeübt. Die belangte Behörde sieht daher zusammenfassend eine Reintegration in der Heimat als möglich an.  

 

Der beim Magistrat Linz eingebrachte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem NAG bewirke keinen Rechtsanspruch auf Verbleib in Österreich während des Verfahrens und bewirke keine Einschränkung der behördlichen Ermächtigung zur Erlassung einer Ausweisung.

 

Unter Abwägung der o.g. persönlichen Situation der Bw mit den öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen stellt die belangte Behörde fest, dass die Ausweisung zur Erreichung der in Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und fremdenrechtlich zulässig sei.

 

2. Gegen diesen Bescheid erhob die Bw rechtzeitig Berufung mit Schriftsatz vom 3. Februar 2011. Darin wird der Antrag gestellt, den Ausweisungsbescheid zu beheben. Weiters regt die Bw an, das Ausweisungsverfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des anhängigen Niederlassungsverfahrens bzw. bis zum Vorliegen einer Stellungnahme der Sicherheitsdirektion im Sinne des     § 44 b Abs. 2 NAG auszusetzen, bzw. gem. § 66 Abs. 3 FPG auszusprechen, dass eine Ausweisung der Bw auf Dauer unzulässig sei. Zusätzlich regt die Bw aufgrund der abgelaufenen Umsetzungsfrist der Richtlinie 2008/115/EG an, den Unabhängigen Verwaltungssenat mit der Entscheidung über die Berufung zu betrauen.

Zum Sachverhalt führt die Bw aus, dass für die Bw – entgegen der Annahme der belangten Behörde – die Aussichtslosigkeit des Asylverfahrens mit dessen erstinstanzlicher Entscheidung nicht eindeutig erkennbar gewesen sei, zumal das Aufenthaltsrecht gemäß AsylG während des gesamten asylrechtlichen Verfahrenszeitraums gewährleistet sei und sie ihren Aufenthalt nicht durch unzulässige Kettenanträge erwirkt hätte.

Die Bw könne sofort ab positiver Erledigung des – unter deutlicher Überschreitung der Fristen – anhängigen Verfahrens über die Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgrund des Dienstvorvertrags ihren Unterhalt bestreiten und stelle ab diesem Zeitpunkt keine Belastung für das Sozialsystem mehr dar.

 

Hinsichtlich der rechtlichen Würdigung rügt die Bw, dass die belangte Behörde die gebotene Abwägung zwischen dem Recht auf Privat- und Familienleben und dem staatlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen im Sinne des Art. 8 EMRK nicht im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vorgenommen habe.

Auch die Kriterien des § 66 FPG über die Zulässigkeit der Ausweisung seien nicht richtig gewürdigt worden. Die Bw verfüge über einen rund siebenjährigen, rechtmäßigen Aufenthalt und es bestehe mit ihrem Gatten ein aufrechtes Familienleben, auch eine ihrer Töchter plane – die entsprechende Aufenthaltsberechtigung vorausgesetzt – ihr Studium in Österreich zu absolvieren. Ebenso sei ein Privatleben entstanden. Die Bw verfüge über das A2-Sprachzertifikat sowie über einen Dienstvorvertrag, der ihr ab Erteilung eines Aufenthaltstitels die Sicherung ihres Unterhalts ermögliche. Beide habe sie bereits vor Erlassung des bekämpften Bescheids der belangten Behörde vorgelegt.

Die Bindung zum Herkunftsstaat sei während ihres Aufenthalts in Österreich sehr schwach geworden, zumal auch ihre Töchter nicht mehr dort aufhältig wären. Überdies habe die belangte Behörde die strafrechtliche Unbescholtenheit der Bw zu würdigen, zumal diese in § 66 FPG als Kriterium für die Integration angeführt sei.

Die Bw habe sich ferner ihres unsicheren Aufenthalts zum Zeitpunkt der Begründung ihres Privatlebens nicht bewusst sein müssen, zumal einerseits die Behörde erster Instanz andere Gründe für die Versagung des Asylrechts herangezogen habe als die Berufungsbehörde und überdies die lange Verfahrensdauer der Behörde zuzurechnen sei.

 

Ferner rügt die Bw, dass die Entscheidung über die Berufung gegen den Ausweisungsbescheid vor Entscheidung der Niederlassungsbehörde, die aufgrund des Gutachtens der Sicherheitsdirektion gemäß § 44b NAG zu entscheiden hätte, durch die der Sicherheitsdirektion nachgeordnete Behörde systemwidrig wäre, weshalb betreffend die Zulässigkeit der Ausweisung die Entscheidung bis zur Entscheidung der Niederlassungsbehörde ausgesetzt werden müsse.

Nicht systemwidrig sei hingegen die Feststellung der Unzulässigkeit einer Ausweisung.

Würde über die Berufung von einem – durch das Ablaufen der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2008/115/EG gebotene – unabhängigen Tribunal entschieden, wäre die o.g. Systemwidrigkeit behoben.

 

Des Weiteren rügt die Bw die mangelhafte Begründung des bekämpften

Bescheids, da darin nicht ausgeführt werde, woraus die belangte Behörde die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit herleite und schließt die Berufung mit Ausführungen zur nunmehr gebotenen Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenats und legt erneut eine Kopie des Sprachzertifikats auf Niveau A2 und eine Kopie des Dienstvorvertrags mit der Firma X vom 11. November 2009 vor.

 

Mit Schriftsatz vom 25. November 2011 gibt die Bw bekannt, dass sie nunmehr anwaltlich vertreten ist, stellt den Antrag, eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen und führt ergänzend zu ihrer Berufung aus, dass der Dienstvorvertrag der Firma X vom 11. November 2010 nach wie vor gültig sei und sie regelmäßig von der Firma bezüglich der Aufnahme der Beschäftigung kontaktiert werde. Im Falle einer Niederlassungsbewilligung sei sie somit selbsterhaltungsfähig. Ferner verweist die Bw erneut auf ihre soziale, gesellschaftliche und familiäre Verwurzelung in Österreich und merkt an, dass unter Berücksichtigung ihrer langen Aufenthaltsdauer in Österreich im Lichte der Judikatur des EuGH und des VfGH bloße Übertretungen fremdenrechtlicher Bestimmungen – so solche überhaupt vorlägen – nicht mehr ausreichend seien, um eine Ausweisung als dringend notwendig erscheinen zu lassen.

 

3. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion Oberösterreich – nach Inkrafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Unabhängigen Verwaltungssenat am 4. Juli 2011 übermittelt wurde.

 

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde, einen aktuellen Versicherungsdatenauszug, die Vollmachtsbekanntgabe betreffend die rechtsfreundliche Vertretung der Bw durch RA X, das Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 31. Mai 2010.

 

3.2. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist (§ 67d Abs. 2 Z. 1 AVG)

 

Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1. und 2. dieses Erkenntnisses dargestellten unbestrittenen Sachverhalt aus und stellt fest, dass die Bw bereits im September 2010 ihr Diplom über die Deutschprüfung auf Niveau A2 der belangten Behörde vorgelegt hat.

 

3.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

4. In der Sache hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

 

4.1.1. Gemäß § 125 Abs. 14 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 53 als Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden ist.

 

4.1.2. Im vorliegenden Fall wurde die Ausweisung auf Basis des § 53 FPG (in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011) erlassen, weshalb diese Ausweisung als Rückkehrentscheidung im Sinne des § 52 FPG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 anzusehen und zu beurteilen ist.

 

4.2.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

4.2.2. Im vorliegenden Fall ist auch von der Bw selbst unbestritten, dass sie über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt und somit grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig ist.

 

Allerdings ist bei der Beurteilung der Rückkehrentscheidung sowohl auf Art. 8 EMRK als auch auf § 61 FPG Bedacht zu nehmen.

 

4.3. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Nach § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der       bisherige         Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.         der Grad der Integration;

5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des     Asyl-   Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem            Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren   Aufenthaltstatus bewusst waren;

9.         die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß § 125 Abs. 20 FPG, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 38/2011 vorgenommene Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 66 als Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 61 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

4.4. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessenabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

Gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte ist es grundsätzlich zulässig und erforderlich, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Rückkehrentscheidung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

4.4.1. Der belangten Behörde folgend ist aufgrund der beabsichtigten Ausweisung beider Ehepartner im Wesentlichen eine Interessenabwägung gemäß § 61 Abs. 2 FPG hinsichtlich des Privatlebens der Bw vorzunehmen, wobei insbesondere auf ihre berufliche und soziale Integration, das Asylverfahren und die lange Aufenthaltsdauer Bedacht zu nehmen ist.

In Anbetracht ihres rund 8 1/2 Jahre währenden Aufenthaltes im Bundesgebiet ist der Bw eine der Dauer ihres Aufenthaltes entsprechende Integration zuzugestehen. Dieser Aufenthalt war nachweislich von 6. August 2003 bis zur Beendigung ihres Asylverfahrens am 2. Juni 2010, also rund sieben Jahre, rechtmäßig.

Das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration wird jedoch angesichts der ständigen Judikatur des VwGH dadurch gemindert, als der Aufenthalt der Bw während des Asylverfahrens nur aufgrund eines Antrages, welcher sich letztendlich als unberechtigt erwiesen hat, temporär berechtigt war. Der Bw musste bewusst sein, dass sie ein Privatleben während eines Zeitraumes, in dem sie einen "unsicheren" Aufenthaltsstatus hatte, geschaffen hat, (vgl. etwa Erkenntnis vom 08.11.2006, Zahl 2006/18/0344 sowie Zahl 2006/18/0226 ua.). Sie durfte nicht von vornherein damit rechnen, nach einem allfälligen negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen.

Im Hinblick auf den 8 1/2 Jahre währenden Aufenthalt in Österreich ist im Besonderen auf die die jüngste Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abzustellen. Wie folgt wiedergegeben, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, GZ 2009/21/0348, einer sozialen Integration, obwohl sie in einem Zeitraum entstanden ist, während dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war, ein nicht unbeachtliches Gewicht beigemessen:

 

Das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich ist in seinem Gewicht gemindert, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (E. vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293; E. vom 29. September 2009, Zl. 2009/21/0253; E. des VfGH vom 3. März 2008, B 825/07 mit Bezug auf die Urteile des EGMR vom 31. Jänner 2006, Rodrigues da Silva und Hoogkaamer gegen die Niederlande [Beschwerde Nr. 50435/99] und vom 31. Juli 2008, Darren Omoregie u.a. gegen Norwegen [Beschwerde Nr. 265/07]). Der EGMR stellt in den angesprochenen Urteilen darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist. Sei das der Fall, bewirke eine Ausweisung des ausländischen Familienangehörigen nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Art 8 EMRK (vgl.: E vom 19. Februar 2009, Zl. 2008/18/0721, E. vom 30. April 2009, Zl. 2009/21/0086). In diesem Sinn ist nach der Z. 8 des § 66 Abs. 2 FPG [in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011] aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Annordnung bei der Interessensabwägung darauf Bedacht zu nehmen, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war. Freilich hat die genannte Bestimmung schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte.

 

Im Erkenntnis vom 20. Jänner 2011, Zl. 2010/22/0158, hat der Verwaltungsgerichtshof bei einer im Wesentlichen vergleichbaren Sachlage, jedoch eines knapp über 10 Jahre bestehenden Aufenthaltes, dem persönlichen Interesse des Fremden am Verbleib in Österreich ein solches Gewicht beigemessen, dass eine Ausweisung unzulässig ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat dabei wie folgt ausgeführt:

 

Der Beschwerdeführer verweist auf seine Erwerbstätigkeit und darauf, dass er sich während seines Aufenthaltes in Österreich "in privater Hinsicht sehr gut integriert" habe. Die belangte Behörde hob zwar zu Recht hervor, dass dem Beschwerdeführer bereits nach erstinstanzlicher Abweisung seines Asylantrages die Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst war, er somit nicht mit einem legalen Aufenthalt in Österreich rechnen durfte. Sie ist auch darin im Recht, dass dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. für viele etwa das Erkenntnis vom 6. Juli 2010, 2008/22/0688). Dementsprechend haben Fremde nach Abweisung ihres Asylantrages grundsätzlich den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet herzustellen. Demgegenüber vermag der Beschwerdeführer jedoch einen bereits über zehnjährigen Aufenthalt in Österreich für sich ins Treffen zu führen und es stellte die belangte Behörde auch fest, dass er erwerbstätig ist. Diese Umstände verleihen dem persönlichen Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich ein solches Gewicht, dass die Ausweisung unverhältnismäßig erscheint (vgl. zu ähnlichen Fällen etwa die E. vom 26. August 2010, 2010/21/0206 und 2010/21/0009).

4.4.2. Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob wegen eines besonders stark ausgeprägten persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich akzeptiert werden muss, dass die Bw mit ihrem Verhalten (illegale Einreise und unrechtmäßiger Verbleib nach negativer Beendigung des Asylverfahrens) im Ergebnis versucht, vollendete Tatsachen ("fait accompli") zu schaffen (Hinweis E 24. Oktober 2007, 2007/21/0361), vgl. 2007/21/0074 17.07.2008.

 

Mit 8 1/2 Jahren Dauer kann die Bw auf einen langen Aufenthalt in Österreich verweisen, wobei der größte Teil davon aufgrund des rund sieben Jahre andauernden Asylverfahrens rechtmäßig war. Bezüglich des von der belangten Behörde ins Treffen geführten unsicheren Aufenthalts der Bw zum Zeitpunkt des Entstehens des Privatlebens ist insbesondere auf die oben zitierte jüngste Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen.

 

Die Bw hat zwar zum überwiegenden Teil ihres Aufenthalts ihren Unterhalt aus der Grundversorgung bestritten, sie kann aber mittels nach wie vor gültigem Dienstvorvertrag der Firma X ihre Selbsterhaltungsfähigkeit nachweisen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass eine Integration am Arbeitsmarkt in Zukunft gegeben sein wird. 

 

Es kann der Bw wohl nach einem 8 1/2 jährigen Aufenthalt ein hohes Maß an Integration zugemessen werden, was auch dadurch belegt wird, dass sie die Deutschprüfung auf Niveau A2 am 16. Juli 2010 abgelegt und dies der belangten Behörde bereits im September 2010 durch Übersendung des Diploms mitgeteilt hat. Außerdem ist sie seit mehreren Jahren aktiv in der serbisch-orthodoxen Kirchengemeinde in X engagiert, was sie durch Unterstützungsschreiben belegen kann. Weitere Unterstützungsschreiben bescheinigen ihre gelungene gesellschaftliche Integration.

 

Es ist nicht unerheblich, dass die Bw etwa 52 Jahre in Georgien gelebt hat und dort ihre Ausbildung absolviert und gearbeitet hat. Nach dem in Rede stehenden Zeitraum ist dem gegenüber aber durchaus nachvollziehbar, dass die Bindung an den Heimatstaat keine relevante Ausprägung mehr erreicht, insbesondere da die Bw glaubhaft darlegt, dass keine Familienangehörigen mehr im Herkunftsstaat leben würden.

 

Die Bw ist strafgerichtlich unbescholten.

Gemäß der oben angeführten Judikatur des VwGH und VfGH ist in diesem Fall hinsichtlich der Frage eines unsicheren Aufenthalts nach § 61 Abs. 2 Z. 8 FPG bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände festzustellen, dass die für die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung sprechenden privaten Elemente die des öffentlichen Interesses gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK überwiegen.

 

Nicht zuletzt wird auch davon auszugehen sein, dass gemäß § 61 Abs. 2 Z. 9 FPG von einer eher in die Sphäre der Behörden fallenden langen Verfahrensdauer gesprochen werden muss, zumal das Asylverfahren bis zur rechtskräftigen letztinstanzlichen Entscheidung sieben Jahre gedauert hat.   

 

Die dargelegten Umstände verleihen dem persönlichen Interesse der Bw an einem Verbleib in Österreich ein solches Gewicht, dass die Rückkehrentscheidung unverhältnismäßig ist.

 

4.5. Im Ergebnis ist eine Rückkehrentscheidung im Hinblick auf das Privatleben der Bw auf Dauer unzulässig.

 

4.6. Es war daher der Berufung stattzugeben, der angefochtene Bescheid aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.

 

5. Da die Bw ausreichend der deutschen Sprache mächtig ist, konnte gemäß      § 59 Abs. 1 FPG von der Übersetzung des Spruches und der Rechtsmittelbelehrung Abstand genommen werden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 28,60 Euro (Eingabegebühr) angefallen.

 

 

Mag Stierschneider

 

 

 

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