Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730178/9/Sr/ER/Wu

Linz, 25.01.2012

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung der X, geb. am X, StA von Mazedonien, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes von Kirchdorf vom 23. August 2010, GZ: Sich40-19-2009, betreffend eine Ausweisung der Berufungswerberin nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

 


Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Kirchdorf vom 23. August 2010, GZ: Sich40-19-2009, zugestellt am 25. August 2010, wurde gegen die Berufungswerberin (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 54 Abs. 1 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung i.V.m. § 11 Abs. 2 Z. 4 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes – NAG, die Ausweisung angeordnet.

 

Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass die Bw, eine Staatsangehörige von Mazedonien, mit einem österreichischen Staatsangehörigen verheiratet sei. Aufgrund der Eheschließung habe die Bw am 15. Dezember 2008 bei der Österreichischen Botschaft in X einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung "Familienangehöriger" gestellt. Diesem Antrag sei stattgegeben worden und ihr sei am 13. Mai 2009 eine Niederlassungsbewilligung mit der Gültigkeit vom 10. Februar 2009 bis 9. Februar 2010 erteilt worden. Voraussetzung dafür sei unter anderem das ausreichende, durch den Gatten gesicherte Einkommen gewesen.

 

Am 22. Februar 2010 habe die Bw bei der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf eine Verlängerung der Niederlassungsbewilligung beantragt, wobei sie als Nachweis der Mittel zum Unterhalt eine Arbeitslosengeldbestätigung ihres Gatten in Höhe von täglich € 26,13 vorgelegt habe.

 

Ein Versicherungsdatenauszug habe ergeben, dass der Gatte der Bw seit ihrer Einreise nach Österreich im Mai 2009 von 17. August 2009 bis 17. März 2010 Arbeitslosengeld im Ausmaß von täglich € 25,75 bzw. ab 1. Jänner 2010 von täglich € 26,13 bezogen habe. Ab 18. März 2010 sei ihr Gatte in einem Beschäftigungsverhältnis gewesen, dieses habe jedoch am 30. März 2010 wieder geendet. Daraufhin habe er von 31. März 2010 bis 12. April 2010 Arbeitslosengeld in Höhe von täglich € 26,13 bezogen, von 20. April 2010 bis zum Erlassungsdatum des bekämpften Bescheids habe er Notstandshilfe in Höhe von täglich € 23,24 bezogen. Es könne daher nicht von einem ausreichenden und gesicherten Einkommen gesprochen werden.

 

Mit Schreiben vom 26. Mai 2010 sei die Bw von der belangten Behörde über die beabsichtigte Ausweisung informiert worden und es sei ihr die Möglichkeit geboten worden, sich dazu binnen einer Frist von 14 Tagen zu äußern.

 

Daraufhin habe die Bw angegeben, dass sich ihr Schwiegervater X bzw. auch ihr Schwager X für den Unterhalt der Bw verpflichten bzw. einen Unterhaltsvertrag betreffend den Gatten der Bw unterzeichnen würden.

 

Die belangte Behörde stellte daraufhin fest, dass die finanziellen Voraussetzungen durch den Schwiegervater nicht gegeben seien und ein Unterhaltsvertrag in der Unterhaltsverrechnung im NAG nicht mehr vorgesehen sei. Unterhaltsverpflichtungen seien mittels Haftungserklärung möglich, aber nur für bestimmte Aufenthaltszwecke – nicht jedoch für den Aufenthaltszweck "Familienangehöriger" zulässig.

 

In den rechtlichen Erwägungen bezieht sich die belangte Behörde auf § 54 Abs. 1 Z. 2 FPG (in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009) und führt dementsprechend aus, dass Fremde, die aufgrund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verlängerungsverfahrens im Bundesgebiet aufhältig seien, mit Bescheid ausgewiesen werden könnten, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegensteht.

 

Im Verfahren sei eindeutig zutage getreten, dass ein ausreichendes Einkommen durch den Gatten der Bw keineswegs dauerhaft gesichert sei. Der Gatte sei mittlerweile mehr als die Hälfte der Zeit des Aufenthalts der Bw in Österreich ohne Beschäftigung. Somit bestehe große Gefahr, dass die Bw einer Gebietskörperschaft zur Last fallen könnte. Durch das Fehlen der Unterhaltsmittel sei die Voraussetzung zur Verlängerung der Niederlassungsbewilligung nicht mehr gegeben, somit könne ein Ausweisungsverfahren eingeleitet werden.

 

Gemäß § 66 Abs. 1 FPG (in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009) sei ein Eingriff in das Privat- oder Familienleben zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei.

 

Die Bw sei 21 Jahre alt, habe bis zu ihrem 20. Lebensjahr in Mazedonien gelebt und ihre Integration in Österreich sei noch nicht weit fortgeschritten. Sie spreche kaum Deutsch und gehe keiner Beschäftigung nach. Ihre Rückreise nach Mazedonien und dortige Reintegration erscheine als keine allzu große Schwierigkeit, da ihr Aufenthalt in Österreich bisher noch nicht sehr lange angedauert habe. Sobald ihr Gatte wieder über ausreichend Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts verfüge, habe sie jederzeit wieder die Möglichkeit, einen neuerlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu stellen.

 

Das Fehlen von maßgeblichen Voraussetzungen im Zusammenhang mit einem Verfahren zur Erteilung/Verlängerung eines Aufenthaltstitels sei im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit anzusehen, da der Gesetzgeber die Erteilung von Aufenthaltstiteln vom Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, im Fall der Bw des ausreichenden und gesicherten Einkommens, abhängig gemacht habe. Eine Aufenthaltsbeendigung sei in solchen Fällen ausdrücklich vom Gesetzgeber vorgesehen und stelle in einer demokratischen Gesellschaft ein zulässiges Mittel dar, um einen Aufenthaltsmissbrauch, welcher als schwere Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit anzusehen sei, zu verhindern.

 

2. Gegen diesen Bescheid erhob die Bw rechtzeitig Berufung mit Schriftsatz vom 3. September 2010.

 

In der Berufung stellt die Bw den Antrag, der bekämpfte Bescheid möge ersatzlos behoben werden und bringt vor, dass entgegen den Feststellungen der belangten Behörde die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung nicht vorlägen, da die Bw – unter Voraussetzung eines gültigen Aufenthaltstitels – sich in einem aufrechten Dienstverhältnis mit der Firma X, X befinde. Ihr Monatsgehalt belaufe sich auf € 1.280,-- netto zuzüglich Sonderzahlungen. Zum Beweis legt die Bw eine notariell beglaubigte Kopie des Dienstvertrags vor.

 

Mit Schreiben vom 7. Juni 2011 ergänzt die Bw ihre Berufung im Wesentlichen damit, dass sie im Dezember 2010 die Deutschprüfung auf Niveau A2 bestanden habe und ihr Gatte mittlerweile wieder in der Lage sei, den Unterhalt zu bestreiten. Beide Vorbringen belegt sie durch entsprechende Urkunden.

Ferner verweist sie auf ihre aufrechte Ehe, bringt Argumente für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen der Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK vor und stellt abschließend den Antrag, der Berufung Folge zu leisten und eine Niederlassungsbewilligung zu erteilen.

 

3. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion – nach In-Krafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Oö. Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde sowie in aktuelle Versicherungsdatenauszüge der Bw und ihres Gatten.

 

 

3.2. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist (§ 67d Abs. 2 Z. 1 AVG).

 

3.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1. und 2. dieses Erkenntnisses dargestellten Sachverhalt aus und stellt ergänzend fest, dass die Bw den Antrag auf Verlängerung ihres Aufenthaltstitels nicht – wie im bekämpften Bescheid festgestellt – am 22. Februar 2010 sondern bereits am 22. Jänner 2010 – und somit rechtzeitig gemäß § 24 Abs 1 NAG – gestellt hat und im Dezember 2010 die Deutschprüfung auf Niveau A2 bestanden hat.

 

Darüber hinaus stellt der Unabhängige Verwaltungssenat aufgrund des Versicherungsdatenauszugs vom 23. Jänner 2012 fest, dass der Gatte der Bw seit 20. Jänner 2011 laufend als Arbeiter bei der Firma X beschäftigt ist und – wie sich aus den Beilagen zur Berufungsergänzung ergibt – über ein Nettogehalt von durchschnittlich € 1.215,20 (errechnet aus den vorliegenden Lohnabrechnungen der Monate Februar, März und April 2011) verfügt. Die Bw ist laut Auskunft der OÖ. Gebietskrankenkasse vom 24. Jänner 2012 bei ihrem Gatten mitversichert.

Überdies wohnt die Bw mit ihrem Gatten mietfrei im Haus ihres Schwagers.

 

3.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

4. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

4.1.1 Gemäß § 125 Abs. 15 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I. Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, gelten vor Inkrafttreten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 54 als Ausweisungen gemäß § 62 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

4.1.2. Im vorliegenden Fall wurde die Ausweisung auf Basis des § 54 FPG (in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011) erlassen, weshalb diese Ausweisung als Ausweisung im Sinne des § 62 FPG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 anzusehen und zu beurteilen ist.

 

4.2.1. Gemäß § 62 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, sind Drittstaatsangehörige, die sich während eines Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid, sofern kein Fall des  § 64 vorliegt, auszuweisen, wenn

1.         der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11             Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

2.         das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG aus Gründen,        die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht        rechtzeitig erfüllt wurde. 

 

Gemäß § 62 Abs. 3 FPG hat die Behörde in Verfahren gemäß Abs 1 nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG bei der Behörde nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz bereits hätte nachweisen können und müssen.

 

4.2.2. Im vorliegenden Fall wird zunächst klargestellt, dass die Bw am 22. Jänner 2010 einen Antrag auf Verlängerung ihrer Niederlassungsbewilligung gestellt hat.

 

Die belangte Behörde stützte ihre Ausweisungsentscheidung auf § 54 Abs. 1 Z. 2 FPG i.V.m. § 11 Abs. 2 Z. 4 NAG jeweils in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung des BGBl. I Nr. 122/2009.

 

Als Versagungsgründe sah sie demnach eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (dadurch, dass die Bw nicht die entsprechenden Mittel für den Lebensunterhalt der Familie aufbringe) und die Gefahr, dass die Bw der Gebietskörperschaft zur Last fallen könnte.

In diesem Sinn ist nun die Nachfolgebestimmung des § 54 Abs. 1 FPG in der nunmehrigen Fassung des § 62 Abs. 1 Z. 1 FPG einschlägig. Daher muss auch auf § 11 NAG in der aktuellen Fassung Bedacht genommen werden.

 

4.3.3. Gemäß § 11 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes – NAG, in der Fassung des Bundesgesetzblattes I Nr. 38/2011, dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1.         gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG      erlassen wurde oder ein aufrechtes Rückkehrverbot gemäß § 54 FPG oder         ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 63 oder 67 FPG besteht;

2.         gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates    oder der Schweiz besteht;

3.         gegen ihn eine durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht        einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 eingebracht hat, nachdem er seiner             Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

4.         eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption             (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;

5.         eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder       visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt      oder

6.         er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder        nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft    wurde.

 

Gemäß § 11 Abs. 2 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1.         der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2.         der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für             eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3.         der Fremde über einen alle Risken abdeckenden      Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich    auch leistungspflichtig ist;

4.         der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer           Gebietskörperschaft führen könnte;

5.         durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik            Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen      Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden, und

6.         der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) das Modul 1 der   Integrationsvereinbarung gemäß § 14a rechtzeitig erfüllt hat.

 

Gemäß § 11 Abs. 3 NAG kann ein Aufenthaltstitel trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der         bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.         der Grad der Integration;

5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des     Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in            einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren     Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9.         die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 11 Abs. 4 NAG widerstreitet der Aufenthalt eines Fremden dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn

1.         sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde           oder

2.         der Fremde ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder         terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende          Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld              extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht         ausgeschlossen werden können.

 

Gemäß § 11 Abs. 5 NAG führt der Aufenthalt eines Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung oder Patenschaftserklärung (Abs. 2 Z 15 oder 18), ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.

 

Gemäß § 14a Abs. 1 NAG sind Drittstaatsangehörige mit erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6 oder 8 zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet. Diese Pflicht ist dem Drittstaatsangehörigen nachweislich zur Kenntnis zu bringen.

 

Gemäß Abs. 2 leg. cit. haben der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 1 Drittstaatsangehörige binnen zwei Jahren ab erstmaliger Erteilung des Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6 oder 8 nachzukommen. Unter Bedachtnahme auf die persönlichen Lebensumstände des Drittstaatsangehörigen kann der Zeitraum der Erfüllungspflicht auf Antrag mit Bescheid verlängert werden. Diese Verlängerung darf die Dauer von jeweils zwölf Monaten nicht überschreiten; sie hemmt den Lauf der Fristen nach § 15.

 

Gemäß Abs. 4 leg. cit. ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1.         einen Deutsch-Integrationskurs besucht und einen Nachweis des   Österreichischen Integrationsfonds über den erfolgreichen Abschluss des       Deutsch-Integrationskurses vorlegt,

2.         einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 vorlegt,

3.         über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120,            oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht        oder

4.         einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte” gemäß § 41 Abs. 1 oder 2            besitzt.

Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 14b) beinhaltet das Modul 1.

 

4.4.1. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Sachverhalt, dass der Gatte der Bw nunmehr über ein durchschnittliches monatliches Einkommen von € 1.215,20 verfügt und die Bw und ihr Gatte mietfrei im Haus des Schwagers der Bw wohnen. Gemessen an den Richtsätzen nach dem ASVG verfügt die Bw – unter Berücksichtigung des in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten und aufgrund der mietfreien Wohnmöglichkeit nicht in Anspruch genommenen Freibetrags – über ein ausreichendes Einkommen zur Bestreitung des Lebensunterhalts, weshalb nicht mehr die Gefahr zu erkennen ist, dass sie Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen muss.

 

Überdies hat die Bw mittlerweile die gemäß § 14a Abs. 4 NAG nunmehr im Rahmen der Integrationsvereinbarung erforderliche Prüfung des Niveau A 2 des ersten Moduls erfolgreich bestanden, was sie durch ein entsprechendes Schreiben der Volkshochschule X belegt.

 

4.4.2. Nachdem schon die Voraussetzungen für die in Rede stehenden Ausweisungen nicht vorliegen, war auch keine Erörterung des Privat- und Familienlebens nach § 61 FPG vorzunehmen. Damit muss festgestellt werden, dass es für eine Ausweisung der Bw schon am Vorliegen der Tatbestandselemente des § 62 Abs. 1 FPG mangelt, weshalb der angefochtene Bescheid aufzuheben war.

 

5.1. Im vorliegenden Fall wurde die in Rede stehende Ausweisung der Bw auf Basis des § 54 FPG ("alte Fassung") gestützt.

 

Nun ergibt sich aber aus dem Sachverhalt, dass der Ehegatte der Bw bereits zum Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheids österreichischer Staatsbürger war. Dies hat die belangte Behörde auch erkannt, indem sie im bekämpften Bescheid anführte, dass Haftungserklärungen für den Aufenthaltszweck "Familienangehöriger" nicht vorgesehen seien. Dennoch hat sie das Vorliegen von Ausweisungsgründen gemäß § 54 FPG in der damals geltenden Fassung geprüft.

Gemäß § 87 FPG in der damals geltenden Fassung galten für Familienangehörige die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 85 Abs. 2 und 86 FPG in der damals geltenden Fassung. 

 

Gemäß § 65b FPG in der geltenden Fassung gelten für Familienangehörige von Österreichern die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 41a, 65a Abs. 2, 66, 67 und 70 Abs. 3 FPG in der geltenden Fassung.

 

Gemäß § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG in der geltenden Fassung ist die Bw als Familienangehörige eines Österreichers anzusehen und ist § 66 FPG auf sie anzuwenden.

 

5.2.1. Gemäß § 66 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, können EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

 

Gemäß § 66 Abs. 2 FPG hat die Behörde, wenn ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden soll, insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

Gemäß § 66 Abs. 3 FPG ist die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 FPG gilt § 59 Abs. 1 sinngemäß.

 

5.2.2. Gemäß § 55 Abs. 3 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes in der Fassung des Bundesgesetzblattes, BGBl. I Nr. 38/2011, hat die Behörde, sofern das Aufenthaltsrecht gemäß § 51, 52 und 54 nicht besteht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass die zuständige Fremdenpolizeibehörde hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Die zuständige Fremdenpolizeibehörde ist unverzüglich spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7.

 

Als Voraussetzungen für einen drei Monate übersteigenden rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet nennt das NAG im Wesentlichen eine unselbständige oder selbständige Erwerbstätigkeit bzw. ausreichende finanzielle Mittel, die über dem Sozialhilfeniveau liegen müssen sowie einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz.

 

5.3.1. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Sachverhalt bzw. wie unter 4.4.1. dargestellt, dass der Gatte der Bw nunmehr seit 20. Jänner 2011 einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit nachgeht und über ausreichend finanzielle Mittel für sich und die Bw verfügt und die Bw bei ihrem Gatten mitversichert ist.

 

Im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt ist eine auf § 66 Abs. 1 FPG gestützte Ausweisung unzulässig.

 

5.3.2. In Hinblick auf § 59 Abs. FPG konnte aufgrund der vorhandenen Deutschkenntnisse der Bw auf die Übersetzung des Spruchs und der Rechtsmittelbelehrung verzichtet werden.

 

5.4. Es war daher im Ergebnis die getroffene Ausweisungsentscheidung aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 221,10 Euro (Eingabe- und Beilagengebühr) angefallen.

 

 

Mag. Christian Stierschneider

 

 

 

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