Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401066/24/Gf/Mu/Bu

Linz, 09.02.2012

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mit­glied Dr. Grof aus Anlass der Beschwerde des X, vertreten durch RA Dr. X, X, X, wegen Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Vöcklabruck vom 1. bis 9. Juni 2010 zu Recht:

 

I. Die Art und Weise der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 1. bis zum 9. Juni 2010 wird als rechtswidrig festgestellt.

 

II. Der Bund hat dem Beschwerdeführer Kosten in einer Höhe von insgesamt 1.683,60 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlage:

§ 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 1. Juni 2010, Zl. Sich40-2202-2010, wurde über den Rechtsmittelwerber, einen russischen Staatsangehörigen, gemäß § 76 Abs. 2a Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, in der Fassung BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: FPG), zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt und diese durch Überstellung in das Polizeianhaltezentrum (PAZ) Wien sofort vollzogen.

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Beschwerdeführer am 16. September 2009 auf Ersuchen seiner in X wohnhaften Schwester ohne gültige Dokumente und ohne Einreise- oder Aufenthaltstitel ins Bundesgebiet eingereist sei und einen Asylantrag gestellt habe. Da er auch schon zuvor in Polen einen gleichartigen Antrag eingebracht hatte, sei über Ersuchen des Bundesasylamtes jenes Verfahren von den polnischen Behörden wieder aufgenommen worden. Sein in Österreich gestellter Asylantrag sei hingegen mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. Februar 2010, GZ 911260, zurückgewiesen worden, wobei gleichzeitig auch seine Ausweisung verfügt worden sei. Die dagegen erhobene Beschwerde sei mit Urteil des Asylgerichtshofes vom 15. März 2010, Zl. S3411703-1/2010/2E, als unzulässig zurückgewiesen worden.

In der Folge sei beabsichtigt gewesen, den Rechtsmittelwerber am 18. März 2010 per Flugzeug nach Polen zu überstellen; diese Abschiebung sei jedoch daran gescheitert, dass er bereits am 10. März 2010 die bundesbetreute Unterkunft verlassen habe. Vielmehr habe er am 31. Mai 2010 neuerlich einen Asylantrag in Österreich gestellt, woraufhin ihm jedoch seitens des Bundesasylamtes mitgeteilt worden sei, dass ihm gemäß § 12a Abs. 1 FPG kein faktischer Abschiebeschutz zukomme.

Weil gemäß § 76 Abs. 2a Z. 1 FPG bei einer solchen Sachverhaltskonstellation für die Fremdenpolizeibehörde kein Ermessen bestehe, sei sohin die Schubhaft zu verhängen gewesen. Die Notwendigkeit der Inschubhaftnahme ergebe sich zudem auch aus seiner offenkundigen Ausreiseunwilligkeit, die durch ein Entfernen aus der Bundesbetreuung und ein zweimonatiges Untertauchen in der Anonymität zu dem Zweck, sich der unmittelbar bevorstehenden Abschiebung zu entziehen, erfolgte, auch deutlich zum Ausdruck gekommen sei. Da der Beschwerdeführer in Kenntnis darüber sei, dass ihm kein faktischer Abschiebeschutz zukomme, liege sohin der Schluss nahe, dass er sich dem bevorstehenden behördlichen Zugriff neuerlich durch ein Untertauchen entziehen werde. Indem er besondere, in seiner Person liegende Gründe, die gegen eine Schubhaftverhängung sprechen  würden, weder selbst vorgebracht habe noch solche offenkundig seien und überdies mit einer zeitnahen Abschiebung nach Polen zu rechnen sei, erweise sich die Schubhaftanordnung sohin insgesamt besehen auch als verhältnismäßig.    

1.2. Gegen diese Anhaltung in Schubhaft richtete sich die am 8. Juni 2010 per Telefax beim Oö. Verwaltungssenat eingegangene Beschwerde.

Darin wurde (lediglich) vorgebracht, dass die belangte Behörde Ermittlungen dahin unterlassen habe, ob nicht in der Person des Asylwerbers gelegene Umstände seiner Inschubhaftnahme entgegenstehen. Insbesondere sei nämlich darauf hinzuweisen, dass der Rechtsmittelwerber das Bundesgebiet zunächst freiwillig verlassen habe und nach Polen ausgereist sei; dort sei er jedoch von seinen Verfolgern aufgespürt, gefoltert und vergewaltigt worden, sodass er wieder nach Österreich zurückgekehrt sei und hier einen neuerlichen Asylantrag gestellt habe. Auf Grund dieser Ereignisse bestehe sohin der dringende Verdacht einer schweren Traumatisierung, sodass seine Haftfähigkeit offenkundig in Frage stehe, ganz abgesehen davon, dass sein (neuerlicher) Asylantrag vom 31. Mai 2010 nicht als ein bloßer Folgeantrag zu werten sei; daher erweise sich auch die auf § 12a Fremdenpolizeigesetz gestützte Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes als rechtswidrig. Zudem hätte der mit der Schubhaftverhängung beabsichtigte Zweck in gleicher Weise auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden können.

Aus diesen Gründen wurde die kostenpflichtige Feststellung der Rechtswidrigkeit der Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft beantragt.

1.3. Mit Schriftsatz vom 9. Juni 2010, Zl. Sich40-2002-2010, hat die belangte Behörde den Bezug habenden Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.

Darin wurde ergänzend darauf hingewiesen, dass vom Beschwerdeführer keinerlei Nachweise für den von ihm behaupteten interimistischen Aufenthalt in Polen vorgelegt worden seien und damit das bloß von seiner Rechtsvertreterin erstattete diesbezügliche Vorbringen als unglaubwürdig zu qualifizieren sei. Seine Abschiebung sei für den 22. Juni 2010 per Charterbus vorgesehen gewesen, sodass sich die bis dahin geplante Anhaltung in Schubhaft als verhältnismäßig erweise, zumal sich keinerlei stichhaltigen Hinweise für eine Haftuntauglichkeit des Rechtsmittelwerbers ergeben hätten. 

Daher wurde die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

1.4. Mit h. Erkenntnis vom 9. Juni 2010, Zl. VwSen-401066/4/Gf/Mu, hat der Oö. Verwaltungssenat die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und unter einem festgestellt, dass zum Entscheidungszeitpunkt die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen weiterhin vorlagen.

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass die Fremdenpolizeibehörde gemäß § 76 Abs. 2a Z. 1 FPG gegen einen Asylwerber u.a. dann die Schubhaft zu verhängen habe, wenn entweder gegen ihn eine mit einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 des Asylgesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005 i.d.F. BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: AsylG), verbundene durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde oder dem Asylwerber ein faktischer Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 1 AsylG nicht zukommt und darüber hinaus einerseits die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung notwendig ist und andererseits nicht besondere Umstände in der Person des Asylwerbers entgegenstehen; ein faktischer Abschiebeschutz komme dem Fremden nach § 12a Abs. 1 AsylG dann nicht zu, wenn gegen ihn eine aufrechte Ausweisung besteht und die Zuständigkeit eines anderen Staates zur Durchführung des Asylverfahrens weiterhin gegeben ist.

Nach § 77 Abs. 1 FPG habe die Behörde jedoch von der Anordnung der Schubhaft Abstand zu nehmen, wenn sie Grund zu der Annahme hat, dass deren Zweck durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Als in
diesem Sinne gelinderes Mittel komme gemäß § 77 Abs. 3 FPG insbesondere die Anordnung in Betracht, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in perio­dischen Abständen bei einem bestimmten dem Fremden zuvor bekannt gegebenen Polizei­kommando zu melden.

Seit der FPG-Novelle BGBl.Nr. I 122/2009 sei zwar nunmehr gesetzlich vorgesehen, dass die Fremdenpolizeibehörde u.a. dann die Schubhaft anzuordnen habe, wenn die in § 76 Abs. 2a FPG normierten Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Auf Grund ihres Wortlauts scheine diese Bestimmung eine obligatorische Schubhaftverhängung zu normieren; aus den Materialien (vgl. 330 BlgNR, 24. GP) und dem Gesamtzusammenhang dieser Regelung ergebe sich jedoch, dass in den in § 76 Abs. 2a Z. 1 bis 5 FPG genannten Konstellationen zwar grundsätzlich, d.h. i.S. einer (bloßen) Indizwirkung von einem Sicherungsbedürfnis ausgegangen werden könne; ob ein solche in concreto aber auch tatsächlich vorliege, müsse jedoch stets anhand der Umstände des Einzelfalles im Wege einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung untersucht werden (vgl. z.B. VwSen-401042 vom 1. Februar 2010 und VwSen-401041 vom 27. Jänner 2010).

Wenn daher im gegenständlichen Fall eine der beiden in § 76 Abs. 2a Z. 1 FPG alternativ (und nicht kumulativ; arg. "oder") genannten Formalvoraussetzungen – nämlich: Zurückweisung des Asylantrages i.V.m. einer durchsetzbaren Ausweisung – gegeben war, habe zwar die Schubhaft schon allein deshalb (zumindest grundsätzlich) verhängt werden dürfen. Davon abgesehen sei hier tatsächlich auch die vom Beschwerdeführer bestrittene Voraussetzung des § 76 Abs. 2a Z. 1 zweite Alternative FPG, nämlich das Nichtbestehen eines faktischen Abschiebeschutzes, erfüllt gewesen, weil er selbst in diesem Zusammenhang in keiner Weise vorgebracht habe, dass sich die Flucht- oder Verfolgungsgründe seit seiner zwischenzeitlichen Ausreise nach Polen und seiner am 31. Mai 2010 erfolgten Wiedereinreise in entscheidender Weise geändert hatten (vgl. die Niederschrift der Polizeiinspektion St. Georgen i.A. vom 1. Juni 2010, Zl. E1/12972/2010-Eg), wobei Gleiches auch hinsichtlich seiner Traumatisierung gelte; ein derartiges Vorbringen sei vielmehr ausschließlich von seiner in Österreich wohnhaften Schwester (und in der Folge gleichlautend auch von seiner Rechtsvertreterin) erstattet worden, allerdings jeweils ohne eine solche unter Vorlage konkreter Beweismittel auch entsprechend belegen zu können.

Dessen ungeachtet sei jedoch zunächst zu prüfen gewesen, ob die Anhaltung des Beschwerdeführers zwecks Sicherung seiner Abschiebung notwendig, d.h. nicht unverhältnismäßig war.

Eine dementsprechende Notwendigkeit sei hier im Ergebnis deshalb zu bejahen gewesen, weil der Rechtsmittelwerber bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu erkennen gegeben hat, dass er eine zwangsweise Abschiebung nach Polen nicht hinnehmen will: So habe er sich einerseits seiner für den 18. März 2010 geplanten zwangsweisen Außerlandesschaffung kurz zuvor, nämlich am 10. März 2010, durch Verlassen seiner bundesbetreuten Unterkunft und anschließendes Untertauchen in der Anonymität entzogen und andererseits sei er nach einem knapp einwöchigen freiwilligen Aufenthalt in Polen am 31. Mai 2010 deshalb wieder nach Österreich zurückgekehrt, weil er dort von Landsleuten wieder bedroht worden sei. Daraus folge insgesamt, dass der Beschwerdeführer keinesfalls nach Polen zurückkehren, sondern in Österreich bleiben will. Dieses bisherige Verhalten zwinge förmlich zu dem Schluss, dass er sich in ähnlicher Weise auch seiner für den 22. Juni 2010 geplanten (neuerlichen) Abschiebung nach Polen durch Untertauchen in der Anonymität zu entziehen versuchen werde, weshalb die geplante zwangsweise Außerlandesschaffung nur im Wege der Schubhaftverhängung effektiv gesichert werden könne. Denn unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles sei eine gleichwertige Effektivität im Falle der bloßen Anordnung von gelinderen Mitteln anstelle der Inschubhaftnahme deshalb nicht gewährleistet, weil die Verpflichtungen zur periodischen Meldung bei einer Sicherheitsdienststelle oder zur Aufenthaltnahme an einem bestimmten Ort (vgl. § 77 Abs. 3 FPG) offensichtlich keine hinreichende Garantie dafür zu bieten vermögen, dass der Rechtsmittelwerber der Fremdenpolizeibehörde zum Zeitpunkt der geplanten Abschiebung auch tatsächlich zur Verfügung steht.

Dazu komme, dass der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben über keine Wohnmöglichkeit in Österreich verfügt und nahezu mittellos ist, wobei in diesem Zusammenhang – insbesondere auch von seiner in Amstetten lebenden Schwester – für ihn keine Verpflichtungserklärung zur Übernahme der für seinen Aufenthalt notwendigen finanziellen Aufwendungen abgegeben worden sei.

Außerdem spreche auch seine fehlende soziale Verankerung – denn dafür, dass er seit seiner ersten Einreise in Österreich am 16. September 2010 derartige Kontakte, insbesondere z.B. mit seiner Schwester, aufgebaut hätte, fänden sich weder entsprechende Anhaltspunkte im erstbehördlichen Akt noch habe der Rechtsmittelwerber selbst Derartiges vorgebracht – und die nunmehr zeitnah, nämlich in weniger als zwei Wochen zu erwartende zwangsweise Umsetzung des Aufenthaltsverbotes dafür, dass die Schubhaftverhängung im gegenständlichen Fall im Ergebnis nicht als unverhältnismäßig erscheine, weil die dadurch beeinträchtigten privaten Interessen des Beschwerdeführers an der weiteren Gewährleistung seiner individuellen (Bewegungs‑)Freiheit insgesamt offensichtlich weniger schwer wiegen als die im Falle seiner Entlassung aus der Schubhaft zu gewärtigende Beeinträchtigung der zuvor erwähnten öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung eines geordneten und effektiven Fremdenwesens.

Schließlich sei auch noch zu prüfen gewesen, ob hier i.S.d. § 76 Abs. 2a letzter Halbsatz FPG besondere in der Person des Asylwerbers gelegene Umstände der Schubhaft entgegenstehen.

In diesem Zusammenhang habe nicht der Rechtsmittelwerber, sondern lediglich dessen Rechtsvertreterin vorgebracht, dass aufgrund einer Misshandlung mit brennenden Zigaretten "der dringende Verdacht einer Traumatisierung durch die Ereignisse in Polen" bestünde, weshalb dessen weitere Anhaltung in Schubhaft infolge seines angeschlagenen Gesundheitszustandes unzulässig sei. Angesichts des Umstandes, dass einerseits der Beschwerdeführer selbst im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme am 1. Juni 2010 (vgl. die Niederschrift der Polizeiinspektion St. Georgen i.A., Zl. E1/12972/2010-Eg, S. 2) dezidiert angegeben habe, keine Beschwerden oder Krankheiten zu haben und der Befragung ohne Probleme folgen zu können, und andererseits auch seine Rechtsvertreterin die behauptete Traumatisierung des Beschwerdeführers nicht selbst wahrgenommen, sondern diese vielmehr bloß auf Grund von Wahrnehmungen seiner Schwester anlässlich deren Haftbesuch am 5. Juni 2010 vermute, liefe die beantragte Erstellung eines dementsprechenden fachärztlichen Gutachtens über die Haftfähigkeit mangels jeglicher konkreter objektiver Anhaltspunkte oder Belege auf die Erstellung eines Erkundungsbeweises hinaus. Dazu sei die belangte Behörde jedoch – im Sinne der dementsprechenden ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 46 AVG (vgl. die Nachweise bei W. Hauer - O. Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 6. Auflage, Wien 2004, S. 539) – nicht verpflichtet gewesen, weshalb sie im Ergebnis zu Recht davon Abstand habe nehmen können.

Unter den gegebenen Umständen wäre es vielmehr am Beschwerdeführer selbst gelegen, entsprechend stichhaltige Belege für seine Haftuntauglichkeit beizubringen; da Derartiges bislang jedoch nicht erfolgt sei, sei sohin davon auszugehen gewesen, dass derzeit keine besonderen Umstände in seiner Person vorliegen, die seiner Anhaltung in Schubhaft entgegenstehen.

Aus allen diesen Gründen sei daher die gegenständliche Beschwerde gemäß § 83 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG abzuweisen und gleichzeitig gemäß § 83 Abs. 4 FPG festzustellen gewesen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oö. Verwaltungssenates die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen weiterhin vorlagen.

Bei diesem Verfahrensergebnis sei der Beschwerdeführer nach § 79a Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4 i.V.m. § 1 Z. 3 und Z. 4 der UVS-Aufwandersatzverordnung, BGBl.Nr. II 456/2008, dazu zu verpflichten gewesen, dem Bund einen Aufwand in Höhe von insgesamt 426,20 Euro (Vorlageaufwand: 57,40 Euro; Schriftsatzaufwand: 368,80 Euro) zu ersetzen.

1.5. Gegen diese Entscheidung des Oö. Verwaltungssenates hat der Rechtsmittelwerber eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben.

 

Mit Erkenntnis vom 20. Oktober 2011, Zl. 2010/21/0503, hat der VwGH dieser Beschwerde stattgegeben und das h. Erkenntnis vom 9. Juni 2010, Zl. VwSen-401066/4/Gf/Mu, (nicht wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, sondern) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

 

Begründend wurde dazu zunächst auf das dg. (allerdings erst ex post ergangene) Erkenntnis vom 26. August 2010, Zl. 2010/21/0234, hingewiesen, in dem der VwGH einerseits klargestellt hat, dass auch im Anwendungsbereich des § 76 Abs. 2a FPG eine Schubhaftverhängung nur als ultima-ratio-Mittel in Betracht komme, nämlich dann, wenn sich eine solche sowohl als notwendig als auch als verhältnismäßig erweist; kann dem Sicherungsbedürfnis hingegen schon durch die Anordnung (bloß) eines gelinderen Mittels Genüge getan werden, so ist mit diesem vorzugehen. Andererseits hat der VwGH in jener Entscheidung auch ausgesprochen, dass Umstände wie fehlende Ausreisewilligkeit, fehlende familiäre Bindungen, illegale Einreise, Ausreiseunwilligkeit, Mittellosigkeit o.Ä. per se noch keine Sicherungsnotwendigkeit zu begründen vermögen; vielmehr komme es in diesem Zusammenhang entscheidend auf das vom Fremden an den Tag gelegte Vorverhalten an, wobei diesbezüglich Umstände wie Reisebewegungen, Behördenkontakte und sein auf die Erfüllung der gesetzlichen Mitwirkungspflicht sowie auf das Nichtvorliegen von Fluchtgefahr abzielendes Vorbringen regelmäßig im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu klären seien.

 

Davon ausgehend hätte daher auch im gegenständlichen Fall der Einwand einer angeblich bereits am 1. Juni 2010 bestanden habenden, auf einer Traumatisierung beruhenden Haftunfähigkeit des Rechtsmittelwerber im Wege einer mündlichen Verhandlung geklärt werden müssen.

 

2. Unter Bindung an diese vom VwGH in dessen Erkenntnis vom 20. Oktober 2011, Zl. 2010/21/0503, geäußerte Rechtsmeinung (vgl. § 63 Abs. 1 VwGG) hat der Oö. Verwaltungssenat daher im fortgesetzten Verfahren Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde zu Zl. Sich40-2002-2010 sowie im Wege einer öffentlichen Verhandlung am 18. Jänner 2012, zu der jedoch nur der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers sowie der Vertreter der belangten Behörde erschienen sind.

 

2.1. Im Zuge dieser Beweisaufnahme wurde folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt:

 

2.1.1. Da der Rechtsmittelwerber – dessen gegenwärtiger Aufenthaltsort allseits unbekannt ist – selbst zur Verhandlung nicht erschienen ist, hat sein Vertreter zwecks Klärung der Frage des Vorliegens einer allfälligen Haftunfähigkeit zum Zeitpunkt seiner Anhaltung in Schubhaft die Zustimmung zur Einsichtnahme in den diesbezüglichen vom Polizeianhaltezentrum Wien geführten Krankenakt erteilt.

 

Dieser in der Folge von der belangten Behörde beigeschaffte Akt enthält (auszugsweise) für die Periode vom 1. bis zum 12. Juni 2010 – wobei aus dem Blickwinkel der vorliegenden Beschwerde jedoch nur der (deshalb hier kursiv gekennzeichnete) Zeitraum vom 1. bis zum 9. Juni 2010 entscheidungsrelevant ist – folgende Eintragungen der Amtsärzte (Hervorhebungen jeweils nicht im Original):

 

"1.6.10: Gibt an an Epilepsie zu leiden hat z.B. keine

Med. zur Verfügung ho. ad Disp

Neurotop 300 mg 1-0-0

ad Dialog weg. fragl. psy. Erkrankungen

mit Dolmetsch;

mehrere Brandwunden (eher von Zigaretten

Oberarm re + Rücken, Flammazine mit-

gegeben

Itodal 0-0-1

2.6.10: Disp weiter

3. Juni 2010: ─ " ─

4. Juni 2010: Disp weiter, ad Dialog !

5. Juni 2010: Disp weiter

6. Juni 2010: Disp

7. Juni 2010: ─ " ─

8. Juni 2010: ─ " ─

9. Juni 2010: Disp weiter – heute ad Dialog !

9.6.2010: Deutliche Sprachbarrieren, keine

konz. Exploration möglich.

Affekt adäquat, Pat. ruhig, keine

Akutsymptome sichtbar !

Ko 10.6.2010

mit DOLMETSCH

10. Juni 2010: Disp. weiter wie Dialog.

10.6.10: Mit Dolmetsch Gespräch geführt;

gefoltert und vergiftet worden;

Folterungen mit Strom; seit 1 Jahr;

daher keine Wunden mehr vorhanden;

illegal durch Polen; nichts gelernt

schwierige Zwangssituation; kurz in die

Schule gegangen, dann verstecken, fliehen,

etc.; Familie lebt in Tschetschenien

ca. 1 Jahr auf der Flucht; keine Vermögen;

"Gedächtnisschwäche"

Anstalten, in psychiatr. Beh. (ambulant)

vor Behd. kurz Flüchtlingslager

3 Monate Med. eingenommen, welche

nicht erklärlich; bei der Einvernahme

ersten Anfall gehabt !

seit Gefängnis Epi-Anfälle;

dzt. ausreichend eingestellt; keine Anfälle

i.d. Zwischenzeit

Tristriton 7 mg 0-0-2/3 – Mo Ko.

Rivotril 2 mg 0-0-1

11. Juni 2010: Disp. weiter

12. Juni 2010: Disp. 1. Tg. HS"

 

Von Detailfragen abgesehen ergibt sich daraus einerseits unstrittig, dass jene – wie sich aus den jeweils deutlich unterschiedlichen Schriftbildern der Eintragungen ergibt: zumindest 5 verschiedenen – Amtsärzte, die den Beschwerdeführer in diesem Zeitraum begutachtet haben, jedenfalls keine eine Haftunfähigkeit nach sich ziehende Erkrankung, Verletzung oder psychische Beeinträchtigung feststellten konnten. Andererseits geht daraus aber ebenso zweifelsfrei hervor, dass gerade die Vermutung, ob eine psychische Erkrankung allenfalls vorliegen könnte, schon von Anfang deshalb nicht mit einer jeden Zweifel ausschließenden Sicherheit eruiert werden konnte, weil ohne Dolmetscher infolge mangelhafter Deutsch- bzw. Polnischkenntnisse mit dem Rechtsmittelwerber eine ordnungsgemäße Verständigung nicht möglich war: Bereits am 1. Juni 2010 wurde deshalb von der Amtsärztin ein Dolmetscher angefordert, tatsächlich wurde ein solcher jedoch (nach weiteren dementsprechenden "Dialog"-Urgenzen am 4. und am 9. Juni 2010) erst am 10. Juni 2010 beigezogen.

 

2.1.2. In der öffentlichen Verhandlung hat der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ein Gutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 17. November 2009 vorgelegt, das dem Rechtsmittelwerber eine "posttraumatische Belastungsstörung" attestierte und als "Procedere" die Einnahme eines bestimmten Medikamentes sowie eine "Ko. [= Kontrolle] in 4 Wochen" anordnete.

 

Abgesehen davon, dass sich dieses Gutachten nicht auf den hier entscheidungsrelevanten, sondern auf einen mehr als ein halbes Jahr davor liegenden Zeitraum bezieht (und etwa  darauf aufbauende spätere Befunde nicht vorgelegt wurden), ergibt sich daraus aber unstrittig jedenfalls kein Anhaltspunkt für eine schon am 17. November 2009 oder gar auch noch in späterer Folge bestanden habende Haftunfähigkeit des Beschwerdeführers.

 

2.1.3. Hinsichtlich des Vorbringens, dass sich die Flucht- bzw. Verfolgungsgründe während des kurzfristigen Aufenthaltes in Polen maßgeblich geändert hätten, sodass der vom Rechtsmittelwerber nach seiner Wiedereinreise gestellte Asylantrag nicht als ein Folgeantrag zu qualifizieren gewesen und ihm daher ein faktischer Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 1 FPG zugekommen wäre, ist darauf hinzuweisen, dass eine diesbezüglich von seinem Rechtsvertreter in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vorgelegte "Eidesstattliche Erklärung" zum einen erst im Nachhinein – nämlich am 5. Juli 2010 – und zudem nicht vom Beschwerdeführer selbst erstellt wurde und zum anderen die darin enthaltenen Angaben mangels Anwesenheit des Rechtsmittelwerbers bei der Verhandlung bezüglich ihrer Glaubwürdigkeit nicht verifiziert werden konnten. Vielmehr war unter solchen Umständen insoweit seinen eigenen, im Asylverfahren getätigten Angaben, wonach sich die Motivation für seine Flucht zwischenzeitlich nicht geändert hat (vgl. die Niederschrift der Polizeiinspektion St. Georgen i.A. vom 1. Juni 2010, Zl. E1/12972/2010-Eg), zu folgen.

 

2.2. Diese sowie die zuvor in Pkt. 1.4. getroffenen Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Akt zu Zl. Sich40-2002-2010, aus dem den Rechtsmittelwerber betreffenden Krankenakt des Polizeianhaltezentrums Wien sowie aus dem in der öffentlichen Verhandlung am 18. Jänner 2012 jeweils erstatteten Parteienvorbringen; insoweit wird das Verhandlungsprotokoll (ONr. 16 des h. Aktes) zugleich zum integrierenden Bestandteil der Begründung des gegenständlichen Bescheides erklärt.

 

 

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

 

3.1. Das Vorbringen des Rechtsmittelwerbers, dass dieser infolge einer Traumatisierung während seiner Anhaltung haftunfähig gewesen sei, hat sich im Ergebnis als unzutreffend erwiesen.

 

Denn diesbezügliche Anhaltspunkte ergeben sich weder aus den im Krankenakt des Polizeianhaltezentrums Wien erliegenden Stellungnahmen der Amtsärzte noch aus dem vom Beschwerdeführer selbst vorgelegten Gutachten eines Facharztes für Neurologie (siehe dazu schon oben, 2.1.1. und 2.1.2.), und zwar weder bezüglich jener für die Beurteilung der gegenständlichen Beschwerde maßgeblichen Periode vom 1. bis zum 9. Juni 2010 noch für den danach liegenden Zeitraum seiner weiteren Anhaltung bis zum 21. Juli 2010.

 

3.2. Gleiches gilt für den von ihm behaupteten, jedoch nicht näher belegten bzw. verifizierbaren und daher insgesamt nicht glaubwürdigen Einwand, dass sich die Beweggründe für seine Flucht während seines kurzfristigen Aufenthaltes in Polen so maßgeblich geändert hätten, dass sein nach seiner Wiedereinreise am 31. Mai 2010 neuerlich eingebrachter Asylantrag nicht als ein bloßer Folgeantrag zu qualifizieren gewesen wäre (siehe dazu schon oben, 2.1.3.).

 

3.3. Andere Gründe für die Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung in Schubhaft wurden von ihm gar nicht vorgebracht.

 

Auch aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Akt haben sich keine Anhaltspunkte für ein spezifisches Wohlverhalten ergeben, das nunmehr eine andere Beurteilung der bereits zuvor festgestellten – insbesondere in dem Umstand, dass sich der Rechtsmittelwerber schon einmal seiner zwangsweisen Abschiebung durch Untertauchen in der Anonymität entzogen hat, begründeten – Sicherungsnotwendigkeit (siehe dazu oben, 1.4.) gebieten würde.

 

3.4. Seine im gegenständlichen Beurteilungszeitraum vom 1. bis zum 9. Jänner 2010 verfügte Anhaltung in Schubhaft war sohin nicht rechtswidrig.

 

3.5. Dennoch erweist sich die gegenständliche, nicht bloß gegen die Anordnung der Schubhaft als solche, sondern nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (vgl. z.B. VwGH vom 20. Oktober 2011, Zl. 2008/21/0191) als eine umfassende, also auch gegen die Art und Weise der Anhaltung gerichtet zu wertende (und insoweit – ungeachtet ihrer Bezeichnung – als Maßnahmenbeschwerde gemäß Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG zu qualifizierende) Beschwerde im Ergebnis deshalb als berechtigt, weil der vom Rechtsmittelwerber schon im Asylverfahren relevierte Einwand, dass er infolge Traumatisierung haftunfähig sei, seitens der Fremdenpolizeibehörde zwar (ex post betrachtet) richtig, nämlich als nicht zutreffend beurteilt, dieses Ergebnis jedoch erst im Nachhinein – durch die Hinzuziehung eines Dolmetschers nicht schon vor der Überstellung des Fremden in das Polizeianhaltezentrum, sondern erst am 10. Tag seiner Anhaltung – in einer berechtigte Zweifel ausschließenden Weise auch tatsächlich verifiziert wurde.

 

Eine sohin vorerst gleichsam bloß "auf Verdacht" verfügte, d.h. mit dem Risiko, dass sich die Grundvoraussetzung der Haftfähigkeit des Fremden als unzutreffend herausstellen könnte, behaftete Anordnung der Schubhaft widerspricht jedoch dem Grundsatz eines rechtsstaatlichen, dem Amtswegigkeitsprinzip (vgl. § 39 Abs. 2 AVG) verpflichteten umfassenden Ermittlungsverfahrens.

 

3.6. Davon ausgehend war daher die Art und Weise der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 1. bis zum 9. Juni 2010 gemäß § 67c Abs. 3 AVG als rechtswidrig festzustellen.

 

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Bund als Rechtsträger der belangten Behörde dazu zu verpflichten, dem Beschwerdeführer nach § 79a Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 Z. 1 und 3 AVG i.V.m. § 1 Z. 1 der UVS-Aufwandersatzverordnung, BGBl.Nr. II 456/2008, Kosten in einer Höhe von insgesamt 1.683,60 Euro (Schriftsatzaufwand: 737,60 Euro; Verhandlungsaufwand: 922,00 Euro; Gebühren: 24,00 Euro) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweise:

 

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils durch einen Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

 

 

Dr.  G r o f

 

 

 

 

VwSen-401066/24/Gf/Mu/Bu vom 9. Februar 2012

 

Erkenntnis

 

 

Rechtssatz 1

 

B-VG Art129a Abs1 Z2;

FPG §82;

AVG §39

 

Nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (vgl zB VwGH 20.10.2011, 2008/21/0191) ist eine auf § 82 FPG gestützte Beschwerde als nicht bloß gegen die Anordnung der Schubhaft als solche, sondern als umfassend, also auch gegen die Art und Weise der Anhaltung gerichtet zu werten, und insoweit – ungeachtet ihrer Bezeichnung ("Schubhaftbeschwerde") – als Maßnahmenbeschwerde gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG zu qualifizieren.

 

 

Rechtssatz 2

 

B-VG Art129a Abs1 Z2;

FPG §82;

AVG §39

 

Eine Rechtswidrigkeit der Art und Weise der Anhaltung ist gegeben, weil der vom Fremden schon im Asylverfahren relevierte Einwand, dass er infolge Traumatisierung haftunfähig sei, seitens der Fremdenpolizeibehörde zwar (ex post betrachtet) richtig, nämlich als nicht zutreffend beurteilt, dieses Ergebnis jedoch erst im Nachhinein – durch die Hinzuziehung eines Dolmetschers nicht schon vor der Überstellung des Fremden in das Polizeianhaltezentrum, sondern erst am 10. Tag seiner Anhaltung – in einer berechtigte Zweifel ausschließenden Weise auch tatsächlich verifiziert wurde. Eine vorerst gleichsam bloß "auf Verdacht" verfügte, dh mit dem Risiko, dass sich die Grundvoraussetzung der Haftfähigkeit des Fremden als unzutreffend herausstellen könnte, behaftete Anordnung der Schubhaft widerspricht jedoch dem Grundsatz eines rechtsstaatlichen, dem Amtswegigkeitsprinzip verpflichteten umfassenden Ermittlungsverfahrens.

 

Beachte:

 

vorstehende Entscheidung wurde aufgehoben;

 

VwGH vom 25. Oktober 2012, Zl.: 2012/21/0064-6

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