Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231279/11/AB/Sta

Linz, 08.02.2012

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Astrid Berger über die Berufung des S G, geb.  vertreten durch Rechtsanwalt Mag. T Ö, S,  W, gegen Spruchpunkt 6. des Straferkenntnisses des Polizeidirektors der Bundespolizeidirektion W vom 6.10.2011, Z 2-S-14.668/10 S 150 FS 36 VK 18,60, wegen einer Übertretung nach dem Sicherheitspolizeigesetz nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 18.1.2012 zu Recht erkannt:

 

 

I.  Der Berufung wird stattgegeben, Spruchpunkt 6. des angefochtenen Straferkenntnisses aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG hinsichtlich Spruchpunkt 6. eingestellt.

 

II. Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat zu leisten.

 

Rechtsgrundlagen:

Zu I.: §§ 24, 45 Abs. 1 Z 3 und § 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) iVm § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG).

Zu II.: § 66 Abs. 1 VStG.

 

 

 


Entscheidungsgründe:

 

1.1.         Mit Straferkenntnis des Polizeidirektors der Bundespolizeidirektion W vom 6.10.2011, Z 2-S-14.668/10 S 150 FS 36 VK 18,60, wurde hinsichtlich Spruchpunkt 6. über den Berufungswerber (in der Folge: Bw) eine Geldstrafe in Höhe von 70,- Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 36 Stunden) verhängt, weil er am 28.6.2010 um 8:10 Uhr in W, S S, am Parkplatz vor dem Kindergarten "die die Fahrzeugkontrolle durchführenden Polizeibeamten mit folgenden Worten angeschrien [hat]: 'Ihr habt wohl nichts anderes zu tun, als mich zu schikanieren. Bin ich denn ein Terrorist oder was. Ich zeige gar nichts her. Lasst mich in Ruhe. Ich bin ein stolzer Türke. Gott sei Dank bin ich kein Österreicher.' und so durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt gestört [hat]."

 

Als verletzte Rechtsgrundlage wird hinsichtlich des im gegenständlichen Verfahren maßgeblichen Spruchpunktes 6. § 81 Abs 1 SPG genannt.

 

1.2.         Begründend wird unter Hinweis auf höchstgerichtliche Rechtsprechung im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Straferkenntnis auf eine Anzeige der Polizeiinspektion N sowie auf das Ergebnis des durchgeführten Ermittlungsverfahrens stütze, der zufolge der Bw am 28.6.2010 um 8:10 Uhr in W, S S, am Parkplatz vor dem Kindergarten die die Fahrzeugkontrolle durchführenden Polizeibeamten mit folgenden Worten angeschrien habe: "Ihr habt wohl nichts anderes zu tun, als mich zu schikanieren. Bin ich denn ein Terrorist oder was. Ich zeige gar nichts her. Lasst mich in Ruhe. Ich bin ein stolzer Türke. Gott sei Dank bin ich kein Österreicher." und so durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt gestört habe.

 

1.3.         Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Bw mit Schriftsatz vom 25.10.2011 durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter fristgerecht Berufung, in der er die ersatzlose Aufhebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens, in eventu die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, in eventu die Herabsetzung der verhängten Geldstrafen beantragt.

 

2.1.          Mit Schreiben vom 3.11.2011 übermittelte die belangte Behörde die gegenständliche Berufung unter gleichzeitiger Vorlage des bezughabenden Verwaltungsaktes.

 

Der Oö. Verwaltungssenat erhob Beweis durch Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am  – gemeinsam verhandelt mit der ebenfalls beim Oö. Verwaltungssenat anhängigen Rechtssache betreffend den Bw, protokolliert zu Zahl VwSen-231279. Dabei ist festzuhalten, dass sich der verfahrensgegenständlich entscheidungsrelevante Sachverhalt grundsätzlich widerspruchsfrei aus den Ausführungen des Bw und der amtshandelnden Polizisten ergibt. Insbesondere gab der Bw selbst an, dass er nervös und aufgebracht war; auch gab er selbst an, den Polizisten mitgeteilt zu haben, dass er "Gott sei Dank türkischer Staatsbürger sei".

 

2.2.         Der Oö. Verwaltungssenat geht von folgendem entscheidungsrelevanten Sachverhalt aus:

 

Im Rahmen einer Verkehrskontrolle am 28.6.2010 um 8:10 Uhr in W, S S, am Parkplatz vor dem Kindergarten, reagierte der Bw auf die Aufforderungen der amtshandelnden Polizeibeamten emotional und sehr aufgebracht. Er weigerte sich lautstark, an der Amtshandlung konstruktiv mitzuwirken. Insbesondere schrie er die amtshandelnden Polizeibeamten sinngemäß an, dass sie ihn in Ruhe lassen sollten und dass er Gott sei Dank kein Österreicher sei.

 

Durch dieses konkrete Verhalten des Bw wurde die Verkehrskontrolle trotz mindestens einmaliger Abmahnung des Bw seitens der amtshandelnden Polizisten behindert.

 

2.3.         Da im angefochtenen Bescheid weder eine primäre Freiheitsstrafe noch eine 2.000,- Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, ist der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (§ 51c VStG).

 

3.        Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

 

3.1.         Nach § 51c VStG hat der Unabhängige Verwaltungssenat im gegenständlichen Fall - weil mit dem angefochtenen Straferkenntnis eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe nicht verhängt wurde – durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden. Dabei ist gemäß § 1 Abs. 2 VStG grundsätzlich das zur Zeit der Tat geltende Recht – im vorliegenden Fall daher das Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl. 566/1991, in der Fassung BGBl. I 133/2009 – anzuwenden.

 

3.2.         Die maßgebliche Rechtslage lautet wie folgt:

 

§ 81 Abs 1 SPG: "Wer durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt stört, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 218 Euro zu bestrafen. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden."

 

§ 82 SPG: "(1) Wer sich trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber einer Militärwache, während diese ihre gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen, aggressiv verhält und dadurch eine Amtshandlung behindert, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 218 Euro zu bestrafen. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden.

(2) Eine Bestrafung nach Abs. 1 schließt eine Bestrafung wegen derselben Tat nach § 81 aus."

 

3.3.1. Das Verhalten des Bw ist jedenfalls als "aggressives" Verhalten iSd § 82 Abs. 1 SPG zu qualifizieren, da er durch sein emotional-nervöses und aufgebrachtes sowie lautstarkes Auftreten eine gewisse Feindseligkeit gegenüber den Polizisten zeigte. Auch seine lautstarke Äußerung, dass er froh sei, kein Österreich zu sein (die der Bw im Übrigen selbst zugestand), zeigt eine gewisse Angriffslust gegenüber den Polizisten deutlich (vgl. mwN aus der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz – Kommentar4, Anm. 5.1.2. zu § 82 SPG). Das Verhalten des Bw während der gegenständlichen Amtshandlung vor dem Kindergarten war daher in einer Gesamtbetrachtung jedenfalls als ungestüm und damit "aggressiv" iSd § 82 Abs. 1 SPG zu werten (vgl. dazu eingehend auch Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz – Kommentar4, zu § 82 Abs. 1 SPG).

Dabei ist freilich festzuhalten, dass aggressives Verhalten iSd § 82 Abs 1 SPG selbst dann anzunehmen wäre, wenn dieses durch die Polizeibeamten provoziert worden sein sollte (vgl. VwGH 12.10.1987, 87/10/0146; 27.10.1989, 88/10/0184).

 

Da durch dieses Verhalten des Bw – trotz mindestens einmaliger Abmahnung durch die Polizisten in der Form, dass der Bw sich beruhigen und sein Verhalten einstellen solle – die konkrete Amtshandlung (Verkehrskontrolle) unstreitig behindert wurde, ist die Anwendbarkeit des § 82 Abs. 1 SPG grundsätzlich gegeben.

 

3.3.2. Gemäß § 82 Abs. 2 SPG schließt aber eine Bestrafung nach Abs. 1 leg.cit. eine Bestrafung wegen derselben Tat nach § 81 leg.cit. aus. Die im vorliegenden Straferkenntnis dem Bw vorgeworfene Ordnungsstörung nach § 81 Abs. 1 SPG steht demzufolge zum Tatbestand des aggressiven Verhaltens nach § 82 Abs. 1 SPG im Verhältnis der Subsidiarität. Im Lichte des Verfassungsrechts (insbes. des Doppelbestrafungs- und Doppelverfolgungsverbotes nach Art. 4 7. ZProtMRK sowie des Legalitätsprinzips) ist § 82 Abs. 2 SPG verfassungskonform jedenfalls so zu interpretieren, dass § 81 SPG "vollständig zu § 82 SPG subsidiär" ist. Die Strafbehörde kann daher nicht zwischen einer Bestrafung nach § 81 und nach § 82 SPG auswählen. (Vgl. so auch Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz – Kommentar4, Anm. 3 zu § 81 SPG sowie Anm. 7 zu § 82 Abs. 2 SPG.)

Da der Tatbestand des § 82 Abs. 1 SPG – wie unter 3.3.1. ausführlich erörtertert – im gegenständlichen Fall unzweifelhaft vorlag, war gem. § 82 Abs. 2 SPG die erfolgte Bestrafung nach § 81 SPG jedenfalls unzulässig.

 

3.4. Der Berufung war daher stattzugeben und das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben. Aufgrund der bereits verstrichenen Verfolgungsverjährungsfrist war auch die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens betreffend Spruchpunkt 6. gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG zu verfügen.

 

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Bw gemäß § 66 Abs. 1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat vorzuschreiben.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220,- Euro zu entrichten.

Astrid Berger

 

VwSen-231279/11/AB/Sta vom 8. Februar 2012

 

Erkenntnis

 

 

Rechtssatz

 

SPG §81 Abs1;

SPG §82 Abs1;

SPG §82 Abs2;

EMRK (Protokoll Nr. 7) Art4

 

Gemäß § 82 Abs 2 SPG schließt eine Bestrafung nach Abs 1 leg cit eine Bestrafung wegen derselben Tat nach § 81 leg cit aus. Die im vorliegenden Straferkenntnis dem Bw vorgeworfene Ordnungsstörung nach § 81 Abs 1 SPG steht demzufolge zum Tatbestand des aggressiven Verhaltens nach § 82 Abs 1 SPG im Verhältnis der Subsidiarität. Im Lichte des Verfassungsrechts (insb des Doppelbestrafungs- und Doppelverfolgungsverbotes nach Art 4 7. ZPzEMRK sowie des Legalitätsprinzips) ist § 82 Abs 2 SPG verfassungskonform jedenfalls so zu interpretieren, dass § 81 SPG "vollständig zu § 82 SPG subsidiär" ist. Die Strafbehörde kann daher nicht zwischen einer Bestrafung nach § 81 und nach § 82 SPG auswählen (vgl so auch Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz – Kommentar4, Anm 3 zu § 81 SPG sowie Anm 7 zu § 82 Abs 2 SPG).

 

 

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