Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730127/6/Sr/ER

Linz, 06.02.2012

E R K E N NT N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X, geb. X, StA der Türkei, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmanns von Linz-Land vom 17. September 2010, AZ.: Sich43-5, betreffend eine Ausweisung des Berufungswerbers nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.

 

(İtiraz asılsız olduğundan reddedilmesine ve itiraz edilen kararın onaylanmasına.)

 

 

Rechtsgrundlage:

(Hukuki dayanak)

 

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmanns von Linz-Land vom 17. September 2010, AZ.: Sich43-5, wurde gegen den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 53 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 66 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG und 43 Abs. 2 und 44b des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes – NAG in der jeweils zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, die Ausweisung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich angeordnet.

 

Nach Wiedergabe der anzuwendenden Rechtsvorschriften führt die belangte Behörde zum Sachverhalt zunächst aus, dass der Bw, ein Staatsangehöriger der Türkei, erstmalig am 12. April 2003 nach Österreich eingereist sei und am 15. April 2003 einen Asylantrag gestellt habe, über den am 13. Jänner 2010 rechtskräftig negativ entscheiden worden sei. Der Bw halte sich seit Zustellung dieses Bescheides nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet. Mit Schreiben vom 10. Februar 2010 sei das Ausweisungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden.

Der geschilderte Sachverhalt stelle eine so schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, dass die Ausweisung und sofortige Ausreise zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art 8 Abs. 2 EMRK dringend geboten sei.

 

Die Ausweisung sei selbst im Falle eines dadurch erwirkten Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Bw gemäß § 66 Abs. 1 FPG in der damals geltenden Fassung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 genannten Ziele dringend geboten sei.

 

Nach Wiedergabe der angewendeten Rechtsvorschriften stellt die belangte Behörde fest, dass der Bw am 11. März 2010 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs. 3 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) in der damals geltenden Fassung gestellt habe, welcher am 30. Juni 2010 von seinem Rechtsvertreter zurückgezogen und erneut als Antrag gemäß § 44 Abs. 4 NAG eingebracht worden sei. Aufgrund dieses Antrags habe die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land als für die Vollziehung des NAG zuständige Behörde am 8. Juni 2010 eine Stellungnahme der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (SID) gemäß § 44b Abs. 2 NAG eingeholt, der zufolge aufenthaltsbeendende Maßnahmen zulässig seien.

 

Begründet habe die Sicherheitsdirektion ihre Stellungnahme im Wesentlichen damit, dass das Asylverfahren des Bw am 14. Februar 2004 erstinstanzliche negativ entschieden worden und ihm seit diesem Zeitpunkt sein unsicherer Aufenthalt im Bundesgebiet bekannt gewesen sei. Aus einem Versicherungsdatenauszug gehe hervor, dass der Bw von 1. Jänner 2008 bis 31. Dezember 2009 erwerbstätig gewesen sei, von 1. August 2009 bis 31. Dezember 2009 habe er aber keine Versicherungsbeiträge abgeführt. Sein Lebensunterhalt sei als gesichert anzusehen, weshalb von einer gewissen beruflichen Integration auszugehen sei. Diese sei aber dahingehend zu relativieren, dass der Bw bereits bei Aufnahme der Erwerbstätigkeit gewusst habe, dass sein Aufenthalt in Österreich nur an das Abwarten der Entscheidungen über seinen Asylantrag geknüpft gewesen sei.

Insofern mindere sich auch die aufgrund der langen Aufenthaltsdauer entstandene soziale Integration.

Da der Bw den Großteil seines Lebens im Herkunftsstaat gelebt habe, dort seine Ausbildung genossen und gearbeitet habe und sich auch seine Eltern und Geschwister noch dort befänden, sei eine Reintegration zumutbar.

Nicht von den geschützten familiären Bindungen erfasst sei der Umstand, dass ein nicht im selben Haushalt lebender Bruder und ein Cousin des Bw, mit denen er regelmäßigen Kontakt pflege, ebenfalls in Österreich ansässig seien.

Der Bw habe die Deutschprüfung auf Niveau A2 nicht abgelegt, was bei seinem langen Aufenthalt die Sprachintegration maßgebend schmälere.

Seine strafrechtliche Unbescholtenheit könne nicht zu seinen Gunsten ausschlagen, da dieser Umstand weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung des die Ausweisung gebietenden öffentlichen Interesses zu Folge habe. Ebenso zu bewerten sei das Vorbringen, dass der Bw dem Staat nicht zur Last gefallen sei.

Angesichts der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erwiesen sich fremdenpolizeiliche Maßnahmen unter dem Aspekt des Art. 8 EMRK als zulässig.

 

Dazu habe der Bw am 30. August 2010 eine Stellungnahme eingebracht, in der er angeführt habe, dass übersehen worden sei, dass er jahrelang in Österreich aufhältig gewesen und vollständig integriert sei. Zur Familie in der Türkei bestehe kein Kontakt, er pflege aber intensiven Kontakt zu seinen in Österreich ansässigen Verwandten. Die geforderte Deutschprüfung werde er in absehbarer Zeit ablegen, zudem sei er unbescholten und vollständig integriert.

 

Hinsichtlich der Zulässigkeit der Ausweisung hält die belangte Behörde fest, dass der Bw zweifellos einige Merkmale, welche einen humanitären Aufenthalt im Sinne des Art. 8 EMRK begründen könnten, erfülle. Dem sei aber entgegen zu halten, dass sich die Integration in Österreich hauptsächlich auf die Arbeitsaufnahme beschränke und dies wohl den wesentlichen Grund für den angestrebten Aufenthaltstitel darstelle.

 

Das Interesse der Republik Österreich an einer Aufenthaltsbeendigung sei also größer als die Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens des Bw. Eine Ausweisung sei somit zulässig.

 

2. Gegen diesen Bescheid, zugestellt am 21. September 2010, erhob der Bw rechtzeitig Berufung mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2010. Darin werden die Anträge gestellt, den Ausweisungsbescheid zu beheben, dem Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung Folge zu geben und bis zur vollständigen Entscheidung über seine Berufung aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

 

Der Bw bringt in seiner Berufung im Wesentlichen vor, dass er seit April 2003 in Österreich aufhältig sei und sich seither ein Privatleben samt Freundeskreis aufgebaut habe. Zu seinen Verwandten in der Türkei habe er keinen Kontakt. Er habe die Deutschkurse auf Niveau A1, A2 und A3 erfolgreich besucht und sei für den nächsten Kurs bereits angemeldet. Seit 7. Jänner 2008 betreibe er ein Güterbeförderungsbewerbe, womit er seinen Lebensunterhalt bestreite. Er sei unbescholten und dem Staat nicht zur Last gefallen. Sei Privatleben sei im Sinne des Art. 8 EMRK zu schützen. Zudem vertritt er die Meinung, sein derzeitiger Aufenthalt sei bis zur Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs. 4 NAG rechtmäßig.

 

3. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion Oberösterreich – nach Inkrafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Unabhängigen Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde, durch mündliche Auskunft der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft , sowie durch je einen aktuellen Versicherungs- und Meldedatenauszug des Bw.

 

3.2. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d Abs. 4 AVG).

 

Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1. und 2. dieses Erkenntnisses dargestellten unbestrittenen Sachverhalt aus.

Darüber hinaus stellt der Oö. Verwaltungssenat aufgrund der ergänzenden Unterlagen fest, dass der Bw keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgeht und seit 20. Mai 2011 keinen Wohnsitz im Bundesgebiet hat. Der Bw hat von 1. Dezember 2009 bis 31. August 2011 keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlt. Ein seitens der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft Oö. unternommener Exekutionsversuch ist aufgrund der Unauffindbarkeit des Bw erfolglos geblieben. Der Bw ist im Verfahren nicht vertreten.

 

3.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

4. In der Sache hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

 

4.1.1. Gemäß § 125 Abs. 14 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 53 als Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden ist.

 

4.1.2. Im vorliegenden Fall wurde die Ausweisung auf Basis des § 53 FPG (in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011) erlassen, weshalb diese Ausweisung als Rückkehrentscheidung im Sinne des § 52 FPG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 anzusehen und zu beurteilen ist.

 

4.2.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

4.2.2. Im vorliegenden Fall ist auch vom Bw selbst unbestritten, dass er über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt.

Dem Bw ist hinsichtlich seiner Ausführungen zur Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts, die er mit dem am 11. März 2010 gestellten Antrag gemäß § 44 Abs. 3 NAG, geändert am 30. Juni 2010 auf Grundalge des § 44 Abs. 4 FPG in der damals geltenden Fassung begründet, folgendes entgegenzuhalten: § 81 Abs. 1 NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 regelt für Verfahren, die bei In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes anhängig sind, dass diese nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetztes zu Ende zu führen sind. Abweichend von diesem Grundsatz ist in § 81 Abs. 15 NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 vorgesehen, dass alle nach In-Kraft-Treten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 122/2009 anhängigen Verfahren gemäß § 44 Abs. 4 nach den Bestimmungen des  Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 122/2009 zu Ende zu führen sind. Aus dem Akt ergibt sich, dass der Bw seinen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung am 30. Juni 2010 auf § 44 Abs 4 NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009 gestützt hat.

§ 44 Abs. 5 NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009 sieht vor, dass Anträge gemäß Abs. 4 kein Aufenthalts- oder Bleiberecht nach diesem Bundesgesetz begründen.

 

Allerdings ist bei der Beurteilung der Rückkehrentscheidung sowohl auf Art. 8 EMRK als auch auf § 61 FPG Bedacht zu nehmen.

 

4.3. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Nach § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der       bisherige         Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.         der Grad der Integration;

5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des     Asyl-   Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem            Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren   Aufenthaltstatus bewusst waren;

9.         die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß § 125 Abs. 20 FPG, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 38/2011 vorgenommene Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 66 als Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 61 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

4.4. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessenabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

Gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte ist es grundsätzlich zulässig und erforderlich, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Rückkehrentscheidung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

4.4.1. Der belangten Behörde folgend ist, mangels Vorliegens eines Familienlebens im engeren Sinn (vgl. § 2 Abs. 4 Z 12 FPG) im Bundesgebiet, im Wesentlichen eine Interessensabwägung gemäß § 61 Abs. 2 FPG hinsichtlich des Privatlebens des Bw vorzunehmen, wobei insbesondere auch auf die "familiären" Beziehungen zu seinen in Österreich lebenden Verwandten, seine berufliche und soziale Integration, das Asylverfahren und die lange Aufenthaltsdauer, Bedacht zu nehmen ist.

In Anbetracht seines fast neun Jahre währenden Aufenthaltes im Bundesgebiet ist dem Bw eine der Dauer seines Aufenthaltes entsprechende Integration zuzugestehen. Dieser Aufenthalt war nachweislich von 15. April 2003 bis zur Zustellung der rechtskräftig negativen Asylerledigung – also fast sieben Jahre – rechtmäßig.

Das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration wird jedoch angesichts der ständigen Judikatur des VwGH dadurch gemindert, als der Aufenthalt des Bw während des Asylverfahrens nur aufgrund eines Antrages, welcher sich letztendlich als unberechtigt erwiesen hat, temporär berechtigt war. Dem Bw musste bewusst sein, dass er ein Privatleben während eines Zeitraumes, in dem er einen "unsicheren" Aufenthaltsstatus hatte, geschaffen hat, (vgl. etwa Erkenntnis vom 08.11.2006, Zahl 2006/18/0344 sowie Zahl 2006/18/0226 ua.). Er durfte nicht von vornherein damit rechnen, nach einem allfälligen negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen.

Im Hinblick auf den fast neun Jahre währenden Aufenthalt in Österreich ist im Besonderen auf die jüngste Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abzustellen. Wie folgt wiedergegeben, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, GZ 2009/21/0348, einer sozialen Integration, obwohl sie in einem Zeitraum entstanden ist, während dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war, ein nicht unbeachtliches Gewicht beigemessen:

 

Das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich ist in seinem Gewicht gemindert, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (E. vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293; E. vom 29. September 2009, Zl. 2009/21/0253; E. des VfGH vom 3. März 2008, B 825/07 mit Bezug auf die Urteile des EGMR vom 31. Jänner 2006, Rodrigues da Silva und Hoogkaamer gegen die Niederlande [Beschwerde Nr. 50435/99] und vom 31. Juli 2008, Darren Omoregie u.a. gegen Norwegen [Beschwerde Nr. 265/07]). Der EGMR stellt in den angesprochenen Urteilen darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist. Sei das der Fall, bewirke eine Ausweisung des ausländischen Familienangehörigen nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Art 8 EMRK (vgl.: E vom 19. Februar 2009, Zl. 2008/18/0721, E. vom 30. April 2009, Zl. 2009/21/0086). In diesem Sinn ist nach der Z. 8 des § 66 Abs. 2 FPG [in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011] aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Annordnung bei der Interessensabwägung darauf Bedacht zu nehmen, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war. Freilich hat die genannte Bestimmung schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte.

 

Im Erkenntnis vom 20. Jänner 2011, Zl. 2010/22/0158, hat der Verwaltungsgerichtshof bei einer im Wesentlichen vergleichbaren Sachlage, jedoch eines knapp über 10 Jahre bestehenden Aufenthaltes, dem persönlichen Interesse des Fremden am Verbleib in Österreich ein solches Gewicht beigemessen, dass eine Ausweisung unzulässig ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat dabei wie folgt ausgeführt:

 

Der Beschwerdeführer verweist auf seine Erwerbstätigkeit und darauf, dass er sich während seines Aufenthaltes in Österreich "in privater Hinsicht sehr gut integriert" habe. Die belangte Behörde hob zwar zu Recht hervor, dass dem Beschwerdeführer bereits nach erstinstanzlicher Abweisung seines Asylantrages die Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst war, er somit nicht mit einem legalen Aufenthalt in Österreich rechnen durfte. Sie ist auch darin im Recht, dass dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. für viele etwa das Erkenntnis vom 6. Juli 2010, 2008/22/0688). Dementsprechend haben Fremde nach Abweisung ihres Asylantrages grundsätzlich den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet herzustellen. Demgegenüber vermag der Beschwerdeführer jedoch einen bereits über zehnjährigen Aufenthalt in Österreich für sich ins Treffen zu führen und es stellte die belangte Behörde auch fest, dass er erwerbstätig ist. Diese Umstände verleihen dem persönlichen Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich ein solches Gewicht, dass die Ausweisung unverhältnismäßig erscheint (vgl. zu ähnlichen Fällen etwa die E. vom 26. August 2010, 2010/21/0206 und 2010/21/0009).

 

4.4.2. Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, befindet sich der Bw seit fast 9 Jahren im Bundesgebiet, wobei dieser Aufenthalt rund sieben Jahre rechtmäßig war.

Zudem wird nicht angezweifelt, dass er über Deutsch-Sprachkenntnisse verfügt.

Nun ergibt sich aber unstrittig aus dem Akt, dass der Bw trotz seiner behaupteten guten Deutschkenntnisse bislang kein A2-Zertifikat vorgelegt hat, obwohl er die entsprechenden Kurse bereits im Mai 2010 erfolgreich abgeschlossen hat.

 

Zweifelsohne greift die Ausweisung in das Privatleben des Bw ein, zumal er angibt sehr enge Kontakte zu seinem Bruder und seinem Cousin in Österreich zu pflegen.

Der Bw ist während seines Aufenthalts rund dreieinhalb Jahre lang einer legalen, sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen, wobei er teils  selbstständig, teils unselbstständig erwerbstätig war. Seit 1. Dezember 2009 hat der Bw keine Sozialversicherungsbeiträge mehr abgeführt, weshalb ein Exekutionsverfahren eingeleitet wurde, das aber aufgrund der Unauffindbarkeit des Bw, der am 20. Mai 2011 seinen Wohnsitz im Bundesgebiet abgemeldet hat, nicht zum Erfolg geführt hat. Diese Umstände schmälern die während des Zeitraums seiner Erwerbstätigkeit entstandene berufliche Integration beträchtlich.

 

Der Bw ist strafgerichtlich unbescholten.

 

Verglichen mit dem oa. Erkenntnis des VwGH ist hier nicht nur die dort beschriebene – allenfalls exemplarisch angeführte – Aufenthaltsdauer unterschritten; was noch mehr ins Gewicht fällt, ist die fehlende Verfestigung der sozialen und privaten Integration. Obwohl dem Bw bewusst was, dass der Fortbestand seines Privatlebens im Gastland von vornherein unsicher ist, hat er nicht alles Denkmögliche unternommen, um sich sozial und beruflich zu integrieren. Er hat während seiner fast neunjährigen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet nicht die erforderlichen Bestätigungen über die sprachliche Integration vorgelegt, konnte keine sozialen oder gesellschaftlichen Kontakte mit anderen Personen als seinen in Österreich lebenden Verwandten vorbringen und hat während eines erheblichen Teils seiner Erwerbstätigkeit keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt.

Mangels entsprechender Integration liegt nicht einmal ansatzweise eine Fallkonstellation vor, bei der die Höchstgerichte und der EGMR eine Verletzung des Art. 8 EMRK angedacht haben.

 

4.4.3. Bei Gesamtbetrachtung aller Umstände ist festzuhalten, dass die für die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung sprechenden Elemente des öffentlichen Interesses gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK die persönlichen Interessen des Bw an einem Verbleib im Bundesgebiet eindeutig überwiegen.  

 

4.5. Es war daher die Berufung als unbegründet abzuweisen und der angefochtene Bescheid zu bestätigen.

 

5. Gemäß § 8 Abs. 1 Zustellgesetz – ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 10/2004, hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen. Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist gemäß § 8 Abs.2 leg. cit., soweit es die Verfahrensvorschriften nicht anders vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung (siehe diesbezüglich § 23 ZustG) ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.

 

Dass der Bw im Zeitpunkt der Einbringung der Berufung in Kenntnis des fremdenpolizeilichen Verfahrens war, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Entgegen dem § 8 Abs. 1 ZustG hatte es der Bw, welcher am 20. Mai 2011 seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet behördlich abgemeldet hat, jedoch unterlassen, dem Oö. Verwaltungssenat oder der belangten Behörde eine neue Abgabestelle zu nennen. Eine solche konnte auch nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden, zumal die Abfrage des Zentralen Melderegisters vom 1. Februar 2012 ergab, dass der Bw seit 20. Mai 2011 über keinen Wohnsitz in Österreich verfügt.

 

Der gegenständliche Bescheid wird daher gemäß § 8 Abs. 2 iVm § 23 ZustG (Hinterlegung ohne Zustellversuch) ohne vorherigen Zustellversuch im gegenständlichen Akt des Oö. Verwaltungssenats hinterlegt und für den Bw zur Abholung bereitgehalten.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 14,30 Euro (Eingabegebühr) angefallen.

 

Hukuki itiraz yolu bilgilendirilmesi

İşbu karar karşı olağan kanun yolu açık değildir.

 

Talimat

(Verilen karara karşı kararın tebliğ gününden itibaren altı hafta içinde Anayasa Mahkemesi’nde ve/veya Danıştay‘da itiraz edilebilinir. Yasal istisnalar hariç, şikayetin vekil tayin edilmiş bir avukat tarafından yapılması gerekmektedir. Her itiraz için 220.- Euro dilekçe harcı ödenilir.)  

 

Mag. Christian Stierschneider

 

 

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