Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-440145/2/WEI/MB/Ba

Linz, 07.02.2012

 

B E S C H L U S S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß aus Anlass der Beschwerde des B P, geb. am X, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. X, X, X, wegen Verletzung in subjektiven Rechten im Zusammenhang mit einer Beschuldigtenvernehmung am 1. Dezember 2011 durch dem Sicherheitsdirektor des Landes Oberösterreich zurechenbare Kriminalbeamte des Landespolizeikommandos Oberösterreich folgenden Beschluss gefasst:

 

I.       Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird als unzulässig zurückgewiesen.

 

II.     Die Beschwerde wird mangels eines tauglichen Beschwerdegegenstandes als unzulässig zurückgewiesen

 

Rechtsgrundlagen:

Art. 129a Abs. 1 Z 3 B-VG iVm § 67a Z 1; §§ 67c, 79a Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG iVm UVS-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl II Nr. 456/2008 iVm § 88 Abs 2 und Abs 4 Sicherheitspolizeigesetz-SPG.


Entscheidungsgründe:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) erhob durch seinen Verfahrenshilfeverteidiger im strafprozessualen Verfahren des Landesgerichts Wels zur Zahl 9 Hr 121/11i wegen des Verdachts des Mordes und des schweren Raubes mit Schreiben vom 12. Jänner 2012 eine Beschwerde wegen Verletzung subjektiver Rechte gemäß Art 129a Abs 1 Z 3 B-VG iVm § 88 Abs 2 Sicherheitspolizeigesetz (BGBl 566/1991, zuletzt geändert mit BGBl I 33/2011; im Folgenden: SPG), weil er am 1. Dezember 2011 im Stande der Untersuchungshaft in der Justizanstalt Ried ohne Wissen der Staatsanwaltschaft und ohne Beiziehung des Verteidigers einer rechtswidrigen kriminalpolizeilichen Beschuldigteneinvernahme unterzogen worden wäre, bei der er sich im Wesentlichen geständig zeigte.

Für den Fall, dass die gerichtliche Verfahrenhilfe nicht auch als die Polizeibeschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (im Folgenden: UVS Oberösterreich) umfassend angesehen wird, stellt der Bf vorsichtsweise für das Verfahren vor dem UVS Oberösterreich einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und begründet ihn mit Vermögenslosigkeit, fehlendem Einkommen und Sorgepflichten für drei Kinder.

1.2. Als belangte Behörde führt der Bf das Landespolizeikommando Oberösterreich an, weil Beamte des Landeskriminalamtes die Einvernahme durchführten. Die Verletzung von subjektiven Rechten gründet der Bf auf § 164 Strafprozessordnung (BGBl 631/1975, zuletzt geändert mit BGBl I 67/2011; im Folgenden: StPO) und auf § 88 Abs 2 SPG.

1.3. Zum Sachverhalt führt der Bf aus, dass er am 24. Oktober 2011 wegen des dringenden Verdachtes des Verbrechens des Mordes und des schweren Raubes gemäß §§ 75, 142 und 143 Strafgesetzbuch aus dem bedingt obligatorischen Haftgrund gemäß § 173 Abs 1 und Abs 6 StPO in Untersuchungshaft genommen worden sei. Am 14. November 2011 sei er in der Justizanstalt Wels unter der Leitung des LStA HR Dr. F H und in Anwesenheit der ermittelnden Kriminalbeamten CI A und KI P sowie seines Rechtsvertreters vernommen worden. Bei dieser Vernehmung habe der Bf jegliche Mittäterschaft am Mord in G bestritten.

Am 1. Dezember 2011 sei der Bf ein weiteres Mal alleine durch die ermittelnden Beamten vernommen worden. Diese Vernehmung habe nunmehr in der Justizanstalt Ried ohne Wissen der Staatsanwaltschaft Wels stattgefunden. Der Verteidiger sei ebenso nicht beigezogen worden. Im Zuge dieser langen, weitreichenden Vernehmung habe sich der Bf als geständig gezeigt.

Anlässlich der Haftverhandlung vom 6. Dezember 2011 habe der Rechtsvertreter des Bf Kenntnis von der Vernehmung erlangt. Über Vorhalt seiner Aussage habe der Bf sodann das Geständnis widerrufen.

Daraufhin habe der Bf am 16. Dezember 2011 eine Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft Wels übermittelt, worin unter anderem auch ein Einspruch wegen Rechtsverletzung gemäß § 106 StPO gegen die Einvernahme vom 1. Dezember 2011 enthalten gewesen sei. Diesen Einspruch habe der Bf sodann aufgrund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 18. Dezember 2010 zu Zl. G 259/09 wieder zurückgezogen.

1.4. Die Beschwerde führt begründend weiter aus, dass die Vernehmung des Bf am 1. Dezember 2011 von 12.00 Uhr bis 19.30 Uhr durch die ermittelnden Kriminalbeamten (A und S) ohne Anordnung der Staatsanwaltschaft Wels und ohne Kenntnis des leitenden Staatsanwaltes durchgeführt worden sei. Die intensive polizeiliche Einvernahme sei ohne Verständigung sowie ohne Beiziehung des Verteidigers gemäß § 164 Abs 2 StPO erfolgt. Auch sei ein Verzicht des Bf auf die Anwesenheit seines Verteidigers nicht erfolgt bzw im Protokoll ON 186 nicht dokumentiert worden.

Wegen der fehlenden Dokumentation eines "Vorgespräches" zur Vernehmung am 1. Dezember 2011 in der Zeit von 12.00 Uhr bis 16.30 Uhr könne dieses inhaltlich nicht nachvollzogen und die Fragestellung der vernehmenden Beamten nicht überprüft werden. Es sei nicht auszuschließen, dass unzulässige Suggestivfragen oder unzulässige Vorhalte nach § 164 Abs 4 StPO gemacht wurden.

Zudem sei der Bf im Zeitpunkt der Vernehmung aufgrund aktenkundiger Umstände (Zellenbrand, Krankenhausaufenthalt, Isolierhaft) nicht vernehmungsfähig gewesen.

Es sei auch im Hinblick auf § 164 Abs 2 StPO von keiner Gefahr für die Ermittlungen auszugehen gewesen, welche ein Absehen von der Beiziehung eines Verteidigers gerechtfertigt hätte. Auch die im Gesetz zur Wahrung der Transparenz alternativ vorgesehene Ton- oder Bildaufnahme der Vernehmung sei unterblieben.

1.5. Insgesamt liege daher keine pflichtgemäße Ermessensentscheidung der Ermittlungsbeamten vor. Die dahingehende Beschwerdelegitimation des Bf ergäbe sich aus der Verletzung von wesentlichen Verteidigungs- und Verfahrensrechten nach § 164 StPO anlässlich der polizeilichen, staatsanwaltlich nicht angeordneten Einvernahme vom 1. Dezember 2011 in der Justizanstalt Ried. Der UVS habe gemäß § 88 Abs 2 SPG zu entscheiden, da durch die Handlungen und Unterlassungen der vernehmenden Kriminalbeamten des Landespolizeikommandos Oberösterreich, welche ohne Anordnung der Staatsanwaltschaft gesetzt wurden, die Angaben des Beschuldigten am 1. Dezember 2011 rechtswidrig unter Verletzung der Verfahrensrechte nach § 164 StPO zustande gekommen seien.

Zusammenfassend stellt der Bf den Antrag, der UVS Oberösterreich möge im Rahmen seiner Kognitionsbefugnis nach § 88 SPG die Rechtmäßigkeit der Handlungen und Unterlassungen der Kriminalpolizei im Zuge der Beschuldigteneinvernahme am 1. Dezember 2011 überprüfen und mittels Erkenntnis deren Rechtswidrigkeit feststellen und den Bund zum Kostenersatz verpflichten.

2. Die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers ist gemäß § 51a VStG im Verwaltungsstrafverfahren möglich. Darüber hinaus ist Verfahrenhilfe im Administrativverfahren vor dem unabhängigen Verwaltungssenat gesetzlich nicht vorgesehen. Ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe kann im Beschwerdeverfahren nach §§ 67c ff AVG nicht gestellt werden. Auch für das gegenständliche Verfahren nach § 88 Abs 4 SPG iVm §§ 67c ff AVG ist eine Rechtsgrundlage für die Beigebung eines Verfahrenshilfevertreters vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat nicht zu finden. Der Antrag war daher als unzulässig zurückzuweisen.

3. Der UVS Oberösterreich hat nach Einsichtsnahme in die vorliegende Beschwerdeschrift samt den angeschlossenen Beilagen festgestellt, dass sich bereits daraus der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergibt und die Beschwerde aus rechtlichen Gründen als unzulässig zurückzuweisen ist.

4. Der UVS Oberösterreich hat erwogen:

4.1. Gemäß § 88 Abs 2 SPG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Menschen, die behaupten, auf andere Weise (als unmittelbare sicherheitsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt nach § 88 Abs 1 SPG) durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sofern dies nicht in Form eines Bescheides erfolgt ist.

Die Behauptung, dass der Bf durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in seinen Rechten verletzt wurde, findet sich nicht in der Beschwerde. Auch inzident kann dies nicht aus dem Beschwerdevorbringen geschlossen werden. Es wird allein auf die Verletzung von Verfahrensrechten nach der Strafprozessordnung durch schlichtes Polizeihandeln abgestellt.

Gemäß § 88 Abs 4 SPG entscheidet der Unabhängige Verwaltungssenat über Beschwerden nach § 88 Abs 2 SPG durch eines seiner Mitglieder. Im Übrigen gelten die §§ 67c bis 67g und 79a AVG.

Im Hinblick auf § 7 Abs. 2 SPG ist entgegen den Angaben der Beschwerde der Sicherheitsdirektor des Landes Oberösterreich als belangte Behörde anzusehen.

4.2. Wie oben ausgeführt, findet die schlichte Polizeibeschwerde gemäß § 88 Abs 2 SPG nur auf Rechtsverletzungen durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung Anwendung.

Gemäß § 2 Abs 2 SPG besteht die Sicherheitsverwaltung aus der Sicherheitspolizei, dem Pass- und dem Meldewesen, der Fremdenpolizei, der Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm, dem Waffen- , Munitions-, Schieß- und Sprengmittelwesen sowie aus dem Pressewesen und den Vereins- und Versammlungsangelegenheiten.

Gem. § 3 SPG besteht die Sicherheitspolizei aus der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, ausgenommen die örtliche Sicherheitspolizei (Art 10 Abs 1 Z 7 B-VG), und aus der ersten allgemeinen Hilfeleistungspflicht.

Gemäß § 22 Abs 3 Satz 1 SPG haben die Sicherheitsbehörden unbeschadet ihrer Aufgaben nach der Strafprozessordnung die maßgebenden Umstände, einschließlich der Identität des dafür Verantwortlichen, zu klären, soweit dies zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich ist. Sobald jedoch eine bestimmte Person einer strafbaren Handlung verdächtig ist, gelten gemäß dem § 22 Abs 3 Satz 2 SPG ausschließlich die Bestimmungen der Strafprozessordnung. Kriminalpolizeiliche Aufklärungstätigkeit im Dienste der Strafjustiz zählt daher spätestens seit dem Sicherheitspolizeigesetz nicht mehr zur allgemeinen Sicherheitspolizei und auch nicht zur Sicherheitsverwaltung im Sinne der §§ 2 Abs 2 iVm § 88 Abs 2 SPG (vgl mwN Hauer/Keplinger, Kommentar zum Sicherheitspolizeigesetz4 [2011] 822, Anm 17.1.; Eigner, Die neue Ermittlungsarbeit der Kriminalpolizei StPO-Neu Teil XII, ÖJZ 2008, 478 ff, 483; Wiederin, Sicherheitspolizeirecht [1998] Rz 737).

4.3. Der Begriff der Sicherheitsverwaltung hat auch durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 16. Dezember 2010, Zl. G 259/09 ua. Zlen. (vgl JBl 2011, 160 ff mit krit. Anm Burgstaller) keinen andern Regelungsinhalt erhalten. Die Begründung des Verfassungsgerichtshofes zielt im Bereich des § 88 Abs 2 SPG auf das strafprozessuale Vorverfahren des Strafprozesses vor dem Strafprozessreformgesetz (BGBl I Nr. 19/2004; im Folgenden nur StPRG 2004) ab und erwähnt nur in diesem Zusammenhang die Möglichkeit einer Polizeibeschwerde gemäß § 88 Abs 2 SPG.

Darüber hinaus ist auch der Restgehalt dieser Ausführungen für den Strafprozess seit dem StPRG 2004 zu relativieren. Es erscheint keinesfalls mehr zulässig, polizeiliche Ermittlungshandlungen im Rahmen eines bereits begonnenen Strafprozesses (§ 1 Abs. 2 StPO) als "Besorgung der Sicherheitsverwaltung" zu begreifen, da die seit 1. Jänner 2008 geltende StPO den Umfang und Inhalt der polizeilichen Ermittlungshandlungen in der Strafprozessordnung selbst detailliert regelt (vgl Burgstaller, JBl 2011, 171 [Anm zu VfGH v 16.12.2010, G 259/09 ua. Zlen.]; Ennöckl, Der Rechtsschutz gegen sicherheitsbehördliche Maßnahmen nach Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes, JBl 2008, 412 FN 30 mwN; zur Strafprozessordnung vor dem StPRG 2004 vgl statt vieler VwGH vom 20.09.2006, Zl. 2003/01/0502; auf gewisse strafprozessuale Rechtsschutzlücken für die Durchsetzung von Verfahrensrechten gegenüber der Polizei durch die Aufhebung des VfGH hinweisend Pilnacek, VfGH gegen einheitlichen Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren der StPO, ÖJZ 2011, 97 und Burgstaller, 171 f [Anm zu VfGH]).

4.4. Selbst wenn man entgegen der hM und stRsp des Verwaltungsgerichtshofs der Ansicht wäre, dass das autonome Handeln von Organen der Sicherheitsbehörden im Dienste der Strafrechtspflege als Sicherheitsverwaltung zu werten sei, wäre zu beachten, dass die Polizeibeschwerde bzw Eingriffsbeschwerde gemäß dem § 88 Abs 2 SPG dem Grundsatz der Subsidiarität folgt. Mit dieser Beschwerde sollte bekanntlich nur eine Rechtsschutzlücke hinsichtlich des schlichten sicherheitsbehördlichen Polizeihandelns geschlossen werden. Soweit die Rechtsordnung andere Rechtsschutzinstrumente einräumt, stehen weder die Maßnahmenbeschwerde gemäß § 88 Abs 1 SPG, noch die Eingriffsbeschwerde (Polizeibeschwerde) gemäß § 88 Abs 2 SPG zur Verfügung (vgl mwN Hauer/Keplinger, Kommentar zum Sicherheitspolizeigesetz4 [2011], 820 Anm 13).

Einerseits sind Erkundigungen gemäß § 152 Abs 1 StPO mit Nichtigkeit bedroht, wenn dadurch die Regelungen über die Vernehmung umgangen werden sollen, andererseits normiert § 164 Abs 4 StPO rechtswidrige Vernehmungsmethoden, die zu einer Nichtigkeit führen können. Auf die verbotenen Vernehmungsmethoden nach dem § 164 Abs 4 Satz 1 (Versprechungen, Vorspiegelungen, Drohungen oder Zwangsmittel) und 2 (Maßnahmen der Willensbeugung, Eingriffe in die körperliche Integrität) StPO wird dies in der Regel zutreffen (vgl Bertel/Venier, Strafprozessrecht5 [2011], Rz 265). Hinsichtlich des vom Bf angeführten "Vorgespräches" am 1. Dezember 2011 von 12.00 Uhr bis 16.30 Uhr deckt daher eine auf § 152 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde den Verfahrensfehler im Ermittlungsverfahren ab (zum rügepflichtigen Nichtigkeitsgrund gemäß § 281 Abs 1 Z 2 StPO vgl Ratz in Wiener Kommentar zur StPO, Rz 174 zu § 281 StPO). Zur anschließend bekämpften kriminalpolizeilichen Vernehmung (iSd § 151 Z 2 StPO) entgegen den Bestimmungen der §§ 153 Abs 3 und 164 StPO moniert der Bf Verfahrensrechtsverletzungen, die letztlich dazu geführt haben sollen, dass er seine Aussage nicht bzw. nicht so – wie im Vernehmungsprotokoll ON 186 dokumentiert – gemacht hätte. Auch solche Verfahrensfehler im Ermittlungsverfahren sind in der Hauptverhandlung zu berücksichtigen und können im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil, gegebenenfalls nach geeigneter Rüge und Antragstellung in der Hauptverhandlung ausreichend geltend gemacht werden (vgl neben dem Nichtigkeitsgrund nach § 152 Abs 1 StPO iVm § 281 Abs 1 Z 2 StPO auch den ausdrücklich auf Verfahrensgrundsätze nach Art 6 EMRK abstellenden Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 4 StPO und dazu näher Ratz, aaO, Rz 354 ff und 369 zu § 281 StPO; vgl weiter auch Heissenberger, Die Beiziehung eines Verteidigers zu den kriminalpolizeilichen Vernehmungen im Lichte des Strafprozessreformgesetzes, RZ 2007, 82 ff, 89).

Für die Polizeibeschwerde nach § 88 Abs 2 SPG, deren Sinn und Zweck nicht in der den Strafgerichten vorbehaltenen Feststellung von Verfahrensfehlern im Strafprozess liegen kann, bleibt nach dem konkreten Beschwerdevorbringen auch aus dem Grunde der Subsidiarität kein Raum.

4.5. Die Ausgangsprämisse des Verfassungsgerichtshofes, dass Handlungen der Kriminalpolizei im Dienste der Strafrechtspflege ohne staatsanwaltschaftlichen Auftrag oder ohne gerichtliche Bewilligung weiterhin als Verwaltungsakte zu qualifizieren seien, erscheint auch auf verfassungsrechtlicher Ebene noch differenzierbar, was durch folgende vom Verfassungsgerichtshof nicht näher behandelte Aspekte angedeutet werden soll.

Der Verfassungsgerichtshof führt aus, dass derartige kriminalpolizeiliche Akte mangels Anhaltspunkten in den Materialien zum StPRG 2004 nicht der Gerichtsbarkeit zuzurechnen seien (vgl dagegen aA Lienbacher, Ist staatsanwaltliches Handeln ein zulässiger Kontrollgegenstand parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: Jahrbuch Öffentliches Recht 2010 [Hrsg. Lienbacher/Wielinger] 73 f mit Belegstellen aus den Materialien zum StPRG 2004; ebenso aA und der Staatsanwaltschaft als Organ der Gerichtsbarkeit zurechnend Ratz, Überprüfung von Entscheidungen durch den OGH in Strafsachen, ÖJZ 2010, 983 ff, 984 f). Als ausreichendes und gleichzeitig auch einschränkendes Element der funktionellen Zurechnung führt der Verfassungsgerichtshof nur die staatsanwaltliche Anordnung bzw. die gerichtliche Bewilligung an. Im Hinblick auf die vom Gesetzgeber im strafprozessualen Ermittlungsverfahren nach den §§ 98 ff StPO vorgesehene Leitungsfunktion der Staatsanwaltschaft kann das vom Verfassungsgerichtshof geforderte Element der funktionellen Zurechnung aber auch vor dem Hintergrund einer jederzeit möglichen Wahrnehmung dieser Leitungsfunktion durch den Staatsanwalt gesehen werden (vgl auch Eigner, Die neue Ermittlungsarbeit der Kriminalpolizei StPO-Neu Teil XII, ÖJZ 2008, 483). Bei dieser Sichtweise könnte mit X. davon ausgegangen werden, dass die Kriminalpolizei nur in einer ersten Phase des strafprozessualen Verfahrens "aus eigenem", d.h. für die Staatsfunktion Verwaltung, tätig wird. Ab der ersten Berichterstattung der Kriminalpolizei an den Staatsanwalt bzw ab dessen erster Anordnung müsste man kriminalpolizeiliche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zurechnen und somit entsprechend Art 90a B-VG als Akte der Gerichtsbarkeit auffassen (vgl B. Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht3 [2009], Rz 1023; tendenziell noch weitergehend Ratz, Überprüfung von Entscheidungen durch den OGH in Strafsachen, ÖJZ 2010, 984 f und FN 19 bis 21, der unter Hinweis auf die Bestimmungen der §§ 1 Abs 2, 2 Abs 1, 3 Abs 1, 5 Abs. 1, 93 Abs 1 1. Satz, 101 Abs 1 und 110 Abs 3 StPO die Kenntnis von Ermittlungshandlungen der Kriminalpolizei für die Zurechnung zur Staatsanwaltschaft als schlechthin bedeutungslos ansieht).

5. Aus den unter den Punkten 4.1. bis 4.4. dargelegten Gründen war die Beschwerde mangels eines tauglichen Beschwerdegegenstands jedenfalls unzulässig und zurückzuweisen. Hinsichtlich der vom Bf angeführten kriminalpolizeilichen Vernehmung am 1. Dezember 2011 ist kein sicherheitspolizeilicher Überhang vorhanden, welcher mit Beschwerde nach dem § 88 Abs 2 SPG bekämpft werden könnte. Es liegt alleine ein Handeln der Organe der Sicherheitsbehörde im Dienste der Strafrechtspflege gemäß § 18 StPO vor. Überdies befand sich der Bf schon längst in Untersuchungshaft und damit im strafprozessualen Verfahren. Wie dargelegt, sind auch dem Anliegen des Bf entsprechende Rechtsmittelmöglichkeiten gegen die Verwertung des Vernehmungsprotokolls im Hauptverfahren nach der Strafprozessordnung vorgesehen.

Eine Kostenentscheidung zugunsten des Bundes als des Rechtsträgers der belangten Behörde, die gemäß § 79a Abs 3 AVG als obsiegende Partei anzusehen ist, war nicht zu treffen, weil sie noch nicht ins Beschwerdeverfahren eingebunden wurde und ihr daher auch kein Verfahrensaufwand entstanden ist.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweise:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

Im gegenständlichen Verfahren sind Eingabengebühren für die Beschwerde von 14,30 und 4 Beilagen kurz (4 x 3,90) und 1 Beilage zu 3 Bögen (3 x 3,90), insgesamt daher von 41,60 Euro angefallen.

Dr. W e i ß

 

 

VwSen-440145/2/WEI/MB/Ba vom 7. Februar 2012

 

Beschluss

 

 

Rechtssatz 1

 

StPO §48 Abs1 Z1;

StPO §153;

StPO §164;

SPG §88 Abs2;

SPG §2 Abs2;

SPG §3;

SPG §22 Abs3

 

Polizeiliche Ermittlungshandlungen im Rahmen eines bereits begonnenen Strafprozesses stellen keine Besorgung der Sicherheitsverwaltung dar. Die Verletzung der Bestimmungen über die Vernehmung nach den §§ 153 und 164 der Strafprozessordnung, BGBl. Nr. 631/1975 idF BGBl. I Nr. 67/2011, eines in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten können daher nicht mittels Beschwerde (schlichte Polizeibeschwerde) gem § 88 Abs 2 Sicherheitspolizeigesetz, BGBl. Nr. 566/1991 idF BGBl. I Nr. 33/2011, geltend gemacht werden.

 

 

Rechtssatz 2

 

StPO §48 Abs1 Z1;

StPO §153;

StPO §164;

StPO §281 Abs1 Z2;

StPO §281 Abs1 Z4;

SPG §88 Abs2;

SPG §2 Abs2;

SPG §3;

SPG §22 Abs3

 

Es ist nicht Sinn und Zweck der schlichten Polizeibeschwerde gem § 88 Abs 2 Sicherheitspolizeigesetz, BGBl. Nr. 566/1991 idF BGBl. I Nr. 33/2011, Feststellungen zu Verfahrensfehlern im Strafprozess betreffend die Vernehmung des Beschuldigten zu treffen, welche nach dem konkreten Beschwerdevorbringen mittels Nichtigkeitsbeschwerde ausreichend geltend gemacht werden können (§ 281 Abs 1 Z 2 und 4 Strafprozessordnung, BGBl. Nr. 631/1975 idF BGBl. I Nr. 67/2011).

 

 

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