Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730126/10/BP/MB/Jo

Linz, 13.02.2012

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung des X, geboren am X, Staatsangehöriger der Türkei, vertreten durch Rechtsanwalt X, gegen den Bescheid des Bundespolizeidirektors von Linz vom 12. Oktober 2010, AZ: 1067289/FRB, betreffend eine Ausweisung des Berufungswerbers nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

 

            I.      Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

 

        II.      Eine Rückkehrentscheidung ist auf Dauer unzulässig.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1.1. Mit Bescheid des Bundespolizeidirektors von Linz vom 12. Oktober 2010, AZ: 1067289/FRB, wurde gegen den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 53 Abs.1 i.V.m. 31 Abs. 1, 1a und 66 des Fremdenpolizeigesetzes (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, die Ausweisung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich angeordnet.

 

1.1.2. Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass der Bw am 13. Jänner 2003 legal über Linz Hörsching nach Österreich eingereist sei. Der Bw habe daraufhin am 28. April 2003 beim Bundesasylamt, Außenstelle Linz einen Asylantrag gestellt. Dieser Asylantrag sei mit 30. März 2010 gem. §§ 7 und 8 AsylG negativ entschieden worden. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Juni 2010 sei daraufhin die Behandlung der Beschwerde abgelehnt worden.

 

Mit Schreiben vom 28. Juni 2010 sei dem Bw im Wege seiner Rechtsvertretung mitgeteilt worden, dass eine Ausweisung beabsichtigt sei und der Bw binnen zwei Wochen schriftlich dazu Stellung nehmen könne. In der Bezug habenden Stellungnahme vom 12. Juli 2010 gab der Bw im Wesentlichen an, dass er – zusätzlich zu dem von der belangten Behörde bereits festgestellten Sachverhalt – mit Schriftsatz vom 28. Juni 2010 beim Magistrat der Stadt Linz einen Antrag auf Erteilung einer "humanitären" Niederlassungsbewilligung gestellt habe und er für die langwierige Entscheidungsfindung im Asylverfahren nicht verantwortlich sei, da er in dieser Zeit keine Anträge gestellt habe. Die lange Verfahrensdauer sei alleine auf Versäumnisse der Asylbehörde zurückzuführen. Überdies sei sein Asylantrag seiner Ansicht nach als begründet anzusehen. Zudem hätte der Bw bei seiner Rückkehr in die Heimat keinen wirtschaftlichen Rückhalt, da er sein gesamtes Hab und Gut bei der Ausreise verkauft habe. Auch sei der Bw von seiner türkischen Ehefrau geschieden und für ein 10-jähriges Kind in der Türkei sorgepflichtig. Er habe in der Türkei lediglich die Volksschule besucht und darüber hinaus den Beruf des Koches und Kellners erlernt bzw. ausgeübt. Die Eltern und Geschwister des Bw würden in Österreich leben. Die Eltern würden den Bw auch materiell und psychisch unterstützen. Der Bw lebe überdies bei seinen Eltern. Während des Aufenthaltes habe sich der Bw einen großen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut. Auch sei der Bw während seines Aufenthaltes überwiegend einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen. Im Zeitpunkt der Stellungnahme würde der Bw aber Notstandshilfe beziehen, da er aufgrund psychischer Probleme nur eingeschränkt arbeitsfähig sei. Der Bw verfüge zudem über gute Deutschkenntnisse und habe sich in Österreich gut eingelebt und umfassend sozial wie privat integriert. Abschließend führe der Bw seine strafrechtliche Unbescholtenheit an.

 

1.1.3. In rechtlicher Hinsicht erkennt die belangte Behörde, dass aufgrund des 7 1/2 jährigen Aufenthaltes des Bw in Österreich und der bestehenden Deutschkenntnisse durch die Ausweisung ein nicht unerheblicher Eingriff in das Privatleben des Bw gegeben sei. Dieser werde jedoch dadurch relativiert, dass der Aufenthalt des Bw in Österreich aufgrund eines offensichtlich unbegründeten Asylantrages erfolgte. Überdies habe der Bw seine integrativen Elemente seit dem 16. April 2004 in Kenntnis seines unsicheren Aufenthaltes erworben. Der Umstand, dass der Bw strafrechtlich unbescholten sei und die deutsche Sprache beherrsche vermöge den persönlichen Interessen des Bw am Verbleib in Österreich keinen Durchbruch verleihen.

 

Ebenso relativiert werde die sonstige berufliche und soziale Integration des Bw.

 

Relativierend wirke hier auch die Volljährigkeit.

 

Darüber hinaus sei festzuhalten, dass der Bw seit 2008 keiner Beschäftigung mehr nachgehe und daher die berufliche Integration zu relativieren sei. Eine gemeinsame Meldeadresse mit dem Vater des Bw bestehe ebenso wenig, wie der Nachweis einer psychischen Erkrankung.

 

Weiters sei zu beachten, dass Geschwister und ein minderjähriges Kind des Bw in der Türkei aufhältig seien, der Bw erst im Alter von ca. 29 Jahren nach Österreich einreiste und somit den überwiegenden Teil seines Lebens in der Türkei verbracht habe. Zudem habe der Bw seine Schuldbildung und den Militärdienst in der Heimat absolviert. Eine berufliche Tätigkeit in der Heimat könne der Bw ebenso aufweisen. Aus all diesen Gründen sei entsprechend der belangten Behörde eine Reintegration des Bw möglich.

 

Zu erkennen sei weiters, dass sich der Bw seit dem 30. März 2010 rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte, da weder Einreise- noch Aufenthaltstitel vorlägen. Eine Übertretung der fremdenpolizeilichen Vorschriften stelle in diesem Zusammenhang nach der stRsp des Verwaltungsgerichtshofes einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar, da den entsprechenden Regeln des Fremdenwesens ein sehr hoher Stellenwert für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zugemessen werden könne.

 

Abschließend führt die belangten Behörde aus, dass auch aus der NAG-Antragstellung des Bw kein Rechtsanspruch auf Verbleib im Österreich abgeleitet werden könne. Zudem sei eine bereits erfolgte negative Stellungnahme der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich gem. § 44 Abs. 2 NAG im fremdenpolizeilichem Akt vorhanden.

 

1.2.1. Gegen diesen Bescheid erhob der Bw durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter mit Schriftsatz vom 2. November 2010 rechtzeitig Berufung und stellte darin die Anträge, die Berufungsbehörde möge eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung durchführen und den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufheben.

 

In eventu solle der gegenständliche Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden und das gegenständliche fremdenrechtliche Ausweisungsverfahren ersatzlos eingestellt werden.

 

In eventu solle der gegenständliche Bescheid aufgehoben werden und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidungsfindung an die Erstbehörde zurückverwiesen werden.

 

1.2.2. Einleitend weist der Bw darauf hin, dass einerseits aufgrund der Antragstellung gem. § 44 Abs. 4 NAG in Zusammenschau mit der Erfüllung der hier geforderten Kriterien der Aufenthalt des Bw seit dem negativen Abschluss des Asylverfahrens als rechtmäßig anzusehen sei und überdies die Anwendbarkeit des Assoziierungsabkommens mangels Vorliegens der normierten Voraussetzungen eine Ausweisung verhindere.

 

1.2.3. Sodann bringt der Bw in Zusammenhang mit der gem. Art 8 EMRK durchzuführenden Interessensabwägung über die Feststellungen der belangten Behörde hinaus vor, dass seine Eltern bereits seit Jahrzehnten in Österreich leben würden (Vater: 1989, Mutter: 1993) und ihnen durch Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 25. April 2005 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde. Weiters bringt der Bw vor, dass er am Projekt X teilgenommen habe. Betreffend die Reintegration des Bw bringt dieser vor, dass die in der Türkei lebenden Geschwister keine Hilfe bieten können, da er den Kontakt seit seinem Aufenthalt in Österreich abgebrochen habe. Auch sei ihm eine "Auseinandersetzung" mit der Heimat nicht mehr zumutbar. Die Zeit in Österreich habe zudem wesentlich für seine Bildung und Persönlichkeitsformung gesorgt, da nur die – untergeordnet zu wertenden – Jugendjahre in der Türkei verbracht wurden. Der Bw habe die Volksschule in X besucht (1981-1986) und habe von 1988-1995 den Beruf des Koch/Kellners gelernt und diesen sodann bis 2000 ausgeübt. Zu seiner beruflichen Integration bringt der Bw weiters vor, dass er im Jahr 2009 eine Qualifizierungsmaßnahme absolviert habe ("Link 2008").

 

2.1.1. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion – nach In-Krafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich übermittelt wurde.

 

2.1.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde, durch Einsichtnahme in das Elektronische Kriminalpolizeiliche Informationssystem und Einholung eines aktuellen Sozialversicherungsdatenauszuges.

 

2.1.3. Darüber hinaus wurde der Bw mit Schreiben vom 19. Dezember 2011 im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung zur Abgabe einer Stellungnahme betreffend die aktuelle Situation im Hinblick auf seine soziale und berufliche Integration, sowie den Stand der vorgebrachten psychischen Probleme aufgefordert. Diesbezüglich gab der Bw mit Schreiben vom 18. Jänner 2012 – über sein Berufungsvorbringen hinaus – an, dass er auch derzeit mit seinen Eltern und seinem Bruder in einer ausreichend großen Mietwohnung leben würde, keine psychischen Probleme (mehr) habe und überdies einen Arbeitsvorvertrag mit Herrn X als Servicemitarbeiter vorweisen könne. Insofern wird letztgenannter Vertrag vom 16. Jänner 2012, ein Sozialversicherungsdatenauszug vom 13. Jänner 2012, ein aktueller Mietvertrag und sowie die Erklärung des Bruders sowohl für die Unterkunft wie für den Unterhalt und sonstige Ausgaben aufzukommen, beigebracht.

 

Mit elektronischer Übermittlung vom 13. Februar 2012 bringt der Bw weiters eine Anmeldebestätigung für den Grundkurs Deutsch A2 bei und legt eine positive Teilnahmebestätigung am Projekt "Link 2008" vor, welche die Absolvierung des Moduls: Deutsch Sprach- und Integrationskurs beiinhaltet.

 

2.1.4. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

2.2.1. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1. und 2. dieses Erkenntnisses dargestellten Sachverhalt aus. Abweichend wird lediglich festgestellt, dass der Bw mit seiner Mutter und seinem Bruder in einer Wohnung in Haushaltsgemeinschaft lebt. Einerseits ist als Bestandnehmer die Mutter des Bw ausgewiesen und andererseits zeigt die Melderegisterauskunft vom 10. Februar 2012, dass der Bw bisher mit der Mutter und dem Bruder X, geb. X, gemeinsam in der X wohnhaft war. Eine aktuelle Meldung an der nunmehrigen Bestandsadresse (X) scheint nicht auf. Der Vater ist hingegen seit 30. April 1998 durchgehend in der X eigenständig gemeldet.

 

2.2.2. Zusätzlich dazu ergibt die am 30. Jänner 2012 durchgeführte Abfrage der AI Datenbank, dass der Bw von 9. Jänner 2003 bis zum 30. April 2003 eine Aufenthaltserlaubnis als Saisonarbeitskraft aufweisen konnte, er jedoch in dieser Zeit keiner Arbeitstätigkeit nachging.

 

3.1.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

4.1.1 In der Sache hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

 

4.1.2. Gemäß § 125 Abs. 14 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 53 als Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden ist.

 

4.1.3. Die bekämpfte Ausweisung wurde auf Basis des § 53 FPG in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011, erlassen, weshalb diese Ausweisung als Rückkehrentscheidung im Sinne des § 52 FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 anzusehen und zu beurteilen ist.

 

4.1.4. Auch Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation, welches durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1964 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde, bewirkt keine begünstigende Rechtsstellung, da die Beschäftigungszeit des Bw während des Asylverfahrens stattgefunden hat. Die hier dennoch nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz vorgesehene Berechtigung zur – eingeschränkten – Teilnahme am österreichischen Arbeitsmarkt führt eben nicht dazu, dass der Bw aus dem zuvor genannten Beschluss ARB Nr. 1/80 Rechte ableiten kann (vgl dazu ausführlich VwGH vom 9. November 2009, Zl. 2008/09/0346 mwN).

 

4.1.5. Zusätzlich dazu ist zu erkennen, dass der Bw weder Familienangehöriger gem. §§ 2 Abs. 4 Z 12 i.V.m. 65b FPG noch begünstigter Drittstaatsangehöriger gem. §§ 2 Abs. 4 Z 11 i.V.m. 65a FPG ist.

 

4.2.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, ist somit gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

4.2.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass der Bw über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet mehr verfügt und somit grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig ist. Entgegen den Ausführungen des Bw kann aus der bloßen Antragstellung gem. § 44 Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (in der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Fassung; in der Folge mit der Beifügung "alt" ausgewiesen) die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes nicht abgeleitet werden. Dem steht auch nicht die Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Zl. 2009/21/0149 vom 14. September 2009 entgegen, da demnach alleine aus der Antragstellung bzw. dem Anhängigsein eines Verfahrens nach § 44 Abs. 4 NAG (alt) kein Aufenthaltsrecht abzuleiten ist. Folglich besteht auch für die Fremdenpolizeibehörde kein Hindernis für die Verhängung einer Ausweisung. Vielmehr besteht nach der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Verpflichtung des Drittstaatsangehörigen in dieser Verfahrensphase das Bundesgebiet zu verlassen bzw. ist der Drittstaatsangehörige davor geschützt abgeschoben zu werden.

 

Bei der Beurteilung der Ausweisung bzw. der Rückkehrentscheidung gilt es zudem auch auf Art. 8 EMRK sowie § 61 FPG Bedacht zu nehmen.

 

4.3.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

4.3.2. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Nach § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der        bisherige          Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des      Asyl-          Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem   Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren   Aufenthaltstatus bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Nach § 125 Abs. 20 FPG, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 38/2011 vorgenommene Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 66 als Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 61 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

4.4.1. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessenabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

Gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte ist es grundsätzlich zulässig und erforderlich, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Rückkehrentscheidung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

4.4.2. Zu erkennen ist zunächst, dass durch die Rückkehrentscheidung in das eingeschränkt vorhandene kernfamiliäre Leben des Bw eingegriffen wird. Der Bw lebt gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Bruder in der Wohnung der Mutter. Entsprechend dem Vorbringen des Bw trägt der Bruder (X) die Kosten der Unterkunft (arg. "... in meiner Wohnung ...") obschon die Mutter als Hauptmieterin im Bestandsvertrag angeführt ist. Auch den Lebensunterhalt für den Bw bestreitet X. Mit der belangten Behörde kann somit erkannt werden, dass die privaten Interessen am Erhalt der kernfamiliären Bande des Bw als eher gering anzusehen sind. Es besteht zwar zwischen Mutter und Sohn und dessen Bruder eine Haushaltsgemeinschaft – nicht aber mit seinem Vater –, doch ist diese aufgrund des Alters des Bw und seiner grundsätzlich vorliegenden Selbsterhaltungsfähigkeit nicht als besonders schützenswert anzusehen. Das private Interesse am Erhalt dieser Verbindung ist daher eher gering angesiedelt.

 

4.4.3. Der belangten Behörde folgend ist somit im Wesentlichen eine Interessensabwägung gemäß § 61 Abs. 2 FPG hinsichtlich des Privatlebens des Bw vorzunehmen.

 

Im Hinblick auf den über 9 Jahre währenden Aufenthalt in Österreich ist im Besonderen auf die jüngste Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abzustellen. Wie folgt wiedergegeben wird, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348, einer sozialen Integration, obwohl sie in einem Zeitraum entstanden ist, während dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war, Gewicht beigemessen und diese nicht als unbeachtlich angesehen.

 

Das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich ist in seinem Gewicht gemindert, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (Erkenntnis vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293; Erkenntnis vom 29. September 2009, Zl. 2009/21/0253; VfGH vom 3. März 2008, B 825/07 mit Bezug auf die Urteile des EGMR vom 31. Jänner 2006, Rodrigues da Silva und Hoogkaamer gegen die Niederlande [Beschwerde Nr. 50435/99] und vom 31. Juli 2008, Darren Omoregie u.a. gegen Norwegen [Beschwerde Nr. 265/07]). Der EGMR stellt in den angesprochenen Urteilen darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist. Sei das der Fall, bewirke eine Ausweisung des ausländischen Familienangehörigen nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Art 8 EMRK (vgl.: Erkenntnis vom 19. Februar 2009, Zl. 2008/18/0721, Erkenntnis vom 30. April 2009, Zl. 2009/21/0086). In diesem Sinn ist nach der Z. 8 des § 66 Abs. 2 FPG [in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011] aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Annordnung bei der Interessensabwägung darauf Bedacht zu nehmen, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war. Freilich hat die genannte Bestimmung schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte.

 

Im Erkenntnis vom 20. Jänner 2011, Zl. 2010/22/0158, hat der Verwaltungsgerichtshof bei einen über 10 Jahre bestehenden Aufenthalt des Fremden, dem persönlichen Interesse des Fremden am Verbleib in Österreich ein solches Gewicht beigemessen, dass eine Ausweisung unzulässig ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat dabei wie folgt ausgeführt: Der Beschwerdeführer verweist auf seine Erwerbstätigkeit und darauf, dass er sich während seines Aufenthaltes in Österreich "in privater Hinsicht sehr gut integriert" habe. Die belangte Behörde hob zwar zu Recht hervor, dass dem Beschwerdeführer bereits nach erstinstanzlicher Abweisung seines Asylantrages die Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst war, er somit nicht mit einem legalen Aufenthalt in Österreich rechnen durfte. Sie ist auch darin im Recht, dass dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. für viele etwa das Erkenntnis vom 6. Juli 2010, 2008/22/0688). Dementsprechend haben Fremde nach Abweisung ihres Asylantrages grundsätzlich den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet herzustellen. Demgegenüber vermag der Beschwerdeführer jedoch einen bereits über zehnjährigen Aufenthalt in Österreich für sich ins Treffen zu führen und es stellte die belangte Behörde auch fest, dass er erwerbstätig ist. Diese Umstände verleihen dem persönlichen Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich ein solches Gewicht, dass die Ausweisung – auch bei einem Eingriff nur in sein Privatleben – unverhältnismäßig erscheint (vgl. zu ähnlichen Fällen etwa die Erkenntnisse vom 26. August 2010, Zlen 2010/21/0206 und 2010/21/0009).

 

4.4.4. Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, befindet sich der Bw nun schon mehr als 9 Jahre im Bundesgebiet. Er verfügte für den überwiegenden Teil über eine Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber, ging vom 9. Mai 2005 bis zum 16. Oktober 2008 einer Erwerbstätigkeit nach und war in dieser Zeit selbsterhaltungsfähig und sozialversichert. Zudem hat sich der Bw vom 26. August 2010 bis zum 31. März 2011 gem. § 16 ASVG selbst versichert.

 

In Ansehung des 9-jährigen Aufenthalts des Bw kann diesem somit im Sinne der Rsp. des Verwaltungsgerichtshofes ein hohes Maß an Integration zugemessen werden. Dafür spricht insbesondere die Berufstätigkeit des Bw, welche auch von der belangten Behörde nicht in Abrede gestellt wird. Zusätzlich dazu zeigt das Engagement des Bw im Rahmen von Qualifizierungsmaßnahmen im Jahr 2009, dass eine weitere Intensivierung der beruflichen Integration vorangetrieben wird. Letztlich kann auch der schriftliche Arbeitsvorvertrag vom 17. Jänner 2012 als Indiz für dieses integrative Element gewertet werden. Eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit des Bw ist nicht (mehr) gegeben.

 

Als – wenn auch schwaches – weiteres integratives Moment können die zahlreichen Unterstützungserklärungen gewertet werden. Sie deuten auf ein dennoch bestehendes soziales Netzwerk hin, welches über die bloße berufliche Integration hinausgeht. Zudem befindet sich zusätzlich zu seinem Bruder (X) auch seine Schwester (X) in Österreich. Da auch die Eltern des Bw in Österreich leben und seit dem Jahr 2005 die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und der Bw unbestritten starken Kontakt mit seinen Eltern hat, wird dahingehend die eingangs erwähnte Indizwirkung für das vorhandene soziale bzw. gesellschaftliche Netzwerk bestätigt.

 

Positiv kann auch die strafrechtliche Unbescholtenheit des Bw und dessen Nachweis über die Deutschkenntnisse erkannt werden.

 

Demgegenüber steht lediglich der Umstand, dass der Bw keine eigene kernfamiliäre Bindung im engeren Sinn an Österreich hat. Seine ehemalige Ehefrau und seine 13-jährige Tochter befinden sich im Heimatstaat.

 

Zu bemerken ist auch, dass der Bw erst im Alter von ca. 29 Jahren nach Österreich eingereist ist, seine Ausbildung und erste berufliche Erfahrungen im Heimatstaat absolviert hat. Auch seinen Militärdienst hat der Bw in der Türkei absolviert. Eine Reintegration des Bw erscheint daher – der belangten Behörde folgend – möglich, wenn auch durch die sehr lange Dauer der Abwesenheit mit erheblichen Aufwendungen und Einbußen für den Bw behaftet.

 

Nicht zuletzt ist auch davon auszugehen, dass gemäß § 61 Abs.2 Z9 FPG von einer eher in die Sphäre der Behörden fallenden langen Verfahrensdauer gesprochen werden muss.

 

Die dargelegten Umstände verleihen daher dem persönlichen Interesse des Bw am Verbleib in Österreich ein solches Gewicht, dass die Ausweisung unverhältnismäßig ist (vgl zu ähnlichen Konstellationen VwGH vom 26. August 2010, Zlen. 2010/21/0206 und 2010/21/0009).

 

4.4.5. Im Ergebnis ist daher auch eine Rückkehrentscheidung im Hinblick auf das Privatleben des Bw gem § 61 Abs. 3 FPG auf Dauer unzulässig.

 

4.5. Es war daher der Berufung stattzugeben, der angefochtene Bescheid aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.

 

5. Im Hinblick darauf, dass der Bw entsprechend seiner Angaben ausreichend der deutschen Sprache mächtig ist, konnte gemäß § 59 Abs. 1 FPG von der Übersetzung des Spruches und der Rechtsmittelbelehrung Abstand genommen werden.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 31,70 Euro angefallen.

 

Bernhard Pree

 

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