Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-281296/22/Py/Hu

Linz, 01.03.2012

E r k e n n t n i s

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Andrea Panny über die Berufung des Arbeitsinspektorates Vöcklabruck, Ferdinand-Öttl-Straße 12, 4840 Vöcklabruck,  gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Perg vom 31. Dezember 2010, Ge96-52-2010, mit dem das gegen Herrn x, vertreten durch x, eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretungen nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) eingestellt wurde, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 3. Februar 2012 zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird Folge gegeben und folgender Spruch gefällt:

 

"Sie haben als verantwortlicher Beauftragter gemäß § 9 Abs.2 VStG der Arbeitgeberin x, zu verantworten, dass am 23.6.2010 um 17.40 Uhr auf der Baustelle ÖBB Streckenausbau zwischen Taufkirchen an der Pram und Schärding bei km 63,219

1.       der Arbeitnehmer der x Herr x, geb. am x, mit Arbeiten im Gefährdungsbereich von in Betrieb befindlichen Gleisen beschäftigt wurde, obwohl keine geeigneten Sicherungsposten eingesetzt wurden und weder die Sicherheit der in diesem Bereich tätigen Arbeitnehmer auf andere Weise sichergestellt wurde, noch Sicherungsposten vom Bahnbetreiber beigestellt wurden;

2.       der Arbeitnehmer x mit Arbeiten im Gleisbereich beschäftigt wurde, obwohl kein Aufsichtsorgan des Bahnbetreibers hiezu nachweislich die Bewilligung erteilt hat und

3.       der Arbeitnehmer x im Bereich der Gleisanlage beschäftigt wurde, obwohl er keine Warnkleidung trug.

 

Dadurch haben Sie die Übertretung der Bestimmung des § 108 Abs.1 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV), BGBl.Nr. 340/1994 idF BGBl.II.Nr. 409/2009 (Faktum 1), § 108 Abs.2 BauV (Faktum 2) und § 108 Abs.4 BauV (Faktum 3) zu verantworten und werden über Sie gemäß § 130 Abs.5 Z1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG), BGBl.Nr. 450/94 idgF iVm § 161 BauV folgende Strafen verhängt:

 

zu 1.:               eine Geldstrafe von 1.200 Euro, für den Fall der                                       Uneinbringlichkeit eine Ersatzfrei­heitsstrafe von 55 Stunden,

zu 2.:               eine Geldstrafe von 1.200 Euro, für den Fall der                                       Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 55 Stunden,

zu 3.:               eine Geldstrafe von 500 Euro, für den Fall der                                          Uneinbringlichkeit  eine  Ersatzfreiheitsstrafe von 23                          Stunden."

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs.4 Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl.Nr. 51/1991 idgF iVm §§ 19, 24 und 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), BGBl.Nr. 52/1991 idgF.

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Bescheid vom 31. Dezember 2010, Gz. Ge96-52-2010, wurde von der Bezirkshauptmannschaft Perg von der Fortführung des gegen Herrn x, vertreten durch x, als verantwortlicher Beauftragter der x, wegen des Verdachts von Übertretungen von ArbeitnehmerInnenschutzvorschriften eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren abgesehen und gemäß § 45 Abs.1 Z2 erster Fall VStG die Einstellung verfügt.

 

In der Begründung führt die belangte Behörde unter Wiedergabe des Verfahrensganges und der Rechtsgrundlagen aus, dass nach dem vorliegenden Sachverhalt und den vorhandenen Beweismitteln die Arbeiten durch die Firma x im Gefährdungsbereich der Gleisanlagen beim gegenständlichen Streckenausbau in Übereinstimmung mit den Einsatzzeiten der Sicherheitsposten um 17.00 Uhr eingestellt wurden. Der Unfall ereignete sich daher außerhalb der Arbeitszeit, also in der Freizeit des Verunglückten. Für das Verhalten und Handeln von Arbeitnehmern in ihrer Freizeit kann nicht der Arbeitgeber zur Verantwortung gezogen werden. Für eine Zuwiderhandlung gegen die Bestimmungen des § 108 BauV während der regulären Arbeitszeit, also der Zeit, in der der Arbeitnehmer im Auftrag und unter der Verantwortung des Arbeitgebers Handlungen oder Unterlassungen setzt, liegen im gegenständlichen Fall keine Beweise vor und hat der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung daher nicht begangen. Das gegen den für die gegenständliche Baustelle verantwortlichen Baupolier Herrn x geführte strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen des Verdacht eines Vergehens nach § 80 Abs.1 StGB wurde eingestellt.

 

2. Dagegen richtet sich die rechtzeitig vom Arbeitsinspektorat Vöcklabruck als am Verfahren beteiligte Organpartei eingebrachte Berufung vom 17. Jänner 2011. Darin wird zunächst zusammengefasst vorgebracht, dass eine Einstellung des gegen den Baupolier Herrn x eingeleiteten Ermittlungsverfahrens nach § 190 StPO keinerlei Auswirkung auf das gegenständliche, hinsichtlich des verantwortlich Beauftragten der Firma x angezeigte Verfahren habe. Es widerspreche jeder Logik und Lebenserfahrung, dass sich ein Arbeitnehmer in seiner Freizeit 40 Minuten nach Arbeitsende noch immer genau an jener Stelle aufhält, an der er seine Arbeit zuvor beendet haben soll. Diese Stelle am Bahndamm war weder leicht zu erreichen noch stellt er einen Ort dar, an dem ein arbeitender Mensch üblicherweise nach einem vollen Arbeitstag im Sommer seine Freizeit verbringt. Es stelle sich auch die Frage, welche privaten Interessen der Tote auf besagtem Bahndamm 40 Minuten nach Arbeitsende verfolgt haben soll, zumal er nach Aussagen seines vorgesetzten Poliers sehr zuverlässig und genau arbeitete. Das Arbeitsinspektorat geht daher davon aus, dass der Grund der Anwesenheit des Verunglückten auf jener Baustelle in Schärding sein Arbeitsauftrag war und wird daher eine Abänderung des angefochtenen Bescheides und Bestrafung des Berufungswerbers im Sinn der Strafanzeige vom 13. Juli 2010 des Arbeitsinspektorates Vöcklabruck beantragt.

 

3. Mit Schreiben vom 25. Jänner 2011 legte die belangte Behörde die Berufung samt dem bezughabenden Verwaltungsstrafakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat zur Entscheidung vor. Da mit der erstbehördlichen Entscheidung keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, ist dieser zur Entscheidung durch sein nach der Geschäftsverteilung zuständiges Einzelmitglied berufen (§ 51c VStG).

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Akteneinsicht, Einsicht in den Akt der Staatsanwaltschaft Ried/Innkreis zu x  und Anberaumung und Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 3. Februar 2012. An dieser haben der Beschuldigte und sein Rechtsvertreter sowie ein Vertreter des zuständigen Arbeitsinspektorates als Parteien teilgenommen. Als Zeugen wurden Herr x sowie Herr x einvernommen.

 

4.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von folgendem Sachverhalt aus:

 

Der Beschuldigte, Herr Baumeister x, wurde von der x zum verantwortlich Beauftragten für die Einhaltung der ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen beim Bauvorhaben ÖBB Streckenausbau 4775 Taufkirchen/Pram bis 4780 Schärding, km 62,3 bis km 66,35 Strecke Wels-Passau für den Bereich Unterbau-, Brückenbau-, Entwässerung-, Wasserbau-, Lärmschutz- und SFE-Leistungen bestellt.

 

Zur Durchführung von Aufschüttungsarbeiten im Dammbereich der Bahnstrecke war es erforderlich, die dort verlegten Kabeln zunächst durch einen Bagger zu heben, an die Gleise zu legen und mit Verknotung zu sichern, damit sie nach Aufschüttung der Böschung wieder in den Bahndamm eingebracht werden konnten. Mit dieser Aufgabe war Herr x, geb. am x, betraut, der seit 1. März 2010 Arbeitnehmer der x war und für diese Baustelle eingestellt wurde. Bei seinem Eintritt in das Unternehmen erfolgte eine Grundunterweisung über Sicherheit und Gesundheitsschutz, auf der Baustelle wurde er über die Gefahren des Bahnbetriebes bzw. die Besonderheiten der Baustelle und die erforderlichen Maßnahmen zur Gefahrenverhütung hingewiesen und wurde ihm unter anderem auch eine Schutzweste ausgehändigt.

 

Die erforderlichen Arbeiten mussten im Bereich von in Betrieb befindlichen Gleisanlagen durchgeführt werden. In der Zeit vom 28. Juni 2010 bis 2. Juli 2010 erfolgte eine Absicherung des betroffenen Streckenabschnitts jeweils von 07:00 Uhr bis 17:00 Uhr durch Sicherungspersonal der x und lag für diese Arbeitszeit eine Bewilligung für die Arbeiten im Gefährdungsbereich der Bahn vor.

 

Auch am 29. Juni 2010 beendeten die Sicherungsposten wie üblich um ca. 17.00 Uhr ihre Tätigkeit. Da seine Arbeitszeit jedoch erst um 18.00 Uhr endete, führt Herr x, der zu diesem Zeitpunkt keine Warnweste trug, noch Abschlussarbeiten durch. Dabei wurde er um ca. 17:40 Uhr von dem aus Passau Richtung Wels fahrenden Regionalexpresszug 5927 erfasst und getötet.

 

4.2. Dieser Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt und dem Ergebnis der mündlichen Berufungsverhandlung vom 3. Februar 2011. Zunächst ist hinsichtlich der Feststellung des wesentlichen Sachverhaltes, wonach der Unfall nicht in der Freizeit sondern während der Arbeitszeit des Arbeitnehmers x stattfand, auf die glaubwürdige Aussage des für die gegenständliche Baustelle zuständigen Baupoliers, Herr x, zu verweisen, wonach die Arbeitszeit des der Arbeitnehmer der Firma x am Unfalltag erst um 18:00 Uhr endete (vgl. Tonbandprotokoll Seite 4: "Wir konnten im Gefahrenbereich der Gleise arbeiten, solange wir unsere SIPOs hatten, das war in diesem Fall bis 17.00 Uhr. Wir haben aber bis 18.00 Uhr gearbeitet, aber eben außerhalb dieses Bereiches"). Eine entsprechende Aussage wurde von Herrn x im Übrigen bereits bei seiner polizeilichen Einvernahme nach dem Unfallgeschehen am 20. Juli 2010 gemacht (vgl. die im Akt einliegende Niederschrift mit Herrn x: "Ich denke, dass es kein Selbstmord war, sondern ein Arbeitsunfall"). Auch der Bw gestand in der Berufungsverhandlung ein, dass auch außerhalb der Zeiten, in denen vom Bahnbetreiber eine Bewilligung für Arbeiten im Gleisbereich erteilt wurde und Sicherungsposten beigestellt waren, Bauarbeiten durchgeführt wurden (vgl. TBP S. 2: "Natürlich gab es auch Arbeiten, die die Zuführungsarbeiten zur Baustelle betrafen oder Vorbereitungsarbeiten für den nächsten Tag. ... Da es sich dabei um Arbeiten gehandelt hat, die nicht am Schienenstrang selbst durchzuführen waren, konnten diese auch außerhalb der Tätigkeit der SIPOs durchgeführt werden"). Auch der ebenfalls zum Unfallszeitpunkt anwesende Baggerfahrer, Herr x, gab als Zeuge befragt an, dass er zu diesem Zeitpunkt noch mit Abschluss- und Vorbereitungsarbeiten für den nächsten Tag beschäftigt war. Für das erkennende Mitglied des Unabhängigen Verwaltungssenates steht daher zweifelsfrei fest, dass der am 29. Juni 2010 um ca. 17:40 Uhr bei den gegenständlichen Bauarbeiten tödlich verunglückte Herr x im Auftrag und unter der Verantwortung der Firma x Arbeiten durchführte.

 

Die Sachverhaltsfeststellungen hinsichtlich der erfolgten Sicherheitsunterweisungen gehen im wesentlichen aus der Aussage des Bw und seiner schriftlichen Rechtfertigung vom 30. August 2010 hervor und sind in dieser Form auch unbestritten, ebenso der Umstand, dass der verunfallte Arbeitnehmer zum Tatzeitpunkt keine Warnkleidung trug, was im Übrigen auch aus der im Akt einliegenden Fotodokumentation über das Unfallgeschehen ersichtlich ist.

 

5. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

5.1.1. Gemäß § 9 Abs.1 VStG ist für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder eingetragenen Personengesellschaften, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen und soweit nicht verantwortlich Beauftragte (Abs.2) bestellt sind, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist.

 

Gemäß § 9 Abs.2 VStG sind die zur Vertretung nach außen Berufenen berechtigt und, soweit es sich zur Sicherstellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit als erforderlich erweist, auf Verlangen der Behörde verpflichtet, aus ihrem Kreis eine oder mehrere Personen als verantwortlich Beauftragte zu bestellen, denen für das gesamte Unternehmen oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche desselben die Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt; für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens können aber auch andere Personen zu verantwortlich Beauftragten bestellt werden. Soweit solche verantwortlichen Beauftragten bestellt wurden, finden die Strafbestimmungen auf sie Anwendung.

 

5.1.2. Seitens des Beschuldigten wurde nicht bestritten, dass er von der Firma x zum verantwortlichen Beauftragten für das gegenständliche Bauvorhaben bestellt wurde und daher für die Einhaltung der ArbeitnehmerInnenschutzvorschriften auf dieser Baustelle die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung trug.

 

5.2.1. Gemäß § 108 Abs.1 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV), BGBl. Nr. 340/1994 idgF sind Bau- und Erhaltungsarbeiten im Bereich von Gleisen von in Betrieb befindlichen Eisenbahnen unter Bedachtnahme auf die besonderen Gefahren des Eisenbahnbetriebes auszuführen. Werden Arbeiten im Gefährdungsbereich von in Betrieb befindlichen Gleisen durchgeführt und wird die Sicherheit der in diesem Bereich tätigen Arbeitnehmer nicht auf andere Weise sichergestellt, sind geeignete Sicherungsposten einzusetzen, soweit nicht Sicherungsposten vom Bahnbetreiber beigestellt werden.

 

Gemäß § 108 Abs.2 BauV darf mit Arbeiten im Gleisbereich erst begonnen werden, nachdem ein Aufsichtsorgan des Bahnbetreibers hiezu nachweislich die Bewilligung erteilt hat und die erforderlichen Sicherungsposten die Sicherung der Arbeitnehmer übernommen haben.

 

Gemäß § 108 Abs.4 erster Satz BauV müssen Sicherungsposten und alle im Bereich der Gleisanlagen Beschäftigten Warnkleidung tragen.

 

Gemäß § 161 BauV sind Übertretungen dieser Verordnung nach § 130 Abs.5 Z1 ASchG zu bestrafen.

 

Gemäß § 130 Abs.5 Z1 begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 145 Euro bis 7.260 Euro, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von 290 Euro bis 14.530 Euro zu bestrafen ist, wer als Arbeitgeber/in den nach dem 9. Abschnitt weiter geltenden Bestimmungen zuwiderhandelt.

 

5.2.2. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens steht als erwiesen fest, dass der bei der Firma x tätige Arbeitnehmer Herr x am 29. Juni 2010 auf der Baustelle ÖBB Streckenausbau Taufkirchen an der Pram – Schärding bei km 63,219 um 17.40 Uhr mit Arbeiten im Gefährdungsbereich von in Betrieb befindlichen Gleisen beschäftigt wurde, obwohl keine geeigneten Sicherungsposten eingesetzt wurden und weder die Sicherheit der in diesem Bereich tätigen Arbeitnehmer auf andere Weise sichergestellt wurden noch Sicherungsposten vom Bahnbetreiber beigestellt wurden, für diese Beschäftigung keine Bewilligung durch ein Aufsichtsorgan des Bahnbetreibers erteilt wurde und der Arbeitnehmer keine Warnbekleidung trug.

 

Der objektive Sachverhalt der gegenständlichen Verwaltungsübertretung ist daher als erfüllt zu werten.

 

5.3. Der Beschuldigte bringt jedoch vor, dass ihn an diesem Fehlverhalten des Arbeitnehmers, dem eine Warnweste ausgehändigt wurde, der ausreichend über die Gefahren unterwiesenen wurde und der angehalten war, nachdem sich die Sicherungsposten entfernt hatten nicht mehr im Bereich des Gleiskörpers zu arbeiten, kein Verschulden trifft.

 

Gemäß § 5 Abs.1 VStG genügt, wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nichts anderes bestimmt, zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (Ungehorsamsdelikt).

 

Auch bei den gegenständlichen Verwaltungsübertretungen handelt es sich um Ungehorsamsdelikte, da zum Tatbestand der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört. Es genügt daher fahrlässige Tatbegehung. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat der Beschuldigte initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. Dies hat in erster Linie durch geeignetes Tatsachenvorbringen und durch Beibringung von Beweismitteln oder die Stellung konkreter Beweisanträge zu geschehen. Bloßes Leugnen oder allgemein gehaltene Behauptungen reichen für die "Glaubhaftmachung" nicht. Im Fall eines Ungehorsamsdelikts tritt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insofern eine Umkehr der Beweislast ein, als die Behörde lediglich die Beweislast hinsichtlich der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes trifft, während es Sache des Täters ist, glaubhaft zu machen, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (VwGH vom 14. September 2001, 2000/02/0181). Eine solche Glaubhaftmachung bedarf der Dartuung, dass der Beschuldigte trotz Entfaltung zumutbarer Maßnahmen nicht die Möglichkeit hatte, die angelastete Verwaltungsübertretung hintan zu halten (VwGH vom 12. Juni 1992, 92/18/0135).

 

Das Vorbringen des Beschuldigten war jedoch nicht geeignet darzutun, dass er bei der gegenständlichen Baustelle durch die Einrichtung geeigneter organisatorischer Maßnahmen und Kontrollen die Einhaltung der Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzes in ausreichendem Ausmaß sichergestellt hat. Er bringt vor, dass der Arbeitnehmer sowohl hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitsvorschriften als auch hinsichtlich der besonderen Gefahren bei Arbeiten im Gleisbereich entsprechend unterwiesen wurde und ihm auch eine entsprechende Schutzausrüstung ausgehändigt wurde und die ausdrückliche Anordnung bestand, außerhalb der Sicherungszeiten durch die von der ÖBB beigestellten Sicherungsposten keine Arbeiten im Gleisbereich durchzuführen. Mit diesem Vorbringen ist es ihm jedoch nicht gelungen darzulegen, dass ein ausreichendes Kontrollsystem eingerichtet war, um die gegenständliche Verwaltungsübertretung hintan zu halten. Im Sinn der Arbeitnehmerschutzbestimmungen und der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat der Arbeitgeber dafür Sorge zu tragen, dass die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sowie der dazu erlassenen Verordnungen eingehalten werden. Ist er selbst nicht anwesend, hat er einen geeigneten Arbeitnehmer zu bestimmen, der auf die Durchführung und Einhaltung der zum Schutz der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen zu achten hat. Der dem Beschuldigten nach § 5 Abs.1 VStG obliegende Entlastungsbeweis kann nicht allein dadurch erbracht werden, dass die ihn betreffende Verantwortung auf eine hiezu taugliche Person übertragen wurde. Es bedarf vielmehr des weiteren Beweises, dass auch für eine geeignete Kontrolle der mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben beauftragten Person Vorsorge getroffen worden ist (vgl. VwGH vom 18.9.1991, 90/19/0177, vom 13.12.1990, 90/09/0141). Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes reichen die bloße Erteilung von Weisungen und die Wahrnehmung einer "Oberaufsicht" nicht aus (vgl. VwGH vom 30.6.1994, 94/09/0049). Entscheidend ist, ob auch eine wirksame Kontrolle über die Einhaltung der vom Verantwortlichen erteilten Weisungen erfolgte. In diesem Sinn führt der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 20.12.2002, Zl. 99/02/0220, aus, dass der Hinweis auf die Betrauung Dritter mit Kontrollaufgaben, auf die Erteilung entsprechender Weisungen und auf stichprobenartige Überprüfungen nicht den Anforderungen eines wirksamen Kontrollsystems genügt (vgl. auch VwGH vom 23.5.2006, 2005/02/0248). Wie und in welcher Weise eine Überprüfung erfolgte, ob die erteilten Aufträge und Weisungen – gerade bei Arbeiten außerhalb der Sicherungszeiten der Baustelle durch die Streckenposten – bei Ausführung der Arbeiten auch eingehalten werden, legte der Bw nicht dar. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat gerade für den Fall, dass die Arbeitnehmer aus eigenem Antrieb aufgrund eigenmächtiger Handlungen gegen die Arbeitnehmerschutzvorschriften verstoßen, das entsprechende, vom Arbeitgeber eingerichtete Kontrollsystem Platz zu greifen. Auch im gegenständlichen Verfahren zeigt das eigenmächtige Verhalten des verunfallten Arbeitnehmers zum Tatzeitpunkt, dass kein wirksames Kontrollsystem im Sinn der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vorhanden war. Die Verantwortung des Beschuldigten, wonach der tödlich verletzte Arbeitnehmer auf Eigeninitiative ohne entsprechende Anweisung tätig wurde, vermag ihn daher nicht zu entlasten (vgl. auch VwGH vom 23.7.2004, 2004/02/0002 mit Vorjudikatur).

 

Im Sinn dieser Judikatur reicht daher das Vorbringen des Beschuldigten nicht aus, um ihn von seinem Verschulden zu befreien. Es war daher auch vom Verschulden des Beschuldigten, nämlich von fahrlässiger Tatbegehung, auszugehen.

 

6. Gemäß § 19 Abs.1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.

 

Nach § 19 Abs.2 VStG sind im ordentlichen Verfahren überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

 

Laut ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei der Strafzumessung innerhalb eines gesetzlichen Strafrahmens um eine Ermessensentscheidung, die nach den Kriterien des § 19 VStG vorzunehmen ist. Die maßgebenden Umstände und Erwägungen für diese Ermessensabwägung sind in der Begründung des Bescheides so weit aufzuzeigen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien des Verwaltungsstrafverfahrens und für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes erforderlich ist. § 19 Abs.1 VStG enthält somit jene objektiven Kriterien, die Grundlage für jede Strafbemessung sind. Darüber hinaus normiert Abs.2 für das ordentliche Verfahren eine Reihe weiterer subjektiver Umstände.

 

Der Beschuldigte gab mit Schreiben vom 22. Februar 2012 bekannt, dass er über ein monatliches Nettoeinkommen von 2.073,00 Euro verfügt und sorgepflichtig für seine 12-jährige Tochter ist. Vom anzeigenden Arbeitsinspektorat wurden aus spezial- sowie generalpräventiven Gründen die Verhängung von zwei Geldstrafen in Höhe von je 2.100 Euro sowie einer Geldstrafe in Höhe von 800 Euro beantragt. Zwar erscheint im Hinblick auf den Umstand, dass das dem Beschuldigten zur Last gelegte Verhalten zumindest mittelbar zu einem tödlichen Unfall führte, die Verhängung entsprechend hoher Strafen angemessen und gerechtfertigt, jedoch konnte das erkennende Mitglied des Unabhängigen Verwaltungssenates im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung den Eindruck gewinnen, dass dem Bw auch bei der Verhängung von geringfügigeren als den beantragten Strafen die Unrechtmäßigkeit seines Handelns eindringlich vor Augen geführt wird. Als mildernd kommt dem Bw zudem zugute, dass er bisher einschlägig nicht vorbestraft ist und Erschwerungsgründe im Berufungsverfahren nicht hervorgetreten sind.

 

Auch die lange Dauer des gegenständlichen Verwaltungsverfahrens ist als Milderungsgrund zu werten. Diesbezüglich hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 26. Juni 2008, Zl. B304/07 ausgesprochen, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach der Rechtsprechung des EGMR nicht abstrakt, sondern im Lichte der besonderen Umstände jedes einzelnen Falles zu beurteilen ist. Die besonderen Umstände des Einzelfalles ergeben sich aus dem Verhältnis und der Wechselwirkung verschiedener Faktoren. Neben Faktoren, welche die Verfahrensdauer beeinflussen, nämlich die Schwierigkeit des Falles, das Verhalten des Beschwerdeführers und das Verhalten der staatlichen Behörden in dem bemängelten Verfahren, ist auch die Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer relevant (vgl. VfSlg. 17.307/2004; 17.582/2005, 17.644/2005). Nicht eine lange Verfahrensdauer schlechthin führt zu einer Verletzung, sondern nur eine Verzögerung, die auf Versäumnis der staatlichen Organe zurückzuführen ist. Der Rechtsprechung des EGMR ist daher keine fixe Obergrenze für die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu entnehmen, ab deren Überschreitung jedenfalls eine Verletzung des Art.6 Abs.1 EMRK anzunehmen wäre (vgl. VfSlg. 16.385/2001 mH auf die Rechtsprechung des EGMR). Im gegenständlichen Verfahren sind seit der Tatbegehung und der Erlassung des Erkenntnisses des Oö. Verwaltungssenates nahezu zwei Jahre vergangen, sodass von keiner iSd Art.6 Abs.1 EMRK zu qualifizierenden noch gänzlich angemessenen Verfahrensdauer auszugehen war. Dieser Umstand war daher als Milderungsgrund iSd § 24 Abs.2 StGB bei der Strafbemessung entsprechend zu werten.

 

Nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates erscheinen die nunmehr über den Beschuldigten verhängten Geldstrafen von insgesamt 2.900 Euro auch aus generalpräventiven Überlegungen im Hinblick auf das dem Beschuldigten im gegenständlichen Verfahren anzulastende Verschulden am Zustandekommen der Übertretungen noch angemessen und geeignet, um ihn künftig zu einem gesetzeskonformen Verhalten anzuleiten.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

Dr. Andrea Panny

 

 

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