Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-101031/8/Weg/Ri

Linz, 01.02.1994

VwSen-101031/8/Weg/Ri Linz, am 1. Februar 1994 DVR.0690392

Erkenntnis

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wegschaider über die Berufung des Otto P, vertreten durch Dr. G D, vom 11. Jänner 1993 gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach vom 21. Dezember 1992, VerkR1060/1991/Win/Kne, nach der am 19. Oktober 1993 stattgefundenen öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

I.Hinsichtlich der im Straferkenntnis unter Punkt 1 angeführten Verwaltungsübertretung (Übertretung nach § 20 Abs.2 StVO 1960 zwischen dem Ende der nach dem Stadtgebiet von Linz beginnenden Geschwindigkeitsbeschränkung von 70 km/h bis zum Beginn der Geschwindigkeitsbeschränkung bei km 5,7 der B127) wird die Berufung abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis vollinhaltlich bestätigt.

II. Hinsichtlich der im Straferkenntnis unter den Punkten 2-9 angeführten Verwaltungsübertretungen wird der Berufung mit der Maßgabe Folge gegeben, daß in Anwendung des § 21 Abs.1 VStG von der Verhängung einer Strafe abgesehen wird.

III.Der Berufungswerber hat hinsichtlich des Faktums 1 zusätzlich zu den Verfahrenskosten erster Instanz einen Kostenbeitrag zum Berufungsverfahren in der Höhe von 200 S zu leisten.

Hinsichtlich der Fakten 2-9 entfällt die Verpflichtung zur Leistung jeglicher Kostenbeiträge zum Strafverfahren.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 AVG iVm § 24, § 21 Abs.1, § 51 Abs.1, § 51i, § 64 und § 65 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Rohrbach hat mit dem in der Präambel zitierten Straferkenntnis über den Berufungswerber wegen der Verwaltungsübertretungen nach 1. § 20 Abs.2, 2. § 52 lit.a Z10a, 3. § 20 Abs.2, 4. § 52 lit.a Z.10a, 5. § 20 Abs.2, 6. § 52 lit.a Z10a, 7. § 20 Abs.2, 8. § 52 lit.a Z10a und 9. § 20 Abs.2, jeweils StVO 1960, jeweils iVm § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960, folgende Geld- bzw. Ersatzfreiheitsstrafen verhängt:

1. 1.000 S (60 Stunden), 2. 1.200 S (72 Stunden) 3.

1.000 S (60 Stunden) 4. 1.200 S (72 Stunden), 5. 800 S (48 Stunden), 6. 1.300 S (78 Stunden), 7. 1.000 S (60 Stunden) 8. 1.300 S (78 Stunden) und 9. 1.000 S (60 Stunden).

Die ausgesprochenen Strafen stützen sich auf folgende Tatvorwürfe:

Der Berufungswerber hat am 3. April 1991 1. um ca. 4.10 Uhr den PKW mit dem behördlichen Kennzeichen auf der B127 von Urfahr bis P mit einer Geschwindigkeit von 140 km/h gelenkt und hat dadurch die auf Freilandstraßen zulässig Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 40 km/h überschritten; weiters hat er im Zuge der Weiterfahrt nachstehende Geschwindigkeitsüberschreitungen gesetzt:

2. In P bei Str.km 5,7 bis 7,6 im Geschwindigkeitsbeschränkungsbereich von 70 km/h um 50 km/h, 3. bei Straßenkilometer 7,6 bis 10,15 die auf Freilandstraßen zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 40 km/h, 4. in D bei Str.km 10,15 bis 10,83 im Geschwindigkeitsbeschränkungsbereich von 80 km/h um 50 km/h, 5. von Str.km 10,83 bis 11,2 die auf Freilandstraßen zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 30 km/h, 6. in O bei Str.km 11,2 bis 12,0 im Geschwindigkeitsbeschränkungsbereich von 80 km/h um 60 km/h, 7. im Bereich von Str.km 12,0 bis 13,7 die auf Freilandstraßen zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 40 km/h, 8. in W bei Str.km 13,7 bis 14,3 die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 60 km/h und 9. vor R bis Str.km. 15,5 die auf Freilandstraßen zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 40 km/h.

Außerdem wurde als Kostenbeitrag zum Strafverfahren ein Betrag von 980 S in Vorschreibung gebracht.

2. Die belangte Behörde stützt ihr Straferkenntnis auf eine Anzeige des Gendarmeriepostens P vom 4. April 1991, wonach die angeführten Geschwindigkeitsüberschreitungen im Zuge einer Nachfahrt mit einem Zivilpatrouillenfahrzeug fest gestellt worden seien. Die Angaben in der Anzeige wurden im erstinstanzlichen Verfahren von den beiden Meldungslegern noch zeugenschaftlich bestätigt.

3. Auf Grund der rechtzeitig eingebrachten Berufung, in welcher zumindest die Einstellung der Deliktspunkte 2-9 beantragt wird, wurde eine öffentliche mündliche Verhandlung anberaumt und am 19. Oktober 1993 durchgeführt.

4. Auf Grund der zeugenschaftlichen Aussagen der Meldungsleger Gr.Insp. E und Bez.Insp. A sowie auf Grund der Vernehmung des Beschuldigten selbst wird nachstehender Sachverhalt als erwiesen angenommen:

Dem Grunde nach gesteht der Berufungswerber die ihm angelasteten Geschwindigkeitsüberschreitungen ein, auch wenn er meint, daß zumindest hinsichtlich einzelner Fakten eine Übertreibung der Höhe der von ihm gefahrenen Geschwindigkeit vorliege. Der Berufungswerber fuhr mit seinem PKW um ca.

4.00 Uhr morgens und somit bei völliger Dunkelheit auf der B127 von Linz nach R. Dabei wurde er im Rückspiegel zweier zu einem PKW gehörigen Scheinwerfer ansichtig. Zum Zeitpunkt des Ansichtigwerdens dieser Scheinwerfer fuhr der Berufungswerber seinen eigenen Angaben nach tatsächlich mit einer überhöhten Geschwindigkeit, die er in der Folge etwas verminderte, weil er vermutete, das nachfolgende Fahrzeug könnte ein Gendarmeriefahrzeug sein. Die Überlegungen des Berufungswerbers - die glaubhaft waren - waren dergestalt, daß - falls seine Annahme, hinter ihm fahre ein Gendarmeriefahrzeug, richtig sein sollte - es zu einem Aufschließmanöver und einer Anhaltung kommen müsse. Da dies aber nicht geschah und dieses Fahrzeug, nachdem der Nachfahrabstand etwas verringert wurde, abwartend hinter ihm nachfuhr, überkam ihn in Anbetracht der nächtlichen Stunde und der Menschenleerheit ein "mulmiges" Gefühl, welches in ihm den Entschluß reifen ließ, die Geschwindigkeit wieder zu erhöhen, um von diesem Fahrzeug nicht überholt zu werden.

Dieses Angstgefühl erhöhte sich im weiteren Verlauf der Fahrt deshalb, weil das nachfahrende Fahrzeug konstant hinter ihm verblieb und er ab diesem Zeitpunkt sicher war, von keinem Gendarmeriefahrzeug verfolgt zu werden, zumal er für diesen Fall mit der Einschaltung des Blaulichtes gerechnet habe. Er vermutete, daß das ihm nachfahrende Fahrzeug bzw. die Besatzung dieses Fahrzeuges eine möglicherweise kriminelle Handlung im Sinne hat, weshalb er durch Beibehalten der erhöhten Geschwindigkeit trachtete, ein Überholmanöver zu verhindern. Als er dann kurz vor dem "S" im Rückspiegel erkennen konnte, daß aus dem schon ziemlich nahe herangekommenen PKW eine beleuchtete Haltekelle gezeigt wurde und er somit vermuten bzw. erkennen konnte, daß das nachfolgende Fahrzeug doch ein Gendarmeriefahrzeug war, hielt er sofort an. Sein ängstliches Verhalten begründete er noch damit, daß ihm während dieser Fahrt ein sich kürzlich zugetragener Vorfall in der Nähe Seewalchens, bei dem angeblich eine kriminelle Handlung durchgeführt wurde, in Erinnerung kam. Er habe jedenfalls ab dem Zeitpunkt, wo er erkannte, daß keine Gefahr für Leib und Leben besteht, sofort angehalten.

Die Darstellung des Beschuldigten hinsichtlich der objektiven Tatbilder deckt sich im großen und ganzen mit den Aussagen der Meldungsleger. Diesen ist noch im Ortsgebiet von L das Fahrzeug des Beschuldigten, der ihnen zu diesem Zeitpunkt noch entgegenkam, wegen der erhöhten Geschwindigkeit aufgefallen, sodaß sie sich entschlossen, die Verfolgung aufzunehmen. Blaulicht wurde bei dieser Fahrt deshalb nicht verwendet, weil das Zivilpatrouillenfahrzeug, mit dem sie unterwegs waren, über kein solches verfügte. Das Folgetonhorn wurde ua wegen der damit verbundenen Lärmerregung nicht eingeschaltet. Die Meldungsleger verfolgten den Beschuldigten also ohne Verwendung von Blaulicht oder Folgetonhorn und konnten die Geschwindigkeit des vor ihnen fahrenden Fahrzeuges gerade halten. Ein Überholen war - auch wegen der schwachen Motorleistung des Patrouillenfahrzeuges - nicht möglich. Es wurde auch während dieser länger als 10 km dauernden Nachfahrt nicht versucht, durch Zeichen mit der Lichthupe oder durch den mitgeführten Anhaltestab zu signalisieren, daß eine Anhaltung geplant sei. Diese Signalisierung erfolgte erst kurz vor dem Saurüssel, wo sich der Abstand etwas verringerte. Der Berufungswerber hat auf dieses Signal sofort reagiert und sein Fahrzeug angehalten.

Soweit die vom äußeren Erscheinungsbild im wesentichen deckungsgleichen Angaben sowohl des Berufungswerbers als auch der Meldungsleger.

Es wird also als erwiesen angenommen, daß der Berufungswerber seinen PKW über die gesamte von den Meldungslegern beobachtete Fahrstrecke mit überhöhter Geschwindigkeit gelenkt hat und er somit objektiv die Tatbilder der ihm angelasteten Verwaltungsübertretungen gesetzt hat. Es wird aber auch als erwiesen angenommen, daß der Berufungswerber ab dem Faktum 2 des Straferkenntnisses durch den ihm folgenden und nicht als Gendarmeriefahrzeug erkennbaren PKW in Angst und Unruhe versetzt wurde, was schließlich Anlaß für den Entschluß war, ein Überholmanöver nicht zuzulassen, sondern dies mit überhöhter Geschwindigkeit zu verhindern.

Hinsichtlich des ersten Deliktes wird dieser Ausnahmezustand vom Berufungswerber nicht behauptet, diesbezüglich gesteht er die Geschwindigkeitsüberschreitung auch auf die subjektive Tatseite bezogen ein.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

Zum Faktum 1.:

Gemäß § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 10.000 S zu bestrafen, wer die auf Freilandstraßen gemäß § 20 Abs.2 StVO 1960 festgesetzte Höchstgeschwindigkeit überschreitet.

Die weder hinsichtlich des objektiven noch des subjektiven Tatverhaltens bestrittene Geschwindigkeitsüberschreitung zwischen L und P stellt eine Verwaltungsübertretung iSd obzitierten Gesetzesstellen dar, weshalb - zumal die Geschwindigkeitsüberschreitung eine erhebliche (40 %) war - diesbezüglich sowohl die Schuld als auch die verhängte Strafe zu bestätigen war.

Zu den Fakten 2.-9.:

Gemäß § 6 VStG ist eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt ist. Auch ein sogenannter Putativnotstand bewirkt Straflosigkeit.

Auch wenn eine tatsächliche Notstandsituation nicht vorgelegen ist, weil es sich bei dem verfolgenden Fahrzeug um ein ziviles Behördenfahrzeug gehandelt hat, dessen Insassen (Gendarmeriebeamte) im Begriff waren, eine Amtshandlung (Anhaltung) vorzunehmen, schließt dies nicht von vornherein das allfällige Vorliegen eines Putativnotstandes aus. Nimmt der Täter irrtümlich eine Notstandsituation an, so ist er entschuldigt, soferne der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Notstandes nicht auf Fahrlässigkeit beruht, also ihm vorwerfbar ist, wobei im Falle einer Fahrlässigkeit die Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens schon im Rahmen der Fahrlässigkeit, jedenfalls im Falle unbewußter, zu prüfen ist.

Diese Prüfung hat ergeben, daß dem Berufungswerber ein rechtmäßiges Verhalten dadurch zumutbar war, daß er etwa eine geschützte Ortschaft aufsucht, was den befürchteten Überfall zur Nachtzeit als zumindest wesentlich unwahrscheinlicher erscheinen läßt als auf einer unbeleuchteten Freilandstraße.

Diese Möglichkeit hätte der Berufungswerber durch das Aufsuchen des beleuchteten Ortskerns von O zweifelsohne gehabt, er ist jedoch, ohne von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, auf der O umfahrenden Bundesstraße weitergefahren. Aus diesem Grund wird ein die Strafbarkeit ausschließender Putativnotstand nicht zugestanden.

Allerdings wird im Verhalten des Berufungswerbers, und zwar ab dem Zeitpunkt, ab dem er einen ihn verfolgenden PKW, der nicht als Gendarmeriefahrzeug erkennbar war, ein nur sehr geringes Verschulden gesehen. Zur Frage der Bewertung des Verschuldens hat der VwGH bereits wiederholt ausgesprochen, daß der hiefür geltende Maßstab ein objektiv - normativer ist.

Maßfigur ist der einsichtige und besonnene Mensch, den man sich in die Lage des Täters versetzt zu denken hat. Objektiv sorgfaltswidrig hat der Täter folglich nur dann gehandelt, wenn sich ein einsichtiger und besonnener Mensch des Verkehrskreises, dem der Handelnde angehört, nämlich ein PKW-Lenker, an seiner Stelle anders verhalten hätte.

Nun wird - bezogen auf den Beschuldigten - , welcher nicht ins Treffen führt, von panischer Angst erfaßt gewesen zu sein, sondern ins Treffen führt, ein mulmiges bis ängstliches Gefühl gehabt zu haben, eine zur Strafbefreiung führende Schuldausschließung nicht zuerkannt, jedoch in diesem glaubhaft vorgebrachten mulmigen bis ängstlichen Gefühl angesichts des ihn verfolgenden Fahrzeuges ein minderer Grad des Verschuldens gesehen.

Gemäß § 21 Abs.1 VStG kann von der Verhängung einer Strafe abgesehen werden, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind.

Wie schon dargelegt, wird das Verschulden des Beschuldigten als geringfügig bewertet. Auch die Folgen der Übertretung sind letztlich unbedeutend geblieben, da es in Ermangelung anderer Verkehrsteilnehmer zu keiner Gefährdung dieser und auch zu keinem Verkehrsunfall gekommen ist. Es liegt somit auch das zweite Tatbestandselement des § 21 Abs.1 VStG vor, weshalb von dieser Rechtswohltat - auf deren Zuerkennung bei Vorliegen der Voraussetzungen der Beschuldigte einen Rechtsanspruch hat - Gebrauch gemacht wurde.

Angemerkt wird noch, daß - so die überwiegende Meinung der sich zu diesem Problemkreis geäußert habenden Literaten auch das Verhalten der Gendarmeriebeamten objektiv rechtswidrig war. (vgl. hiezu Messiner ZVR 1992, 361 oder Wiederin ZVR 1993, 65 ua).

Diese Rechtswidrigkeit rechtfertigt die Annahme, daß der Berufungswerber in Hinkunft von einem Nichteinsatzfahrzeug unter ähnlichen Bedingungen nicht mehr verfolgt wird, sodaß die Erforderlichkeit einer Abmahnung iSd § 21 Abs.1 2.Satz VStG nicht gegeben ist.

5. Die Kostenentscheidung ist gesetzlich begründet.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Sie muß von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. Wegschaider

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