Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-166687/6/Fra/Rei

Linz, 01.03.2012

 

 

 

 

E r k e n n t n i s

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Johann Fragner über die Berufung des Herrn PC, X, vertreten durch die Rechtsanwälte EH, KH, MW, X, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 05. Jänner 2012, VerkR96-2950-2010/A/Pos, betreffend Übertretungen der StVO 1960, zu Recht erkannt:

 

 

       I.      Der Berufung wird Folge gegeben. Das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verwaltungsstraf-verfahren eingestellt.

 

    II.      Der Berufungswerber hat keine Verfahrenskostenbeiträge zu entrichten.

 

 

Rechtsgrundlagen:

zu I.:        § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24 und 45 Abs.1 Z1 VStG;

zu II.:      § 66 Abs.1 VStG.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

I.1. Die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land hat mit dem in der Präambel angeführten Straferkenntnis über den Berufungswerber (Bw)

1. wegen Übertretung des § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 gemäß § 99 Abs.2 lit.a leg.cit. eine Geldstrafe von 150 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 72 Stunden),

2. wegen Übertretung des § 4 Abs.5 StVO 1960 gemäß § 99 Abs.3 lit.b leg.cit. eine Geldstrafe von 120 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 48 Stunden) und

3. wegen Übertretung des § 11 Abs.1 StVO 1960 gemäß § 99 Abs.3 lit.a leg.cit. eine Geldstrafe von 20 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 12 Stunden) verhängt, weil er

 

am 14.09.2009 um 08.20 Uhr

in der Gemeinde L, WStraße – FStraße (Kreuzung), stadteinwärts

 

als Lenker des Fahrzeuges Kennzeichen X, PKW BMW X5, schwarz

1.       mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stand und sein Fahrzeug nicht sofort angehalten hat,

2.       mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang stand und nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt und

3.       den Fahrstreifen gewechselt hat, ohne sich davon zu überzeugen, dass dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist.

Ferner wurde gemäß § 64 VStG ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 10 % der verhängten Geldstrafen vorgeschrieben.

 

I.2. Dagegen richtet sich die rechtzeitig durch die ausgewiesenen Vertreter eingebrachte Berufung. Die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land – als nunmehr belangte Behörde – legte das Rechtsmittel samt bezughabendem Verwaltungsstrafakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vor, der, weil jeweils 2.000  Euro nicht übersteigende Geldstrafen verhängt wurden, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden hat (§ 51c erster Satz VStG).

 

I.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

Zu den Fakten 1. (§ 4 Abs.1 lit.a StVO 1960) und 2. (§ 4 Abs.5 StVO 1960):

 

Der Bw weist unter Hinweis auf das Erkenntnis des VwGH vom 23.05.2002, 2001/03/04117, wonach Voraussetzung für die Anhalte- und Meldepflicht des     § 4 Abs.1 lit.a und des Abs.5 StVO 1960 als objektives Tatbildmerkmal der Eintritt wenigstens eines Sachschadens und in subjektiver Hinsicht das Wissen von dem Eintritt eines derartigen Sachschadens ist, wobei der Tatbestand schon gegeben ist, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewusstsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermochte, darauf hin, dass die zweitbeteiligte Lenkerin in ihrer Einvernahme am 31. August 2010 selbst angegeben habe, auf Grund der gegenständlichen Kollision einen ziemlich lauten "Knall" gehört zu haben, der sie sehr erschrocken habe, dass sie aber aufgrund ihrer Aufregung weder gehupt oder sich sonst bemerkbar gemacht habe, da es sich beim gegenständlichen Unfall um ihren ersten Unfall handelte und sie deshalb etwas unter Schock gestanden sei. Die zweitbeteiligte Lenkerin führe also selbst aus, dass sie keinerlei Reaktion oder etwaige Zeichen gesetzt habe, die objektiv geeignet gewesen wären, ihm subjektiv die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit Sachbeschädigung erkennen zu lassen. Trotz Einhaltung der im Verkehr üblichen und gebotenen Sorgfalt hätte er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit Sachschaden nicht erkennen können. Er führe an, dass auch die zweitbeteiligte Lenkerin ihr Fahrzeug nicht sofort angehalten habe. Nach der Judikatur des VwGH könne ein sogenannter Unfallschock nur in besonders gelagerten Fällen und bei gravierenden psychischen Ausnahmesituationen das Unterlassen eines pflichtgemäßen Verhaltens nach § 4 StVO 1960 entschuldigen. Einem dispositionsfähig gebliebenen Unfallbeteiligten seit trotz eines sogenannten "Unfallschrecks" in Verbindung einer begreiflichen affektiven Erschütterung ein pflichtgemäßes Verhalten zumutbar, weil einem Kraftfahrer, welcher die Risiken einer Teilnahme am Straßenverkehr auf sich nimmt, ein solches Maß an Charakter- und Willensstärke zu verlangen ist, dass er den Schreck über den Unfall und die daraus drohenden Folgen zu überwinden vermag. Die Rechtfertigung der zweitbeteiligten Lenkerin, dass der gegenständliche Unfall für sie der erste Unfall war und sie deshalb unter Schock gestanden sei, gehe sohin ins Leere. Es hätte sohin auch die zweitbeteiligte Lenkerin auf Grund des nach ihrer Behauptung für sie akustisch wahrnehmbaren Unfallgeräusches ihrer Verpflichtung nach § 4 StVO 1960 nachkommen müssen. Jedenfalls seien ihm keine objektiven Umstände zu Bewusstsein gekommen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit Sachschaden zu erkennen vermochte. Deshalb habe er auch der in § 4 Abs.5 StVO 1960 normierten Meldepflicht nicht nachkommen müssen.

 

Lt. Bericht des Stadtpolizeikommando Linz vom 19. September 2009,             GZ: C2/49357/2009, gab die zweitbeteiligte Lenkerin, Frau SW, an, dass sie ihren PKW am linken Fahrstreifen der WStraße in Richtung FStraße lenkte. Die Ampel sei auf "ROT" geschaltet gewesen und sie habe den PKW zur Haltelinie rollen lassen. Ein schwarzer BMW-Geländewagen, der am rechten Fahrstreifen fuhr, wechselte plötzlich auf ihren Fahrstreifen und klappte ihren rechten Außenspiegel in Richtung Beifahrerfenster. Der BMW sei nach dem Anstoß sofort zurückgefahren. Die Ampel habe auf "GRÜN" geschaltet. Sie sei wegen des Unfalles stehengeblieben. Der BMW sei rechts an ihr in Richtung E vorbeigefahren und der Lenker habe ihr mit der Hand gedeutet. Sie habe sich das Kennzeichen gemerkt. Dann sei sie ebenfalls in Richtung E weitergefahren und in der Folge nach links in die KStraße eingebogen. Den BMW habe sie nicht mehr gesehen. Sie habe fernmündlich die Polizei verständigt.

 

Der Bw gab lt. Niederschrift des Stadtpolizeikommando Linz vom 18. September 2009, GZ: C2/49357/2009, unter anderem an, den in Rede stehenden PKW am 14.09.2009 gegen 08.20 Uhr am rechten Fahrstreifen der WStraße in Richtung FKreuzung gelenkt zu haben. Am rechten Fahrstreifen sei ein PKW bei "ROT" vor der Kreuzung gestanden. Er habe geblinkt und habe sich links einordnen wollen. Dabei sei der am linken Fahrstreifen befindliche PKW im toten Winkel gewesen und er habe ihn deshalb nicht sehen können. Es sei zur Kollision gekommen, die er aber nicht bemerkt habe. Die Lenkerin sei vor ihm am linken Fahrstreifen stehengeblieben. Er sei dahinter gestanden. Sie habe sich umgedreht. Er habe sich mit Handzeichen bei ihr entschuldigt. Sie habe das seiner Meinung nach zur Kenntnis genommen und genickt. Die Ampel habe auf "GRÜN" umgeschaltet. Die Lenkerin sei nach links abgebogen und er habe seine Fahrt in gerader Richtung fortgesetzt. Für ihn sei die Angelegenheit damit erledigt gewesen. Er habe keinen Anstoß verspürt. Am 16.09.2009 sei er von der Polizei verständigt worden, dass es doch zu einer Kollision gekommen sein müsse. Er habe sich deshalb seinen PKW angesehen und gesehen, dass am linken vorderen Kotflügel eine Farbspur vorhanden war.

 

Die zweitbeteiligte Lenkerin Frau SW bestätigte lt. Niederschrift der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land über die Vernehmung von Zeugen vom 31. August 2010, VerkR96-2950-2010/A, ihre oben angeführten Angaben. Sie fügte hinzu, dass sich der Bw mit ihr über einen Brief in Verbindung gesetzt und sich bei ihr entschuldigt habe. Er habe angeblich den Vorfall nicht mitbekommen und habe nicht verstanden, dass sie die Polizei gerufen habe. Der Spiegel selbst sei nicht kaputt gegangen, sondern es sei lediglich ein Kratzer am Außenspiegel entstanden. Da sie ein älteres Auto besitze, sei es ihr nicht darum gegangen, den Schaden ersetzt zu bekommen. Sie habe sich geärgert über die Art, wie sich der Lenker des anderen Fahrzeuges benommen habe.

 

In rechtlicher Hinsicht ist vorerst auf den Zweck des § 4 StVO 1960 hinzuweisen. Nach dem Judikat des OGH vom 19.09.1996, 2Ob2264/96x, EvBl 1997/49, hat
§ 4 unter anderem den Zweck, eine geordnete Schadensregelung zu ermöglichen. Damit sollen auch unüberlegte und spontane Handlungen des Geschädigten zur Feststellung der Identität des Schädigers vermieden werden. Ein Fahrerflüchtiger müsse mit seiner Verfolgung durch den Geschädigten rechnen. Wenn nun – im vorliegenden Fall – der Bw sein Fahrzeug nicht sofort angehalten und nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt hat, kann ihm unter der Prämisse, dass bei der Kollision mit dem zweitbeteiligten Fahrzeug ein Sachschaden an diesem entstanden ist, eine Verletzung dieses Schutzzweckes im konkreten Fall nicht zum Vorwurf gemacht werden, da ja auch die zweitbeteiligte Lenkerin keinerlei Versuche gemacht hat, dem PKW des Bw zu folgen zumal sie ja in eine andere Richtung als der Bw weitergefahren ist. Weiters ist rechtlich beurteilend festzuhalten, dass der Bw nur dann Verwaltungsübertretungen nach § 4 StVO 1960 zu verantworten hat, wenn ein "Sachschaden" vorliegt. Nach der Judikatur des VwGH stellen beispielsweise geringfügige Spuren, die ohne Kostenaufwand beseitigt werden können, oder vom Betroffenen gar nicht als Beschädigung aufgefasst werden, keinen Sachschaden iSd § 4 StVO 1960 dar. Die zweitbeteiligte Lenkerin hat – siehe oben – schon im erstinstanzlichen Verfahren angedeutet, dass sie den "Schaden" bei ihrem PKW noch nicht reparieren ließ. Der Spiegel selbst sei nicht kaputt gegangen. Es sei ihr auch nicht darum gegangen, einen "Schaden" ersetzt zu bekommen, da sie ein älteres Auto habe. Auf Anfrage teilte die zweitbeteiligte Lenkerin dem OÖ. Verwaltungssenat mit, dass sie dieses Auto bereits verkauft habe und die Sache für sie erledigt sei. Für sie sei kein nennenswerter Schaden entstanden und sie habe deshalb auch keine Reparatur (vor dem Verkauf) veranlasst. Da sohin das Tatbestandsmerkmal "Sachschaden" nicht mit der erforderlichen Sicherheit als erwiesen festgestellt werden kann und ein solcher auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr objektivierbar wäre, kann sohin der Bw nicht wegen Übertretung nach § 4 Abs.1 lit.a und § 4 Abs.5 StVO 1960 zur Verantwortung gezogen werden, weshalb diesbezüglich spruchgemäß zu entscheiden war, ohne dass noch die Frage der Wahrnehmbarkeit eines verursachten Sachschadens zu überprüfen gewesen wäre.

 

Zum Faktum 3. (§ 11 Abs.1 StVO 1960):

 

Gemäß § 11 Abs.1 StVO 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges unter anderem den Fahrstreifen nur dann wechseln, nachdem er sich davon überzeugt hat, dass dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist.

 

Die Frage, in welcher Hinsicht sich der Lenker diese Überzeugung verschafft, ist nach dem Vertrauengrundsatz zu beurteilen. Lt. Angabe der zweitbeteiligten Lenkerin lenkte sie ihren PKW am linken Fahrstreifen. Ein schwarzer BMW-Geländewagen, welcher am rechten Fahrstreifen fuhr, habe plötzlich auf ihren Fahrstreifen gewechselt. Der Bw gab ihm erstinstanzlichen Verfahren an, dass, weil am rechten Fahrstreifen ein PKW bei "ROT" vor der Kreuzung stand, er geblinkt habe und sich links einordnen wollte. Dabei sei der am linken Fahrstreifen befindliche PKW im toten Winkel gewesen und er habe ihn deshalb nicht gesehen. In seiner Stellungnahme vom 18.10.2010 führt der Bw unter anderem aus, sich im Rückspiegel vergewissert und links geblinkt zu haben und, da er kein Fahrzeug gesehen habe, den Fahrstreifen in Schrittgeschwindigkeit gewechselt zu haben, da vor ihm ein weiteres Fahrzeug auf der rechten Spur gestanden sei und er sich neben diesem links einordnen habe wollen. Die zweitbeteiligte Lenkerin sei schnell an ihm "vorbeigezogen". Er habe sie nicht kommen gesehen, sonst hätte er die Spur nicht gewechselt. Selbstverständlich habe er sich bei dem Spurwechsel überzeugt und, nachdem er keinen PKW gesehen habe, geblinkt und erst dann zum Wechseln angesetzt. Im angefochtenen Straferkenntnis wird unter Hinweis auf das VwGH-Erkenntnis vom 11.09.1987, 87/18/0048, ausgeführt, dass ein bloßer "Blick auf die Seite" nicht mit der Erfüllung der sich aus § 11 Abs.1 StVO 1960 ergebenden Forderung gleichgesetzt werden dürfe, derzufolge sich der Fahrzeuglenker zu überzeugen habe, dass der Fahrstreifenwechsel ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer möglich ist. Der Bw bringt unter Bezugnahme auf diese Argumentation vor, nicht lediglich einen Blick auf die Seite gesetzt zu haben, sondern sich durch einen 3-S-Blick, also Blick in den Rückspiegel, in den Seitenspiegel und zur Seite vor dem Fahrstreifenwechsel überzeugt zu haben, dass ein solcher ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist. Eine noch sicherere Möglichkeit als den 3-S-Blick vor einem Fahrstreifenwechsel anzuwenden gäbe es nicht und sei die Ursache, welche zur gegenständlichen Kollision geführt habe, die überhöhte Geschwindigkeit der zweitbeteiligten Lenkerin gewesen.

 

Im Hinblick auf diese widersprüchlichen Aussagen (weitere Beweismittel hiezu liegen nicht vor) und auch mangels sonstiger objektivierbarer Spuren, kann nicht mit der für ein Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit ein Verstoß des Bw gegen § 11 Abs.1 StVO 1960 abgeleitet werden, weshalb diesbezüglich in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" zu entscheiden war.

 

 

II. Die Kostenentscheidung ist gesetzlich begründet.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

Dr. Johann Fragner

 

 

 

 

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