Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-523104/2/Zo/Rei

Linz, 21.03.2012

 

                                                                                                                                                                                                           

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Zöbl über die Berufung der Frau X, geb. X, X vom 20.02.2012 gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 06.02.2012, Zl. VerkR21-106-2011 wegen der Aufforderung zur Vorlage einer verkehrspsychologischen Stellungnahme zu Recht erkannt:

 

Die Berufung wird abgewiesen und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass die Berufungswerberin die verkehrspsychologische Stellungnahme innerhalb 1 Monats ab Zustellung der Berufungsentscheidung an die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vorzulegen hat.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§§ 66 Abs.4 und 67a Abs.1 AVG iVm § 24 Abs.4 FSG sowie §§ 14, 17 und 18 FSG-GV

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck hat die Berufungswerberin mit dem angefochtenen Bescheid aufgefordert, innerhalb von 1 Monat nach Rechtskraft des Bescheides eine verkehrspsychologische Stellungnahme beizubringen, da diese zur Erstellung eines amtsärztlichen Gutachtens erforderlich ist.

 

2. In der dagegen rechtzeitig eingebrachten Berufung führte die Berufungswerberin aus, dass sie bereits eine fachärztliche psychiatrische Stellungnahme vorgelegt habe. Zum Anlass des gegenständlichen Verfahrens, nämlich einer Suchtmittelanzeige der Polizeiinspektion Sch, wies sie darauf hin, dass sie vom Landesgericht Wels freigesprochen worden sei.

 

3. Der Bezirkshauptmann von Vöcklabruck hat den Verwaltungsakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidung vorgelegt. Eine Berufungsvorentscheidung wurde nicht erlassen. Es ergibt sich daher die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates, wobei dieser durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden hat (§ 67a Abs.1 AVG).

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt. Aus diesem ergibt sich der für die Entscheidung wesentliche Sachverhalt zur Gänze, weshalb eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung nicht erforderlich ist. Eine solche wurde auch nicht beantragt.

 

4.1. Folgender Sachverhalt steht fest:

Die Berufungswerberin ist seit 10.05.1979 im Besitz einer Lenkberechtigung für  die Klasse B. Von der Polizeiinspektion Sch wurde gegen sie Anzeige erstattet, weil sie in der Zeit von 2000 bis 14.10.2010 fortlaufend Cannabispflanzen gezogen habe und das gewonnene Cannabiskraut gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten X konsumiert habe. Vom LG Wels wurde sie wegen dieses Vorfalles freigesprochen, wobei als Grund für den Freispruch ein entschuldbarer Notstand gemäß § 10 StGB angeführt wurde (sämtliche Therapiemöglichkeiten wurden ausgeschöpft).

 

Die Berufungswerberin legte eine fachärztliche psychiatrische Stellungnahme vom 16.05.2011 vor. Entsprechend dieser Stellungnahme leidet sie seit Jahren an verschiedensten Schmerzen und es wurde 2002 ein Fibromyalgiesyndrom diagnostiziert. Es seien verschiedenste Medikamente versucht worden, welche die Berufungswerberin aber zusammengefasst nicht vertragen habe. Aufgrund der massiven chronischen Schmerzen und der Unverträglichkeit und Unwirksamkeit der verordneten Medikamente habe die Patientin mit der Einnahme von Cannabis begonnen. Dies habe zu einer deutlichen Besserung der Schmerzen und zu erholsamem Schlaf geführt. Unter ausreichend Cannabis fühle sich die Patientin sehr wohl und leide nur unter geringen Schmerzen, sie sei auch nicht psychomotorisch beeinträchtigt.

 

Zusammenfassend bestehe trotz der rechtlich problematischen Situation medizinisch eine nachvollziehbare Begründung für den Cannabiskonsum. Es bestehe kein Hinweis auf eine Beeinträchtigung der Patientin. Eine Testung der kraftfahrzeugspezifischen Leistungsfähigkeit sei nicht durchgeführt worden, erscheine aber auch nicht notwendig. Die Lenkberechtigung der Gruppe 1 könne somit aus fachärztlicher Sicht belassen werden.

 

Diese fachärztliche psychiatrische Stellungnahme hat die Berufungswerberin im Verfahren zur Überprüfung ihrer gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen erbracht, nachdem ihr dies mit Bescheid vorgeschrieben worden war. Von der Amtsärztin wurde noch die Vorlage des Ergebnisses einer verkehrspsychologischen Untersuchung verlangt, diesem Verlangen ist die Berufungswerberin aber nicht nachgekommen, weshalb der nunmehr angefochtene Bescheid erlassen wurde.

 

 

5. Darüber hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich in rechtlicher Hinsicht Folgendes erwogen:

 

5.1. Gemäß § 24 Abs.4 FSG ist ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung einzuschränken oder zu entziehen, wenn Bedenken bestehen, ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben sind. Leistet der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der festgesetzten Frist einem rechtskräftigen Bescheid, mit der Aufforderung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, die zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde zu erbringen oder die Fahrprüfung neuerlich abzulegen, keine Folge, ist ihm die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen.

 

Gemäß § 14 Abs.4 FSG-GV darf Personen, die aus medizinischen Gründen Sucht- oder Arzneimittel erhalten, die geeignet sind, die Fahrtauglichkeit zu beeinträchtigen, nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme eine Lenkberechtigung erteilt oder belassen werden.

 

Gemäß § 14 Abs.5 FSG-GV ist Personen, die alkohol-, suchtmittel- oder arzneimittelabhängig waren oder damit gehäuften Missbrauch begangen haben, nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme und unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 zu erteilen oder wiederzuerteilen.

 

Gemäß § 17 Abs.1 FSG-GV ist die Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten insbesondere dann zu verlangen, wenn der Bewerber um eine Lenkberechtigung oder der Besitzer einer Lenkberechtigung Verkehrsunfälle verursacht oder Verkehrsverstöße begangen hat, die den Verdacht

1.      auf verminderte kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit oder

2.      auf mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung erwecken.

Mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn einem Lenker innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren die Lenkberechtigung dreimal entzogen wurde oder wenn ein Lenker wegen Übertretungen gemäß § 99 Abs.1 lit.b oder c StVO 1960 bestraft wurde.

 

Gemäß § 18 Abs.2 FSG-GV sind für die Überprüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit insbesondere folgende Fähigkeiten zu überprüfen:

1.      Beobachtungsfähigkeit sowie Überblicksgewinnung,

2.      Reaktionsverhalten, insbesondere die Geschwindigkeit und Sicherheit der Entscheidung und Reaktion sowie die Belastbarkeit des Reaktionsverhaltens,

3.      Konzentrationsvermögen,

4.      Sensomotorik

5.      Intelligenz und Erinnerungsvermögen.

 

Gemäß § 18 Abs.3 FSG-GV ist für die Erfassung der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung insbesondere das soziale Verantwortungsbewusstsein, die Selbstkontrolle, die psychische Stabilität und die Risikobereitschaft des zu Untersuchenden zu untersuchen sowie zu prüfen, ob eine Tendenz zu aggressiver Interaktion im Straßenverkehr besteht und ob sein Bezug zum Autofahren kritisch von der Norm abweicht.

 

5.2. Die Berufungswerberin konsumiert Cannabis zur Bekämpfung von Schmerzen. Dennoch kann § 14 Abs.4 FSG-GV nicht ohne weiteres angewendet werden, weil diese Bestimmung davon ausgeht, dass die jeweiligen Suchtmittel medizinisch verordnet werden und daher deren Erforderlichkeit und die Dosierung medizinisch abgeklärt sind. Dies ist jedoch bei der Berufungswerberin nicht der Fall, weil sowohl die Häufigkeit als auch die Menge sowie der THC-Gehalt des konsumierten Cannabis nicht feststellbar sind. Auch § 14 Abs.5 FSG-GV ist nicht direkt anwendbar.

 

§ 17 Abs.1 FSG-GV, welcher die zwingende Stellungnahme einer verkehrs-psychologischen Untersuchungsstelle regelt, behandelt den Fall der Berufungswerberin ebenfalls nicht. Aus Sicht des zuständigen Mitgliedes des UVS ist es jedoch gut nachvollziehbar, dass die ständigen starken Schmerzen, unter welchen die Berufungswerberin leidet, durchaus dazu führen können, insbesondere das Konzentrationsvermögen, die Sensomotorik und das Reaktionsverhalten negativ zu beeinflussen. Eine Überprüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit ist daher erforderlich. Wenn es der Berufungswerberin gelingt, diese Schmerzen durch Cannabis-Konsum zu unterdrücken, so darf nicht übersehen werden, dass – solange die Wirkung des Cannabis anhält – die Gefahr besteht, dass die Berufungswerberin in diesem Zustand auch in ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist. Langjähriger regelmäßiger Cannabis-Konsum kann sich ebenfalls negativ auf die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit auswirken. Auch unter diesem Gesichtspunkt erscheint eine entsprechende Überprüfung daher erforderlich.

 

Bei der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung geht es im Zusammenhang mit Suchtmittelkonsum insbesondere darum, festzustellen, ob die Berufungswerberin willens und in der Lage ist, den Konsum von Cannabis soweit einzuschränken, dass dadurch ihre Fähigkeit zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht beeinträchtigt wird. Im Hinblick darauf, dass die Berufungswerberin erkennbar auch in der Zukunft Cannabis zur Schmerzbehandlung konsumieren will, ist daher auch ihre Bereitschaft zur Verkehrsanpassung zu überprüfen.

 

Zusammengefasst bestehen daher tatsächlich berechtigte Bedenken daran, ob die Berufungswerberin aufgrund ihrer Erkrankung bzw. dem damit in Zusammenhang stehenden langjährigen Cannabis-Konsum die erforderliche kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit sowie die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung besitzt. Der Facharzt für Psychiatrie hat keine entsprechende Testung vorgenommen und auch nicht weiter begründet, weshalb diese nicht notwendig erscheint. Damit kann er die oben dargestellten Überlegungen nicht widerlegen. Der Umstand, dass die Berufungswerberin im gerichtlichen Strafverfahren freigesprochen wurde, ändert nichts an der Verpflichtung der Verkehrsbehörde, ihre Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen zu überprüfen. Ihre Berufung war daher abzuweisen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 25 Euro angefallen.

 

 

 

 

 

Mag. Gottfried  Z ö b l

 

 

Beschlagwortung:

Cannabiskonsum; Schmerzbehandlung; verkehrspsychologische Untersuchung; gesundheitliche Eignung

 

 

 

 

 

 

VwSen-523104/2/Zo/Rei vom 21. März 2012

 

Erkenntnis

 

 

Rechtssatz

 

FSG §24 Abs4;

FSG-GV §14;

FSG-V §17

 

Die Berufungswerberin leidet seit Jahren an massiven chronischen Schmerzen (Fibromyalgiesyndrom). Alle verordneten Medikamente waren wirkungslos bzw hat die Berufungswerberin die Nebenwirkungen nicht vertragen. Seit mehreren Jahren nimmt sie zur Schmerzbekämpfung regelmäßig Cannabis, wobei dies zu einer deutlichen Besserung der Schmerzen geführt hat.

 

Die Führerscheinbehörde hat ein Verfahren zur Überprüfung der gesundheitlichen Eignung der Berufungswerberin zum Lenken von Kraftfahrzeugen eingeleitet. In einer fachärztlichen psychiatrischen Stellungnahme wurde die positive Wirkung von Cannabis bestätigt, eine Testung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit erschien dem Facharzt nicht erforderlich. Die Amtsärztin der Erstinstanz verlangte dennoch die Durchführung einer verkehrspsychologischen Untersuchung. Diese wurde mit einem Bescheid gem § 24 Abs 4 FSG vorgeschrieben.

 

§ 14 Abs 4 FSG-GV ist auf diesen Fall nicht unmittelbar anwendbar, weil diese Bestimmung davon ausgeht, dass die jeweiligen Suchtmittel medizinisch verordnet werden und daher deren Erforderlichkeit und Dosierung medizinisch abgeklärt sind. Dies erscheint jedoch bei Cannabis nicht möglich, weil sowohl die Häufigkeit als auch die Menge des konsumierten Cannabis sowie der THC-Gehalt nicht feststellbar sind.

 

Auch die sonstigen Regelungen der §§ 14 und 17 FSG-GV sind nicht direkt anwendbar. Es bestehen jedoch tatsächlich begründete Bedenken, dass einerseits die starken Schmerzen, andererseits deren Unterdrückung durch Cannabis-Konsum das Konzentrationsvermögen, die Sensomotorik und das Reaktionsverhalten negativ beeinflussen können. Die Überprüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit erscheint daher notwendig. Auch die Überprüfung der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung erscheint erforderlich, weil beurteilt werden muss, ob die Berufungswerberin willens und in der Lage ist, den Konsum von Cannabis soweit einzuschränken, dass dadurch ihre Fähigkeit zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht beeinträchtigt wird.

 

Die Anordnung einer vollen verkehrspsychologischen Untersuchung durch die Erstinstanz erfolgte daher zu Recht.

 

Beachte:

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt.

VwGH vom 23.05.2012, Zl.: 2012/11/0092-3

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum