Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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Linz, 29.03.2012

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Wolfgang Weigl über die Berufungen des 1. X, 2. der X, 3. des X, und 4. der X; allesamt StA der Türkei, sämtliche vertreten durch X Rechtsanwalt in X gegen die Bescheide des Bezirkshauptmannes des Bezirkes Eferding vom 29. Juli 2010, zu 1. GZ: Sich40-337-2006, zu 2. Sich40-338-2006, zu 3. Sich40-339-2006 sowie zu GZ: Sich40-158-2007, betreffend die Ausweisungen der Berufungswerber nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

I.       Den Berufungen wird stattgegeben und die angefochtenen   Bescheide ersatzlos aufgehoben.

 

II.     Eine Rückkehrentscheidung ist jeweils auf Dauer unzulässig.

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Mit Bescheiden des Bezirkshauptmannes des Bezirkes Eferding vom 29. Juli 2010, zu 1. GZ: Sich40-337-2006, zu 2. Sich40-338-2006, zu 3. Sich40-339-2006 sowie zu GZ: Sich40-158-2007, wurde gegen die Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis des § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, jeweils die Ausweisung angeordnet.

 

Begründend führt die belangte Behörde aus, dass der Erst-Bw, ein Staatsangehöriger der Türkei, am 2. April 2003 zusammen mit seiner Ehegattin, Frau X illegal nach Österreich eingereist sei. Das Asylverfahren sei für beide Antragsteller am 3. Juli 2009 rechtskräftig negativ entschieden worden. Herr X und Frau X halten sich somit seit diesem Zeitpunkt nicht rechtmäßig in Österreich auf. Nachfolgend wird die Stellungnahme der SID vom 29. Jänner 2010 wörtlich wiedergegeben und ihr im Anschluss daran von der belangten Behörde vollinhaltlich beigetreten. In dieser Stellungnahme wird festgehalten, dass der Erst-Bw und die Zweit-Bw seit April 2003 im Bundesgebiet aufhältig seien. Die Asylanträge betreffend die genannten Bw seien überdies bereits am 17. November 2003 negativ entschieden worden. Somit seien dem Erst- und der Zweit-Bw zu diesem Zeitpunkt der unsichere Aufenthalt bekannt gewesen. Die Kinder der Bw seien am 3. April 2005 (Dritt-Bw) und am 9. Februar 2007 (Viert-Bw) in Österreich geboren worden. Die diesbezüglichen Asylverfahren wurden am 3. Juli 2009 rechtskräftig negativ entschieden. Beide Kinder seien überdies während einer Zeit zur Welt gekommen, indem der Erst- und die Zweit-Bw bereits einen unsicheren Aufenthalt in Österreich hatten. Die Familie habe daher in diesem Zeitpunkt nicht davon ausgehen können, dass ein weiteres Familienleben in Österreich geführt werden könne.

 

Darüber hinaus wird festgestellt, dass der Erst-Bw aufgrund seiner Aufenthaltsdauer und seiner seit 2006 nachgegangenen, selbstständigen Tätigkeit als Beteiligter bei der Firma X, ein gewisse berufliche Integration vorweisen könne. Dem sei jedoch entgegen zu halten, dass eine negative Entscheidung des Asylantrages nicht nur zur Konsequenz hat, dass der Aufenthalt illegal sei, sondern auch einer legalen Beschäftigung nicht mehr nachgegangen werden könne. Dies führe zu einer Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Wohles des Landes. Aus demselben Grund würde sich auch die berufliche Integration relativieren, da er bereits bei Aufnahme der Erwerbstätigkeit gewusst habe, dass sein Aufenthalt ein unsicherer sei. Hinsichtlich die Zweit-Bw sei keine berufliche Integration ersichtlich.

 

Insofern mindere sich die aufgrund der längeren Aufenthaltsdauer entstandene soziale, berufliche und familiäre Integration, da der Aufenthalt des Erst- bzw. der Zweit-Bw durch das Asylverfahren temporär begrenzt gewesen und den beiden die Unsicherheit ihres Aufenthaltes bewusst gewesen sei.

 

Nachstehend wird von der belangten Behörde ausgeführt, dass im Herkunftsland der Bw die Eltern des Erst-Bw und vier Geschwister der Zweit-Bw leben würden. Dies untermauere die nicht unerhebliche Bindung zum Heimatstaat. Auch sei zu erkennen, dass der Erst- und die Zweit-Bw den überwiegenden Teil ihres Lebens im Heimatland verbracht haben. Die Zweit-Bw besuchte in der Türkei die Grundschule. Der Erst-Bw darüber hinaus die Hauptschule und eine allgemeinbildende höhere Schule. Der Erst- und die Zweit-Bw sprechen türkisch, der Erst-Bw auch kurdisch. Zudem gilt es zu bemerken, dass der Erst-Bw in seiner Heimat als Schlosser, Schweißer und Elektromechaniker tätig war. Seine Gattin habe den Beruf der Landwirtin ausgeübt. Aus all diesen Gründen sei eine Reintegration möglich und zumutbar. In diesem Zusammenhang wird bemerkt, dass die Bw trotz ihrer langen Aufenthaltsdauer es nicht bewerkstelligt haben, Deutsch-Sprachzertifikate auf dem Niveau A2 beizuschaffen. Dieser Umstand schmälere die Integration maßgeblich.

 

Abschließend bemerkt die belangte Behörde, dass betreffend die Bw keine strafrechtlichen oder verwaltungsstrafrechtlichen Verfehlungen ersichtlich seien.

 

Da anlässlich der Einvernahme am 18. Februar 2010, bei der auch den Bw die Stellungnahme der SID zur Kenntnis gebracht wurde, keine neuen integrativen Elemente hervorgekommen seien, war spruchgemäß zu entscheiden.

 

Gegen diesen Bescheid erhoben die Bw durch ihren Rechtsvertreter rechtzeitig Berufung mit Schriftsatz vom 3. August 2010.

 

Darin stellten die Bw die Anträge, die Berufungsbehörde möge die angefochtenen Bescheide der BH Eferding vom 19. Juli 2010, GZ: Sich40-337-2006, AZ: Sich40-338-2006, Sich40-339-2006 und Sich40-158-2007 jeweils zugestellt am 23. Juli 2010, dahingehend abändern, dass festgestellt werde, dass eine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet auf Dauer unzulässig sei.

 

In Eventu wird der Antrag gestellt, die angefochtenen Bescheide sollen aufgehoben und zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an die Erstbehörde verwiesen werden.

 

Überdies wird der Antrag gestellt, eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen und auch durchzuführen.

 

Die Bw bringen sinngemäß vor, dass bei richtiger Würdigung ausgesprochen hätte werden müssen, dass die Ausweisung der Bw im Lichte des Art. 8 EMRK auf Dauer unzulässig sei. Es werde dahingehend ersucht, dass zu berücksichtigen sei, dass der Erst- und die Zweit-Bw bereits seit 2003 in Österreich aufhältig sind. Beide Kinder seien in Österreich geboren. Die Tochter besuche überdies den Kindergarten. Der Erst-Bw gehe einer selbstständigen Tätigkeit nach und könne den Lebensunterhalt für seine Familie hiedurch sichern. Auch könne vorgebracht werden, dass die entsprechenden Prüfungen für die Deutsch-Integrationskurse des Erst- und der Zweit-Bw in Kürze abgelegt werden. Insofern bestehe eine soziale- wie auch berufliche Integration in besonderem Ausmaß. Im Falle einer Rückkehr in die Türkei könne die Familie auf keinerlei soziales Netzwerk zurückgreifen. Auch sei zu bemerken, dass gänzliche Unbescholtenheit gegeben ist.

 

Betreffend die Stellungnahme der Sicherheitsdirektion wird angeführt, dass die Bw auf die Dauer des Asylverfahrens keinen Einfluss genommen haben und die Integration aufgrund dieser langen Dauer entstanden sei. Da überdies die Chancen für ein positives Asylverfahren als gut eingeschätzt wurden, habe die Familie nicht mit einem negativen Ausgang des Verfahrens rechnen können. In rechtlicher Hinsicht führen die Bw aus, dass §§ 43 und 44 NAG ja gerade für Langzeitasylwerber bzw. gut integrierte Fremde geschaffen wurden, um diesem Personenkreis die Möglichkeit einer Niederlassungsbewilligung zu eröffnen. Würde die gelungene Integration letztlich mit dem Argument des parallel laufenden Asylverfahrens gegen null reduziert, so würde dies dazu führen, dass den genannten Bestimmungen jeglicher Anwendungsbereich entzogen werde.

 

Mit Schreiben vom 13. Februar 2011 wurden die A2 Zertifikate des Erst- und der Zweit-Bw übermittelt. Angeschlossen waren Unterstützungserklärungen für die Familie und eine Mitgliedschaftsbestätigung des Erst-Bw für den Tischfußballverein "X" samt Fotobeilage. Mit Schreiben vom 14. März 2012 übermittelten die Bw eine aktuelle Versicherungsbestätigung betreffend den Erst-Bw, welche eine laufende gewerbliche Sozialversicherung beginnend mit 28. Februar 2006 samt einem Rückstand auf dem Beitragskonto von 3.760,82 EUR aufweist, eine kurzfristige Erfolgsrechnung per 31. Dezember 2011 betreffend die X und einen aktuellen Mietvertrag. Überdies wird dargelegt, dass die beiden Kinder des Erst- bzw. der Zweit-Bw einerseits die Volksschule und andererseits den Kindergarten besuchen.

 

Sämtliche Unterlagen wurden zum Akt genommen.

 

Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion – nach In-Krafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Oö. Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG). Auch steht schon aufgrund der Aktenlage fest, dass die mit der Berufung angefochtenen Bescheide aufzuheben sind (§ 67d Abs 2 Z 1 AVG).

 

Einem diesbezüglichen Berufungsantrag war daher nicht zu folgen.

 

Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem oben angeführten völlig unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

Gemäß § 125 Abs. 14 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 112/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 112/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 53 als Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 112/2011 damit nicht verbunden ist.

 

Im vorliegenden Fall wurde die in Rede stehende Ausweisung auf Basis des § 53 FPG ("alte Fassung") erlassen, weshalb diese Ausweisung als Rückkehrentscheidung im Sinne des nunmehrigen § 52 FPG anzusehen und zu beurteilen ist.

 

Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 112/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

Im vorliegenden Fall ist zunächst auch von den Bw selbst unbestritten, dass sie über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügen und somit grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig sind. Allerdings ist bei der Beurteilung der Ausweisung bzw. der Rückkehrentscheidung auch auf Art. 8 EMRK sowie § 61 FPG Bedacht zu nehmen.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige   Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-          Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt      entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltstatus           bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein  aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß § 125 Abs. 20 FPG gelten, vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 38/2011 vorgenommene Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 66 als Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 61 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessensabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

Es ist festzuhalten, dass es gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte) zulässig und erforderlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Ausweisung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

Im vorliegenden Fall ist lediglich das Privatleben der Bw von einer Ausweisung betroffen, zumal sämtliche Mitglieder der Kernfamilie von der Maßnahme gleichermaßen erfasst sind, wodurch das Familienleben an sich nicht tangiert sein kann. Es ist allerdings zu bemerken, dass die jeweiligen Eingriffe in das Privatleben des/der einzelnen Bw auch unmittelbar die anderen Familienmitglieder zu beeinträchtigen geeignet sind.

 

Hinsichtlich der Dauer und der Natur des Aufenthalts können der Erst-Bw sowie die Zweit- (ca. 9 Jahre), der Dritt- (ca. 7 Jahre) und die Viert-Bw (ca. 5 Jahre) auf eine relativ lange Dauer verweisen, wobei der größte Teil davon – wegen der aufrechten Asylverfahren – legal war. Das Asylverfahren wurde betreffend den Erst- und die Zweit-Bw im Jahr 2003 begonnen und eben erst im Jahr 2009 finalisiert.

 

Für die beiden Kinder erstreckt sich der Aufenthalt sogar über die gesamte Lebensdauer.

 

Betreffend den unsicheren Aufenthalt der Bw ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen. Demnach hat der dem § 61 Abs. 2 FPG idgF vergleichbare § 66 Abs. 2 FPG 2005 schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates bzw. familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (vgl. auch VwGH vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348).

 

Betreffend der Bewertung des Privatlebens ergibt die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wiederum, dass der rund 10 Jahre und 9 Monate dauernde Aufenthalt sowie die mehr als 9 Jahre lang kontinuierlich ausgeübte unselbständige Erwerbstätigkeit (in Verbindung mit weiteren Aspekten der erreichten Integration) den persönlichen Interessen des Fremden am Verbleib im Bundesgebiet ein derart großes Gewicht verleihen, dass die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FrPolG 2005 - auch bei einem Eingriff nur in das Privatleben - unverhältnismäßig erscheint (vgl. VwGH vom 20. Jänner 2011, 2010/22/0158).

 

Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, befinden sich der Erst- und die Zweit-Bw schon seit ca 9 Jahren im Bundesgebiet. Der Erst-Bw ging seit 2006 durchgängig einer Beschäftigung nach und bezog ein Einkommen. Auch war er durchgängig sozialversichert. Wobei diesbezüglich zu bemerken ist, dass ab dem 1. Jänner 2011 bis zum 31. März 2012 die Leistung der Beiträge aus BSVG, GSVG und FSVG ausständig sind. Die Deutschkenntnisse sind – wie auch die seiner Gattin – ausreichend dokumentiert. Die oa. Judikatur des VwGH kann also hier als Richtschnur herangezogen werden. Verstärkend kann überdies bemerkt werden, dass der Erst-Bw auch nachweislich soziale Integrationsmomente aufweist, die über die berufliche Sphäre hinausgehen. Dies bescheinigt die dokumentierte Vereinsmitgliedschaft.

 

Angesichts von 2 zu betreuenden Kindern kann es der Zweit-Bw auch nicht als negativ angerechnet werden, dass sie ihre berufliche Integration nicht vorangetrieben hat.

 

Auf die berufliche Integration der Kinder braucht – wegen deren Alters – nicht näher eingegangen werden. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass hier vor allem die soziale Integration einen hohen Stellenwert genießt. Der Sohn besucht in Österreich die Volksschule und die Tochter den Kindergarten. Zu bemerken ist hier, dass eben der Eintritt in die Schule, aber auch der Besuch des Kindergartens wesentliche Schritte zur Eingliederung in die österreichischen gesellschaftlichen Strukturen sind und die Kinder zwar aufgrund ihres geringen Alters naturgemäß als "flexibel" bzw. "anpassungsfähig" betrachtet werden können, aber dennoch ein erheblicher Eingriff in das Privatleben gegeben ist, zumal beide in Österreich geboren sind und kein Bezug zum Heimatstaat der Eltern erkannt werden kann. Vor allem der erstgeborene Sohn hat bereits den Kindergarten durchlaufen und besucht nunmehr die Volksschule. Es kann daher, mangels gegenteiliger Anhaltspunkte, davon ausgegangen werden, dass bereits eine erhebliche Verwurzelung in der österreichischen Gesellschaft gegeben ist.

 

Ebenso mit zu berücksichtigen ist, dass alle Bw als strafrechtlich unbescholten zu gelten haben.

 

Gemäß der oben angeführten Judikatur des VwGH ist in diesem Fall nicht mehr die Frage eines unsicheren Aufenthalts nach § 61 Abs. 2 Z. 8 FPG näher zu erörtern und bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände festzustellen, dass die für die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung sprechenden Elemente die des öffentlichen Interesses gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK überwiegen.

 

Nicht zuletzt wird auch davon auszugehen sein, dass gemäß § 61 Abs. 2 Z. 9 FPG von einer eher in die Sphäre der Behörden fallenden langen Verfahrensdauer gesprochen werden muss, da die Verfahrensdauer ohne Zuwirken des Erst-Bw sowohl hinsichtlich seines Verfahrens, als auch der Verfahrens der Zweit-, des Dritt- und der Viert-Bw, entstanden ist.

 

Im Ergebnis ist also eine Rückkehrentscheidung im Hinblick auf das Privatleben der Bw auf Dauer als nicht zulässig zu betrachten.

 

Es war daher der Berufung stattzugeben, die angefochtenen Bescheide aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.

 

Da die Bw ausreichend der deutschen Sprache mächtig sind, konnte eine Übersetzung gem. § 59 FPG unterbleiben.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 111,80 Euro (Eingabegebühr samt Gebühr für die Beilagen) angefallen.

 

 

Mag. Wolfgang Weigl

 

 

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