Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730320/4/SR/MZ/JO

Linz, 22.03.2012

                                                                                                                                                        

E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X, geboren X, Staatsangehöriger der Türkei, vertreten durch RA X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Steyr vom 16. Dezember 2010, Zahl:
1-1002153/FP/10, betreffend die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

 

I.       Aus Anlass der Berufung wird der angefochtene Bescheid ersatzlos          aufgehoben.

 

II.     Der Berufungsantrag auf Zuerkennung der aufschiebenden   Wirkung der in Rede stehenden Berufung wird als unzulässig       zurückgewiesen.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG iVm §§ 9 Abs 1a, 63, 64 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG (BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 38/2011).

 

 

 


Entscheidungsgründe:

 

 

1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Steyr vom 16. Dezember 2010, Zahl:
1-1002153/FP/10, dem Berufungswerber (im Folgenden: Bw) zugestellt am 3. Jänner 2011, wurde gegen den Bw auf Grundlage der §§ 60 Abs. 1 Z 1 und 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (im Folgenden: FPG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

 

Im angefochtenen Bescheid wird von der belangten Behörde ausgeführt, der Bw sei am X in der Türkei geboren. Am 11. Februar 2010 sei er vom Landgericht Aschaffenburg wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden. In Österreich lebe der Bw seit 1988 und sei bereits viermal gerichtlich verurteilt. Bereits 2004 sei dem Bw niederschriftlich zur Kenntnis gebracht worden, dass bei einer weiteren schwerwiegenden Verurteilung ein Aufenthaltsverbot gegen ihn ausgesprochen werden könne.

 

In seiner Stellungnahme vom 17. November 2010 habe der Bw angegeben, keine Kinder zu haben und ledig zu sein. Auch würden die Mutter, die Geschwister sowie die Lebensgefährtin in Österreich leben. Weiters habe der Bw angegeben, über ausreichende Deutschkenntnisse zu verfügen und dass es ihm sehr wichtig sei, in Österreich zu bleiben.

 

In Folge zitiert die belangte Behörde die §§ 2 Abs. 4 Z 1, 60 Abs. 1 und 66 FPG sowie Art. 8 Abs. 2 EMRK.

 

Im Anschluss setzt die belangte Behörde weiter fort, den persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet stünden die oben dargestellte Gefährdung öffentlicher Interessen auf Grund des strafbaren Verhaltens des Bw gegenüber.

 

In rechtlicher Hinsicht sei anzuführen, dass der Bw mit seiner Lebensgefährtin im gemeinsamen Haushalt lebe. Er sei zwar hin und wieder einer Beschäftigung nachgegangen, einem aktuellen Versicherungsdatenauszug zufolge bestehe der größte Teil seines Einkommens aber aus Arbeitslosenbezug und Sozialhilfe. Aufgrund des bisherigen rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich und der familiären Bindungen sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat-, Berufs- und Familienleben auszugehen. Dessen ungeachtet sei die Zulässigkeit dieser Maßnahme im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG zu bejahen und im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit anderer, als dringend geboten zu erachten. Das bisherige Verhalten des Bw verdeutliche augenfällig, dass er offenbar nicht in der Lage oder gewillt sei, die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten. Eine Verhaltensprognose könne schon in Ansehung der Tatbegehung, der besonders großen zu verantwortenden Suchtgiftmenge sowie der den Suchtgiftdelikten zugrunde liegenden immanenten Wiederholungsgefahr nicht positiv ausfallen.

 

Im Übrigen habe die Fremdenpolizeibehörde das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach fremdenrechtlichen Kriterien zu beurteilen und sei an gerichtliche Erwägungen im Rahmen der Strafbemessung und einer allfälligen Strafnachsicht bzw bedingten Entlassung nicht gebunden. Hinsichtlich der nach § 66 Abs. 2 FPG erforderlichen Interessensabwägung sei zu berücksichtigen, dass einer allfälligen, aus dem Aufenthalt des Bw ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten erheblich beeinträchtigt worden sei. Von daher gesehen hätten die privaten, beruflichen bzw familiären Interessen gegenüber den genannten – hoch zu veranschlagenden – öffentlichen Interessen in den Hintergrund zu treten. Darüber hinaus sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Zusammenhang mit Suchtgiftdelikten auch bei sonstiger völliger sozialer Isolation nicht rechtswidrig.

 

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände und Abwägung der gegenläufigen Interessen dränge daher das im hohen Maße bestehende öffentliche Interesse, einen weiteren Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet zu untersagen, das private und familiäre Interesse des Fremden in den Hintergrund. Ein gemeinsames Familienleben könne auch im Ausland weitergeführt werden bzw seien diesbezüglich keine Hinderungsgründe vorgebracht worden.

 

Der Bw könne zwar durch seinen inländischen Aufenthalt seit 1986 [Anmerkung der erkennenden Behörde: gemeint wohl 1988] und das Familienleben mit seiner Lebensgefährtin und den Kindern auf ein nicht unerhebliches Interesse an einem Verbleib in Österreich verweisen. Dem stehe jedoch gegenüber, dass das öffentliche Interesse an der Unterbindung der Suchtgiftkriminalität äußerst gravierend sei. Infolge dieses Verhaltens sei das öffentliche Interesse an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes so schwerwiegend anzusehen, dass das gegenläufige Interesse nicht zu einer Unzulässigkeit des Aufenthaltsverbotes führen könne.

 

Angesichts des dargestellten Gesamt(fehl)verhaltens und im Hinblick auf die Art und Schwere der dem Bw zur Last liegenden Straftaten könne von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens Abstand genommen werden, weil nach der Aktenlage nicht ersichtlich sei, weshalb die Lebensgefährtin den Bw nicht in das Ausland begleiten oder ihn dort zumindest besuchen könne.

 

Eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen des der Behörde zukommenden Ermessens sei zudem offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes, weil der Bw wegen eines Verbrechens zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden sei und daher jenes Maß an unbedingter Freiheitsstrafe erreicht habe, bei dem der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung eine positive Ermessensübung von vornherein ausschließe.

 

Auch die aufenthaltsverfestigenden Bestimmungen des FPG stünden der gegenständlichen Maßnahme nicht entgegen.

 

Das Aufenthaltsverbot sei unbefristet zu erlassen gewesen. Wer – wie der Bw – dem Suchtgifthandel über einen längeren Zeitraum nachgehe und eine besonders gefährliche große Menge an Suchtgift zu verantworten habe, lasse seine Geringschätzung für maßgebliche, zum Rechtsschutz aufgestellte Vorschriften nachhaltig erkennen. Vor dem Hintergrund des dargestellten Gesamt(fehl)verhaltens werde die Auffassung vertreten, dass der Zeitpunkt des Wegfalls des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich der vom Bw ausgehenden Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen, nicht vorhergesehen werden könne, weshalb ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden sei.

 

"Die Behörde habe ihr Ermessen im Sinn des Gesetzes ausgeübt, da nach ständiger hg. Judikatur angesichts der rechtskräftigen Verurteilung wegen eines Verbrechens (§ 55 Abs. 3 Z. 1 FPG) das Vorliegen der Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eindeutig ist; eine auf einer Ermessensabwägung beruhende Abstandnahme von dessen Verhängung würde offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes (Art. 130 Abs. 2 B-VG) erfolgen, sodass dafür keine Veranlassung bestand (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2010, Zl. 2008/18/0478, mwN)."

 

Im Rahmen der gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 und 2 FPG durchzuführenden Interessenabwägung habe die Behörde die Dauer des Aufenthalts des Bw im Inland sowie die familiäre Bindung zur Lebensgefährtin berücksichtigt und einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG angenommen.

 

Es folgen Wiederholungen bereits gemachter Ausführungen.

 

Die Begehung eines schwerwiegenden Suchtgiftdeliktes bringe die besondere Gefährlichkeit für die Gesellschaft deutlich zum Ausdruck, wodurch zweifellos auch ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt werde, da der Handel mit großen Mengen Suchtgift eine große und manifeste Gefahr für die Volksgesundheit darstelle. Die Wiederholungsgefahr bei der Begehung von Suchtmitteldelikten sowie die Gefahr einer illegalen Mittelbeschaffung zur Sicherung des Lebensunterhaltes sei auf Grund der bestehenden Erfahrungswerte eminent hoch.

 

Der Bw habe keinen Beruf erlernt und sich nicht am Arbeitsmarkt integriert. Bloße Absichtserklärungen würden weder im Hinblick auf das Bemühen um einen Arbeitsplatz noch hinsichtlich der Absicht, für eine bessere Zukunft zu kämpfen, reichen, um die privaten Interessen am Verbleib im Bundesgebiet stärken zu können. Angesichts des besagten gravierenden Fehlverhaltens werde die Auffassung vertreten, dass das gegen den Bw erlassene Aufenthaltsverbot gemäß § 66 Abs. 1 FPG zulässig sei, da es doch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten sei.

 

2.1. Gegen den am 3. Jänner 2011 dem Bw zugestellten Bescheid erhob dieser durch seine rechtsfreundliche Vertretung mit Telefax vom 17. Jänner 2011 rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung.

 

2.2. In der Berufungsschrift führt der Bw – zusammengefasst und sinngemäß – aus, dass die belangte Behörde den Strafakt des LG Aschaffenburg nicht beigeschafft gehabt, diesen jedoch als Grundlage für das bekämpfte Aufenthaltsverbot herangezogen habe. Diese Vorgangsweise sei rechtswidrig, da dem Bw die Möglichkeit gegeben hätte werden müssen, sich diesbezüglich zu äußern.

 

Zudem habe die belangte Behörde völlig außer Acht gelassen, dass der Bw in einer Entziehungsanstalt untergebracht worden sei. Auch dies stelle einen Verfahrensmangel dar.

 

Weiters seien die Vorverurteilungen nicht ausreichend festgestellt sondern nur pauschal auf diese verwiesen worden. Eine ordnungsgemäße Interessenabwägung würde die Feststellung des gesamten Sachverhaltes voraussetzen. Die Verurteilungen würden aus den Jahren 2000 bis 2004 stammen, das Wohlverhalten daher 6 Jahre betragen.

 

Der ersten Verurteilung durch das BG Linz-Land vom 18.10.2000, 3 U 224/00g, liege ein Verkehrsunfall zugrunde, weshalb wegen Gefährdung der körperlichen Sicherheit eine Geldstrafe von 40 TS a 250,00 ATS verhängt worden sei.

 

Der zweiten Verurteilung durch das LG Steyr vom 12.12.2001, 10 Hv 1053/01 b, liege eine Nacht zugrunde, in welcher der Bw zusammen mit mehreren anderen Personen in einen X versucht habe einzubrechen, weshalb wegen versuchten gewerbsmäßigen Einbruchdiebstahls eine Freiheitsstrafe von 10 Monaten, bedingt auf 3 Jahre, verhängt worden sei.

 

Der dritten Verurteilung durch das LG Steyr vom 10.10.2003, 13 Hv 61/03 w, liege eine Körperverletzung zugrunde, weshalb eine Geldstrafe von 100 TS a 2,00 € verhängt worden sei.

 

Der vierten Verurteilung durch das BG Linz vom 27.07.2004, 18 U 64/04 s, liege Suchtmittelmissbrauch zugrunde, weshalb eine Freiheitsstrafe von 2 Wochen, bedingt auf 3 Jahre, verhängt worden sei.

 

Der Bw wolle seine Vorstrafen nicht abstreiten, es handle sich jedoch nicht um Fälle von Schwerkriminalität oder überhaupt Kriminalität, die die öffentlichen Interessen derartig gefährden würden, dass ein Aufenthaltsverbot ausgesprochen werden müsse.

 

Es werde entschieden bestritten, dass der Bw – wie von der belangten Behörde vorgeworfen – über einen längeren Zeitraum Suchtgifthandel betrieben und eine besonders gefährliche große Menge Suchtgift zu verantworten hätte. Entsprechende Beweise seien von der belangten Behörde nicht erbracht worden. Auch den der Verurteilung in Deutschland zugrunde liegenden Sachverhalt kenne sie nicht. Darüber hinaus müsse der Sachverhalt auf die österreichische Rechtslage "umgemünzt" und überlegt werden, wie ein österreichisches Gericht die Sache abgeurteilt hätte. Außerdem müsse sich die Behörde nicht nur mit der bloßen Tatsache der Verurteilung sondern vor allem mit der Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftat und dem sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbild auseinandersetzen.

 

Der mehrfache Vorwurf der belangten Behörde, der Bw hätte bestimmte Tatsachen nicht vorgebracht, gehe fehl, da der Bw alle ihm gestellten Fragen fristgerecht und wahrheitsgemäß beantwortet habe. Dass von ihm zusätzlich noch weitere Beweise zu erbringen oder Behauptungen aufzustellen gewesen wären, sei ihm nicht mitgeteilt worden.

 

Die schon lange zurückliegenden Verurteilungen wegen Suchtmittelmissbrauchs und Körperverletzung würden die Integration nicht gravierend mindern. Es sei vielmehr Tatsache, dass der Bw schon jahrelang in Österreich wohne, hier die Schule besucht und gearbeitet habe. Es lebe zudem die gesamte Familie in Österreich, der Freundeskreis befinde sich hier und die Denkweise entspreche den demokratischen Grundsätzen der Republik Österreich. Im Gegensatz dazu verbinde den Bw nur die Abstammung mit der Türkei und stelle diese nur ein Urlaubsland dar, das der Bw seit Jahren nicht aufgesucht habe. Hinzu komme, dass er suchtmittelabhängig sei und sich deshalb in Behandlung befinde. Eine Abschiebung in die Türkei würde einen Rückfall auslösen.

 

Es folgen Wiederholungen bereits getroffener Aussagen und Ausführungen unter der Überschrift "Assoziierungsabkommen mit der Türkei".

 

Weiters erfolgen Ausführungen hinsichtlich der fehlgegangenen Interessensabwägung durch die belangte Behörde, die falsch bemessene Aufenthaltsverbotsdauer sowie den räumlichen Geltungsbereich des Verbots.

 

Abschließend ergeht der Antrag, den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben, allenfalls eine Verhandlung anzuberaumen bzw die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an die Erstbehörde zurückzuverweisen und jedenfalls der Berufung aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

 

2.3. Mit Schreiben vom 18. Juli 2011 und vom 13. Februar 2012 erfolgten verschiedene, für die zu treffende Entscheidung nicht weiter relevante und daher auch nicht weiter konkretisierte, Urkundenvorlagen.

 

3.1. Die belangte Behörde hat die Berufung samt Verfahrensakt der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vorgelegt.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl I 2011/38 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG 2005 in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass die Unabhängigen Verwaltungssenate zur Entscheidung über Berufungen gegen Rückkehrentscheidungen zuständig sind. Darüber hinaus stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 31. Mai 2011, 2011/22/097, zusammengefasst fest, dass nach den maßgeblichen innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Falle des rechtmäßigen Aufenthalts eines Fremden sowohl über die Beendigung des Aufenthaltsrechts entschieden als auch dem nicht mehr länger zum Aufenthalt berechtigten Drittstaatsangehörigen die Pflicht zum Verlassen des Bundesgebietes, sohin eine Rückkehrverpflichtung im Sinne der Rückführungsrichtlinie, auferlegt sowie der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet für einen bestimmten Zeitraum oder für unbefristete Zeit untersagt, sohin auch ein Einreiseverbot im Sinne der Rückführungsrichtlinie ausgesprochen werde. Diese Vorgangsweise, nämlich mit einer einzigen Entscheidung das Aufenthaltsrecht zu beenden sowie unter einem die Rückkehr des Drittstaatsangehörigen anzuordnen und ihm den künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu verbieten, stelle sich im Hinblick auf Art. 6 Abs. 6 Rückführungsrichtlinie als zulässig dar. Ungeachtet dessen seien dabei nach dieser Bestimmung die Verfahrensgarantien des Kapitels III der Rückführungsrichtlinie einzuhalten. Der Verwaltungsgerichtshof erachtet es sohin als nicht zweifelhaft, dass es sich bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes – unabhängig von der Benennung des innerstaatlich festgelegten Rechtsinstituts – um eine Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Z 4 Rückführungsrichtlinie und ein Einreiseverbot im Sinne des Art. 3 Z 6 dieser Richtlinie handelt, bei deren Erlassung die in der Richtlinie festgelegten Verfahrensgarantien einzuhalten seien. Daraus folge aber, dass für Entscheidungen über eine dagegen gerichtete Berufung seit Ablauf der Frist zur Umsetzung der Rückführungsrichtlinie die Unabhängigen Verwaltungssenate zuständig seien.

 

Von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich wurde der gegenständliche Akt daher nunmehr dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Berufungsentscheidung übermittelt.

 

3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, da bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist (§ 67d Abs. 2 Z 1 AVG).

 

3.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich geht bei seiner Entscheidung von dem in Punkt 1 dargestellten, im Wesentlichen unstrittigen Sachverhalt aus.

 

3.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 60 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 38/2011, konnte gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt

1.      die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder

2.      anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen    zuwiderläuft.

 

Im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides hat die belangte Behörde für die Verhängung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes daher zu Recht die zitierte Bestimmung herangezogen.

 

Da – sofern gesetzlich nicht ausdrücklich anderes angeordnet ist – im Berufungsverfahren von der angerufenen Behörde die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt deren Entscheidung heranzuziehen ist, sind die durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, BGBl. I Nr. 38/2011, vorgenommenen Änderungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 in diesem Verfahren zu berücksichtigen.

 

4.2. Gemäß § 63 Abs. 1 FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 kann gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt

1.      die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder

2.      anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen    zuwiderläuft.

 

Gemäß § 63 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 insbesondere jene des § 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 und Abs. 3. § 53 Abs. 5 und 6 gelten.

 

Gemäß § 63 Abs. 3 FPG ist ein Aufenthaltsverbot gemäß Abs. 1 in den Fällen des
§ 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 für die Dauer von mindestens 18 Monaten, höchstens jedoch für fünf Jahre, in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 4 für höchstens zehn Jahre und in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen. Die Frist beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

 

4.3. Im vorliegenden Fall ist zunächst unbestritten, dass der Bw sich derzeit formal rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält bzw aufhalten darf. Daher sind grundsätzlich die oben genannten Bestimmungen zur Prüfung des Aufenthaltsverbotes heranzuziehen.

 

4.4. Laut dem unter der Überschrift "Aufenthaltsverfestigung" stehenden § 64 Abs. 1 Z 1 FPG darf ein Aufenthaltsverbot gemäß § 63 gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, nicht erlassen werden, wenn ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können.

 

Aus verfahrensökonomischer Sicht ist es aufgrund des etwa 24-jährigen Aufenthalts des Bw im Bundesgebiet im gegenständlichen Fall zweckmäßig, nicht erst zu prüfen, ob ein Aufenthaltsverbot dem Grunde nach zu erlassen wäre, sondern erst die Frage zu klären, ob eine Aufenthaltsverfestigung im Sinne des § 64 Abs. 1 Z 1 FPG gegeben ist, weil der Bw vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts die österreichische Staatsbürgerschaft hätte erwerben können. Diesfalls darf ein Aufenthaltsverbot, mag es vor dem Hintergrund des § 63 auch berechtigt sein, ohnehin nicht erlassen werden.

 

4.4.1. Vorab ist bezüglich der hiebei heranzuziehenden Fassung des § 10 Abs. 1 StbG festzustellen:

 

Der unter der Überschrift "Verweisungen" stehende § 124 FPG normiert, dass, soweit in diesem Bundesgesetz auf Bestimmungen anderer Bundesgesetze verwiesen wird, diese in ihrer jeweils geltenden Fassung anzuwenden sind.

 

Die Kompetenzgrundlage für das Staatsbürgerschaftsgesetz stellt Art. 11 Abs. 1 Z 1 B-VG dar. Demnach obliegt die Gesetzgebung in Angelegenheiten der Staatsbürgerschaft dem Bund. § 124 FPG ist daher grundsätzlich bei Verweisungen auf das Staatsbürgerschaftsgesetz anzuwenden.

 

§ 64 Abs. 1 Z 1 FPG verweist jedoch ausdrücklich auf § 10 Abs. 1 StbG, BGBl. Nr. 311. Es ist daher vom Vorliegen einer lex specialis auszugehen und § 10 Abs. 1 leg cit in der explizit verwiesenen Fassung anzuwenden. Dies insbesondere auch deshalb, weil der Wortlaut der beiden widersprüchlichen Bestimmungen seit der Stammfassung des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl Nr. 100/2005, unverändert geblieben ist und die Bestimmungen zeitgleich in Kraft getreten sind.

 

4.4.2. § 10 Abs. 1 StbG in der Fassung BGBl. Nr. 311 lautet:

 

"Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn

1. er seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen ordentlichen Wohnsitz im Gebiet der Republik hat;

2. er durch ein inländisches Gericht

a) weder wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten

b) noch wegen eines Finanzvergehens zu einer Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist;

hiebei stehen der Verleihung der Staatsbürgerschaft auch Verurteilungen wegen einer strafbaren Handlung entgegen, die der Fremde vor der Vollendung des 18. Lebensjahres begangen hat; (BGBl. Nr. 170/1983, Art. I Z 8)

3. gegen ihn nicht

a) wegen des Verdachtes einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten bedroht sind, noch

b) wegen des Verdachtes eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist; (BGBl. Nr. 170/1983, Art. I Z 8)

4. er nicht von einem ausländischen Gericht wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist, die strafbaren Handlungen auch nach inländischem Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entsprechenden Verfahren ergangen ist; (BGBl. Nr. 202/1985, Art. I Z 6)

5. gegen ihn kein Aufenthaltsverbot besteht; (BGBl. Nr. 703/1974, Art. I Z 1)

6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bildet;

7. sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder er sich ohne sein Verschulden in einer finanziellen Notlage befindet und

8. er nicht mit fremden Staaten in solchen Beziehungen steht, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Interessen oder das Ansehen der Republik schädigen würde."

 

4.4.3. Gemäß § 64 Abs. 1 Z 1 FPG darf gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn diesem vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG verliehen hätte werden können. Aufgrund der zahlreichen strafrechtlichen Verurteilungen des Bw scheint dies im gegenständlichen Fall prima vista nicht möglich zu sein. Eine chronologische Analyse des zu beurteilenden Sachverhaltes führt jedoch zu einem anderen Resultat.

 

Der Bw ist – wie dem angefochtenen Bescheid zu entnehmen ist – seit 1988 rechtmäßig in Österreich aufhältig bzw zum Aufenthalt berechtigt. Wenn § 10 Abs. 1 Z 1 StbG für die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft unter anderem voraussetzt, dass der Fremde seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen ordentlichen Wohnsitz im Gebiet der Republik hat, ist daher in weiterer Folge die Frage zu stellen, ob der Bw im Jahre 1998 die weiteren Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erfüllt hat.

 

Die erste Verurteilung des Bw erfolgte am 18. Oktober 2000 und daher deutlich nach dem hier zu beurteilenden Zeitraum. Dass der Bw im relevanten Zeitraum im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 2 StbG von einem Gericht verurteilt, gegen ihn im Sinne der Z 3 leg cit ermittelt oder er von einem ausländischen Gericht gemäß Z 4 leg cit rechtskräftig verurteilt worden wäre, ist im Verfahren ebenso wenig hervorgekommen, als dass gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 StbG ein Aufenthaltsverbot bestanden hätte.

 

Im relevanten Beurteilungszeitpunkt scheiden auch die in § 10 Abs. 1 Z 6 und 8 StbG enthaltenen Tatbestände offensichtlich aus.

 

Da der 1979 geborene Bw 1998 19 Jahre alt war, kann zu diesem Zeitpunkt eine Verfestigung am Arbeitsmarkt noch nicht unbedingt gefordert werden und ist daher davon auszugehen, dass zu diesem Zeitpunkt sein Lebensunterhalt hinreichend im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 7 StbG gesichert war. Dies vor allem auch deshalb, als sich die Kernfamilie des Bw in Österreich befand und von dieser Unterstützung zu erwarten war.

 

4.5. Es ist nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich daher davon auszugehen, dass mangels Erfüllung eines der Versagungstatbestände des § 10 Abs. 1 StbG dem Bw vor Verwirklichung des für das gegenständliche Aufenthaltsverbot maßgeblichen Sachverhalts – konkreter: im Jahr 1998 – im Sinne des § 64 Abs. 1 Z 1 FPG die österreichische Staatsbürgerschaft hätte verliehen werden können. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den Bw erweist sich aus diesem Grund seit der Novelle durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, BGBl. I Nr. 38/2011, bis zu welcher eine Aufenthaltsverfestigung bei einer Verurteilung zu einer mehr als einjährigen unbedingten Freiheitsstrafe scheitern konnte (vgl § 61 Z 3 FPG idF vor dem FrÄG 2011), als unzulässig.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden (Spruchpunkt I.).

 

5. Hinsichtlich der Beantragung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt II.) ist festzuhalten, dass es sich dabei offensichtlich um einen – hier verfehlt eingesetzten – Textbaustein handelt, da von der belangten Behörde die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt wurde. Der Antrag auf Zuerkennung derselben geht daher ins Leere und war spruchgemäß zurückzuweisen.

 

6. Von einer Übersetzung gemäß § 59 Abs. 1 FPG konnte aufgrund der vom Bw geltend gemachten guten Deutschkenntnisse abgesehen werden.

 

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils durch einen Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 29,90 Euro (14,30 Euro Eingabegebühr + 15,60 Euro Beilagen) angefallen.

 

 

Mag. Christian Stierschneider

 

 

 

Beschlagwortung:

Aufenthaltsverbot, Aufenthaltsverfestigung, § 64 Abs. 1 Z 1 FPG

 

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