Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-101082/5/Bi/Fb

Linz, 09.09.1993

VwSen - 101082/5/Bi/Fb Linz, am 9.September 1993 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Mag. Bissenberger über die Berufung des Mag. M. F. vom 21. Jänner 1993 gegen die Ermahnung der Bundespolizeidirektion .. vom 11. Jänner 1993, Cst.5.137/92-HU, zu Recht:

Der Berufung wird keine Folge gegeben und die angefochtene Ermahnung vollinhaltlich bestätigt.

Rechtsgrundlage: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 und 21 Abs.1 VStG, § 12 Abs.5 iVm § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bundespolizeidirektion .. hat mit Bescheid vom 11. Jänner 1993, Cst.5.137/92-HU, über den Beschuldigten wegen der Verwaltungsübertretung gemäß § 12 Abs.5 StVO eine Ermahnung ausgesprochen, weil er am 6. April 1992 um 15.33 Uhr in L. stadtauswärts, Kreuzung mit dem H.platz, als Lenker des KFZ mit dem Kennzeichen .., eines einspurigen Fahrzeuges, neben den bereits vor einer Kreuzung angehaltenen Fahrzeugen vorbeigefahren ist, um sich mit seinem Fahrzeug weiter vorne aufzustellen.

2. Dagegen hat der Rechtsmittelwerber rechtzeitig Berufung erhoben, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Damit wurde die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates ausgelöst, der, da keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch ein Einzelmitglied zu entscheiden hat (§ 51c VStG). Der Rechtsmittelwerber hat in der Berufung für den Fall, daß der von ihm im Einspruch geschilderte Sachverhalt als erwiesen erachtet wird, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Da im übrigen nur Rechtsfragen zu klären waren, war eine öffentliche mündliche Verhandlung nicht durchzuführen (§ 51e Abs.2 und 3 VStG).

3. Der Rechtsmittelwerber macht geltend, er habe in seinem Einspruch gegen die Strafverfügung zwar ein Vorgehen nach § 21 VStG beantragt, aber aufgrund seines dortigen Vorbringens konnte nicht zweifelhaft sein, daß es sich dabei nur um ein Eventualbegehren handelte. Primär wurde die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens mangels Vorliegen einer Verwaltungsübertretung beantragt, zumal es bei Rechtskraft der bescheidmäßigen Ermahnung zu einer behördlichen Registrierung einer Verwaltungsübertretung käme. Auch wenn ihn die Erstinstanz ermahnt habe, bedeutet dies nicht, daß ein solcher Bescheid keine Begründung enthalten müsse. Die belangte Behörde hätte insbesondere zu begründen gehabt, warum sie entgegen seiner Rechtsansicht der Meinung gewesen sei, daß eine Verwaltungsübertretung vorliege. Da die belangte Behörde von ihrem Rechtsstandpunkt nicht abgegangen sei, verweise er diesbezüglich auf seine Argumente im Einspruch gegen die Strafverfügung und beantrage nochmals, das Strafverfahren gegen ihn einzustellen. Im Einspruch gegen die Strafverfügung hat der Rechtsmittelwerber ausgeführt, die Breite des für die Geradeausfahrt bestimmten Fahrstreifens betrage 4 m und zum Zeitpunkt der ihm angelasteten Tat seien ausschließlich PKW in der Kolonne gestanden. Es ergebe sich somit ein restlicher freier Fahrstreifen von ca. 2 m, weshalb gemäß der Entscheidung des OGH vom 22. Dezember 1987, ZVR 1988/120, vom Bestehen zweier Fahrstreifen in die betreffende Richtung auszugehen sei, sodaß die Benützung des freien Fahrstreifens neben der stehenden Kolonne nicht verboten sei. Die Interpretation des OGH sei keine spezifisch zivilrechtliche und daher auf das Verwaltungsstrafverfahren zu übertragen. Da laut OGH bei einem Fahrstreifen derartiger Breite kein verbotenes "Vorbeischlängeln" vorliege, könne ihm aus seinem Verhalten schwerlich der Vorwurf eines groben Veschuldens gemacht werden, weshalb die Behörde zumindest § 21 VStG zur Anwendung zu bringen gehabt hätte.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz, wobei folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt gemäß dem Berufungsvorbringen - der Rechtsmittelentscheidung zugrundegelegt wird:

Der Rechtsmittelwerber hat am 6. April 1992 um 15.33 Uhr das Kraftrad .. auf der Hauptstraße von der N. kommend gelenkt und sich bei der Kreuzung H.platz auf dem rechten, zum Geradeausfahren bestimmten Fahrstreifen in der Weise eingeordnet, daß er an mehreren auf diesem Fahrstreifen wegen Rotlichtes der VLSA hintereinander anhaltenden PKW links vorbeifuhr und vor der Haltelinie anhielt. Dieser Sachverhalt ergibt sich aus der Anzeige des Meldungslegers Insp. H. vom 19. April 1992, wobei sich dessen Standort vor dem Objekt H.straße rechts vom angeführten Fahrstreifen etwa auf der Höhe der Straßenbahnhaltestelle R.straße befand. Aus der im Akt befindlichen, vom Meldungsleger angefertigten Skizze geht hervor, daß der für die Geradeausfahrt bestimmte Fahrstreifen eine Breite von ca.

4 m aufweist und vom mittleren, zum Linkseinbiegen bestimmten und im Haltelinienbereich etwas nach hinten versetzten Fahrstreifen durch eine Leitlinie abgegrenzt ist, die im Haltelinienbereich in eine Sperrlinie übergeht. Aus dem Akteninhalt ergibt sich auch, daß der Rechtsmittelwerber weder die Leitlinie noch die Sperrlinie überfahren hat, was den Schluß zuläßt, daß für das vom Rechtsmittelwerber gelenkte Kraftrad neben den auf dem Fahrstreifen angehaltenen PKW offensichtlich genügend Platz vorhanden war. Weiters steht fest, daß diese PKW nicht aus Rücksichtnahme auf den Rechtsmittelwerber ausgewichen sind, sondern bereits vor dem Rotlicht der VLSA angehalten hatten, als der Rechtsmittelwerber links an ihnen vorbeifuhr und selbst vor der Haltelinie anhielt. Aus der Skizze ist ersichtlich, daß die Hauptstraße nach der in Rede stehenden Kreuzung und der Einmündung der F.straße in den H.platz nicht exakt gegenüber dem geradeaus führenden Fahrstreifen weiterführt, sondern aufgrund des rechts am Schnittpunkt der Fahrbahnränder H.straße - F.straße befindlichen, mit einer Betonmauer umrundeten Aufganges der Fußgängerunterführung etwas nach links versetzt ist. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist davon auszugehen, daß sich Lenker mehrspuriger Fahrzeuge, sofern dem nicht ein Hindernis entgegensteht, dem sie auszuweichen haben, in der Mitte des von ihnen benützten Fahrstreifens einordnen. Da der Rechtsmittelwerber mit seinem Kraftrad erst nach den anhaltenden Fahrzeuglenkern zur Kreuzung gekommen ist, ist auf den gegenständlichen Fall bezogen davon auszugehen, daß sich die Lenker der anhaltenden PKW ca. in der Mitte des 4 m breiten Fahrstreifens eingeordnet haben, woraus sich ergibt, daß auf beiden Seiten der PKW ein Streifen von ca. 1,20 m übrig blieb. Die Behauptung des Rechtsmittelwerbers, wonach ein Freiraum von jedenfalls 2 m übriggeblieben sei, wäre dann nachvollziehbar, wenn sich die PKW gleichzeitig mit seiner Annäherung an die Haltelinie unter Berücksichtigung eines Sicherheitsabstandes zum Kraftrad eingeordnet hätten, was aber der Aktenlage widerspräche.

In rechtlicher Hinsicht ist dazu auszuführen, daß § 12 Abs.5 StVO 1960 den Lenkern einspuriger, später ankommender Fahrzeuge untersagt, neben oder zwischen den bereits vor Kreuzungen angehaltenen Fahrzeugen vorzufahren, um sich weiter vorne aufzustellen, ohne die Möglichkeit offenzulassen, daß für das Vorfahren ausreichend Platz vorhanden sein könnte. Diese Ausnahme besteht gemäß dem zweiten Satz dieser Bestimmung nur für Radfahrer, wenn sie abbiegende Fahrzeuge nicht behindern. Im gegenständlichen Fall ist daher irrelevant, ob links von den angehaltenen PKW noch ausreichend Platz für das Kraftrad des Rechtsmittelwerbers verblieben ist. Dieser Umstand ist für die Beurteilung, ob der in Rede stehende Tatbestand verwirklicht wurde, belanglos, kann aber im Hinblick auf die Beurteilung der subjektiven Tatseite durchaus zur Annahme eines geringfügigen Verschuldens führen. Das Argument des Rechtsmittelwerbers im Hinblick auf die von ihm zitierte Judikatur des Obersten Gerichtshofes ist insofern zutreffend, als diese Entscheidung aus dem Jahr 1987 stammt und die auf Radfahrer bezogene Ausnahmebestimmung erst mit der 15. StVO-Novelle, BGBl.Nr. 86/1989, in Kraft trat, sodaß zum Zeitpunkt der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes das Vorfahren einspuriger Fahrzeuge an vor Kreuzungen anhaltenden Fahrzeugen generell verboten war. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl ua Erkenntnis vom 9. Mai 1964, 52/63) kann von zwei Fahrstreifen nur gesprochen werden, wenn die Fahrbahnbreite mindestens 5 m beträgt. Eine Verbindung dieser beiden Judikate würde bedeuten, daß bei einer Fahrbahnbreite von 4 m zwar mehr als einer, aber noch nicht zwei Fahrstreifen gegeben sind, sodaß die Judikatur des Obersten Gerichtshofes vom 10. September 1985, 2Ob34/85, ZVR 1986/10, wonach bei Vorhandensein von zwei oder mehr Fahrstreifen für die betreffende Fahrtrichtung es dem Lenker eines einspurigen Fahrzeuges nicht verboten ist, an einer auf einem Fahrstreifen aufgestauten Kolonne auf einem anderen Fahrstreifen vorbeizufahren, im gegenständlichen Fall nicht anzuwenden ist. Die vom Rechtsmittelwerber zitierte Judikatur des Obersten Gerichtshofes hat nach Auffassung des unabhängigen Verwaltungssenates jedoch eine andere Situation zum Inhalt, zumal hier von einer Fahrbahn die Rede ist, die offensichtlich nicht durch entsprechende Bodenmarkierungen in Fahrstreifen unterteilt ist. Auf den gegenständlichen Fall ist diese Judikatur daher nicht anzuwenden, weil sich auf der Hauptstraße vor der Kreuzung Hinsenkampplatz einzelne durch Leit- und Sperrlinien markierte und voneinander getrennte Fahrstreifen befinden, wobei lediglich ein Fahrstreifen, nämlich der äußerst rechte, vom Rechtsmittelwerber benützte, für das Geradeausfahren bestimmt ist, sodaß sich das Problem, wieviele Fahrstreifen tatsächlich in diesem einen markierten Fahrstreifen zu sehen sind, gar nicht stellt. Das Arugument des Rechtsmittelwerbers, die Annahme des Nichtvorhandenseins eines Freiraumes von 2 m unterstelle allen auf dem rechten Fahrstreifen anhaltenden PKW-Lenkern einen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot, geht schon deshalb ins Leere, weil die als lex generalis anzusehende Bestimmung des § 7 Abs.1 StVO 1960 den Schutz des Gegenverkehrs sowie die Verhinderung einer Gefahr vom rechten Fahrbahnrand zum Zweck hat, jedoch § 9 Abs.6 leg.cit. speziell die Einordnungspflicht gemäß vorhandener Richtungspfeile normiert, wobei selbstverständlich ein ausreichender Abstand zum rechten Fahrbahnrand einzuhalten ist, aber eine Behinderung oder Belästigung anderer Straßenbenützer, denen das Vorfahren vor Kreuzungen ohnedies verboten ist, schon begrifflich ausscheidet. In der gesamten Straßenverkehrsordnung findet sich keine Bestimmung, die es Lenkern mehrspuriger Fahrzeuge untersagt, sich in der Mitte eines 4 m breiten Fahrstreifens einzuordnen. Da im übrigen davon ausgegangen wurde, daß genügend Platz für das Vorfahren des Rechtsmittelwerbers vorhanden war, ist belanglos ob der Freiraum 1,20 m, 1,50 m oder 2 m betragen hat.

Der Rechtsmittelwerber hat ein Kraftrad gelenkt und fällt damit nicht unter die Ausnahmeregelung des § 12 Abs.5 zweiter Satz StVO 1960, ist aber als Lenker eines einspurigen, später ankommenden Fahrzeuges neben bereits angehaltener PKW vorgefahren, um sich mit seinem Kraftrad vor der Haltelinie aufzustellen. Er hat daher nach Auffassung des unabhängigen Verwaltungssenates den ihm zur Last gelegten Tatbestand erfüllt und sein Verhalten als Verwaltungsübertretung zu verantworten.

Wie bereits ausgeführt, hat der Rechtsmittelwerber tatsächlich ausreichend Platz für sein Kraftrad vorgefunden, ohne dabei die Sperrlinie zu überfahren oder andere Verkehrsteilnehmer zu behindern, weshalb von der Erstinstanz zutreffend ein geringfügiges Verschulden angenommen wurde. Da die Übertretung überdies auch keine Folgen hatte, vermag der unabhängige Verwaltungssenat in der Anwendung des § 21 VStG keine Rechtswidrigkeit zu erkennen. Die Erteilung einer Ermahnung mit dem Zweck, den Rechtsmittelwerber in Hinkunft von weiteren strafbaren Handlungen gleicher Art abzuhalten, ist ebenfalls gerechtfertigt, da der Rechtsmittelwerber auch in Zukunft als Lenker eines Kraftrades in ähnliche Situationen kommen könnte, und die Ermahnung als gelindestes Mittel der Spezialprävention anzusehen ist.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist eine weitere Berufung unzulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Sie muß von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Mag. Bissenberger 6