Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-101085/13/Fra/Ka

Linz, 05.05.1993

VwSen - 101085/13/Fra/Ka Linz, am 5. Mai 1993 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Fragner über die Berufung des H.M., gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft .. vom 21. Jänner 1993, VerkR-96/108/1993/Bi/Hu, betreffend Übertretung des § 16 Abs.1 lit.a StVO 1960, nach der am 5. Mai 1993 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:

I. Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen. Das angefochtene Straferkenntnis wird vollinhaltlich bestätigt.

Rechtsgrundlage: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 19, 24, 51 und 51e Abs.1 VStG.

II. Der Berufungswerber hat als Kostenbeitrag zum Berufungsverfahren 260 S, ds. 20 % der verhängten Geldstrafe, binnen zwei Wochen ab Zustellung des Erkenntnisses bei sonstiger Exekution zu zahlen.

Rechtsgrundlage: § 64 Abs.1 und 2 VStG.

Entscheidungsgründe:

I.1. Die Bezirkshauptmannschaft .. hat mit Straferkenntnis vom 21. Jänner 1993, VerkR-96/108/1993/Bi/Hu, über den Beschuldigten wegen der Verwaltungsübertretung nach § 16 Abs.1 lit.a StVO 1960 gemäß § 99 Abs.3 lit.a leg.cit. eine Geldstrafe in Höhe von 1.300 S (Ersatzfreiheitsstrafe 24 Stunden) verhängt, weil er am 27. Dezember 1992, gegen 9.30 Uhr den PKW, Kennzeichen .. auf der S.straße bei Strkm. 10,550 in U. von O. kommend in Richtung G. gelenkt hat, wobei er unmittelbar nach der sogenannten "W.brücke" einen PKW überholt hatte, wobei andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende gefährdet oder behindert werden hätten können, zumal für diesen Überholvorgang die erforderliche Mindestsichtweite nicht gegeben war. Ferner wurde er gemäß § 64 VStG zur Leistung eines Strafkostenbeitrages in Höhe von 10 % der verhängten Strafe verpflichtet.

I.2. Gegen das unter Ziffer I.1. angeführte Straferkenntnis richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Berufung des Beschuldigten. Die Erstbehörde hat die Berufung samt bezughabenden Akt dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt und dadurch dessen Zuständigkeit ausgelöst. Dieser entscheidet, weil eine 10.000 S übersteigende Geldstrafe nicht verhängt wurde, durch eines seiner Mitglieder.

Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den Verwaltungsstrafakt sowie durch Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 5. Mai 1993 an Ort und Stelle. Zu dieser Verhandlung sind der Beschuldigte, der Vertreter der Erstbehörde und der Zeuge erschienen. Weiters wurde zu dieser Verhandlung ein Amtssachverständiger für Straßenverkehrstechnik beigezogen. Aufgrund des Ergebnisses dieser Verhandlung ist der dem Beschuldigten zur Last gelegte Tatbestand als erwiesen anzusehen.

I.3. Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

I.3.1. Unstrittig ist, daß der Beschuldigte zur angeführten Zeit die .. befahren hat. Unstrittig ist weiters, daß er den PKW, .. überholt hat. Strittig sind jedoch die in der Anzeige gemachten Angaben zum Überholvorgang. Der Beschuldigte behauptet, den Überholvorgang unmittelbar bei der Abzweigung zur Betriebszufahrt der Firma B.begonnen und auf Höhe zwischen dem Betrieb G. und dessen Geschäftsbzw. Wohnhaus beendet zu haben. Zu Beginn des Überholmanövers habe er ausreichend Sicht gehabt und konnte auch keinen Gegenverkehr erkennen. Erst bei Beendigung seines Überholmanövers hatte er Gegenverkehr gehabt. Diesen habe er weder gefährdet noch behindert. Er habe sein Fahrzeug noch rechtzeitig vor dem Gegenverkehr wieder auf den rechten Fahrstreifen einordnen können.

Demgegenüber führt der Zeuge aus, daß der Überholvorgang zwischen der "W.brücke" und der Abzweigung der Zufahrt zur Firma B. stattfand. Seine Fahrgeschwindigkeit habe jedenfalls ca. 60 km/h bis 70 km/h betragen. Der Beschuldigte befand sich mit seinem Fahrzeug auf gleicher Höhe beim zweiten Schachteinlaß der Produktionsstätte der Firma B., gesehen von der "W.brücke". Es kam ihm eine Fahrzeugkolonne entgegen, wobei der erste Fahrzeuglenker der entgegenkommenden Kolonne Blinkzeichen - offenbar wegen des ihn überholenden Beschuldigtenfahrzeuges - setzte. Er bremste sein Fahrzeug stark ab, um einen Unfall zu vermeiden. Seiner Ansicht nach hat auch das gegnerische Fahrzeug abbremsen müssen.

I.3.2. Insoferne sich nun die beiden Aussagen widersprechen, folgt der unabhängige Verwaltungssenat der Version des Zeugen F. Der Zeuge machte bei der Berufungsverhandlung einen sehr sicheren und sachlichen Eindruck. Darüber hinaus ist zu bedenken, daß der Zeuge - im Gegensatz zum Beschuldigten - bei einer falschen Aussage mit strafrechtlichen Sanktionen zu rechnen hat. Vom entscheidenden Mitglied des unabhängigen Verwaltungssenates wurde der Zeuge ausdrücklich auf die Folgen einer falschen Zeugenaussage aufmerksam gemacht und an die Wahrheitspflicht erinnert.

Unter Zugrundelegung der Aussagen des Zeugen hat nun der Amtssachverständige für Straßenverkehrstechnik in seinem Gutachten folgendes ausgeführt: "Ausgehend von den Angaben des Zeugen, wonach sich der Beschuldigte auf Höhe des Strkm. 10,540 auf gleicher Höhe mit seinem Fahrzeug befand, ist festzustellen, daß ein Überholbeginn auf Höhe des Strkm.10,6 dem tatsächlichen Beginn des Überholvorganges etwa entsprechen würde.

Vollzieht man einen derartigen Überholvorgang unter der Prämisse nach, daß das überholende Fahrzeug vorerst mit gleicher Geschwindigkeit hinter dem zu überholenden Fahrzeug nachfuhr und unter Einhaltung eines Sicherheitsabstandes, der einer Reaktionszeit von 1 Sekunde entspricht, ausscherte, ergibt sich bei einer Überholzeit von 6,6 Sekunden ein Überholweg von 162 m. Unter Berücksichtigung einer hier zulässigen Geschwindigkeit des Gegenverkehrs von 100 km/h ergibt sich daher eine zumindest erforderliche Überholsichtweite von 345 m, um die Möglichkeit einer Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer zu Überholbeginn ausschließen zu können.

Folgt man nun den Ausführungen des Beschuldigten, wonach er sich mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h dem zu überholenden Fahrzeug näherte, so ist folgendes festzustellen:

Stellt sich die Ausgangsposition eines Überholvorganges nicht in einem Hintereinanderfahren mit konstanter Geschwindigkeit dar, sondern schließt das überholende Fahrzeug auf das zu überholende Fahrzeug auf, so ist der Überholvorgang jedenfalls dann als begonnen anzusehen, wenn der den Überholvorgang durchführende Fahrzeuglenker nicht mehr die Möglichkeit hat, sich hinter dem zu überholenden Fahrzeug einzuordnen. Im gegenständlichen Fall ist von einer Aufschließungsgeschwindigkeit von 40 km/h auszugehen. Unter Berücksichtigung dieser Aufschließungsgeschwindigkeit sowie einer ohne Beeinträchtigung der Fahrstabilität bei einem gleichzeitigen Auslenkmanöver zu erzielenden Bremsverzögerung von 7 m/sec2 ergibt sich ein erforderlicher Bremsweg der Differenzstrecke von 35 m. Folgt man nun weiter den Ausführungen des Beschuldigten, wonach er reaktionsbereit war, dh. auf ein eventuelles Bremsmanöver und Wiedereinschwenken vorbereitet war, so kann von einer verkürzten Reaktionszeit ausgegangen werden. Ausgehend von einer sehr kurzen Reaktionszeit von nur 0,5 sec. ergibt sich daher ein Reaktionsweg von 13,85 m. Weiters sind bei hydraulischen Bremsen eine Bremsansprechzeit von ca. 0,2 sec. zu berücksichtigen, was einer Strecke von 5,5 m entspricht. Hieraus ergibt sich, daß der Überholvorgang dann als begonnen anzusehen ist, wenn sich das überholende Fahrzeug 54 m hinter dem zu überholenden Fahrzeug befindet.

Unter diesen geänderten Voraussetzungen ergibt sich bei Zugrundelegung einer Überholgeschwindigkeit von 100 km/h eine Überholzeit von ca. 6,2 sec. Hieraus errechnet sich unter weiterer Berücksichtigung einer Fahrzeuglänge von 4 m und einem zumindest einzuhaltenden Sicherheitsabstand nach dem Überholvorgang, der einer Reaktionszeit von 1 Sekunde entspricht, ein Überholweg von 172m. Wie bereits angeführt wurde, besteht auf diesem Straßenstück keine Geschwindigkeitsbeschränkung, sodaß von einer zulässigen Geschwindigkeit von 100 km/h (auch des Gegenverkehrs) auszugehen ist. Hieraus ergibt sich eine zumindest erforderliche Überholsichtweite von 340 m, um zu Beginn des Überholvorganges jegliche Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer ausschließen zu können.

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß eine derartige Überholsichtweite im Bereich der sogenannten "W.brücke" auf Höhe des Strkm.10,6 an keiner Stelle zur Verfügung steht." Das vorhin zitierte Gutachten ist schlüssig und blieb auch vom Beschuldigten unwidersprochen. Es wird daher der Entscheidung zugrundegelegt.

I.3.3. Gemäß § 16 Abs.1 lit.a StVO 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges nicht überholen, wenn andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende gefährdet oder behindert werden könnten, dh., daß das Überholen schon dann zu unterlassen ist, wenn die Möglichkeit einer Gefährdung oder Behinderung eines anderen Verkehrsteilnehmers gegeben ist. Der Lenker eines Fahrzeuges darf grundsätzlich nur dann überholen, wenn er in der Lage ist, die Überholstrecke zu überblicken und sich von der Möglichkeit eines gefahrlosen Überholens zu überzeugen. Daß dies gegenständlich nicht der Fall war, liegt aufgrund des oben zitierten Gutachtens auf der Hand. I.3.4. Ergänzend wird ausgeführt:

Der Sachverständige hat auch den vom Beschuldigten angegebenen Überholvorgang rechnerisch wie folgt nachvollzogen: "Der Beschuldigte gibt an, den Überholvorgang auf Höhe der Zufahrt zur Firma B. (Produktionsbetrieb) auf Höhe des Strkm. 10,460 begonnen zu haben. Er führt auch aus, daß er den Überholvorgang bis zu Strkm. 10,345 (Fixpunktvermarkungsstein und daneben befindlicher Splitthaufen) abschließen hätte können, wenn der Beschuldigte die Geschwindigkeit nicht erhöht hätte. Vollzieht man einen derartigen Bewegungsablauf, bei dem sich ein Überholweg von lediglich 85 m ergibt, rechnerisch nach, so ist festzustellen, daß bei der angegebenen Geschwindigkeit des überholenden Fahrzeuges von 100 km/h eine erhebliche Unterschreitung des Sicherheitsabstandes erforderlich wäre, wenn das überholte Fahrzeug mit geringer Geschwindigkeit fährt. Bei höherer Geschwindigkeit des überholten Fahrzeuges ist ein derartiger Bewegungsablauf technisch als nicht möglich zu bezeichnen.

Von der angegebenen Stelle des Überholbeginnes bei Strkm.10,460 aus, ist ein in Richtung der Kilometrierung entgegenkommendes Fahrzeug günstigstenfalls im Bereich der Ortstafel G. einsehbar. Die günstigste Sichtweite auf ein entgegenkommendes Fahrzeug ergibt sich dann, wenn dieses entlang der Leitlinie bewegt wird. Diese Sichtweite beträgt 210 m. Es ist daher ergänzend festzustellen, daß für einen derartigen Überholvorgang an dieser Stelle entweder die mindesterforderlichen Sicherheitsabstände erheblich unterschritten werden müssen, sodaß sich ein sehr kurzer Überholweg ergibt oder auch hier die Überholsichtweite als nicht ausreichend zu bezeichnen ist." I.4. Zur Strafbemessung: Die Behörde hat die festgesetzte Strafe nach den Kriterien des § 19 VStG bemessen. Sie hat die für die Ermessensübung maßgebenden Umstände und Erwägungen ausreichend aufgezeigt. Der unabhängige Verwaltungssenat ergänzt, daß der gegenständlichen Übertretung auch ein erheblicher Unrechtsgehalt der Tat anhaftet, weil durch ein derartiges Fahrmanöver die Interessen der Verkehrssicherheit gravierend beeinträchtigt werden, weshalb eine Herabsetzung der ohnehin nicht gesondert angefochtenen Strafe nicht vertretbar wäre.

zu II. Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf die im Spruch angeführte gesetzliche Bestimmung.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist eine weitere Berufung unzulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Sie muß von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. F r a g n e r 6

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