Linz, 16.04.2012
E R K E N N T N I S
Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung der Frau X geb. X, W, K, vertreten durch RAe Y, D, W, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land, vom 15. Februar 2012, Zl.: VerkR96-2873-2011, wegen einer Übertretung der StVO 1960, nach der am 16. April 2012 im Rahmen eines Ortsaugenscheins durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu Recht:
I. Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen. Der Hinweis auf den Abzug des Verkehrsfehlers hat im Spruch jedoch zu entfallen.
II. Zuzüglich zu den erstinstanzlichen Verfahrenskosten wird der Berufungswerberin für das Berufungsverfahren ein Kostenbeitrag von 32 Euro auferlegt.
Rechtsgrundlagen:
Zu I.: § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl.Nr. 51, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 111/2010 - AVG iVm § 19, § 24, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl.Nr. 52, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 111/2010 - VStG.
Zu II.: § 64 Abs.1 u.2 VStG.
Entscheidungsgründe:
1.1. In der Begründung tätigte die Behörde erster Instanz folgende Erwägungen:
1.1. Mit diesen Ausführungen ist die Behörde erster Instanz im Recht!
2. Dem tritt die Berufungswerberin jedoch mit ihrer durch den ausgewiesenen Rechtsvertreter fristgerecht erhobenen Berufung entgegen:
3. Die Behörde erster Instanz hat den Akt zur Berufungsentscheidung vorgelegt. Damit ist die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates begründet. Dieser hat, da keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt worden ist, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung schien insbesondere mit Blick auf das Berufungsvorbringen in Wahrung der gem. Art. 6 EMRK intendierten Rechte geboten (§ 51e Abs.1 VStG).
4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme und Verlesung des Verwaltungsstrafaktes der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land, Zl.: VerkR96-2873-2011, sowie durch die zeugenschaftlichen Vernehmungen des die Messung durchführenden GrInsp. A, anlässlich der im Rahmen eines Ortsaugenscheins durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung.
Beigeschafft wurde ferner die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land v. 14.10.2010, VerkR10-53-2/5-2010, betreffend das gegenständliche Ortsgebiet, sowie Luftbilder mit der Darstellung der Straßenkilometrierung und vor Ort im Rahmen des Ortsaugenscheins aufgenommene und im Rahmen der Berufungsverhandlung erörterte Fotos.
Die auch persönlich zur Berufungsverhandlung geladene Berufungswerberin erschien ohne Angabe von Gründen nicht. Die Behörde erster Instanz entschuldigte das Fernbleiben mit dienstlichen Gründen.
5. Die Faktenlage:
An sich unbestritten ist, dass die Berufungswerberin zur fraglichen Zeit aus Richtung Neuhofen a. d. Krems auf der L1372 kommend im Ortsgebiet von Schiedlberg verkehrsfehlerberichtigt mit 95 km/h in Richtung Sierning unterwegs war. Dies wurde von GrInsp. A durch Lasermessung aus einer Entfernung von 275 m festgestellt. Die Berufungswerberin habe wegen eines unmittelbar vor der Ortstafel angeblich abgestellten oder haltenden LKW nicht gewusst sich im Ortsgebiet zu befinden, sodass ihr daher ein subjektives Verschulden nicht vorzuwerfen wäre.
Die ca. fünfeinhalb Meter breite L1372 verläuft in Fahrtrichtung der Berufungswerberin nach der nordöstlichen, bei Strkm 6,6 verordneten und kundgemachten Ortseinfahrt Schiedlberg in einer Rechtskurve. Vom Messpunkt bis zum Standort des Meldungslegers verläuft der Straßenzug auf ca. 300 m gerade und bis zur Hälfte in einem leichten Gefälle und folglich wieder ansteigend in westlicher Richtung. Im Messbereich bei Strkm 7.070 findet sich beidseitig eine an sich übersichtliche Kreuzung, nach links zum Ortszentrum und nach rechts in eine beidseitig verbaute Siedlungsstraße.
Der Meldungsleger schildert den Messvorgang routinemäßig, sodass an dessen Ergebnis, was auch von der Berufungswerberin ausdrücklich unbestritten bleibt, keine Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses bestehen. Andererseits räumt der Meldungsleger auch unumwunden ein, dass sich die Berufungswerberin sehr einsichtig zeigte und schon ihm gegenüber glaubhaft angegeben habe der Ansicht gewesen zu sein es handle sich dort um einen 70 km/h-Beschränkungsbereich. Von einem die Ortstafel verstellenden Lkw habe sie ihm gegenüber jedoch nichts erwähnt. Hiervon habe er erst anlässlich seiner Befragung vor der Behörde erster Instanz gehört.
Faktum ist jedoch, dass die Berufungswerberin offenbar hier nicht gänzlich ortsunkundig ist und andererseits auch die Bebauung im Ortseingang für einen am objektiven Maßstab zu messenden Lenker oder Lenkerin auf ein Ortsgebiet schließen lässt; ungeachtet ob nun die Ortstafel verstellt gewesen wäre oder nicht, wobei es außer der nachgereichten Behauptung der Berufungswerberin kein Indiz für einen angeblich dort abgestellten LKW gibt. Dass dieser Behauptung auch nicht gefolgt werden müsste ergibt sich daraus, dass von der Berufungswerberin dieser Umstand sonst wohl schon anlässlich des durchaus konstruktiv verlaufenden Gesprächs mit dem Meldungsleger erwähnt worden wäre.
Wohl ist davon auszugehen, dass im gegenständlichen Fall mit diesem Regelverstoß keine über bloße abstrakte Gefahr hinausgehenden nachteiligen Auswirkungen für andere Verkehrsteilnehmer einhergegangen sind. Nicht übersehen wird schließlich der mit der gegenständlichen Entscheidung als Rechtsfolge einhergehende Kurzzeitentzug der Lenkberechtigung und die auch darin gründende Präventionswirkung.
6. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:
Der § 20 Abs.2 StVO 1960 lautet: "Sofern die Behörde nicht gemäß § 43 eine geringere Höchstgeschwindigkeit erlässt oder eine höhere Geschwindigkeit erlaubt, darf der Lenker eines Fahrzeuges im Ortsgebiet nicht schneller als 50 km/h, auf Autobahnen nicht schneller als 130 km/h und auf den übrigen Freilandstraßen nicht schneller als 100 km/h fahren.
Hier befand sich die Berufungswerberin zum Zeitpunkt der Messung bereits ~ 300 Meter im Ortsgebiet.
Nach § 99 Abs.2e StVO 1960 begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 150 bis 2180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von 48 Stunden bis zu sechs Wochen, zu bestrafen, wer die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 50 km/h überschreitet.
Gemäß § 5 Abs.1 VStG genügt, wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nichts anderes bestimmt, zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Gebot dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs hat ein Berufungswerber oder eine Berufungswerberin initiativ alles darzulegen, was für ihre/seine Entlastung spricht. Das ein Ortsgebiet nicht zwingend nur an der Sichtbarkeit der entsprechenden Ortstafel erkennbar sein muss ergibt sich schon daraus, weil im Verkehrsverlauf gleichsam immer Umstände obwalten können, welche zu einem unverschuldeten "Nichtsehenkönnen" führen, lassen daher nicht schon auf jegliches fehlendes Verschulden schließen (vgl etwa VwGH 27.02.1970, 1157/69 unter Hinweis auf die Vorjudikatur). Im konkreten Fall kann daher wohl davon ausgegangen werden, dass die Berufungswerberin dieses Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung zumindest fahrlässig beging, wobei die vermeintliche 70 km/h Beschränkung offenbar vorsätzlich missachtet wurde.
6.1. Da nach h. Auffassung der sogenannte Verkehrsfehler des Messgerätes bei logischer und sachbezogener Betrachtung kein Tatbestandselement sondern lediglich den Gegenstand der Beweisbeurteilung bildet, war der Hinweis über "den Abzug zu Ihren Gunsten" aus dem Spruch iSd § 44a VStG zu entfernen.
6.2. Gemäß § 19 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, sowie der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Überdies sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der § 32 bis § 35 StGB (Strafgesetzbuch) sinngemäß anzuwenden.
6.3. Keine Zweifel bestehen wohl darin, dass mit dem Schnellfahren in aller Regel eine erhöhte Gefahrenpotenzierung einhergeht. Daher muss derartigen Übertretungen durchaus mit spürbaren Strafen begegnet werden. Insbesondere in Ortsgebieten kommt der Einhaltung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit eine ganz besondere Bedeutung zu. Die nachteiligen Folgen einer derart eklatanten Geschwindigkeitsüberschreitung gründen empirisch etwa darin, dass bei Einhaltung der hier erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h der Anhalteweg rechnerisch bei 28,13 m liegt, während er bei der hier gemessenen Geschwindigkeit 79,34 m beträgt. Dieser Schlussfolgerung wird eine als realistisch anzunehmende Bremsverzögerung von 7,5 m/sek2 und eine Reaktionszeit von einer Sekunde sowie eine Bremsschwellzeit von 0,2 Sekunden zu Grunde gelegt. Die Stelle an der das Fahrzeug aus 50 km/h zum Stillstand gelangt, wird bei der von der Berufungswerberin verkehrsfehlerberichtigten Geschwindigkeit noch mit der Ausgangsgeschwindigkeit durchfahren (Berechnung mittels Analyzer Pro 4.5).
Da einerseits jedermann darauf vertrauen darf, dass andere Verkehrsteilnehmer die Vorschriften des Straßenverkehrs einhalten (Vertrauensgrundsatz) und darüber hinaus angesichts der Örtlichkeit zumindest eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Betroffenheit anderer Verkehrsteilnehmer vorlag, ist dieser Fahrgeschwindigkeit jedenfalls ein hohes abstraktes Risikopotenzial zuzuschreiben.
Der erstbehördlichen Straffestlegung kann daher mit Blick auf die oben genannten Grundsätze nicht entgegengetreten werden. So wurde eine Geldstrafe in der Höhe von (damals) 4.000 S, [entspricht 290,70 Euro] wegen einer Fahrgeschwindigkeit auf der Autobahn von 180 bis 190 km/h, bereits im Jahre 1990 als angemessen erachtet (VwGH 13.2.1991, 91/03/0014).
Vor diesem Hintergrund ist die hier ausgesprochene Strafe als sehr milde bemessen zu erachten bzw. könnte in diesem Strafausspruch selbst bei dem von der bislang als unbescholten geltenden Berufungswerberin, deren Einkommen als Geschäftsführerin mit 2.000 Euro unrealistisch niedrig dargestellt wurde, in Verbindung mit dem Milderungsgrund deren bisherigen Unbescholtenheit, ein Ermessensfehler der Behörde erster Instanz dennoch nicht erblickt werden.
Dieses Strafausmaß ist insbesondere auch aus generalpräventiven Überlegungen als Signal an die Schnellfahrer und Schnellfahrerinnen bzw. gegen das Rasen auf den Straßen an sich geboten.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
H i n w e i s:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
Dr. B l e i e r