Linz, 22.05.2012
E r k e n n t n i s
I. Der Berufung wird Folge gegeben; die ausgesprochene Ermahnung wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.
II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.
Rechtsgrundlagen:
Zu I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz BGBl. Nr. 51/1991 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 111/2010 - AVG iVm § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.5 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991 zuletzt geändert durch, BGBl. I Nr. 111/2010 VStG.
Zu II.: § 66 Abs.1 VStG.
Entscheidungsgründe:
Die Behörde erblickte jedoch in diesem vermeintlichen Fehlverhalten bloß unbedeutend nachteilige Folgen und ein bloß geringes Verschulden, sodass unter Anwendung des § 21 VStG eine Ermahnung ausgesprochen wurde.
2. Dagegen wendet sich der Berufungswerber mit seiner fristgerecht per E-Mail am 23.2.2012 eingebrachten Berufung.
3. Die Behörde erster Instanz hat den Akt zur Berufungsentscheidung vorgelegt; somit ist die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gegeben. Dieser ist, da keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Mitglied zur Entscheidung berufen. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung war angesichts der bestreitenden Verantwortung des Berufungswerbers in Wahrung der durch Art.6 EMRK zu wahrenden Verfahrensgarantien erforderlich (§ 51e Abs.1 Z1 VStG).
3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hatte, nach fernmündlichem Hinweis gegenüber dem Berufungswerber auf das Erfordernis eines Verbesserungsauftrages hinsichtlich des Einschreitens zur Klarstellung der Faktenlage, eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen. Beweis erhoben wurde durch abgesonderte Einvernahme des Meldungslegers am 14.5.2012, sowie durch Anhörung des Berufungswerbers anlässlich der Berufungsverhandlung. Die Behörde erster Instanz war unentschuldigt bei der Berufungsverhandlung nicht vertreten.
6. Sachverhalt:
Der Berufungswerber betreibt laut eigenen Angaben vierzehn Lastkraftwagenzüge. Er transportiert von seinem Firmenstandort aus in Burgenland, Waren aller Art innerhalb Österreich, insbesondere jedoch in den Raum von Oberösterreich und Salzburg.
Im gegenständlichen Fall wurde der Anhänger neben der Fahrbahn in einer vom Meldungsleger in seiner Einvernahme als Bucht bezeichneten "ungenutzten Zufahrt" abgestellt, weil der Fahrer neben einer Zustellung zur Firma S in Asten, auch noch im Stadtbereich von Linz eine Zustellung zu tätigen hatte. In diesen Bereich des Stadtgebietes ist eine Zufahrt mit dem Anhänger nicht möglich.
Der Meldungsleger erklärt seine Wahrnehmung unter Hinweis auf die von ihm aufgenommenen Fotos und seine Wahrnehmung laut Anzeige. Daraus folgt, dass der Anhänger zumindest eine halbe Stunde ohne das Zugfahrzeug abgestellt war und am Anhänger sichtlich keine Ladetätigkeit durchgeführt wurde. Daraus wurde der Schluss auf eine Übertretung nach § 23 Abs.6 StVO gezogen.
6.1. Im Rahmen der Berufungsverhandlung erklärt der Berufungswerber das Konzept seiner Transport- u. Zustelllogistik. Die Beladung der Fahrzeuge erfolgt nach dem sogenannten Prinzip "Zugfahrzeug- u. Anhängerkunden." Da nicht zu allen Kunden mit dem schweren Anhänger zugefahren werden könne, ergebe sich daraus zwingend die Notwendigkeit den Anhänger vorübergehend an einem geeigneten Platz abzustellen. Die Zeitdauer dieses Abstellens bezeichnet der Berufungswerber auf maximal bis zu 1 ½ Stunden.
Diese Ausführungen scheinen glaubhaft und logisch nachvollziehbar und insbesondere nicht im Widerspruch zur Anzeige. Der UVS hegt daher keine Zweifel, dass Lieferungen in Ballungszentren mit einem über achtzehn Meter langen Lastkraftwagenzug nicht oder kaum möglich sind und darüber hinaus mit Blick auf die Verkehrslage und aus ökologischer Sicht wohl kaum als sinnstiftend und wirtschaftlich bezeichnet werden könnten.
7. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:
Gemäß § 23 Abs.6 StVO 1960 dürfen u. a. Anhänger ohne Zugfahrzeug nur während des Be- oder Entladens auf der Fahrbahn stehengelassen werden, es sei denn, die genannten Fahrzeuge können nach der Ladetätigkeit nicht sofort entfernt werden, das Entfernen wäre eine unbillige Wirtschaftserschwernis oder es liegen sonstige wichtige Gründe für das Stehenlassen vor.
Hier ist demnach rechtlich zu klären, ob einerseits das Stehenlassen des Anhängers einerseits eine Wirtschaftserschwernis und/oder sonst als wichtiger Grund anzusehen ist. Beide Aspekte sind hier zu bejahen (vgl. VwGH 21.2.1990, 89/02/0187).
Ein Anhänger darf laut Judikatur auf der Fahrbahn insbesondere (auch) dann stehen gelassen werden, wenn nicht dieser, sondern das ziehende Fahrzeug beladen oder entladen wird (VwGH 25.9.1986, 86/02/0055 mit Hinweis auf VwGH 4.11.1968, 0687/68, VwSlg 7436 A/1968).
In der Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 23 Abs.6 StVO 1960 ist bei sinnrichtiger Auslegung insbesondere auf die tatsächlichen wirtschaftlichen aber auch fahrtechnischen Aspekte Bedacht zu nehmen. Das letztlich unter dem Aspekt der "wichtigen Gründe" auch Umweltbelange (CO2-Reduktion) ins Kalkül zu ziehen sind, sollte an dieser Stelle ebenfalls nicht unerwähnt bleiben. Eine gegensätzlich (zu) enge Auslegung der Ausnahmebestimmung des § 23 Abs.6 StVO könnte der Intention dieser Norm wohl kaum zugesonnen werden. Diese würde ihres Sinnes entleert bleiben.
Der Berufungswerber hat hier jedenfalls glaubhaft gemacht, dass die Vermeidung des "Mitziehens" des Anhängers in den Stadtbereich von Linz, ohne dort eine auf dem Anhänger platzierte Ladung zu liefern, als wichtiger Grund des Abstellens auf der genannten Verkehrsfläche zu sehen ist. Nicht zuletzt ist in Abwägung der Rechtsgüter und Schutzinteressen der Öffentlichkeit (Vermeidung von zusätzlicher Verkehrs- u. Abgasbelastung) dem Stehenlassen des Anhängers in einer sachlich vertretbaren Zeitspanne der Vorzug einzuräumen.
Demnach war nach sorgfältiger und objektiver Würdigung der Beweis- u. Rechtslage die ausgesprochene Ermahnung zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren auf § 45 Abs.1 Z1 VStG gestützt einzustellen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
H i n w e i s:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss ‑ von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen ‑ jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220,00 Euro zu entrichten.
Dr. B l e i e r
VwSen-166928/9/Br/Rei vom 22. Mai 2012
Erkenntnis
Rechtssatz
StVO 1960 §23 Abs6
Die zur Vermeidung von zusätzlichen Verkehrs- und Abgasbelastungen in städtischen Ballungszentren erfolgende Zustellung eines Transportgutes mit dem Zugfahrzeug allein und das damit einhergehende Stehenlassen des Hängers ohne Zugfahrzeug auf der Fahrbahn stellt einen wichtigen Grund und somit eine Ausnahme iSd § 23 Abs 6 StVO 1960 dar.