Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730347/7/SR/ER/WU

Linz, 21.05.2012

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X, geboren am X, StA von Georgien, vertreten durch X, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors der Stadt Linz vom 24. Jänner 2011, AZ. 1005729/FRB, mit dem ein Antrag des Berufungswerbers auf Aufhebung eines Rückkehrverbots abgewiesen wurde, zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird stattgegeben und das vom Polizeidirektor der Stadt Linz erlassene, auf die Dauer von sieben Jahre befristete Aufenthaltsverbot vom 11. August 2008, AZ 1005729/FRB, aufgehoben.

 

 

 

Rechtsgrundlage

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 11. August 2008, AZ. 1005729/FRB, wurde über den Berufungswerber (im Folgenden Bw) ein auf 7 Jahre befristetes Rückkehrverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich erlassen. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist erwuchs das Rückkehrverbot am 29. August 2008 in Rechtskraft.

 

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Bw erstmals am 30. September 2001 illegal nach Österreich eingereist sei und am 1. Oktober 2001 einen Asylantrag gestellt habe. Das Asylverfahren sei mit Wirkung vom 9. Oktober 2003 rechtskräftig negativ abgeschlossen worden. Am 5. November 2003 habe der Bw neuerlich einen Asylantrag gestellt.

Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 5. November 2003 habe die Bundespolizeidirektion Linz über den Bw aufgrund seiner Mittellosigkeit ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

 

Anschließend nahm die belangte Behörde Bezug auf folgende gerichtliche Verurteilungen, die in Rechtskraft erwachsen waren:

 

"A.) Landesgericht Linz vom 12.07.2002 (rk: 12.07.2002), Zahl: 34 Hv 57/2002I, wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahles nach §§ 127 und 130 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren sowie einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je € 2,- (€ 120,-), im Nichteinbringungsfall 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe;

B.) Bezirksgericht Linz-Land vom 04.12.2002 (rk: 10.12.2002), Zahl: 3 U 397/2002a, wegen des Vergehens des versuchten Diebstahles nach §§ 15 und 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 14 Tagen, bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren;

C.) Bezirksgericht Linz vom 14.08.2003 (rk: 21.01.2004), Zahl: 17 U 176/2003b, wegen des Vergehens des versuchten Diebstahles nach §§ 15 und 127 StGB zu einer Frei­heitsstrafe von 3 Wochen;

D.) Bezirksgericht Linz vom 10.01.2007 (rk: 04.06.2007), Zahl: 19 U 226/2006z, wegen des Vergehens des versuchten Diebstahles nach den §§15 und 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Wochen.

 

Diesen Verurteilungen liegt zugrunde, dass Sie:

 

Ad. A.) und X in X und X gewerbsmäßig fremde bewegliche Sachen in zahlreichen Angriffen unbekannten Personen mit dem Vorsatz weggenommen bzw. wegzunehmen versucht haben, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar:

1.) am bzw. vor dem 17.05.2002 Sie und X in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken, ein Herren-Citybike, zwei Herren-Mountainbikes, acht Flakons Parfüm, ein Paar Turnschuhe, ein T-Shirt sowie ein weiße Turnhose;

2.) Sie darüber hinaus alleine ein Paar Herrenlederschuhe, ein Paar Damenlackschuhe, ein paar Lederhandschuhe, eine Damenlederjacke, zwei Lederjacken, zwei Blue Jeans, ein Mobiltelefon, eine Ledertasche samt Spielkarten, eine Herrenuhr sowie eine Le­dergeldbörse;

3.) X alleine am 16.05.2002 in X eine Packung Rasterklingen im Wert von € 12,99 Verfügungsberechtigten der Fa. X, wobei die Tat beim Versuch blieb;

Ad. B.) am 18.07.2002 in X fremde bewegliche Sachen in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit X, nämlich Waren im Gesamtwert von € 313,93 der Fa. X mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht haben, sich oder einen Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern;

Ad. C.) am 13.03.2002 in X versucht haben, Verfügungsberechtigten der Fa. X fremde bewegliche Sachen, nämlich Lebensmittel im Gesamtwert von € 22,52 mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich oder einen Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern;

Ad. D.) am 23.10.2006 in X, versucht haben Verfügungsberechtigten der Fa. X, fremde bewegliche Sachen, nämlich Handyzubehör im Gesamtwert von € 38,98 mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich oder einen Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern.

Im Einzelnen wird auf die Ausführungen der schriftlichen Urteilsausfertigungen verwiesen, die an dieser Stelle, um Wiederholungen zu vermeiden, zum integrierenden Bestandteil des Bescheides erhoben werden."

 

Im Rahmen der fremdenbehördlichen Einvernahme vom 7. August 2008 sei dem Bw mitgeteilt worden, dass die Bundespolizeidirektion Linz aufgrund der gerichtlichen Verurteilungen beabsichtige, erneut gegen den Bw ein Rückkehrverbot zu erlassen. Diesbezüglich sei ihm Gelegenheit gegeben worden, zu seinen Privat- und Familienverhältnissen Stellung zu nehmen.

 

Der Bw habe dazu im Wesentlichen angegeben, dass er mit seiner Lebensgefährtin und seiner Tochter in X wohne. Er sei während seines Aufenthalts in Österreich noch nie einer Beschäftigung nachge­gangen. Sein Lebensunterhalt, sowie der seiner Lebensgefährtin und seiner Tochter, werde zur Gänze von der Caritas bestritten. Außer seiner Tochter habe er in Österreich keine leiblichen Verwandten.

 

Nach Wiedergabe der relevanten Rechtsgrundlagen erwog die belangte Behörde, dass der Bw viermal wegen der selben schädlichen Neigung strafrechtlich verurteilt worden sei und daher der Tatbestand des § 62 Abs. 1 ivm. § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG 2005 zweifelsfrei als erfüllt anzusehen sei.

 

In seinem Verhalten manifestiere sich eine erhebliche Gefahr für den Schutz fremden Eigentums, die dadurch verstärkt werde, dass den Bw nicht einmal seine ersten gerichtlichen Verurteilungen bzw. die Erlassung des Aufenthaltsverbots vom 5. November 2003 davon abhalten konnte, die Bevölkerung jenes Landes zu bestehlen, von dem er sich Asyl erwarte. Es müsse neben den strafrechtlichen Sanktionen jede andere gesetzliche Möglichkeit ausgeschöpft werden, um derartigen strafbaren Handlungen entgegenzuwirken.

 

Aufgrund seines – bis zur Erlassung des Rückkehrverbots – siebenjährigen Aufenthalts sei dem Bw ein gewisses Maß an Integration zuzubilligen. Die Integration in sozialer Hinsicht sei ihm aber nicht gelungen, was seine Verurteilungen belegen würden.

 

Der Bw lebe mit seiner Lebensgefährtin und seiner Tochter in Österreich. Die Erlassung des Rückkehrverbots sei daher ein nicht unwesentlicher Eingriff in sein Privat- und Familienleben, der sich aber dadurch relativiere, dass auch seine Lebensgefährtin und seine Tochter Asylwerber seien und dass es nicht einmal seiner Familie gelungen sei, ihn von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten.

Aus diesen Gründen sei die Erlassung des Rückkehrverbots im Lichte des § 66 FPG gerechtfertigt. Überdies sei er noch gemäß den Bestimmungen des Asylgesetzes zum vorläufigen Aufenthalt in Österreich berechtigt.

 

2. Mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2010 beantragte der Bw – mittlerweile rechtsfreundlich vertreten – die Aufhebung des Rückkehrverbots. Begründend führte er im Wesentlichen an, dass sein Asylverfahren mittlerweile abgeschlossen sei. Seitens des Asylgerichtshofs sei seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet nach Georgien auf Dauer für unzulässig erklärt worden. Daher habe er einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung, die ihm der Magistrat Linz aber verweigere. Hinsichtlich seiner geordneten Lebensverhältnisse und des Umstands, dass der Asylgerichtshof seine Ausweisung für dauerhaft unzulässig erklärt habe, sei von einer grundlegenden Veränderung der Verhältnisse auszugehen, sodass die Voraussetzungen für die Aufhebung des Rückkehrverbots vorlägen.

 

2.1. Mit Bescheid vom 24. Jänner 2011, AZ. 105729/FRB, wies die belangte Behörde den Antrag des Bw gemäß § 65 Abs. 1 FPG ab.

 

Nach Zusammenfassung des Antrags auf Aufhebung des Rückkehrverbots wies die belangte Behörde darauf hin, dass dem Bw mit Schreiben vom 6. Dezember 2010 mitgeteilt worden sei, den Antrag abzuweisen, da die Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbots geführt hätten, noch nicht weggefallen seien.

 

In seiner dazu eingebrachten Stellungnahme vom 13. Dezember 2010 habe der Bw ausgeführt, dass das Rückkehrverbot nicht mehr vollstreckbar sei und die gesetzlichen Voraussetzungen für dessen Aufhebung vorlägen. Der "Bleiberechtsgesetzgeber" habe einen derartigen Fall nicht berücksichtigt, die vorliegende Gesetzeslücke sei durch verfassungskonforme Interpretation zu schließen.

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs könne ein Antrag auf Aufhebung eines Rückkehrverbots nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit Erlassung des Rückkehrverbots die dafür maßgeblichen Umstände zugunsten des Fremden geändert hätten, wobei im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag auch auf die nach der Verhängung des Rückkehrverbots eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen sei.

 

Bei der Beurteilung nach § 65 Abs. 1 FPG sei maßgeblich, ob eine Gefahrenprognose dergestalt weiterhin zu treffen sei, dass die Aufrechterhaltung des Rückkehrverbots erforderlich sei, um eine vom Fremden ausgehende erhebliche Gefahr im Bundesgebiet abzuwenden, und ob die Aufrechterhaltung der Maßnahme im Grunde des § 66 FPG zulässig sei.

Die belangte Behörde stellt dazu fest, dass die nachteiligen Folgen einer Aufhebung des Rückkehrverbots um vieles schwerer wögen als dessen Auswirkungen auf das Leben des Bw.

 

Das Rückkehrverbot sei erlassen worden, weil der Bw viermal von österreichischen Gerichten wegen Eigentumsdelikten zu jeweils bedingten Freiheitsstrafen rechtskräftig verurteilt worden sei.

 

Aufgrund der auch jetzt zu erstellenden negativen Prognose sei nach Ansicht der belangen Behörde die Aufrechterhaltung des Rückkehrverbots dringend geboten.

 

Das maßgebliche öffentliche Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen gegen fremdes Vermögen wiege in diesen Fällen unverhältnismäßig schwerer als die privaten und familiären Interessen des Bw.

 

Der seit der Erlassung des siebenjährigen Rückkehrverbots verstrichene Zeitraum sei noch zu kurz, um eine günstige Zukunftsprognose zu erstellen. Angesichts der Schwere des vom Bw begangenen Verbrechens bzw. der Häufigkeit der Vergehen könne nicht abgesehen werden, wann die Gründe, die zur Erlassung des Rückkehrverbots geführt haben, wieder wegfallen werden. Es werde noch eines längeren Zeitraums des Wohlverhaltens bedürfen, um eine günstige Gefährdungsprognose erstellen zu können.

 

Die damalige familiäre und private Situation des Bw sei bereits im Rahmen der Erlassung des Rückkehrverbots berücksichtigt worden, maßgebliche Änderungen hätten sich seither nicht ergeben und seien vom Bw nicht behauptet worden.

 

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH könne ein Antrag auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbots (gleiches gelte auch für Rückkehrverbote) nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit der Erlassung die dafür maßgebenden Umstände zugunsten des Fremden geändert hätten, wobei im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag auch auf die nach der Verhängung des Rückkehrverbots eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen sei. Da bei der Entscheidung über die Aufhebung eines Rückkehrverbots die Rechtmäßigkeit des Bescheids, mit dem es erlassen wurde, nicht mehr überprüft werden könne, sei im Rahmen der Entscheidung über den Antrag auf Aufhebung der Maßnahme nur zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für die Erlassung des Rückkehrverbots wegen einer Änderung der Umstände zugunsten des Fremden weggefallen sind.

 

Der Bw sei bereits wieder bei der Staatsanwaltschaft Linz wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung (Verdacht der versuchten schweren Körperverletzung) zur Anzeige gebracht worden, wobei das diesbezügliche Gerichtsverfahren noch offen sei. Dass er seit der Erlassung des Rückkehrverbots nicht mehr einschlägig straffällig geworden sei, sei positiv zu bewerten, wodurch aber für den Bw nichts zu gewinnen sei.

 

Der verstrichene Zeitraum seit der Erlassung des Rückkehrverbots sei zu kurz, um eine Änderung der maßgeblichen Umstände nur durch Zeitablauf annehmen zu können. Die Entscheidung des Asylgerichtshofs, dass eine Ausweisung des Bw nach Georgien auf Dauer unzulässig sei, sei für das gegenständliche Verfahren nicht entscheidungsrelevant, da der Asylgerichtshof bei der Wertung des strafbaren Verhaltens des Bw von völlig falschen Annahmen ausgegangen sei.

 

Ein Außerkrafttreten des Rückkehrverbots sei vom Gesetzgeber nur in bestimmten Fällen geregelt worden, nämlich, wenn einem Fremden der Status eines Asylberechtigten zuerkannt oder der Status eines subsidiär Schutzberechtigten ohne damit verbundene Ausweisung aberkannt wird. Beides träfe auf den Bw nicht zu.

 

Abschließend wies die belangte Behörde darauf hin, dass ein Rückkehrverbot per se nicht durchgesetzt werden könne und keine Verpflichtung für einen Fremden in sich trage, Österreich zu verlassen. Vielmehr verlange die Durchsetzung eines Rückkehrverbots eine korrespondierende Ausweisung, die beim Bw nicht vorliege.

 

2.2. Gegen diesen, am 25. Jänner 2011 zuhanden des Rechtsvertreters zugestellten Bescheid, erhob der Bw rechtzeitig mit Schriftsatz vom 6. Februar 2011 Berufung. Darin stellt er den Antrag, dem Antrag auf Aufhebung des Rückkehrverbots stattzugeben; in eventu den angefochtenen Bescheid der Erstbehörde aufzuheben und die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

 

Nachdem er sämtliche erstinstanzliche Vorbringen zum integrierenden Bestandteil der Berufung erklärte, führte der Bw begründend an, dass bei richtiger rechtlicher Würdigung seinem Antrag auf Aufhebung des Rückkehrverbots stattgegeben werden hätte müssen. Das Rückkehrverbot sei gemäß § 65 FPG aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen seien. Damit werde nachträglich erfolgten Änderungen des Sachverhalts Rechnung getragen. Das Rückkehrverbot sei aufzuheben, wenn eine ursprünglich getroffene Prognoseentscheidung nicht mehr aufrecht erhalten werden könne. Dies gelte auch für die gemäß § 66 FPG zu treffende Interessenabwägung. Da der Asylgerichtshof die Interessenabwägung hinsichtlich des Privat- und Familienlebens des Bw dahingehend vorgenommen habe, dass seine Ausweisung auf Dauer unzulässig sei, sei evident, dass die Interessenabwägung gemäß § 66 FPG nunmehr anders zu treffen sei als zum Zeitpunkt der Erlassung des Rückkehrverbots.

Auch sein Wohlverhalten seit der Erlassung des Rückkehrverbots hätte zugunsten des Bw ausschlagen müssen, zumal dieses Wohlverhalten nunmehr eine günstige Zukunftsprognose ermögliche. Indem die Behörde bei der Zukunftsprognose auf den Zeitpunkt der Erlassung des Rückkehrverbots und nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Aufhebung des Rückkehrverbots abstelle, könne einer Änderung im Sachverhalt nicht Rechnung getragen werden. Die Behörde stelle hier auf den falschen Zeitpunkt ab.

 

Abschließend führte der Bw aus, dass der Gesetzgeber nicht bedacht habe, was rechtens sein solle, wenn ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot (Rückkehrverbot) und eine dauerhafte Unzulässigerklärung der Ausweisung aufeinandertreffen. Bei verfassungskonformer Interpretation sei eine Aufhebung des Rückkehrverbots geboten. Dies zeige sich auch darin, dass ein solches ex lege außer Kraft tritt, wenn einem Fremden der Status der subsidiären Schutzberechtigung aberkannt wird, ohne dass damit eine Ausweisung verbunden ist. Hierbei werde auf die fehlende Ausweisungsentscheidung und nicht auf die Aberkennung des subsidiären Schutzes abgestellt. Wenn eine Ausweisung auf Dauer für unzulässig erklärt werde und damit ein Rückkehrverbot bei gleichzeitiger Aberkennung des Status der subsidiären Schutzberechtigung außer Kraft trete, müsse auch im gleich gelagerten Fall, dass eine Ausweisung in Folge eines Eingriffs in das Privat- und Familienleben auf Dauer für unzulässig erklärt werde, das Rückkehrverbot außer Kraft treten. Auch darin zeige sich, dass das gegenständliche Rückkehrverbot aufgehoben werden hätte müssen.

 

Mit Schreiben vom 7. September 2011 ergänzte der Bw seine Berufung durch die Mitteilung, dass er mit seiner Lebensgefährtin in aufrechter Lebensgemeinschaft lebe und auch bei ihr die Ausweisung seitens des Asylgerichtshofs auf Dauer für unzulässig erklärt worden sei. Seiner Lebensgefährtin sei daraufhin eine Niederlassungsbewilligung erteilt worden, mittlerweile verfüge sie über eine "Rot-Weiß-Rot-Karte". Auch die gemeinsame minderjährige Tochter des Bw und seine Lebensgefährtin verfüge über eine "Rot-Weiß-Rot-Karte". Außerdem erwarte die Lebensgefährtin des Bw ein weiteres gemeinsames Kind, das im Dezember 2011 zur Welt kommen werde.

 

3. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion – nach In-Krafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Oö. Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde, durch Auskunft des Magistrats Linz betreffend den Aufenthaltsstatus des Bw und durch Einsichtnahme in das Elektronische Kriminalpolizeiliche Informationssystem.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt.

 

3.2. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von den unter den Punkten 1. und 2. dieses Erkenntnisses dargestellten unbestritten gebliebenen Sachverhaltsteilen aus.

 

Ergänzend wird festgestellt, dass dem Bw am 14. Mai 2012 eine "Rot-Weiß-Rot-Karte - plus" ausgestellt wurde.

 

Ferner wird festgestellt, dass der Bw am 3. März 2011 (rk. seit 8. März 2011) vom Landesgericht Linz, 26 Hv 2/2011f, wegen § 107 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten, bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren, verurteilt wurde, da er am 26. Juni 2010 einen Dritten im Zuge einer tätlichen Auseinandersetzung zumindest mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht hat, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er mit einem Klappmesser in der Hand Bewegungen in dessen Richtung ausführte.

 

3.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

4. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 60 Abs. 5 FPG ist das Rückkehrverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.

 

4.2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dem inhaltlich mit dem aktuellen § 60 Abs. 5 FPG vergleichbaren § 65 Abs. 1 FPG in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 kann ein Antrag auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbots/Rückkehrverbots nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit Erlassung des Aufenthaltsverbots/Rückkehrverbots die dafür maßgeblichen Umstände zugunsten des Fremden geändert haben, wobei im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag auch auf die nach der Verhängung des Aufenthaltsverbots/Rückkehrverbots eingetretenen und gegen die Aufhebung der Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen ist.

 

Bei dieser Beurteilung ist maßgeblich, ob eine Gefährlichkeitsprognose weiterhin zu treffen ist, sodass die Aufrechterhaltung des Rückkehrverbots erforderlich ist, um eine vom Fremden ausgehende erhebliche Gefahr im Bundesgebiet abzuwenden, und ob die Aufrechterhaltung dieser Maßnahme im Grunde des      § 61 FPG (Schutz des Privat- und Familienlebens) zulässig ist.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat hat sich somit mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Aufrechterhaltung des Rückkehrverbots weiterhin dringend geboten ist. Bejahendenfalls ist ferner zu erörtern, ob sich seit der Erlassung des Rückkehrverbots die Umstände, die zur Beurteilung der öffentlichen Interessen einerseits und der privaten und familiären Interessen andererseits maßgebend sind, zugunsten des Fremden geändert haben. Diese Interessen sind daran anschließend gegeneinander abzuwiegen.

 

4.2.2. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass ein Antrag auf Aufhebung eines Rückkehrverbots gemäß § 60 Abs. 5 FPG keinesfalls dazu geeignet sein kann, Umstände, die bei der Erlassung des ursprünglichen Rückehrverbots gewürdigt wurden und durch die Rechtskraft der Entscheidung gedeckt sind, neu oder anders zu beurteilen, da dies in Hinblick auf § 68 Abs. 1 AVG unzulässig wäre. Umstände, die bei Beurteilung im Rahmen der Verhängung der Maßnahme unverändert bestanden, unterliegen daher nicht den Überprüfungsmöglichkeiten im Rahmen des gegenständlichen Verfahrens. Weiters kann bei Entscheidung über die Aufhebung eines Rückkehrverbots die Rechtmäßigkeit des Bescheides, mit dem das Rückkehrverbot erlassen wurde, nicht mehr überprüft werden.

 

4.3. Im vorliegenden Fall ist zunächst festzuhalten, dass der Bw wohl kein besonders hohes kriminelles Potenzial aufwies. Der Bw wurde vor Erlassung des Rückkehrverbots dreimal wegen versuchten Diebstahls und einmal wegen gewerbsmäßigen Diebstahls rechtskräftig zu teils bedingten Freiheitsstrafen verurteilt. Die ersten drei Verurteilungen erfolgten im Zeitraum rund eines Jahres. In den darauffolgenden rund dreieinhalb Jahren hat sich der Bw wohl verhalten, um dann erneut durch unrechtmäßige Aneignung von Handyzubehör im Gesamtwert von € 38,98 straffällig zu werden. Auch der zweiten und dritten Verurteilung liegt eine unrechtmäßige Aneignung von fremden beweglichen Sachen mit vergleichsweise niedrigem Wert (Waren im Gesamtwert von € 313,93 bzw. Lebensmittel im Wert von € 22,52) zugrunde. Insgesamt ist demnach davon auszugehen, dass das kriminelle Potenzial des Bw bereits zum Zeitpunkt der Erlassung des Rückkehrverbots nicht besonders hoch war, wofür auch die Tatsache spricht, dass er nur einmal – im Rahmen seiner ersten Verurteilung – wegen eines Verbrechens belangt wurde. Diese Feststellung widerspricht auch nicht dem Bescheid, mit dem das Rückkehrverbot erlassen wurde, zumal sich die Behörde darin nicht zur Höhe des kriminellen Potenzials geäußert hat, sondern nur allgemein festgestellt hat, dass sich im Verhalten des Bw eine "erhebliche Gefahr" für den Schutz fremden Eigentums manifestiere.

 

Besonders ist bei der Gefahrenprognose hervorzuheben, dass der Bw die ihm vorgeworfenen Taten während eines Zeitraums begangen hat, in dem er aufgrund seines Asylwerberstatus keiner Erwerbstätigkeit nachgehen konnte und zumindest in einem Fall versucht hat, sich unrechtmäßig Lebensmittel anzueignen. Mittlerweile verfügt der Bw aber über einen Aufenthaltstitel, der ihm den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt und somit auch die eigenständige Versorgung seiner Familie ermöglicht.

 

Der letzten Verurteilung des Bw liegt zugrunde, dass er einen Dritten im Zuge eines Raufhandels zumindest mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht hat, indem er mit einem Klappmesser in der Hand Bewegungen in dessen Richtung ausführte. Diese Tat ist aber unter einen völlig anderen Deliktsbereich zu subsumieren als jene Taten, die letztendlich zur Erlassung des Rückkehrverbots beführt haben. Anzumerken ist, dass der Bw diese Tat in untergeordneter Rolle begangen hat. Dass er seit der Erlassung des Rückkehrverbots nicht mehr einschlägig straffällig geworden ist, hat auch die belangte Behörde positiv gewertet, wenngleich sie dies dem Bw nicht zu seinen Gunsten anrechnete.

 

Der festgestellte relevante Sachverhalt lässt erkennen, dass sich der Bw seit seiner letzten einschlägigen Verurteilung im Jänner 2007 hinsichtlich des Deliktsbereichs, der letztlich zum Rückkehrverbot geführt hat, über einen Zeitraum von mittlerweile mehr als fünf Jahren wohl verhalten hat. Zudem verfügt er nunmehr über einen Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt, weshalb davon auszugehen ist, dass sich das von ihm ausgehende Gefährdungspotenzial im Gegensatz zum Zeitpunkt der Erlassung des Rückkehrverbots so deutlich verringert hat, dass ein relevantes Gefährdungspotential nicht mehr gegeben ist.

 

Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass die Gründe, die zur Erlassung des Rückkehrverbots geführt haben, weggefallen sind.

 

4.4. Aufgrund dieses Ergebnisses hat eine Abwägung der privaten und familiären Interessen des Bw zu unterbleiben.

 

4.5. Selbst wenn den obigen Ausführungen nicht zu folgen wäre, hätte das Rückkehrverbot keinen Bestand.

 

Der Asylgerichtshof hat die Ausweisung des Bw und seiner Lebensgefährtin auf Dauer für unzulässig erklärt. Im Anschluss an die Entscheidung des VwGH, in der er über die Beschwerde des Bw betreffend die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aufgrund des rechtskräftigen Rückkehrverbots erkannt hat, dass ein Rückkehrverbot im vorliegenden Fall keinen Ausschlussgrund nach § 11 Abs. 1 NAG darstellen kann, wurde dem Bw von der sachlich und örtlich zuständigen Behörde ein Aufenthaltstitel, nämlich eine "Rot-Weiß-Rot-Karte – plus", erteilt.

 

Der Bw brachte in seiner Stellungnahme im Rahmen des Verfahrens zur Entscheidung über seinen Antrag auf Aufhebung des Rückkehrverbots vor, dass die Nichtregelung des Aufeinandertreffens eines rechtskräftigen Rückkehrverbots mit einer dauerhaft unzulässigen Ausweisung eine Gesetzeslücke darstelle, die durch verfassungskonforme Interpretation zu schließen sei.

 

Gemäß § 60 Abs. 4 Z. 2 FPG wird das Rückkehrverbot gegenstandslos, wenn einem Drittstaatsangehörigen der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde, ohne dass damit eine Ausweisung gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 verbunden wurde.

 

Nach § 8 Abs. 4 Asylgesetz – AsylG idF. BGBl. I Nr. 38/2011 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, von der zuerkennenden Behörde gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesasylamt für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. [...]

 

Gemäß § 41a Abs. 7 NAG kann im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen auf Antrag [...] ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ erteilt werden, wenn sie [...] seit mindestens fünf Jahren über eine Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter (§ 8 Abs. 4 AsylG 2005) verfügen.

 

Wie der Gesetzgeber im § 60 Abs. 4 Z. 2 FPG zum Ausdruck bringt, ist wesentliche Voraussetzung für die Gegenstandslosigkeit des Rückkehrverbotes die fehlende Ausweisungsentscheidung und nicht primär die Aberkennung des subsidiären Schutzes.

 

Die Auswirkungen auf ein aufrechtes Rückkehrverbot im Fall der Feststellung "Ausweisung auf Dauer unzulässig" und die nachfolgende "Erteilung eines Aufenthaltstitels Rot-Weiß-Rot – Karte plus" hat der Gesetzgeber nicht aus-drücklich geregelt.

 

Ein Blick in die einschlägigen Bestimmungen (FPG, AsylG, NAG) legt nahe, dass auch die skizzierte, nicht ausdrücklich geregelte Fallkonstellation von der Gegenstandslosigkeit umfasst sein soll.

 

Im Falle der Zuerkennung des subsidiären Schutzes kommt dem Fremden lediglich eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung zu, die auf Antrag um ein weiters Jahr verlängert wird. Erst wenn der Fremde seit mindestens fünf Jahren über eine Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter verfügt, kann ihm gemäß § 41a Abs. 7 NAG ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" erteilt werden.

 

Einem Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" kommt daher deutlich mehr Gewicht zu als einer befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

 

Wird einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 2 Z. 1, 2 oder 3 AsylG aberkannt (z.B.: Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik Österreich; rechtskräftige Verurteilung wegen eines Verbrechens), ist die Aberkennung des Status mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat unzulässig [...] ist.

 

Gegen Fremde, die nachgewiesen eine Gefahr für die Republik Österreich darstellen, ihnen aus diesem Grund der Status als subsidiär Schutzberechtigter aberkannt wird und gegen sie aus den genannten Gründen eine Ausweisung nach dem AsylG unzulässig ist, hat ein Rückkehrverbot keinen Bestand und wird gemäß § 60 Abs. 4 Abs. 2 FPG gegenstandslos.

 

Umso mehr muss dies für die vorliegende besondere Fallkonstellation gelten. Der Asylgerichtshof hat die Ausweisung des Bw auf Dauer für unzulässig erklärt. In der Folge wurde dem Bw ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" erteilt, die ihn zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit und einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 AuslBG berechtigt. Dem Bw kommt daher ab diesem Zeitpunkt eine Stellung zu, die ein Statusinhaber erst nach fünf Jahren erlangen kann.

 

4.6. Aus den genannten Gründen war der Berufung stattzugeben und das Rückkehrverbot spruchgemäß aufzuheben.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt unterschrieben werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 14,30 Euro (Eingabegebühr) angefallen.

 

 

Mag. Stierschneider

 

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