Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420727/6/AB/Hk

Linz, 30.04.2012

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Astrid Berger über die Beschwerde des X, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch dem Bürgermeister der Stadt Steyr zurechenbare Organe aus Anlass der Vorführung zum Strafantritt am 13.2.2012 zu Recht erkannt:

 

 

I.                  Der Beschwerde wird stattgegeben und die Vorführung des Beschwerdeführers am 13.2.2012 durch dem Bürgermeister der Stadt Steyr zurechenbare Organe für rechtswidrig erklärt.

 

II.              Das Land Oberösterreich (Verfahrenspartei: Bürgermeister der Stadt Steyr) hat dem Beschwerdeführer den Verfahrensaufwand in Höhe von 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

Rechtsgrundlagen:

Art. 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. 51, in der Fassung BGBl. I 100/2011 (AVG); § 67c und § 79a AVG iVm der UVS-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II 456.

 

 

 

 

 

 

 

 


 

Entscheidungsgründe:

 

1.1.         Mit E-Mail vom 15.2.2012 erhob der Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) Beschwerde beim Oö. Verwaltungssenat wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt am 13.2.2012 in Steyr Münichholz durch zwei Polizeibeamte der Polizeiinspektion Münichholz, die den Bf seinen Ausführungen zufolge aufgrund von Vorführungsbefehlen beim Spazierengehen festgenommen hätten. Als belangte Behörde wurde vom Bf die Bundespolizeidirektion Steyr angeführt.

 

Nachdem die Bundespolizeidirektion Steyr daraufhin um Aktenübermittlung und Erstattung einer Gegenschrift ersucht worden ist, korrigierte der Bf mit E-Mail vom 23.2.2012 seine Beschwerde dahingehend, dass als belangte Behörde der Magistrat der Stadt Steyr – Bürgermeister der Stadt Steyr anzusehen sei.

 

1.2.         Zunächst wird in der Beschwerde zum Sachverhalt im Wesentlichen ausgeführt, dass der Bf am 13.2.2012 beim Spaziergang in Steyr Münichholz von zwei Polizeibeamten der Polizeiinspektion Münichholz festgenommen worden sei, zumal zwei Vorführungsbefehle gegen seine Person bestanden hätten. Dies aus zwei näher konkretisierten angeblich rechtskräftigen Verwaltungsstrafen, für die beide der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe in der Höhe von 43,- Euro (zusammen sohin 86,- Euro) vollzogen worden sei.

 

Die Handlungsweise der belangten Behörde stehe mit dem Gesetz nicht im Einklang. Am Nachmittag des 13.2.2012 sei der Bf mit seiner Familie spazierengegangen, als ihm eine Polizeistreife entgegengekommen sei. Diese sei weitergefahren und habe offensichtlich umgedreht, um den Bf zu suchen, da die Polizeistreife kurze Zeit später neben dem Bf gestanden sei.

Von den Polizeibeamten sei dem Bf mitgeteilt worden, dass gegen den Bf ein Vorführungsbefehl wegen aushaftender Verwaltungsstrafen bestehe und er mitkommen solle.

Der Bf habe die Polizeibeamten gefragt, um welche Strafen es sich handle. Die Polizeibeamten hätten ihm mitgeteilt, dass sie nicht wüssten, um welche Beträge es ginge, und hätten nur Vermutungen angestellt. Auch seien keine Unterlagen wegen der aushaftenden Strafen mitgeführt worden.

 

Der Bf habe daher mangels "Nichtwissens" der Polizeibeamten mit der sofortigen Entrichtung des Geldbetrages, den er in bar mitgeführt hätte, die Verhaftung nicht vermeiden können, obwohl es ihm betragsmäßig möglich gewesen wäre und so der Vollzug abgewendet hätte werden können.

 

Da die Polizeibeamten keine Unterlagen bzw. Vorführbefehle bei sich gehabt hätten, habe der Bf keine Veranlassung gesehen, mit ihnen zu gehen und habe ihnen mitgeteilt, dass er nach seinem Spaziergang gerne zur Klärung auf die Wache käme. Daraufhin sei dem Bf mitgeteilt worden, dass er sofort ins Auto einsteigen solle und wenn er nicht zahlen würde, würde er sofort verhaftet. Diesbezüglich stellte sich für den Bf die Frage, wie er einen ziffernmäßig von den Polizeibeamten selbst nicht zu benennenden Betrag zahlen hätte sollen.

 

Der Bf sei folglich verhaftet worden (er habe nicht mehr am Spaziergang seiner Familie teilnehmen dürfen) und im Polizeiauto abgeführt worden, da er mittels unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt genötigt worden sei, in das Polizeiauto zu steigen, indem ihm die sofortige Verhaftung angedroht worden sei, wenn er nicht einsteige.

 

Um einen etwaigen Widerstand gegen die Staatsgewalt zu verhindern bzw. großes Aufsehen auf offener Straße zu vermeiden, sei der Bf in das Polizeiauto gestiegen, da er ansonsten sofort verhaftet worden wäre.

 

Der Bf habe sohin auf offener Straße, obwohl keiner der Polizeibeamten den genauen offenen Betrag nennen habe können, in das Polizeiauto steigen müssen, was jedenfalls nicht den gesetzlichen Vorschriften entspräche.

 

Abschließend beantragt der Bf bei Ersatz der Verfahrenskosten und Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Rechtswidrigkeit der Verwaltungsakte entsprechend seiner Beschwerde festzustellen.

 

2.1.    Mit Schreiben vom 2.4.2012 übermittelte der Magistrat der Stadt Steyr, gezeichnet für den Bürgermeister, dem Oö. Verwaltungssenat – nach telefonischer Urgenz durch den Oö. Verwaltungssenat – den bezughabenden Verwaltungsakt. Eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

 

2.3.   Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt.

 

2.4.   Der Oö. Verwaltungssenat hat nach Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt festgestellt, dass der Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt ist – was nicht zuletzt auch der Umstand, dass die belangte Behörde keine Gegenschrift, in der abweichende Tatsachen dargelegt hätten werden können, erstattete, indiziert. Der Oö. Verwaltungssenat geht daher von folgendem entscheidungsrelevanten Sachverhalt aus:

 

Wie aus dem vorgelegten Verwaltungsakt hervorgeht, wurde mit Schreiben des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom 20.1.2011, Z 0002958/2011 FSA Park, in näher bezeichneten Strafverfahren nach dem Oö. Parkgebührengesetz dem "Magistrat Steyr" der Strafvollzug gemäß § 29a VStG übertragen.

 

In weiterer Folge wurde der Bf mit Schreiben vom 24.1.2011, gezeichnet für den Bürgermeister, zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe binnen zwei Wochen (bei der Bundespolizeidirektion Steyr) hinsichtlich einer näher konkretisierten Strafverfügung unter Androhung einer zwangsweisen Vorführung bei Nichtentsprechen aufgefordert.

 

Mit Bescheid vom 25.2.2011 und weiters mit Bescheid vom 29.4.2011 wurde dem Bf durch den Bürgermeister der Stadt Steyr jeweils ein Strafaufschub (bis Ende März 2011 bzw. bis 15.6.2011) gewährt.

 

Mit Schreiben vom 27.1.2012, Z VR-86/11, gezeichnet für den Bürgermeister, dem Bf offenbar – mangels gegenteiliger Ausführungen der belangten Behörde – am 13.2.2012 im Rahmen der Vorführung übergeben, wurde dem Bf Folgendes mitgeteilt:

 

"Vorführung zum Strafantritt

 

Mit Schreiben vom 24.1.2011, Aktenzahl: VR-86/11, wurden Sie aufgefordert, die über Sie verhängte Ersatzfreiheitsstrafe von 38 Stunden/Geldstrafe Euro 43,- zuzüglich Kosten Euro – unverzüglich nach Erhalt der Aufforderung anzutreten.

 

Da Sie diese Aufforderung nicht befolgt haben, wurde nunmehr Ihre zwangsweise Vorführung veranlaßt.

 

Strafvollzug bei Bundespolizeidirektion Steyr in 4400 Steyr, Berggasse 2".

 

 

2.5.   Die Durchführung einer Verhandlung konnte aufgrund des diesbezüglich widerspruchsfreien entscheidungsrelevanten Sachverhalts gem. § 67d Abs. 2 Z 3 AVG entfallen, da bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären war. Im Übrigen wurde auch seitens der belangten Behörde von der Möglichkeit, in einer Gegenschrift den Behauptungen in der Beschwerde entgegenzutreten, kein Gebrauch gemacht.

 

3.        In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1.         Die maßgebliche Rechtslage nach dem Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG, BGBl. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I 100/2011, lautet wie folgt:

 

" § 29a. Wenn hiedurch das Verfahren wesentlich vereinfacht oder beschleunigt wird, kann die zuständige Behörde das Strafverfahren oder den Strafvollzug an die sachlich zuständige Behörde übertragen, in deren Sprengel der Beschuldigte seinen Hauptwohnsitz oder Aufenthalt hat. Das Strafverfahren darf nur an eine Behörde im selben Bundesland, der Strafvollzug nur an eine Bezirksverwaltungsbehörde oder Bundespolizeidirektion übertragen werden.

 

 

...

 

Zuständige Behörde

 

§ 53a. Alle Anordnungen und Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe obliegen bis zum Strafantritt der Behörde, die in erster Instanz entschieden hat oder der der Strafvollzug gemäß § 29a übertragen worden ist. Mit Strafantritt stehen diese Anordnungen und Entscheidungen, soweit nicht das Vollzugsgericht zuständig ist, der Verwaltungsbehörde zu, der gemäß § 53 der Strafvollzug obliegt (Strafvollzugsbehörde).

 

 

Einleitung des Vollzuges von Freiheitsstrafen

 

§ 53b. (1) Ein Bestrafter auf freiem Fuß, der die Strafe nicht sofort antritt, ist aufzufordern, die Freiheitsstrafe binnen einer bestimmten angemessenen Frist anzutreten.

 

(2) Kommt der Bestrafte der Aufforderung zum Strafantritt nicht nach, so ist er zwangsweise vorzuführen. Dies ist ohne vorherige Aufforderung sofort zu veranlassen, wenn die begründete Sorge besteht, daß er sich durch Flucht dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen werde. Solange eine solche Sorge nicht besteht, ist mit dem Vollzug bis zur Erledigung einer vor dem Verfassungsgerichtshof oder dem Verwaltungsgerichtshof in der Sache anhängigen Beschwerde zuzuwarten. § 36 Abs. 1 zweiter Satz und § 36 Abs. 3 sind anzuwenden.

 

 

Vollstreckung von Geldstrafen

 

§ 54b. (1) Rechtskräftig verhängte Geldstrafen oder sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen sind zu vollstrecken.

 

(2) Soweit eine Geldstrafe uneinbringlich ist oder dies mit Grund anzunehmen ist, ist die dem ausstehenden Betrag entsprechende Ersatzfreiheitsstrafe zu vollziehen. Der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe hat zu unterbleiben, soweit die ausstehende Geldstrafe erlegt wird. Darauf ist in der Aufforderung zum Strafantritt hinzuweisen.

 

(3) Einem Bestraften, dem aus wirtschaftlichen Gründen die unverzügliche Zahlung nicht zuzumuten ist, hat die Behörde auf Antrag einen angemessenen Aufschub oder Teilzahlung zu bewilligen."

 

 

3.2.         Die vorliegende Beschwerdeschrift richtet sich gegen die Vorführung des Bf zum Strafantritt am 13.2.2012. Demgemäß erstreckt sich die Prüfung durch den Unabhängigen Verwaltungssenat auf die Rechtmäßigkeit dieser Vorführung.

 

3.3.         Gemäß Art. 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 AVG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein (sog. Maßnahmenbeschwerde), ausgenommen Finanzstrafsachen des Bundes.

 

Die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt setzt nach der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts die unmittelbare Anwendung physischen Zwanges oder die Erteilung eines Befehles mit unverzüglichem Befolgungsanspruch voraus (vgl. VwGH 14.12.1993, 93/05/0191; VfSlg 11935/1988; VfSlg 10319/1985; VfSlg 9931/1984 und 9813/1983). Die bloße Untätigkeit einer Behörde erfüllt diesen Begriff nicht (vgl. VfSlg 9813/1983; VfSlg 9931/1984; VfSlg 10319/1985, VfSlg 11935/1988). Für die Ausübung von Zwangsgewalt ist im Allgemeinen ein positives Tun begriffsnotwendig (vgl. VwGH 25.4.1991, 91/06/0052; VwSlg 9461 A/1977; VfSlg 6993/1973; VfSlg 4696/1964). Dieses kann auch in einem schlüssigen Tun iSd § 863 ABGB bestehen (vgl. Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit [1983], 74).

 

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer sog. Maßnahmenbeschwerde ist daher, dass gegen den Beschwerdeführer physischer Zwang ausgeübt wurde oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehles droht (vgl. mwN Walter/Mayer/Kuscko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 [2007] Rz. 610).

 

Aufgrund der auch von der belangten Behörde unwidersprochenen Ausführungen des Bf wurde dieser von den einschreitenden Organen zum Mitkommen verhalten und drohte diesem bei Nichtbefolgung die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges in Form einer zwangsweisen Vorführung, die dem Bf auch durch das im Akt einliegende behördliche Schreiben, datiert mit 27.1.2012, ausdrücklich mitgeteilt wurde. Auch nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung stellt die zwangsweise Vorführung zum Strafantritt – ebenso wie die nachfolgende Anhaltung – einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar (VwGH 23.9.2003, 2003/02/0167; vgl. auch Hengstschläger, Verwaltungsverfahrensrecht4 [2009] Rz 931).

 

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Durchführung der in Rede stehenden Vorführung – so wie auch die Aufforderung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe vom 24.1.2011 und die bescheidförmigen Strafaufschübe vom 25.2. und 29.4.2011 – auf Anordnung der belangten Behörde ("für den Bürgermeister") erfolgte. Die Vorführung durch die Polizeiorgane am 13.2.2012 ist daher dem Bürgermeister der Stadt Steyr als belangte Behörde zuzurechnen.

 

 

Im vorliegenden Fall wurde durch die einschreitenden Polizeiorgane zweifellos unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt dem Bf gegenüber geübt, weshalb die begrifflichen Voraussetzungen für eine Maßnahmenbeschwerde jedenfalls gegeben sind (vgl. VfSlg 12.423/1990; 12.122/1989).

 

3.4.          Nach Art. 5 Abs. 1 EMRK hat jedermann ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den Fällen des Abs 1 lit a bis f und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden.

 

Art 1 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrSchG), BGBl 684/1988, gewährleistet dieses Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) ebenfalls. Nach Art 1 Abs 2 PersFrSchG darf niemand aus anderen als den in diesem BVG genannten Gründen oder auf andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden. Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nach Art 1 Abs 3 PersFrSchG nur vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist. Er ist nur zulässig, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht.

 

Die Gesetzesvorbehalte des Rechts auf persönliche Freiheit (Art 5 EMRK, Art 2 PersFrSchG) bieten für sich genommen noch keine ausreichende Grundlage für Eingriffe in die persönliche Freiheit. Diese bedürfen der näheren Konkretisierung durch das Gesetz. Fehlt eine gesetzliche Grundlage, ist der Freiheitsentzug verfassungswidrig. Einschränkungen des Grundrechtes der persönlichen Freiheit anzuordnen ist ausschließlich Sache des Gesetzgebers und nicht der Behörden. Der Freiheitsentzug muss gesetzlich vorgesehen (Art 1 Abs 3 PersFrSchG) bzw. rechtmäßig (Art 5 Abs 1 EMRK) sein, und er darf nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise erfolgen (Art 1 Abs 2; Art 2 Abs 1 PersFrSchG; Art 5 Abs 1 EMRK). Darin liegt nicht nur ein Gebot an die Vollziehung, sich gesetzeskonform zu verhalten, sondern auch eine Verpflichtung des Gesetzgebers, entsprechende Gesetze zu erlassen und diese inhaltlich ausreichend bestimmt zu formulieren (siehe Kopetzki in Korinek/Holoubek [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, Rz. 51 zu Art 1 PersFrSchG).

 

3.5.   Zusammengefasst ist der Schutzbereich des Grundrechts auf persönliche Freiheit die körperliche Bewegungsfreiheit des Menschen (Öhlinger, Verfassungsrecht8, Rz 835 ff, mwN).

 

Es steht daher jedenfalls außer Zweifel, dass durch die gegenständliche Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt am 13.2.2012 durch die einschreitenden Beamten in dieses Grundrecht eingegriffen wurde. Dieser Eingriff ist nach Auffassung des erkennenden Mitglieds des Oö. Verwaltungssenates schon insofern rechtswidrig, als die Vorführung zum Strafantritt vom 13.2.2012 auf der Anordnung einer unzuständigen Behörde beruhte:

 

Nach § 29a VStG ist aus verfahrensökonomischen Gründen die Übertragung der Zuständigkeit auf die sachlich zuständige Behörde, in deren Sprengel der Beschuldigte seinen Hauptwohnsitz oder Aufenthalt hat, grundsätzlich zulässig. Der Strafvollzug darf dabei aber nur an eine Bezirksverwaltungsbehörde oder Bundespolizeidirektion übertragen werden.

 

Wie sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt eindeutig ergibt, erfolgte die Übertragung des Strafvollzuges gemäß § 29a VStG mit Schreiben vom 20.1.2011 dem Magistrat der Stadt Steyr gegenüber. Eine Übertragung auf den Bürgermeister der Stadt Steyr als Bezirksverwaltungsbehörde ist damit nicht erfolgt.

 

Im Lichte der höchstgerichtlichen Rechtsprechung geht das erkennende Mitglied des Oö. Verwaltungssenates davon aus, dass die Begründung der Zuständigkeit der delegierten Behörde nur dann eintritt, wenn der Übertragungsakt rechtmäßig erfolgt. "Bei Übertragung an die falsche Behörde ... oder bei Fehlen der Voraussetzungen des § 29a VStG im Zeitpunkt der Delegation ... ist die Verfahrensanordnung (die intendierte Zuständigkeitsübertragung) ohne Wirkung" (Hengstschläger, Verwaltungsverfahrensrecht4 [2009] Rz 785; so auch Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2003] § 29a VStG, Anm. 8, jeweils mN aus der Rechtsprechung). Wenn im vorliegenden Übertragungsakt daher der Magistrat der Stadt Steyr als – falsche – delegierte Behörde genannt wird, so ist diese Anordnung "unwirksam und absolut nichtig" (Raschauer/Wessely [Hrsg.], Verwaltungsstrafgesetz – Kommentar [2010], § 29a VStG, Rz 4 mwN aus hL und Rechtsprechung).

 

In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass bei Zuständigkeitsregelungen – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des verfassungsgesetzlichen Rechtsstaatsprinzips – ganz besondere Anforderungen an eine unzweifelhafte Determiniertheit zu stellen sind. Eine Auslegung des Delegationsschreibens vom 20.1.2011 dahingehend, dass mit der Übertragung auf den Magistrat der Stadt Steyr (als Behörde im eigenen Wirkungsbereich der Statutarstadt Steyr) eigentlich eine Übertragung auf den Bürgermeister der Stadt Steyr (als Behörde im übertragenen Wirkungsbereich der Statutarstadt Steyr) gemeint sei, ist nach Auffassung des erkennenden Mitglieds des Oö. Verwaltungssenates daher jedenfalls ausgeschlossen.

 

Da somit sämtliche Akte im Zusammenhang mit dem Strafvollzug (so insbes. die Aufforderung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe vom 24.1.2011, die Strafaufschübe vom 25.2.2011 und vom 29.4.2011 sowie die Anordnung der Vorführung zum Strafantritt vom 27.1.2012) mangels wirksamer Zuständigkeitsdelegation von der unzuständigen Behörde ergingen, war das Einschreiten der Polizeibeamten am 13.2.2012 schon allein aufgrund der zuständigkeitsbedingten Rechtswidrigkeit der zitierten Anordnungen jedenfalls rechtswidrig. Mit anderen Worten: Das in Rede stehende Einschreiten der Polizeiorgane am 13.2.2012 findet seine Grundlage allein in rechtswidrigen behördlichen Anordnungen, was für sich allein schon zur Rechtswidrigkeit der von den Polizeiorganen gesetzten Maßnahme führt.

 

3.6.   Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.7.   Selbst wenn man aber von der Rechtmäßigkeit der Übertragung des Strafvollzuges gem. § 29a VStG ausgehen sollte, führte auch eine inhaltliche Prüfung zu keinem anderen Ergebnis:

Gem. § 53b Abs 1 VStG ist ein Bestrafter auf freiem Fuß grundsätzlich aufzufordern, die Freiheitsstrafe binnen einer bestimmten angemessenen Frist anzutreten. "Inwiefern eine Aufforderung zum Strafantritt wiederholt werden muss, ist im Einzelfall davon abhängig, welcher Zeitraum zwischen der Aufforderung und der Verhaftung liegt, warum keine Vorführung in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufforderung erfolgte (zB zwischenzeitiger Strafaufschub oder Ratenzahlung) und welche Maßnahmen in der Zwischenzeit gesetzt wurden (vgl VfSlg 13.096/1992)."

 

In VSlg 8297/1978 hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtswidrigkeit einer zwangsweisen Vorführung zum Antritt einer Ersatzarreststrafe angenommen, die nach Erlassung eines Teilzahlungsbescheides, aber ohne neuerliche behördliche Aufforderung, die Ersatzarreststrafe anzutreten, von der Behörde verfügt wurde, nachdem die vorgeschriebenen Teilzahlungen nicht entrichten wurden.

Im vorliegenden Verfahren erfolgte die Aufforderung zum Strafantritt am 24.1.2011; in der Folge wurden dem Bf – ohne neuerliche behördliche Aufforderung, die Ersatzarreststrafe anzutreten – Strafaufschübe gewährt (mit Bescheid vom 25.2.2011 und 29.4.2011); datiert mit 27.1.2012 wurde schließlich die Vorführung zum Strafantritt ausgesprochen. Im Lichte der dargelegten höchstgerichtlichen Rechtsprechung hätte daher – nicht zuletzt aufgrund des längeren Zeitraumes, der seit der behördlichen Aufforderung zum Antritt der Ersatzarreststrafe verstrichen war – einer zwangsweisen Vorführung des Bf zum Antritt der Ersatzarreststrafe im Februar 2012 erneut eine Aufforderung zum Strafantritt vorausgehen müssen.

Selbst unter der – vom erkennenden Mitglied des Oö. Verwaltungssenates nicht vertretenen – Annahme einer rechtmäßigen Delegation nach § 29a VStG wäre die in Rede stehende Vorführung zum Strafantritt mangels zeitgerechter (wiederholter) Aufforderung zum Strafantritt als rechtswidrig zu qualifizieren.

 

4.   Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Bf nach § 79a Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 Z 3 AVG iVm § 1 Z 1 der UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 (BGBl. II Nr. 456) ein Aufwandersatz in Höhe von 737,60 Euro (beantragter Schriftsatzaufwand nach der UVS-Aufwandersatzverordnung) zuzusprechen. Da die handelnden Polizeiorgane aufgrund des Schreibens ("Vorführung zum Strafantritt") vom 27.1.2012 – und damit "für den Bürgermeister" – einschritten und dieser im Zusammenhang mit dem Strafvollzug hinsichtlich Strafbescheide/n nach dem Oö. Parkgebührengesetz und somit im Rahmen der Landesverwaltung tätig wurde, war das Land Oberösterreich zum Kostenersatz zu verpflichten.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Hinweis: Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in Höhe von 14,30 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

Astrid Berger

VwSen-420727/6/AB/Hk vom 30. April 2012

 

Erkenntnis

 

 

Rechtssatz

 

VStG §29a

 

 

Im Lichte der höchstgerichtlichen Rechtsprechung geht das erkennende Mitglied des Oö. Verwaltungssenates davon aus, dass die Begründung der Zuständigkeit der delegierten Behörde nur dann eintritt, wenn der Übertragungsakt rechtmäßig erfolgt. "Bei Übertragung an die falsche Behörde ... oder bei Fehlen der Voraussetzungen des § 29a VStG im Zeitpunkt der Delegation ... ist die Verfahrensanordnung (die intendierte Zuständigkeitsübertragung) ohne Wirkung" (Hengstschläger, Verwaltungsverfahrensrecht4 (2009) Rz 785; so auch Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 (2003) § 29a VStG, Anm. 8, jeweils mN aus der Rechtsprechung). Wenn im vorliegenden Übertragungsakt daher der Magistrat der Stadt X als – falsche – delegierte Behörde genannt wird, so ist diese Anordnung "unwirksam und absolut nichtig" (Raschauer/Wessely (Hrsg.), Verwaltungsstrafgesetz – Kommentar (2010), § 29a VStG, Rz 4 mwN aus hL und Rechtsprechung).

 

Bei Zuständigkeitsregelungen sind – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des verfassungsgesetzlichen Rechtsstaatsprinzips – ganz besondere Anforderungen an eine unzweifelhafte Determiniertheit zu stellen. Eine Auslegung des Delegationsschreibens dahingehend, dass mit der Übertragung auf den Magistrat der Stadt X (als Behörde im eigenen Wirkungsbereich) eigentlich eine Übertragung auf den Bürgermeister der Stadt X (als Behörde im übertragenen Wirkungsbereich) gemeint sei, ist daher jedenfalls ausgeschlossen.

 

Da somit sämtliche Akte im Zusammenhang mit dem Strafvollzug (so insbes. die Aufforderung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe, die Strafaufschübe sowie die Anordnung der Vorführung zum Strafantritt) mangels wirksamer Zuständigkeitsdelegation von der unzuständigen Behörde ergingen, war das Einschreiten der Polizeibeamten schon allein aufgrund der zuständigkeitsbedingten Rechtswidrigkeit der zitierten Anordnungen jedenfalls rechtswidrig. Mit anderen Worten: Das in Rede stehende Einschreiten der Polizeiorgane findet seine Grundlage allein in rechtswidrigen behördlichen Anordnungen, was für sich allein schon zur Rechtswidrigkeit der von den Polizeiorganen gesetzten Maßnahme führt.

 

 

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