Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730002/13/Wg/MB/WU

Linz, 03.04.2012

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Wolfgang Weigl über die Berufung des X, geb. am X, StA der Türkei, wohnhaft in: X, gegen die mit Bescheid des Bundespolizeidirektors von Linz vom 18. März 2009, zu AZ: 1051355/FRB, angeordnete Ausweisung, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 27. März 2012 zu Recht erkannt:

 

 

            I.      Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

 

        II.      Eine Rückkehrentscheidung ist auf Dauer unzulässig.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Mit Bescheid des Bundespolizeidirektors von Linz vom 18. März 2009, zu AZ: 1051355/FRB, wurde gegen den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 53 Abs.1 i.V.m. 31 Abs. 1, 1a und 66 des Fremdenpolizeigesetzes (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, die Ausweisung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich angeordnet. Der Bescheid wurde dem rechtsanwaltlichen Vertreter per Fax am 18. März 2009 zugestellt.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Bw durch seinen damaligen rechtsfreundlichen Vertreter mit Schriftsatz vom 25. März 2009 rechtzeitig Berufung und stellte darin die Anträge, die Berufungsbehörde möge eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung durchführen und den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes ersatzlos aufheben und das eingeleitete Ausweisungsverfahren einstellen.

 

Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vor. Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion – nach In-Krafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich übermittelt wurde.

 

Mit Eingabe vom 22. August 2011 verständigte der rechtsanwaltliche Vertreter den UVS von der Auflösung des Vollmachtsverhältnisses.

 

Der UVS führte am 27. März 2012 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der Bw erstattete eingangs folgendes Vorbringen:

"Ich möchte ausdrücklich festhalten, dass ich von der Erlassung des Bescheides vom 18. März 2009 nichts mitbekommen habe. Ich erkundigte mich im Jahr 2009 bei der Sicherheitsdirektion und bei der Bundespolizeidirektion zum Stand meines Verfahrens. Dort sagte man mir, dass der Akt nicht auffindbar bzw. nicht vorhanden sei. Ich bin schon sehr lange in Österreich aufhältig und möchte daher auf jeden Fall hier weiter niedergelassen bleiben. Ich will keinesfalls in die Türkei zurückkehren. Meine Schwester kehrte vor einiger Zeit in die Türkei zurück. Sie hat dort massive Probleme, sich eine Zukunft aufzubauen bzw. überhaupt zu leben. Darum ist es mir als Kurden umso wichtiger, hier in Österreich bleiben zu dürfen, um mir eine Existenz aufbauen zu können."

Der Bw brachte abschließend Folgendes vor: "Ich beantrage die ersatzlose Behebung des Ausweisungsbescheides und die Feststellung der dauerhaften Unzulässigkeit der Ausweisung."

 

Der Verwaltungssenat stellt folgenden Sachverhalt fest:

 

Der Bw wurde am X geboren und ist Staatsangehöriger der Türkei.

 

Er reiste am 29. September 2002 gemeinsam mit seiner Mutter X, geb. X und seiner Schwester X, geb. X, in das Bundesgebiet ein. Seine Mutter und seine Schwester sind ebenfalls türkische Staatsangehörige.

 

Der Bw, X und X stellten am 30. September 2002 Asylanträge. Das Bundesasylamt wies die Anträge als unbegründet ab. Die Bescheide des Bundesasylamts erwuchsen mit 21. August 2003 in Rechtskraft. Österreich gewährte kein Asyl. Während des Asylverfahrens verfügten der Bw, X und X über vorläufige Aufenthaltsberechtigungen nach dem Asylgesetz. Soweit aus dem Verfahrensakt ersichtlich, leitete die BPD Linz im Mai 2007 ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung ein und erließ den bekämpften Bescheid. X und X wurden mit Bescheiden vom 18. März 2009 ebenfalls aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Der UVS wird jeweils mit gesondertem Bescheid über die dagegen erhobenen Berufungen der X und der X entscheiden.

 

Zur Dauer des Aufenthalts des Bw ist festzustellen, dass sich dieser seit 29. September 2002 durchgehend im Bundesgebiet aufhält. X – infolge Eheschließung nunmehr X - X und X reisten dagegen im Mai 2010 aus und halten sich seither in der Türkei auf.

 

Nachdem seine Mutter im Mai 2010 das Bundesgebiet verlassen hatte, zog er nach X an die Adresse X. Unterkunftgeber war sein Onkel X. X ist österreichischer Staatsbürger. Dort war er bis 20. Mai 2011 mit Hauptwohnsitz gemeldet. Danach zog der Bw zur Gattin und den Kindern seines Onkels X in die X in X. Dort habe er – wie er vorbrachte – keinen Hauptwohnsitz anmelden können, da er seinen Reisepass nicht finden konnte. X lebte zu dieser Zeit bereits in X an der Adresse X. Der zog eigenen Angaben zufolge erst im September 2011 mit der Gattin und den Kindern des X an die Adresse X um. X ist türkischer Staatsbürger und verfügt über eine gültige Aufenthaltsberechtigung.

 

Auf den Vorhalt des Verhandlungsleiters, dass er in der Zeit von 29. September 2011 bis 10. Jänner 2012 an der Adresse X, gemeldet war, gab der Bw an, dass er dort nur gemeldet gewesen sei. Er habe sich dessen ungeachtet immer bei seinem Onkel an der Adresse X aufgehalten.

 

Zur Ausbildung des Bw ist festzustellen, dass er in Österreich die Hauptschule erfolgreich abschloss. Er besuchte danach die Handelsschule in der X. Die erste Klasse der Handelsschule (Schuljahr 2008/2009) schloss er erfolgreich ab. In Pflichtgegenstand "Deutsch" wurde er mit Genügend beurteilt. In der 2. Klasse brach er die Handelsschule ab und wechselte im Jahr 2010 in die Handelsakademie, ebenfalls X. Eigenen Angaben zufolge hatte er dort keinen Erfolg, da seine Mutter zu dieser Zeit unter Krebs litt, was ihn psychisch sehr mitnahm. Seine Mutter habe den Krebs mittlerweile besiegt, weshalb es ihm psychisch wieder besser gehe. Er sei bis zu seinem Umzug nach X in die H X zur Schule gegangen.

 

Im Wintersemester 2011/2012 – nach seinem Umzug nach X - ging er nicht zur Schule. Er brachte vor, er sei zu spät zur Anmeldung gekommen. Lt der Schulbesuchsbestätigung vom 15. März 2012 besucht der Bw im Sommersemester 2012 (27. Februar 2012 bis 6. Juli 2012) die H X. Dazu führte er in der mündlichen Verhandlung aus: "Auch wenn das Semester erst seit kurzem dauert, kann ich jetzt schon sagen, dass es mir in der Schule sehr gut geht. Ich hatte aber noch keine Schularbeiten."

 

Zu seinen Sprachkenntnissen ist festzustellen, dass er Türkisch, Kurdisch, Deutsch und Englisch spricht. In der mündlichen Verhandlung war eine Kommunikation auf Deutsch ohne weiteres möglich. Der Bw verfügt über ausgezeichnete Deutsch-Kenntnisse.

 

Der Bw ging in Österreich bislang keiner Erwerbstätigkeit nach. Vom Verhandlungsleiter befragt, wie er sich seine Zukunft in Österreich vorstelle, gab er an, dass sein Traumberuf Eventmanager sei. Dafür wäre die HAK die optimale Ausbildung. In der HAK lerne man, wie man wirtschaftlich an die Führung eines Unternehmens herangehe.

 

Der Bw ist zur Zeit alleinstehend, verwies in der mündlichen Verhandlung darauf, dass er in der Vergangenheit schon einige Freundinnen hatte.

 

Der Bw ist lt Versicherungsdatenauszug gemäß § 16 ASVG versichert. Vom Verhandlungsleiter befragt, wer für die im Versicherungsdatenauszug aufscheinende Selbstversicherung gemäß § 16 Abs. 1 ASVG aufkommt, verwies der Bw auf eine Patenschaftserklärung. Es handle sich beim Paten um X. Dieser zahle dem Bw etwa 700 Euro monatlich. Er komme vollständig für seinen Unterhalt auf. Mietkosten würden keine anfallen, da er bei seinem Onkel lebe.

 

Der Bw ist in keinem Verein aktiv. Er ist strafrechtlich unbescholten.

 

Neben seiner Mutter und seiner Schwester leben auch die Großeltern mütterlicherseits sowie entferntere Verwandte, wie zB Tanten, Cousins und Cousinen in der Türkei. Abgesehen davon halten sich keine Angehörigen in der Türkei auf.

 

Zur Beweiswürdigung:

 

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Verwaltungsakt, dem Vorbringen des Bw und den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Dokumenten.

 

 

Der Verwaltungssenat hat dazu in rechtlicher Hinsicht erwogen:

 

Gemäß § 125 Abs. 14 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 53 als Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden ist.

 

Die bekämpfte Ausweisung wurde auf Basis des § 53 FPG in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011, erlassen, weshalb diese Ausweisung als Rückkehrentscheidung im Sinne des § 52 FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 anzusehen und zu beurteilen ist.

 

Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, ist somit gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass der Bw über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt und somit unrechtmäßig aufhältig ist.

 

Bei der Beurteilung der Ausweisung bzw. der Rückkehrentscheidung gilt es zudem auch auf Art. 8 EMRK sowie § 61 FPG Bedacht zu nehmen.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Nach § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der        bisherige          Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des      Asyl-          Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem   Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren   Aufenthaltstatus bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Nach § 125 Abs. 20 FPG, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 38/2011 vorgenommene Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 66 als Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 61 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessenabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

Gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte ist es zulässig und erforderlich, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Rückkehrentscheidung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

Zu erkennen ist zunächst, dass durch die Rückkehrentscheidung in das Privatleben des Bw eingegriffen wird.

 

Im Hinblick auf den über 9 Jahre währenden Aufenthalt in Österreich ist im Besonderen auf die jüngste Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abzustellen. Wie folgt wiedergegeben wird, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348, einer sozialen Integration, obwohl sie in einem Zeitraum entstanden ist, während dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war, Gewicht beigemessen und diese nicht als unbeachtlich angesehen.

 

Das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich ist in seinem Gewicht gemindert, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (Erkenntnis vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293; Erkenntnis vom 29. September 2009, Zl. 2009/21/0253; VfGH vom 3. März 2008, B 825/07 mit Bezug auf die Urteile des EGMR vom 31. Jänner 2006, Rodrigues da Silva und Hoogkaamer gegen die Niederlande [Beschwerde Nr. 50435/99] und vom 31. Juli 2008, Darren Omoregie u.a. gegen Norwegen [Beschwerde Nr. 265/07]). Der EGMR stellt in den angesprochenen Urteilen darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist. Sei das der Fall, bewirke eine Ausweisung des ausländischen Familienangehörigen nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Art 8 EMRK (vgl.: Erkenntnis vom 19. Februar 2009, Zl. 2008/18/0721, Erkenntnis vom 30. April 2009, Zl. 2009/21/0086). In diesem Sinn ist nach der Z. 8 des § 66 Abs. 2 FPG [in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011] aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Annordnung bei der Interessensabwägung darauf Bedacht zu nehmen, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war. Freilich hat die genannte Bestimmung schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte.

 

Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, befindet sich der Bw nun schon mehr als 9 Jahre im Bundesgebiet. Diese überaus lange Aufenthaltsdauer misst im Sinne der Rsp. des Verwaltungsgerichtshofes dem Privatleben ein sehr hohes Gewicht bei.

 

Weiters zeigt sich der besondere Grad der Integration des Bw in der österreichischen Gesellschaft durch seine Sprachkenntnisse. Umso mehr, als der Bw zu erkennen gab, dass er vor der Einreise nach Österreich der Sprache nicht mächtig war und somit innerhalb seiner Anwesenheit im Bundesgebiet die Landessprache ausgezeichnet erlernte.

 

Der Bw kam mit 11 Jahren nach Österreich. Er schloss hier die Hauptschule und die erste Klasse der Handelsschule erfolgreich ab. Er besucht – wenn auch mit Unterbrechungen – die HAK.

 

Andererseits hat er keine eigene kernfamiliäre Bindung im engeren Sinn mehr an Österreich. Seine Mutter und seine Schwester befinden sich im Heimatstaat.

 

Die dargelegten Umstände verleihen dessen ungeachtet dem persönlichen Interesse des Bw am Verbleib in Österreich ein solches Gewicht, dass die Ausweisung unverhältnismäßig ist (vgl zu ähnlichen Konstellationen VwGH vom 26. August 2010, Zlen. 2010/21/0206 und 2010/21/0009).

 

Im Ergebnis ist eine Rückkehrentscheidung im Hinblick auf das Privatleben des Bw gem § 61 Abs. 3 FPG auf Dauer unzulässig.

 

Es war daher der Berufung stattzugeben, der angefochtene Bescheid aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.

 

Im Hinblick darauf, dass der Bw entsprechend seiner Angaben ausreichend der deutschen Sprache mächtig ist, konnte gemäß § 59 Abs. 1 FPG von der Übersetzung des Spruches und der Rechtsmittelbelehrung Abstand genommen werden.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 26,- Euro (Eingabegebühr, Beilagen) angefallen.

 

 

Mag. Wolfgang Weigl

 

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