Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-101144/12/Br/La

Linz, 12.05.1993

VwSen - 101144/12/Br/La Linz, am 12. Mai 1993 DVR.0690329

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Bleier, über die Berufung des Herrn W H, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. F R, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems vom 1. März 1993, VerkR96/10.093/1991/Hag/Rü, wegen Übertretung der StVO 1960 nach der am 12. Mai 1993 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird F o l g e gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstraf- verfahren eingestellt.

Rechtsgrundlage:

§ 4 Abs.1 lit. a iVm § 99 Abs.2 lit.a Straßen- verkehrsordnung, BGBl.Nr. 159/1960, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 615/1991 - StVO 1960; § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz BGBl.Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 866/1992 - AVG iVm § 19, § 24, § 45 Abs.1 Z 2, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 867/1992 - VStG; II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlage:

§ 65 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems hat mit dem obzitierten Straferkenntnis wider den Berufungswerber (in weiterer Folge kurz genannt: Bw) eine Geldstrafe von 2.500 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 48 Stunden verhängt, weil er am 9.11.1991 um 18.50 Uhr, im Gemeindegebiet von M, im Bereich der Kreuzung B 138 Z-Landesstraße als Lenker des Kraftfahrzeuges Marke VW Golf, nach einem Verkehrsunfall mit welchem er (sein Verhalten) im ursächlichem Zusammenhang gestanden war, nicht sofort angehalten habe.

1.1. Begründend führte die Erstbehörde im wesentlichen aus, daß der Bw anstatt an der Unfallstelle anzuhalten, er seine Fahrt in Richtung K fortgesetzt habe. Beim Haus des Ing. R Z in M sei der Bw über eine Wiese bis zur Scheune, wo er noch einen Zaun und Blumenkisten des H P beschädigt habe, gefahren. Erst gegen 23.00 Uhr sei der Gendarmerieposten Kirchdorf an der Krems von seinem Onkel, Prof. H davon verständigt worden, daß der Bw sich bei ihm aufhalten würde. Bei seiner ersten Einvernahme habe der Bw sein Verhalten mit einem "Black-out" erklärt. Erst im Zuge seines Einspruches habe der Bw vorgebracht, daß er wegen der beim Verkehrsunfall erlittenen Gehirnerschütterung nicht orientiert gewesen sei und daher nicht schuldhaft (ohne anzuhalten seine Fahrt fortgesetzt) gehandelt habe. Diesbezüglich habe jedoch der med. Sachverständige ROSR. Dr. Sch in seinem Gutachten festgestellt, daß zum Tatzeitpunkt keine massive Bewußtseinsstörung oder Störung der Geistestätigkeit vorgelegen hat. Der Bw sei nach dem Unfall handlungsfähig, und ein pflichtgemäßes Verhalten sei ihm durchaus zumutbar gewesen.

2. Dagegen wendet sich der Bw in seiner fristgerecht beim unabhängigen Verwaltungssenat eingebrachten Berufung:

2.1. Er führt darin sinngemäß aus, daß er wohl sein Fahrzeug nach der Kollision nicht angehalten habe. Unrichtig seien jedoch die gutächtlichen Feststellungen des med. Amtssachverständigen hinsichtlich des Nichtvorliegens einer massiven Bewußtseinsstörung oder der Störung der Geistestätigkeit und der Fähigkeit zur richtigen Einschätzung der Tat nicht hochgradig behindert gewesen zu sein. Diesbezüglich gehe der Amtsarzt rechtswidrig von der Annahme aus, daß der Atemalkoholgehalt des Bw zum Unfallszeitpunkt bei annähernd 0,472 mg/l gelegen habe. Dabei übersehe der Sachverständige, daß der Bw vor dem Unfall keinen Alkohol konsumiert habe und könne er sich daher aufgrund des unfallsbedingten Gedächtnisverlustes nicht erklären wie diese Feststellung des Alkholwertes zustandegekommen ist. Die Erstbehörde habe es unterlassen, die angebotenen Beweise aufzunehmen. Unzutreffend führe der Sachverständige ferner aus, daß eine Gehirnerschütterung und eine Zerrung der Halswirbelsäule keine Grundlage ist, um ein Schockgeschehen medizinisch zu begründen. Diese Feststellung sei unrichtig und widerspreche jeder Lebenserfahrung. Es sei allgemein - auch einem medizinischen Laien - bekannt, daß durch eine Gehirnerschütterung die Erinnerung an ein Unfallgeschehen vollkommen ausgelöscht sein könne und erst viel später - wenn überhaupt oder teilweise zurückkehrt. Es sei objektiviert, daß der Bw eine Gehirnerschütterung erlitten hat. Der Sachverständige habe es unterlassen, das Ausmaß der erlittenen Gehirnerschütterung einer Beurteilung zu unterziehen. Auf Grund der im Gerichtsverfahren vom kraftfahrzeugtechnischen Sachverständigen festgestellten Kollisionsgeschwindigkeit von 50 bis 55 km/h habe der Aufschlag des Kopfes des Bw an einem Fahrzeugteil entsprechend groß sein müssen. Daraus wäre zu folgern gewesen, daß der Bw vom Unfallszeitpunkt bis zum zufälligen Eintreffen der Gendarmerie im Haus seines Onkels an das Unfallgeschehen überhaupt keine, später nur mehr eine schemenhafte, Erinnerung gehabt habe. Das Verfahren sei daher mangelhaft und habe darüber hinaus die Behörde entscheidungswesentliche Tatsachen nicht und/oder unrichtig gestellt (gemeint wohl: festgestellt). Die angefochtene Entscheidung sei aber auch materiell rechtswidrig, da sich die Behörde auf Erkenntnisse des VwGH 86/02/0132 und 86/03/0165 stütze, die mit gegenständlichem Sachverhalt nicht vergleichbar seien. In den zitierten Entscheidungen werde ausgeführt, daß ein sogenannter Unfallschock nur in besonders gelagerten Fällen und bei einer gravierenden psychischen Ausnahmesituation das Unterlassen eines pflichtgemäßen Verhaltens entschuldigen könne. Dabei übersehe die Behörde, daß der Beschuldigte nicht (nur) einen Schock, sondern eine massive Bewußtseinsstörung aufgrund der schwerwiegenden Gehirnerschütterung erlitten habe. Die zit. Erkenntnisse gingen davon aus, daß der dort verurteilte Unfallbeteiligte dispositionsfähig geblieben sei. Gegenständlich sei der Beschuldigte aufgrund der erlittenen Körperverletzungen weder zeitlich, noch örtlich orientiert gewesen und habe daher weder fahrlässig noch vorsätzlich gehandelt. Aus diesen Gründen beantragte der Bw das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Strafverfahren wider den Beschuldigten einzustellen; in eventu die angebotenen Beweise aufzunehmen und danach einzustellen; in eventu eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems, Zl.: VerkR96/10.093/1991/Hag/Rü und Erörterung des Akteninhaltes am Beginn der Verhandlung, sowie durch Vernehmung des Zeugen Prof. Mag. F H und des Gutachtens der med. Amtssachverständigen, Dr. S H in der öffentlichen mündlichen Verhandlung. Der Bw und dessen Rechtsvertreter ist unentschuldigt zur Berufungsverhandlung nicht erschienen, sodaß diese gemäß § 51f Abs.2 VStG ohne dessen weitere Anhörung durchzuführen und das Erkenntnis zu fällen war.

4. Zumal keine 10.000,- S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, hat der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu erkennen. Da mit der Berufung auch die Schuldfrage angefochten wurde, war eine öffentliche mündliche Verhandlung anzuberaumen gewesen (§ 51e Abs.1 VStG).

5. Folgender Sachverhalt ist erwiesen:

5.1. Der Bw war zum oben genannten Zeitpunkt als Lenker des Kraftfahrzeuges Marke VW Golf, an einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang beteiligt. Er hat nicht sofort angehalten, sondern seine Fahrt noch etwa 2,5 km weit fortgesetzt. Schließlich fuhr der Bw noch quer über eine Wiese und stieß zuletzt noch an einen Zaun. Im Anschluß daran gelangte er nach einem Fußmarsch von etwa 30 Minuten durchnäßt beim Haus seines Onkels, dem Zeugen Mag. H an. Von diesem Zeugen wurde dann vom Verkehrsunfall die Gendarmerie verständigt. Der Bw erlitt bei diesem Vekehrsunfall eine "comotio cerebrie". Diese Diagnose wurde vom Krankenhaus Kirchdorf/Krems erstellt. Eine derartige Verletzung hat Beeinträchtigung der Hirnfunktion zu Folge. Diese hat ihrerseits zur Folge, daß unmittelbar im Anschluß an eine diese bewirkende Gewalteinwirkung, die Willensfunktion, wenn auch nur kurzfristig, eingeschränkt werden kann. Aus medizinischer Sicht ist nicht mit Sicherheit auszuschließen, daß beim Bw im Anschluß an den Verkehrsunfall aufgrund einer Bewußtseinsstörung die Dispositions- und Diskretionsfähigkeit eingeschränkt war.

6. Dieser Beweis ergibt sich, den Unfallablauf betreffend, einerseits aus den unbestrittenen Feststellungen wie sie in der Anzeige festgehalten sind. Das vom Bw nach dem Unfall zur Unterstützung seiner Verteidigung vorgebrachte Verhalten, wird sinngemäß durch die Aussage des Zeugen Prof. Mag. H bestätigt. Die mögliche Beeinträchtigung des Bw in seiner Dispostions- und Diskretionsfähgkeit unmittelbar im Anschluß an den Unfall wird jedoch durch das Gutachten der med. Amtssachverständigen schlüssig zum Ausdruck gebracht. In diesem Zusammenhang ist das Verhalten des Bw, nämlich, daß er nach dem Unfall sein Auto plötzlich "querfeldein" über eine Wiese lenkte und dabei noch gegen einen Zaun fuhr, bemerkenswert. Für eine "beabsichtigte Fahrerflucht" wäre dieses Verhalten als nicht typsich zu bezeichnen. Aufgrund der aus medizinsicher Sicht oben dargelegten Möglichkeit, war vom Vorliegen eines die Dispositionsfähigkeit beeinträchtigenden Zustand auszugehen. Dieser war "zumindest im Zweifel für den Bw" als so erheblich anzunehmen, daß im Sinne des § 3 VStG, bis 20 Minuten nach dem Unfall, die Schuldeinsichtsfähigkeit nicht gegeben gewesen ist.

7. Rechtlich ist folgendes zu erwägen: + 7.1. Die Behörde hat von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn die der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Tat nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen (§ 45 Abs.1 Z.2 VStG). Dies trifft für den Fall zu, daß die Zurechnungsfähigkeit (§ 3 VStG) für den Tatzeitpunkt fraglich ist, indem immerhin relevante (medizinische) Indizien für die Annahme einer solchen mangelnden Zurechnungsfähigkeit vorliegen. Dem "Täter" ist auch das Verschulden seines rechtswidrigen Verhaltens nachzuweisen. Aus diesem Grund war das vorgebrachte, entlastende Kriterium, von amtswegen wahrzunehmen (VwGH 20.11.1967, 1134, u. 1135/67, sowie VwGH 12.9.1969, 795/67).

Schuldhaft handelt der "Täter" nur, wenn er das Unrecht seines Verhaltens auch einzusehen vermag. Der Bw hatte nunmehr glaubhaft zu machen, "daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft". Dies vermochte vom Bw hinreichend dargetan zu werden bzw. gelangte dies im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung durch das dabei erstellte medizinische Gutachten zum Ausdruck. Zumal gegen den Bw nur der Vorwurf erhoben wurde nach dem Unfall das von ihm gelenkte Fahrzeug nicht sofort angehalten zu haben, war für die Verschuldensprüfung nur dieser Zeitpunkt für die Beurteilung des Verschuldens von Bedeutung. Genau für diesen Zeitpunkt konnte dem Fehlverhalten des Bw ein Verschulden, jedenfalls im Zweifel, nicht unterlegt werden.

Die in weiterer Folge ebenfalls unterbliebene Mitwirkungspflicht an der Sachverhaltsfeststellung, wäre wohl schon wieder vom Verschulden umfaßt gewesen. Eine Rückkehr an die Unfallstelle oder die persönliche Anzeigeerstattung bei der Gendarmerie, wäre dem Bw wenigstens nach 20 Minuten schon wieder zumutbar gewesen. Diese Unterlassung wurde dem Bw jedoch nicht zur Last gelegt.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist ein weiteres ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Sie muß von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat: Dr. B l e i e r

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