Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730615/2/Sr/ER/WU

Linz, 20.07.2012

VwSen-730616/2/Sr/ER/WU

E R K E N NT N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung 1.) der X, geb. X und 2.) des X, geb. X, beide StA von Armenien, beide vertreten durch X, Rechtsanwalt in X, gegen die Bescheide des Bezirkshauptmanns von Vöcklabruck vom 10. April 2012, AZ.: Sich40-29396-2011 und Sich40-29398-2011, betreffend Rückkehrentscheidungen und Einreiseverbote der Berufungswerber nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

            I.      Den Berufungen wird stattgegeben und die angefochtenen Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.

 

        II.      Rückkehrentscheidungen sind auf Dauer unzulässig.

 

 

I. ì×é³µ»Ï ·³Ý·³ïÝ ÁݹáõÝíáõÙ ¿ »õ µáÕáù³ñÏí³Í áñáßáõÙÁ ÑÇÙÝáíÇÝ ã»ÕÛ³É ¿ ѳÛï³ñ³ñíáõÙ

 

II. ºï³¹³ñÓ áñáßáõÙÁ ÙݳÛáõÝ Ï»ñåáí ³ÝÃáõÛɳïñ»ÉÇ ¿

 

Rechtsgrundlage/Æñ³í³Ï³Ý ÑÇÙù:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit den Bescheiden des Bezirkshauptmanns von Vöcklabruck vom 10. April 2012, AZ.: Sich40-29396-2011 und Sich40-29398-2011, wurden gegen die Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 52 Abs. 1 und 53 Abs. 1 und Abs. 2 iVm. § 61 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG idF. BGBl. I Nr. 38/2011, Rückkehrentscheidungen und damit verbundene Einreiseverbote für den gesamten Schengenraum angeordnet.

 

Neben der Wiedergabe der angewendeten Rechtsgrundlagen führt die belangte Behörde zum Sachverhalt im Wesentlichen aus, dass die Bw Staatsbürger von Armenien seien und gemeinsam mit ihrer gemeinsamen Tochter, X, geb. X, am 23. Juli 2002 illegal in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist seien. Am 24. Juli 2002 hätten die Bw einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamts seien die Asylanträge bzw. Asylerstreckungsanträge am 25. September 2002  abgewiesen worden. Gegen diese Bescheide hätten die Bw fristgerecht berufen. Am 6. Dezember 2006 seien die Berufungen vom unabhängigen Bundesasylsenat abgewiesen worden. Dagegen hätten die Bw Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben, der mit Beschluss vom 7. Februar 2007 der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt habe, mit Beschluss vom 27. April 2011 sei die Behand­lung der Beschwerde abgelehnt worden. Seit diesem Zeitpunkt würden sich die Bw illegal im Bundesgebiet der Republik Österreich aufhalten.

 

Am 6. Juni 2011 hätten die Bw und deren Tochter einen quotenfreien Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs. 3 NAG 2005 bzw. gemäß § 43 Abs. 2 NAG 2005 gestellt. Aufgrund der Antragsstellungen sei eine begründete Stellungnahme der Sicherheitsdirektion für eingeholt worden. Aus dieser Stellungnahme sei ersichtlich, dass fremdenpolizeiliche Maßnahmen gegen die Bw zulässig seien und keinen unverhältnismäßigen Eingriff in deren Privat- und Familienleben darstellen würden.

 

Mit Schreiben vom 3. August 2011 sei den Bw mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, gegen sie Rückkehrentscheidungen mit einem siebenjährigen Einreiseverbot zu erlassen. Mit gleichem Schreiben seien die Bw aufgefordert worden, schriftlich Stellung zu nehmen.

Eine fristgerechte Stellungnahme sei am 23. August 2011 per Fax bei der Fremdenpolizeibehörde eingelangt. In dieser hätten die Bw die Erkrankung der 1. Bw angeführt und mitgeteilt, dass eine entsprechende medizinische Versorgung in Armenien ungenügend bzw. nicht möglich sei.

Aus diesem Grund sei eine entsprechende Anfrage an die Staatendokumentation gerichtet worden. In dieser Anfrage seien auch die medizinischen Befunde sowie der Therapieplan und Auflistung der benötigten Medikamente beigelegt worden. Das Ergebnis der Staatendokumentation sei den Bw unter Wahrung des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht worden. Eine schriftliche Stellungnahme der Bw sei am 22. November 2011 per Fax bei der Fremdenpolizeibehörde eingelangt. In dieser Stellungnahme hätten die Bw angeführt, dass lediglich die Behandlungsmöglichkeiten der 1. Bw in Armenien von der Staatendokumentation geprüft worden sei, die des 2. Bw jedoch nicht. Aus diesem Grund sei neuerlich hinsichtlich der medizinischen Behandlung des 2. Bw eine Anfrage an die Staatendokument­ation gestellt worden. Auch dieses Ergebnis sei den Bw nachweislich unter Wahrung des Parteiengehörs übermittelt worden, eine schriftliche Stellungnahme der Bw sei am 23. Jänner 2012 bei der Fremdenpolizeibehörde eingelangt.

 

Zum Hinweis der Bw in ihrer Stellungnahme, dass die Stellungnahme der Sicherheitsdirektion betreffend die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Aufenthalts- und Fremdenpolizeibehörde nicht binde, habe die Fremdenpolizeibehörde den Bw mitgeteilt, dass der VwGH mehrmals festgestellt habe, dass Stellungnahmen der Sicherheitsdirektion dann binden seien, wenn Fremde über keine asylrechtliche Ausweisung verfügen. Dies sei bei den Bw der Fall.

In ihrer schriftlichen Stellungnahme hätten die Bw weiters angegeben, dass sich die Behörde von unmenschlichen fremdenpolizeilichen Erwägungen leiten habe lassen, bei welchen der für die Beurteilung nach Art. 8 EMRK relevante Sachverhalt wohl gänzlich außer Acht gelassen worden sein dürfte, was bereits aus der Tatsache hervorgehe, dass die Behörde beabsichtige, die beiden Parteien mit einem Einreiseverbot in der Dauer von sieben Jahren zu belegen. Dies obgleich die Behörde wisse, dass der Tochter der beiden Bw ein Aufenthaltstitel erteilt worden sei.

 

Neben Erwägungen zum Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG bringt die belangte Behörde weiters vor, dass die Bw ab dem Zeitpunkt, in dem ihr Asylantrag auch in zweiter Instanz abgewiesen worden ist, gewusst hätten, dass ihr weiterer Aufenthalt als unsicher einzustufen sei.

Das Asylverfahren sei mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 6.Dezember 2006 beendet worden. Der als Integrationsmerkmal von den Bw angeführte lange Aufenthalt sei aufgrund der Ergreifung eines außerordentlichen Rechtsmittels zu Stande gekommen. Daher seien sich die Bw ihres unsicheren Aufenthaltes bereits bewusst gewesen, da ihr Asylantrag sowohl in der ersten als auch in der Berufungsinstanz abgewiesen worden sei. Durch das Ergreifen eines außerordentlichen Rechtsmittels hätten die Bw ihren Aufenthalt "verlängert", indem ihnen der VwGH die aufschiebende Wirkung zuerkannt habe. Letztendlich habe der VwGH aber die Behandlung der Beschwerde abgelehnt. Bereits bei der Ergreifung des außerordentlichen Rechtsmittels hätten die Bw wissen müssen, dass ihre Beschwerde trotz der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht zum Erfolg führen werde. Nur durch diesen Umstand hätten die Bw in Österreich einen weiteren Aufenthalt erlangt. Faktum sei, dass die Asylentscheidung von den Asylbehörden innerhalb von 4 Jahren und 5 Monaten gefällt worden sei. Daher könne von einem Organisationsverschulden der Asylbehörden wohl kaum gesprochen werden.

Die 1. Bw habe am 16. Oktober 2010 die Deutschprüfung auf Niveau A2 bestanden, die belangte Behörde bemerkt hierzu aber, dass diese sprachliche Integration zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, in dem das Asylverfahren bereits beim VwGH anhängig gewesen sei.

Der 2. Bw habe zu seiner sprachlichen Integration angegeben, er wage es nicht, zu einer derartigen Prüfung anzutreten, obgleich er ausreichend Deutsch spreche und verstehe und sich so im Lebensalltag zurechtfinde. Die belangte Behörde stellt dazu fest, dass der 2. Bw nicht einmal einen Deutsch-Integrationskurs besucht habe. Sein Verhalten zeige daher, dass er nicht bemüht gewesen sei, solche Kurse zu besuchen und abschließend zur Deutschprüfung Niveau A2 anzutreten. Die entsprechenden Kurse zu besuchen, wäre bereits ein wichtiger Schritt in Richtung Integration gewesen. Gerade das Erlernen der deutschen Sprache stelle eine Grundsäule der Integration dar. Diese Chance habe der 2. Bw jedoch nicht wahrgenommen. Sein Alter stelle kein Hindernisgrund für die sprachliche Integration dar.

 

Aus dem Versicherungsdatenauszug der 1. Bw sei ersichtlich, dass sie seit ihrem Aufenthalt in Österreich nie einer legalen Beschäftigung nachgegangen sei und sich immer in der Grundversorgung des Landes befunden habe. Sie besitze kein eigenes Einkommen und keine eigene Krankenversicherung. Die 1. Bw habe aber einen Dienstvertrag mit einer Reinigungsfirma vorgelegt, aus dem ersichtlich sei, dass sie als Reinigungskraft zu arbeiten beginnen könne. Dem hält die belangte Behörde entgegen, dass die 1. Bw in ihrer Stellungnahme angegeben habe, aufgrund ihrer Erkrankung nur sehr eingeschränkt arbeitsfähig zu sein. Der Grad ihrer körperlichen Behinderung betrage 50%. Daher sei es für die belangte Behörde nicht nachvollziehbar, warum die 1. Bw einen Dienstvertrag unterschrieben habe, zumal es offensichtlich sei, dass sie die angeforderte Tätigkeit nicht ausführen werde können. Vielmehr habe es den Anschein, dass die 1. Bw durch die Vorlage des Dienstvertrags die belangte Behörde dazu verleiten wolle, ihre berufliche Integration anzuerkennen, die bis dato allerdings nicht vorhanden sei. Der vorgelegte Dienstvertrag, den die 1. Bw mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erfüllen werde können, werde daher nicht positiv in der Beurteilung der beruflichen Integration der 1. Bw gewertet.

 

Aus dem Versicherungsdatenauszug des 2. Bw sei ersichtlich, dass er sich mit ein paar kurzen Ausnahmen immer in der Grundversorgung des Landes befunden habe. Aus diesem Grund besitze er weder ein eigenes Einkommen noch eine eigene Krankenversicherung. Somit sei der 2. Bw derzeit nicht in der Lage für seinen Unterhalt und für den Unterhalt seiner Familie selbst aufzukommen.

In der schriftlichen Stellungnahme habe der 2. Bw angeführt, im Rahmen der eingeschränkten Möglichkeiten durchaus versucht zu haben, schon während der langen Jahre als Asylwerber Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt und zu einer legalen Beschäftigung zu finden. Er habe keine Möglichkeit gehabt, als unselbständig Beschäftigter zu arbeiten. Unter diesen Umständen dürfe jedoch seine Tätigkeit als Zeitungszusteller auf werkvertraglicher Basis, keinesfalls außer Acht gelassen werden, weil sie immerhin belege, dass der 2. Bw sich um eine Arbeitstätigkeit bemüht habe.

 

Die belangte Behörde hält fest, dass der 2. Bw am 31. Mai 2007 in X, bei der Ausübung einer illegalen Beschäftigung von den Beamten der KIAB Vöcklabruck auf frischer Tat betreten worden sei.

Bedenke man, dass der 2. Bw in einen der bekanntesten Tourismusregionen Österreichs - Attersee Salzkammergut - wohnt, sei es für die Fremdenpolizeibehörde nicht nachvollziehbar, warum er nicht einmal beim zuständigen AMS Vöcklabruck um eine Beschäftigungsbewilligung im Tourismusbereich oder in der Forst- und Landwirtschaft angesucht habe. Daher zeige der 2. Bw keine Bereitschaft, sich am österreichischen Arbeitsmarkt integrieren zu wollen. Der 2. Bw habe weder eine Berufsausbildung noch eine Fortbildung in Österreich absolviert. Er habe die Chance, in Österreich legal beschäftigt zu sein und selbst für den Unterhalt seiner Familie aufzukommen, nicht genutzt. Die kurze Erwerbstätigkeit als Zeitungszusteller schmälere diese Ansicht nicht, da der 2. Bw während dieser Tätigkeit zu Unrecht Geld von der Grundversorgung erhalten habe. Er habe es unter­lassen, seine Erwerbstätigkeit der Grundversorgung zu melden. Diese Vorgehensweise zeige deutlich, dass der 2. Bw nicht gewillt sei, am österreichischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, vielmehr zeige sein persönlich gesetztes Verhalten, dass er den Sozialstaat Österreich ausnützen wolle.

 

Die Bw seien nicht im Besitz einer eigenen Wohnung. Die Bw seien in keinem österreichischen Verein aktiv, sie hätten aber ihrem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zahlreiche Unterstützungsschreiben beigeschlossen.

Gegen die Bw seien mehrere Anzeigen an die zuständigen Gerichte erstattet worden.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Wels vom 10. April 2007, Zl. 13 Hv 62/2007g, seien beide Bw wegen §§ 164 Abs. 2, 164 Abs. 3, 164 Abs. 4 (2. Fall) zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten, davon ein Monat unbedingt verurteilt worden.

Weiters seien beide Bw von der Finanzstrafbehörde I. Instanz am 15. April 2009 wegen vorsätzlicher Abgabenhehlerei und vorsätzlicher Eingriff in die Rechte des Tabakmonopols gemäß §§ 37 Abs. 1 lit. a u. 44 Abs. 1 lit. a FinStrG mit einer Geldstrafe von € 70,- rechtskräftig bestraft worden.

 

In ihrer Stellungnahme hätten die Bw angegeben, dass hinsichtlich der gerichtlichen Verurteilung zugunsten der beiden Betroffenen festgehalten werden müsse, dass dies die einzige Verurteilung innerhalb eines Zeitraumes von ca. neun Jahren gewesen sei, die Tat bereits mehr als vier Jahre zurückliege und die Tilgungsfrist in diesem Fall gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2 Tilgungsgesetz fünf Jahre betrage, sodass die Tat daher im Laufe des Jahres 2012 getilgt und aus dem Strafregister gelöscht werde.

 

Dazu führt die belangte Behörde an, dass die Verurteilung durch das LG Wels vom 10. April 2007 zum Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheids noch nicht getilgt gewesen sei. Weiters weist die belangte Behörde darauf hin, dass eine der erwähnten Anzeigen wegen Ladendiebstahls zu einer Diversion geführt habe, was bedeute, dass der 2. Bw das Vergehen des Ladendiebstahles eingestanden habe. Ohne dieses Schuldeingeständnis sei eine Diversion gar nicht möglich. Die angeführten Anzeigen der zuständigen Polizeiinspektionen an die zuständigen Staatsanwaltschaften würden wohl eine Rolle für eine Prognoseentscheidung im Sinne eines Einreiseverbotes spielen. Diese Anzeigen würden nämlich das persönlich gesetzte Verhalten der Bw in Österreich aufzeigen und von krimineller Energie zeugen. Neben weiteren Erwägungen zur Gefährdungsprognose anhand der Anzeigen, der Diversion und der gerichtlichen Verurteilung verweist die belangte Behörde auf eine Entscheidung des VwGH hinsichtlich Verwaltungsstrafen, wonach "bei der Interessenabwägung gemäß § 37 [FrG] auch das bereits getilgten Be­strafungen zu Grunde liegende Fehlverhalten zu berücksichtigen ist (Erkenntnis vom 31. Mai 2000, ZI 99/18/0382)". Wenn dieser Umstand bereits bei Verwaltungsstrafen gelte, müsse er auch bei rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen gelten.

 

In ihrer Stellungnahme hätten die Bw angegeben, ihr Verstoß gegen das Tabakmonopol stelle ein geringfügiges Vergehen dar. Bei den beiden Bw seien im Zuge einer kriminalpolizeilichen Nachschau und Hausdurchsuchung 20 Packungen Marlboro-light russischer Herkunft gefunden worden.

Die belangte Behörde führt dazu an, dass die Zigaretten am 5. Jänner 2007 in Beschlag genommen worden seien. Zu diesem Zeitpunkt hätten sich die Bw bereits illegal in Österreich aufgehalten haben, da ihnen die aufschiebende Wirkung durch den VwGH erst am 7. Februar 2007 zuerkannt worden sei. Dieses Verhalten habe neuerlich gezeigt, dass die Bw kein Interesse hätten, die österreichische Rechtsord­nung zu akzeptieren und zu respektieren. Im Gegenteil seien die Bw bemüht, die Rechtsordnung zu brechen, um einen größtmöglichsten Vorteil daraus zu ziehen.

 

Nach Erwägungen zur Höhe der von der Grundversorgung des Landes zur Verfügung gestellten Mittel stellt die belangte Behörde fest, dass die Bw aufgrund des Ergebnisses der Staatendokumentation betreffend ihrer gesundheitlichen Behandlung bzw. medizinischen Versorgung in Armenien neuerlich zur schriftlichen Stellungnahme aufgefordert worden seien. Diese schriftliche Stellungnahme, die am 24. Jänner 2012 bei der Fremdenpolizeibehörde eingelangt sei, habe die belangte Behörde an das Bundesasylamt weitergeleitet. Mit nachweislichem Schreiben des Bundesasylamtes seien die Bw in Kenntnis gesetzt worden, dass es sich bei besagter schriftlicher Stellungnahme um einen weiteren Asylantrag handle, der persönlich bei der EAST-X zu stellen sei. Bis dato hätten die Bw jedoch persönlich keinen Asylfolgeantrag ge­stellt. Aufgrund dieses Verhaltens liege der Verdacht nahe, dass die Angaben der Bw in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 20. Jänner 2012 nicht der Wahrheit entsprächen, da die Bw ansonsten bei der EAST-X mit Sicherheit einen Asylfolge­antrag gestellt hätten, wenn eine tatsächliche Gefährdung nach Art. 3 EMRK in ihrem Heimatstaat bestehen würde.

 

Betreffend des Gesundheitszustandes der Bw stellt die Fremdenpolizeibehörde fest, dass aufgrund des Ergebnisses der Staatendokumentation vom 2. Jänner 2012 ersichtlich sei, dass eine medizinische Behandlung im Heimatstaat möglich sei. Der EGMR habe bereits mehrfach festgestellt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht habe, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leide oder selbstmordgefährdet sei. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver sei, sei unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gebe. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führe die "Abschiebung" zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche lägen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die "Abschiebung" einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben. Da es sich bei den Bw nicht um eine "Abschiebung" handle, seien die weiteren Ausführungen in der schriftlichen Stellungnahme vom 20. Jänner 2012 hinsichtlich des Gesundheitszustandes derzeit irrelevant. Diese würden erst bei der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung relevant.

Die Fremdenpolizeibehörde stellt weiters fest, dass es im gegenständlichen Verfahren nicht um eine Abschiebung in den Heimatstaat gehe. Der VwGH habe bereits mehrmals festgestellt, dass es sich bei einer Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot um ein Aufenthaltsverbot handle.

 

Die 1. Bw sei im Alter von 42 Jahren, der 2. Bw im Alter von 50 Jahren illegal nach Österreich eingereist, hätten in Armenien eine Schulausbildung absolviert und sprächen die Landessprache. Ferner seien sie mit den Sitten und Gebräuchen ihres Herkunftsstaats vertraut. Der Sohn X, geboren am X sei ebenfalls mit den Bw illegal nach Österreich eingereist und habe hier einen Asylerstreckungsantrag gestellt. Sein diesbezügliches Verfahren sei bereits im September 2002 eingestellt worden, da er nicht mehr in Österreich aufhältig sei.

Aus dem Asylakt des 2. Bw sei ersichtlich, dass zum damaligen Zeitpunkt seine Mutter, X, geboren X, und seine Brüder seit 2000 in Deutschland gelebt hätten. Kontakt zu ihnen dürfte der 2. Bw nicht gehabt haben, weil er diesbezüglich in seinem Asylverfahren keine konkreten Angaben über Wohnort, Aufenthaltsstatus, etc, zu machen im Stande gewesen sei. Da sowohl seine Mutter als auch seine Geschwister in Deutschland nach eigenen Angaben rechtmäßig aufhältig seien, wären diese in der Lage, den 2. Bw jederzeit auch in Armenien besuchen und den Kontakt aufrecht zu halten. Ansonsten habe der 2. Bw über seine familiären Bindungen zu seinem Heimatstaat keine Angaben gemacht.

Weiters wird angeführt, dass die Bw im Jahr 1994 von Armenien nach Russland ausgewandert seien, um nicht für den Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan eingezogen zu werden. In Moskau selbst seien sie einer Erwerbstätigkeit bis zur illegalen Einreise nach Österreich nachgegangen. Somit stehe fest, dass sich die Bw acht Jahre in Russland, vorwiegend in Moskau aufgehalten hätten, bis sie sich entschlossen hätten, mit einem Schlepper nach Österreich zu kommen und hier um Asyl anzusuchen.

 

Zum Familien- und Privatleben der Bw führt die belangte Behörde aus, dass gegen beide Bw mit gleichem Datum eine Rückkehr­entscheidung getroffen worden sei. Die Bw würden gemeinsam mit ihrer volljährigen Tochter, X, geboren am X, StA v. Armenien, in X wohnen. Ein tatsächliches Familienleben bestehe deshalb. Der Tochter X sei vom Amts wegen ein Aufenthaltstitel erteilt worden. Dies deshalb, weil sie aufgrund ihrer Volljährigkeit nicht mehr zur "Familienbande" zähle, sie selbst für ihren Unterhalt sorgen könne, eine eigene Krankenversicherung besitze, unbescholten sei und ein hohes Maß an sprachlicher und sozialer Integration gegeben sei. Da der volljährigen Tochter ein Aufenthaltstitel erteilt worden sei, obliege es der Tochter allein, wie sehr der familiäre Kontakt zu den Eltern aufrecht bleibt. Aufgrund der modernen technischen Kommunikationsmittel bestünden ausreichend Möglichkeiten, mit den Eltern weiterhin entsprechend Kontakt zu halten. Weiters könne die Tochter die Bw jederzeit in ihrem Heimatstaat besuchen.

 

Die Fremdenpolizeibehörde stellt weiters fest, dass eine lange Aufenthaltsdauer allein nicht automatisch zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung führe. Es seien auch noch andere Integrationsmerkmale im Sinne des § 61 FPG bzw. Art. 8 EMRK erforderlich. Im Fall der Bw bestehe ein gewisses Maß an sozialer Integration. Aufgrund der Aufenthaltsdauer gehe die Fremdenpolizeibehörde auch von einer gewissen sprachlichen Integration des 2. Bw aus. Dem stehe jedoch die rechtskräftige Verurteilung wegen gewerbsmäßiger Hehlerei, die Diversion des 2. Bw wegen eines Ladendiebstahles, ein Vergehen nach dem Finanzstrafgesetz, keine Selbsterhaltungsfähigkeit, keine Berufsausbildung, keine Berufsfortbildung, keine eigene Krankenversicherung, keine eigene Wohnung und schließlich das Bewusstsein des unsicheren Aufenthaltes entgegen. Anzuführen seien auch noch die illegal Einreise und der illegale Aufenthalt.

 

Die Fremdenpolizeibehörde kommt nach Prüfung des Privat- und Familienleben zum Ergebnis, dass die Rückkehrentscheidung mit einem siebenjährigen Einreiseverbot keinen unverhältnis­mäßigen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Bw darstelle, sondern dringend geboten sei, um die öffentliche Ordnung und Sicherheit wieder herzustellen.

 

 

2. Gegen diese am 13. April 2012 zugestellten Bescheide erhoben die Bw durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter mit Schriftsatz vom 26. April 2012 rechtzeitig Berufung. Darin werden die Anträge gestellt, die angefochtenen Bescheide aufzuheben; in eventu die Bescheide vollinhaltlich aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung an die Erstbehörde zurückzuverweisen; eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen.

Lediglich vorsorglich für den Fall, dass diesen Hauptberufungsanträgen nicht stattgegeben werden sollte, begehren die Bw mittels Eventualantrag die Abänderung des Ausspruchs betreffend des Einreiseverbots dahingehend, dass dieses mit dem gesetzlich vorgesehenen Mindestzeitraum von 18 Monaten festgesetzt und begrenzt werde.

 

Die Bw begründen ihre Berufung im Wesentlichen damit, dass das Familienleben der Bw in Österreich mit ihrer in Österreich niedergelassenen Tochter nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. Die beiden Bw würden mit ihrer Tochter in Österreich in familiärer Lebensgemeinschaft leben, dies seit der Einreise im Oktober 2002. Dieser gemeinsame familiäre Wohnsitz liege zur Zeit in der Wohnung X, in einer 55 m2 großen Mietwohnung, bestehend aus Wohnzimmer, Schlafzimmer und Kinderzimmer, Küche im Wohnzimmer sowie Bad und WC. Es bestehe eine besonders enge wechselseitige menschliche Bindung zwischen den beiden Bw und ihrer Tochter. Besonders eng sei diese Bindung zwischen der 1. Bw und X .

 

Überdies liege bereits eine Aufenthaltsdauer von mehr als 9 1/2 Jahren in Österreich vor. Davon sei der weitaus überwiegende Zeitraum bis Frühjahr 2011 ein durchgehend rechtmäßiger Aufenthalt gewesen. Die Integration, die während dieser langen Aufenthaltsdauer entstanden sei, werde nicht dadurch gemindert, dass den Betroffenen die „Unsicherheit ihres Aufenthaltsrechts" bewusst sein hätte müssen. Dies gelte bei der 1. Bw schon deshalb nicht, weil diese einen bloßen Asylerstreckungsantrag gestellt habe und man ihr nicht vorhalten könne, sie hätte über die Erfolgsaussichten oder nicht gegebenen Erfolgsaussichten des Asylantrags ihres Mannes Bescheid wissen müssen.

In Bezug auf den 2. Bw sei zu bedenken, dass dieser bereits bei seiner ersten Befragung zu seinen Asylgründen diese vollkommen wahrheitsgemäß offengelegt habe. Ihm könne somit nicht vorgeworfen werden, ein Verfolgungs- oder Gefährdungsgeschehen vorgetäuscht zu haben.

Wenn die Behörden für die endgültige Behandlung und Entscheidung dieses Asylansuchens einen Zeitraum von 8 1/2 Jahren benötigt hätten, so falle diese lange Verfahrensdauer nicht in den Verantwortungsbereich der beiden Bw, sondern in jenen der Republik Österreich. Es sei somit nicht zulässig, die integrative, für die Beurteilung nach Art. 8 EMRK relevante Wirkung dieser langen Aufenthaltsdauer mit der Begründung abzuschwächen, dass den beiden Betroffenen die Unsicherheit ihres Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sein hätte müssen.

 

Die Behörde rechne es den Bw als Verschulden an, dass diese gegen die negative Entscheidung des Bundesasylsenats den VwGH angeru­fen haben. In der Ausschöpfung des Instanzenzugs durch Anrufung des VwGH könne kein Verschulden der Bw erblickt werden. Dem VwGH wäre es freigestanden, die Be­schwerde - wenn offensichtlich unbegründet - bereits in kurzer Zeit abzulehnen.

Im Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung des VwGH seien die Betroffenen bereits länger als acht Jahre durchgehend in Österreich aufhältig gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei bereits ein starker Integrationseffekt in Bezug auf ihr Privat- und Familienleben in Österreich vorgelegen.

Der bereits mehr als 9 1/2 Jahre andauernde Gesamtaufenthalt der beiden Bw in Österreich, der in überlangen Verzögerungen des Verfahrens begründet liege, welche den Behörden zuzurechnen seien, sei im Rahmen der Interessenabwägung somit uneingeschränkt zugunsten beider Betroffenen zu berücksichtigen. Dies habe die Erstbehörde aufgrund einer Verkennung der Rechtslage nicht getan.

 

Folgend führen die Bw ausführliche Erläuterungen zu ihren Erkrankungen und Therapieerfordernissen an und vertreten die Ansicht, dass diesen in ihrem Herkunftsstaat nicht ausreichend nachgekommen werden kann, da zum Einen die Versorgung nicht gesichert sei und zum Anderen der Großteil der Gesundheitsleistungen in Armenien von der Bevölkerung selbst bezahlt werden müsse, wozu die beiden Bw aufgrund ihrer finanziellen Lage nicht fähig seien.

 

Der Umstand, dass die Betroffenen in den Stellungnahmen zum erstbehördlichen Verfahren den Standpunkt eingenommen haben, eine ausreichende Behandlungsmöglichkeit sei in Armenien nicht gegeben, habe die Erstbehörde zur Annahme veranlasst, dass diese Vorbringen als „Asylfolgeantrag" zu werten seien, wovon jedoch nicht die Rede sein könne. Sie hätten mit diesem Vorbringen beabsichtigt aufzuzeigen, welch gravierend nachteilige Auswirkungen eine Rückkehrentscheidung auf die physische Gesundheit der Bw hätte. Die Bw seien der Auffassung, dass dieser Aspekt sehr wohl für die Rückkehrentscheidung und die dafür durchzuführende Interessenabwägung aufgrund der Bestimmung des § 61 Abs 2 Ziff 3 FPG von wesentlicher Bedeutung sei und sich daraus eine besondere Intensität des von der Erstbehörde intendierten und durchgeführten aufenthaltsbeendenden Eingriffs in das Privat- und Familienleben der beiden Betroffenen ergebe. Weiters resultiere aus diesen mannigfachen Erkrankungen, der Schwere dieser Erkrankungen und der Behandlungsbedürftigkeit derselben eine be­sondere Abhängigkeit der beiden Bw von der weiteren Betreuung, Pflege und Anwesenheit ihrer aufenthaltsberechtigten Tochter. Dies verstärke den Aspekt „Schutz des Familienlebens" gem. Art 8 EMRK.

 

Es könne auch nicht die Rede davon sein, dass dieses Vorbringen nur deshalb unbeachtlich sei, weil ja für die Betroffenen theoretisch die Möglichkeit bestünde, in ein anderes Land auszureisen. Diese Möglichkeit sei rein theoretischer Natur, zumal die Bw weder über Reisedokumente noch über Staatsbürgerschaftsdokumente verfügen würden, die ihnen die Möglichkeit geben würden, in andere Länder zu reisen als nach Armenien. Auch eine freiwillige Rückkehr nach Armenien komme aus dem selben Grund nicht in Frage. Es wäre daher praktisch nur eine Abschiebung der Betroffenen nach Armenien durchführbar. Daher sei sehr wohl zu prüfen, wie es um die Gesundheit der Betroffenen aussehen würde, müssten sie nach Armenien zurückkehren.

 

All dies sei für die rechtliche Prüfung nach § 61 Abs 2 FPG von Relevanz, zumal sich aus den Erkrankungen, Behandlungsnotwen­digkeiten und gesundheitlichen Gefährdungen ein besonderes An­gewiesensein beider Betroffenen unter dem Gesichtspunkt ihres Privatlebens auf einen weiteren Aufenthalt in Österreich, also eine besondere Schutzwürdigkeit des Privatlebens der beiden Betroffenen iSd     § 61 Abs 2 Ziff 3 FPG ergebe. Zweitens ergebe sich daraus, dass durch eine Rückkehrentscheidung in besonders intensiver und gravierender Weise in das durch Art 8 EMRK geschützte Rechtsgut „Privatleben" beider Betroffenen ein­greifen würde. Zum Dritten folge daraus, dass die beiden Bw viel mehr als gesunde junge Menschen darauf angewiesen seien, mit ihrer Tochter, ihrer einzigen nahen Angehörigen und Verwandten, weiterhin in Österreich ein "gemeinsames Familienleben" führen zu können.

Die von der Erstbehörde durchgeführte Interessenabwägung sei daher rechtlich unrichtig, weil sie all diese Gesichtspunkte - aufgrund einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung - nicht berücksichtigt habe.

 

Ferner habe die belangte Behörde zu Unrecht die in der „Dritten Stellungnahme" gestellten „medizinischen" Beweisanträge nicht beachtet. Sie habe es unterlassen, Tatsachenfragen, welche für die rechtliche Beurteilung wesentlich seien, im Ermittlungsverfahren einer entsprechenden Klärung zuzuführen.

 

Auch die Interessenabwägung hinsichtlich der Bindung der Bw zu ihrem Herkunftsstaat habe die belangte Behörde nicht richtig durchgeführt. Es sei nach dem Ergebnis des Asylverfahrens davon auszugehen, dass beide Bw gemeinsam mit ihrer Tochter bereits 1994 Armenien verlassen hätten, zu Armenien keinerlei verwandtschaftliche, familiäre, private oder sonstige soziale oder wirtschaftliche Beziehungen mehr hätten und dort völlig „entfremdet" und „entwurzelt" seien, was hinsichtlich der Interessenabwägung von Relevanz gewesen sei.

 

Auch die Erwerbstätigkeit des 2. Bw bzw. den Dienstvertrag der 1. Bw habe die belangte Behörde unrichtig gewertet. Zwar habe der 2. Bw nicht in der Tourismusbranche gearbeitet, sehr wohl aber als Zeitungszusteller. Diese Tätigkeit habe er aufgrund seiner Erkrankung einstellen müssen. Er verfüge aber über mündliche Zusagen, jederzeit wieder als Zusteller tätig sein zu können. Schriftliche Zusagen seien in dieser Branche unüblich. Die Behauptung, der 2. Bw habe die Tätigkeit der Grundversorgungsbehörde nicht gemeldet, entspreche nicht den Tatsachen.

Auch die Feststellung der belangten Behörde, die 1. Bw wolle mit dem vorgelegten Dienstvertrag ihre Integration am Arbeitsmarkt vortäuschen, entbehre jeder Grundlage, zumal die 1. Bw trotz ihrer Erkrankungen unbedingt arbeiten wolle, weil sie extrem motiviert sei, nach einer zehnjährigen Wartezeit in Österreich endlich die wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit zu erlangen und sich und ihrer Familie eine neue Existenz zu schaffen. Beide Bw seien demnach bemüht, die wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit wieder zu erlangen.

 

Ferner habe die 1. Bw am 16. Oktober 2010 die Deutschprüfung auf Niveau A2 erfolgreich abgelegt. Sie habe damit iSd. § 14 NAG die Integrationsvereinbarung erfüllt, und somit könne ihr ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte Plus" gemäß § 41 a Abs. 9 NAG iVm. § 44a NAG erteilt werden.

Die rechtliche Begründung der belangten Behörde, dass „diese sprachliche Integration zu einem Zeitpunkt erfolgt" wäre, in welchem das Asylverfahren der 1. Bw beim Verwaltungsgerichtshof anhängig gewesen sei, ignoriere die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs, wonach dann, wenn die Verzögerungen des Asylverfahrens in den Verantwortungsbereich der Behörde fallen, die während dieses Aufenthalts bewirkte Integration nicht mit dem Argument der Unsicherheit des Aufenthaltsstatus „relativiert" werden dürfe.

 

Außerdem habe es die belangte Behörde unterlassen, die durch etliche Unterstützungsschreiben belegte soziale Integration der Bw ausreichend zu deren Gunsten zu gewichten.

 

Das Gesamtgewicht dieser für eine dauerhafte Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung aus Gründen des Schutzes des Privat- und Fami­lienleben der beiden Betroffenen sprechenden Abwägungsgesichtspunkte sei derart hoch, dass sich daraus die dauerhafte Unzulässigkeit einer derartigen Rückkehrentscheidung ergebe. Dem zum Trotz habe die belangte Behörde in unsachlicher Weise eine Überbetonung und Übergewichtung der einzigen strafrechtlichen Verurteilung der beiden Bw und der sonstigen „Tatbestände" im Rahmen der Interessenabwägung vorgenommen. Die strafrechtliche Verurteilung der beiden Betroffenen liege nunmehr volle fünf Jahre zurück. Die Verurteilung müsse daher getilgt sein. Gemäß § 1 Abs. 2 TilgungsG sei mit der Tilgung einer Verurteilung die Rechtsfolge verbunden, dass alle nachteiligen Folgen, die kraft Gesetzes mit der Verurteilung verbunden sind, erlöschen. Der Verurteilte gelte fortan als gerichtlich unbescholten. Selbst wenn es zulässig sein sollte, auch eine bereits getilgte Verurteilung im Rahmen der Interessenabwägung noch zum Nachteil der Betroffenen zu berücksichtigen, werde durch die erfolgte Tilgung jedenfalls das Gewicht eines derartigen „Abwägungsnachteils" entscheidend gemindert.

Gleiches gelte für den vom 2. Bw begangenen Ladendiebstahl, der zu einer Diversion geführt habe. Der Besitz weniger Zigarettenpackungen russischer Herkunft und der darin von der Finanzstrafbehörde gesehene Verstoß gegen das Tabakmonopol stelle gleichfalls nur ein geringfügiges Fehlverhalten dar, welches ebenfalls bereits Jahre zurückliege.

 

Insgesamt komme den aus Gründen des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK für die dauerhafte Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung bei beiden Bw sprechenden Tatsachen, Sachverhalten und Abwägungsgesichtspunkten ein wesentlich höheres Gewicht zu als dem öffentlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung und den von der Erstbehörde angeführten, für eine Aufenthaltsbeendigung sprechenden Sachverhalten, Tatsachen und Abwägungsgesichtspunkten.

Somit sei es jedoch im gegenständlichen Fall zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele keinesfalls dringend geboten, gegen beide Betroffenen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, stehe doch fest, dass durch diese Rückkehrentscheidung in äußerst intensiver Weise in das Privat- und Familienleben der beiden Bw eingegriffen werden würde. Die Erlassung einer derartigen Rückkehrentscheidung erweise sich daher in beiden Berufungsfällen gem. § 61 FPG als dauerhaft unzulässig.

 

 

3. Die belangte Behörde legte den in Rede stehenden Verwaltungsakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat Oö. zur Berufungsentscheidung vor.

 

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde sowie in aktuelle Auszüge des Elektronischen Kriminalpolizeilichen Informationssystems, des Zentralen Melderegisters, sowie in einen aktuellen Versicherungsdatenauszug des 2. Bw.

 

3.2. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die mit Berufung angefochtenen Bescheide aufzuheben sind (§ 67d Abs. 2 Z. 1 AVG).

 

Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von den in den Punkten 1. und 2. dargestellten unbestrittenen Sachverhaltsteile aus und stellt ergänzend Folgendes fest:

Die Verurteilung der beiden Bw scheint mittlerweile im Strafregister nicht mehr auf und ist somit getilgt. Im Strafregister der beiden Bw scheinen auch keine anderen strafrechtlichen Verurteilungen auf.

Die Bw wohnen nach wie vor an der angegebenen Adresse und sind im Unterstützungsschreiben des Vermieters als "Mieter" bezeichnet.

 

3.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

 

4. In der Sache hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

 

4.1.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

4.1.2. Im vorliegenden Fall ist auch von den Bw selbst unbestritten, dass sie über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügen und somit grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig sind.

 

Allerdings ist bei der Beurteilung der Rückkehrentscheidung sowohl auf Art. 8 EMRK als auch auf § 61 FPG Bedacht zu nehmen.

 

4.2. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Nach § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der        bisherige          Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des      Asyl-          Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem   Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren   Aufenthaltstatus bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

4.3. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessenabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

Gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte ist es grundsätzlich zulässig und erforderlich, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Rückkehrentscheidung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

4.3.1. Der belangten Behörde folgend würde aufgrund der beabsichtigten Rückkehrentscheidungen in das Familienleben der Bw eingegriffen und ist eine Interessenabwägung gemäß § 61 Abs. 2 FPG hinsichtlich des Privat- und Familienlebens der Bw vorzunehmen, wobei insbesondere auf die Integration, das Asylverfahren und die lange Aufenthaltsdauer Bedacht zu nehmen ist.

In Anbetracht des hinsichtlich der beiden Bw rund 10 Jahre währenden Aufenthaltes im Bundesgebiet ist den Bw eine der Dauer ihres Aufenthaltes entsprechende Integration zuzugestehen.

Der Aufenthalt der  Bw war von 24. Juli 2002 bis 17. Mai 2011, also für die Dauer von knapp 9 Jahren, durchgehend rechtmäßig. Dass der Beschwerde der Bw an den Verwaltungsgerichtshof erst mit Beschluss vom 7. Februar 2007 die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, ändert nichts am durchgehend legalen Aufenthalt der Bw, welcher erst mit Rechtskraft der Ablehnung der Behandlung der Beschwerde durch den VwGH endete. Der VwGH begründet dies damit, dass "mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Eintritt der an den – formell rechtskräftigen – Bescheid geknüpften Rechtswirkungen hinausgeschoben wird." Ergänzend führt der VwGH aus, dass "[Der Beschwerdeführer] im Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde durch Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nur dann (wieder) über eine asylrechtliche Aufenthaltsberechtigung verfügt[e], wenn ihm eine solche zuvor im Asylverfahren zukam." (vgl. Entscheidung vom 23. Oktober 2008, Zl. 2008/21/0435). Wie auch von der belangten Behörde festgestellt wurde, waren die Bw während ihres laufenden Asylverfahrens in Österreich aufenthaltsberechtigt. Durch die sistierende Wirkung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde an den VwGH auf die Rechtswirkungen des zweitinstanzlichen Asylbescheids steht außer Zweifel, dass der Aufenthalt der Bw auch während des Verfahrens vor dem VwGH und im Zeitraum zwischen Erlassung des zweitinstanzlichen Asylbescheids und Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung rechtmäßig war.

Dass die Bw das außerordentliche Rechtsmittel der Beschwerde an den VwGH ergriffen haben, kann ihnen nicht zum Vorwurf gemacht werden, zumal die österreichische Rechtsordnung diesen Schritt vorsieht. Auch haben die Bw bei Ergreifung des außerordentlichen Rechtsmittels nicht dessen Ausgang vorhersehen können, da – wäre dieser, wie von der belangten Behörde suggeriert, von vorne herein klar (arg.: Bescheid S. 13 letzter Absatz: "Bereits bei der Ergreifung des außerordentlichen Rechtsmittels hätten Sie wissen müssen, dass Ihre Beschwerde trotz der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht zum Erfolg führen wird.") – dadurch die Ergreifung des außerordentlichen Rechtsmittels per se ad absurdum geführt würde.

 

Das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration wird jedoch angesichts der ständigen Judikatur des VwGH dadurch gemindert, als der Aufenthalt der Bw während der Asylverfahren nur aufgrund von Anträgen, die sich letztendlich als unberechtigt erwiesen haben, temporär berechtigt war. Den Bw musste bewusst sein, dass sie ein Privatleben während eines Zeitraumes, in dem sie einen "unsicheren" Aufenthaltsstatus hatten, geschaffen haben, (vgl. etwa Erkenntnis vom 08.11.2006, Zahl 2006/18/0344 sowie Zahl 2006/18/0226 ua.). Sie durften nicht von vornherein damit rechnen, nach einem allfälligen negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen.

 

Im Hinblick auf den rund 10 Jahre währenden Aufenthalt der 1. Bw in Österreich ist im Besonderen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abzustellen. Wie folgt wiedergegeben, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348, einer sozialen Integration, obwohl sie in einem Zeitraum entstanden ist, während dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war, ein nicht unbeachtliches Gewicht beigemessen.

 

"Das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich ist in seinem Gewicht gemindert, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (E. vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293; E. vom 29. September 2009, Zl. 2009/21/0253; E. des VfGH vom 3. März 2008, B 825/07 mit Bezug auf die Urteile des EGMR vom 31. Jänner 2006, Rodrigues da Silva und Hoogkaamer gegen die Niederlande [Beschwerde Nr. 50435/99] und vom 31. Juli 2008, Darren Omoregie u.a. gegen Norwegen [Beschwerde Nr. 265/07]). Der EGMR stellt in den angesprochenen Urteilen darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist. Sei das der Fall, bewirke eine Ausweisung des ausländischen Familienangehörigen nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Art 8 EMRK (vgl.: E vom 19. Februar 2009, Zl. 2008/18/0721, E. vom 30. April 2009, Zl. 2009/21/0086). In diesem Sinn ist nach der Z. 8 des § 66 Abs. 2 FPG [in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011] aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Annordnung bei der Interessensabwägung darauf Bedacht zu nehmen, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war. Freilich hat die genannte Bestimmung schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte."

 

Im Erkenntnis vom 20. Jänner 2011, Zl. 2010/22/0158, hat der Verwaltungsgerichtshof bei einer im Wesentlichen vergleichbaren Sachlage und eines knapp über 10 Jahre bestehenden Aufenthaltes dem persönlichen Interesse des Fremden am Verbleib in Österreich ein solches Gewicht beigemessen, dass eine Ausweisung unzulässig ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat dabei wie folgt ausgeführt:

 

"Der Beschwerdeführer verweist auf seine Erwerbstätigkeit und darauf, dass er sich während seines Aufenthaltes in Österreich "in privater Hinsicht sehr gut integriert" habe. Die belangte Behörde hob zwar zu Recht hervor, dass dem Beschwerdeführer bereits nach erstinstanzlicher Abweisung seines Asylantrages die Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst war, er somit nicht mit einem legalen Aufenthalt in Österreich rechnen durfte. Sie ist auch darin im Recht, dass dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. für viele etwa das Erkenntnis vom 6. Juli 2010, 2008/22/0688). Dementsprechend haben Fremde nach Abweisung ihres Asylantrages grundsätzlich den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet herzustellen. Demgegenüber vermag der Beschwerdeführer jedoch einen bereits über zehnjährigen Aufenthalt in Österreich für sich ins Treffen zu führen und es stellte die belangte Behörde auch fest, dass er erwerbstätig ist. Diese Umstände verleihen dem persönlichen Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich ein solches Gewicht, dass die Ausweisung unverhältnismäßig erscheint (vgl. zu ähnlichen Fällen etwa die E. vom 26. August 2010, 2010/21/0206 und 2010/21/0009)."

 

4.4.2. Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob wegen eines besonders stark ausgeprägten persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich akzeptiert werden muss, dass die Bw mit ihrem Verhalten im Ergebnis versuchen, vollendete Tatsachen ("fait accompli") zu schaffen (Hinweis E 24. Oktober 2007, 2007/21/0361), vgl. 2007/21/0074 17.07.2008.

 

Mit 10 Jahren Dauer können die Bw auf einen langen Aufenthalt in Österreich verweisen, wobei der größte Teil davon aufgrund des rund neun Jahre andauernden Asylverfahrens rechtmäßig war. Die Bw verfügen über etliche Empfehlungsschreiben, unter anderem vom Bürgermeister von Attnang-Puchheim, ihrem Vermieter, sowie etlichen anderen individuellen Unterstützungsschreiben.

 

Die 1. Bw verfügt über Deutschkenntnisse auf Niveau A2. Dass sie die Prüfung erst während des laufenden Verfahrens vor dem VwGH abgelegt hat, kann ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden, zumal das Asylrecht die Erfüllung der Integrationsvereinbarung nicht verlangt und sich die Bw zu diesem Zeitpunkt formal noch immer im Asylverfahren befunden haben. Auch das FPG verlangt die Ablegung der Prüfung nicht, auch wenn diese natürlich im Rahmen der Abwägung der Integrationsmerkmale des § 61 Abs. 2 FPG positiv zu werten ist.

Die belangte Behörde hat im bekämpften Bescheid dem 2. Bw seiner Aufenthaltsdauer entsprechende Sprachkenntnisse zugebilligt.

 

Die belangte Behörde hat hinsichtlich der Beendigung der Erwerbstätigkeit des 2. Bw auf die nachweislichen und in den Stellungnahmen bzw. auch in der Berufung der Bw ausführlich beschriebenen Erkrankungen keinerlei Bezug genommen.

Der 2. Bw war in den Jahren 2002, 2004 und 2006 jeweils kurzfristig erwerbstätig. Laut im Akt befindlichem GVS-Auszug hat der 2. Bw am 11. November 2010 die Tätigkeit als Zeitungsausträger aufgenommen, im Dezember wurde an den 2. Bw kein VG aus der Grundversorgung mehr geleistet. Am 22. Dezember 2010 wurde er aufgefordert, Unterlagen über seine Beschäftigung im Jänner 2011 nachzureichen. Bereits am 26. November 2010 war die GVS nachweislich über die Erwerbstätigkeit des 2. Bw informiert.

Der Argumentation der belangten Behörde, der 2. Bw habe aufgrund der angekündigten gänzlichen Aussetzung der Zahlungen durch die GVS seine Erwerbstätigkeit beendet, kann insofern nicht gefolgt werden, als der 2. Bw bereits ab Dezember 2010 keine Zahlungen aus der GVS mehr erhielt und trotzdem seine Erwerbstätigkeit bis Ende Februar 2011 fortsetzte. Dass seine Erkrankung zur Beendigung der Erwerbstätigkeit am 28. Februar 2011 führte – wie in der Berufung dargestellt – ist insofern nachvollziehbar, als dem 2. Bw etwa ein halbes Jahr später im Rahmen einer Herzoperation ein Stent (Gefäßstütze) eingesetzt wurde.

Ferner hat der 2. Bw seine Arbeitswilligkeit durch das glaubhafte Vorbringen, im Besitz von mündlichen Einstellungszusagen zu sein, dokumentiert.

Die 1. Bw verfügt – trotz ihrer 50%-igen Behinderung – über eine Einstellungszusage einer Reinigungsfirma. Die 1. Bw bringt in der Berufung vor, dass aufgrund der für sie in Österreich vorhandenen medizinischen Be-handlungs- und pharmakologischen Therapiemöglichkeiten die Aus­führung dieser Arbeitstätigkeit durchaus möglich sei, zumal sie entsprechend zur Arbeit motiviert sei.

Aus dem molekularbiologischen Diagnosebericht des Landeskrankenhauses X vom März 2003 ergibt sich, dass bei länger dauernder Immobilisierung eine Throm­bose-Prophylaxe eingeleitet werden müsse. Die Berufung bezieht sich auf weitere ärztliche Befunde, wonach sich die Thromboseerkrankung der 1. Bw mittlerweile verschlechtert habe. Aus dem Diagnosebericht vom März 2003 geht aber deutlich hervor, dass längere Immobilisierung zu Verschlechterungen führen. Die Tätigkeit als Reinigungskraft wird in der Regel nicht im bewegungslosen Zustand ausgeführt, weshalb der Argumentation der belangten Behörde, es sei offensichtlich, dass die 1. Bw die angeforderte Tätigkeit nicht ausführen werde könne, nicht gefolgt werden kann. Auch das Vortäuschen einer in Wahrheit nicht vorhandenen Arbeitswilligkeit und damit einhergehenden beruflichen Integration wird vom erkennenden Mitglied des Unabhängigen Verwaltungssenats des Landes Oö. nicht erkannt. Vielmehr wird die Vorlage des Dienstvertrags trotz erheblicher körperlicher Einschränkungen als Bekenntnis zur beabsichtigten beruflichen Integration und Selbsterhaltungsfähigkeit der 1. Bw gewertet.

 

Die belangte Behörde stellt im bekämpften Bescheid fest, dass die gemeinsame Tochter der Bw, mit der sie am selben Wohnsitz wohnen, aufgrund ihrer Volljährigkeit nicht mehr zur "Familienbande" der Bw zähle. Der VwGH geht in seinem Erkenntnis vom 24. April 2012, Zl. 2011/23/0403, aber nicht davon aus, dass die Volljährigkeit das Familienleben per se beendet, sondern bloß relativiert: "Die Beziehung zu den weiteren Kindern bzw. Geschwistern ist abgesehen von deren Volljährigkeit weiters dadurch zu relativieren, dass diese bereits seit geraumer Zeit nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit den beschwerdeführenden Parteien leben und einer Erwerbstätigkeit nachgehen." Die Bw leben aber nachweislich nach wie vor mit ihrer volljährigen Tochter an gemeinsamer Adresse und führen ein Familienleben. Aus dem Unterstützungsschreiben des Vermieters der gemeinsamen Wohnung geht hervor, dass die Miete regelmäßig bezahlt wird, was zweifelsohne auf die Erwerbstätigkeit der in Österreich niedergelassenen Tochter zurückzuführen sein wird. Das Familienleben der Bw mit ihrer Tochter wird also bloß durch den Umstand ihrer Volljährigkeit relativiert. Dass die Tochter die Eltern sowohl finanziell als auch in Hinblick auf deren Erkrankungen unterstützt, verstärkt das Argument des Familienlebens hingegen.

Weshalb die belangte Behörde davon ausgeht, dass die Bw nicht im Besitz einer eigenen Wohnung sind, ist nicht nachvollziehbar, zumal der Vermieter selbst in seinem Unterstützungsschreiben auf die Bw als "Mieter" Bezug nimmt. Laut aktuellem Auszug aus dem Zentralen Melderegister bewohnen die Bw nach wie vor diese Wohnung.

 

Dass die Bw keinerlei Bindungen mehr zu ihrem Herkunftsstaat haben, ist aufgrund ihrer mittlerweile achtzehnjährigen Abwesenheit aus Armenien nachvollziehbar. Wie die belangte Behörde bereits festgestellt hat, leben die verbliebenen Verwandten des 2. Bw in Deutschland, die 1. Bw hat nach eigenen Angaben – außer einem Sohn, dessen Aufenthalt unbekannt ist – keine Verwandten mehr. Zwar sind die Bw bereit in fortgeschrittenem Alter nach Österreich eingereist, haben aber davor acht Jahre in Russland verbracht. Eine Bindung an ihren Herkunftsstaat kann nicht mehr festgestellt werden.

 

Gemäß § 1 Abs. 4 Tilgungsgesetz gilt der Verurteilte fortan als gerichtlich unbescholten, wenn eine Verurteilung getilgt ist, soweit dem nicht eine andere noch ungetilgte Verurteilung entgegensteht. Er ist nicht verpflichtet, die getilgte Verurteilung anzugeben. In seinem Erkenntnis vom 21. Februar 2012, Zl. 2011/23/0154 stellte der VwGH fest: "Der Beschwerdeführer bringt [...] zutreffend vor, dass die dem (seinerzeitigen) Aufenthaltsverbot zugrunde liegende Verurteilung längst getilgt und er somit als unbescholten anzusehen sei."

Aus dem Strafregisterauszug ergibt sich, dass die gerichtliche Verurteilung der Bw mittlerweile getilgt ist und die Bw somit als unbescholten gelten. Da § 61 Abs. 2 Z. 6 die "strafrechtliche Unbescholtenheit" bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK berücksichtigt und keine darüber hinausgehende Berücksichtigung bereits getilgter Strafen vorsieht, ist die getilgte Strafe der Bw in diesem Zusammenhang nicht mehr zu beachten.

Wenn die belangte Behörde das Verfahren des 2. Bw, das mit Diversion beendet wurde, heranzieht, um dessen Unbescholtenheit zu verneinen, verkennt sie das Wesen der Diversion. Bei Anwendung der Diversion wird auf ein förmliches Strafverfahren und die Verhängung von Sanktionen im formellen Sinn verzichtet. Stattdessen erfolgt eine informelle Erledigung, indem das Verfahren ohne Anklage, Hauptverhandlung, Schuldspruch und Strafe beendet wird. Diversionelle Maßnahmen haben zwar spürbaren Eingriffscharakter, sind aber keine Strafen. Ferner wird auf eine förmliche Schuldfeststellung verzichtet. Nach einer Diversionsentscheidung gilt weiterhin uneingeschränkt die Unschuldsvermutung, da durch die Diversion die Wirkungen einer Verurteilung vermieden werden sollen. (vgl. Kienapfel/Höpfel, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 12. Auflage, S. 297 ff.). Die belangte Behörde hat dadurch, dass sie der diversionellen Erledigung den 2. Bw betreffend ein Schuldeingeständnis unterstellt und diese somit im Endeffekt wie eine gerichtliche Verurteilung gewertet hat, der Diversion ein Gewicht beigemessen, das sie im Rahmen des § 61 Abs. 2 Z. 6 FPG ausdrücklich nicht erreicht, da in dieser Bestimmung – wie oben dargelegt – ausschließlich über die strafrechtliche Unbescholtenheit abgewogen wird.

Dass sich die Bw am 5. Jänner 2007 im Besitz von 20 Packungen Zigaretten russischer Herkunft befunden haben, weswegen ihnen mittels Strafverfügung des Zollamts Linz-Wels vom 15. April 2009 eine Geldstrafe von je € 70,-- auferlegt wurde, kann im Sinne des § 61 Abs. 2 Z. 7 FPG nicht dazu führen, dass bei der ansonsten festgestellten Integration der Bw eine Rückkehrentscheidung gerechtfertigt wäre. Abgesehen davon erwähnt § 61 Abs. 2 Z. 7 FPG insbesondere Verstöße im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, finanzstrafrechtliche Vergehen sind in dieser demonstrativen Aufzählung nicht enthalten.

 

Nicht zuletzt wird auch davon auszugehen sein, dass gemäß § 61 Abs. 2 Z. 9 FPG von einer eher in die Sphäre der Behörden fallenden langen Verfahrensdauer gesprochen werden muss, zumal die Asylverfahren der bis zur rechtskräftigen letztinstanzlichen Entscheidung neun Jahre gedauert haben, wobei keine Asyl-Folgeanträge gestellt wurden.

 

Die dargelegten Umstände verleihen dem persönlichen Interesse der Bw an ihrem Verbleib in Österreich ein solches Gewicht, dass Rückkehrentscheidungen unverhältnismäßig sind.

 

4.5. Im Ergebnis sind Rückkehrentscheidungen im Hinblick auf das Privat- und Familienleben der Bw auf Dauer unzulässig. Über Einreiseverbote, die gemäß § 53 Abs. 1 mit Rückkehrentscheidungen unter Einem zu erlassen sind, ist demnach nicht mehr abzusprechen.

 

4.6. Es war daher den Berufungen stattzugeben, die angefochtenen Bescheide waren aufzuheben, und es war spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt unterschrieben werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 28,60 Euro (2x Eingabegebühr) angefallen.

 

 

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Mag. Stierschneider

 

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