Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730532/6/SR/JO

Linz, 13.08.2012

                                                                                                                                                        

E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung der X, geboren am X, armenische Staatsangehörigere, vertreten durch X, Rechtsanwältin in X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 27. September 2011, AZ 1056412/FRB, betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt eines auf 18 Monaten befristeten Einreiseverbots, zu Recht erkannt:

I.                 Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

 

II.             Es wird festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gegen die Berufungswerberin auf Dauer unzulässig ist.

 

 

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 52 f iVm § 61 des Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2012/50

§ 66 Abs. 4 iVm § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

 

 

 

 

 


Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 27. September 2011, AZ 1056412/FRB, zugestellt am 29. September 2011, wurde gegen die Berufungswerberin (im Folgenden: Bw) auf der Grundlage der §§ 52 Abs. 1 und 53 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (im Folgenden: FPG) in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von 18 Monaten befristetes Einreiseverbot erlassen. Gemäß § 55 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Durchsetzbarkeit des Bescheides festgelegt.

 

Die Erstbehörde hat im angefochtenen Bescheid zum Sachverhalt ausgeführt:

Aus der Aktenlage geht hervor, dass Sie am 03.07.2005 illegal nach Österreich einreisten. Am 05.07.2005 stellten Sie beim Bundesasylamt, Außenstelle Graz einen Asylantrag. Das Asylverfahren wurde am 13.05.2011 gem. §§ 7 und 8 AsylG negativ entschieden.

 

Mit Schreiben vom 23.05.2011 wurde Ihnen mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, Sie auszuweisen und Sie Gelegenheit haben, dazu binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Schreibens schriftlich Stellung zu nehmen und Ihre Privat- und Familienverhältnisse darzulegen.

 

In der Stellungnahme vom 28.06.2011 gab Ihre Rechtsanwältin im Wesentlichen an, dass Sie seit 2005 bei der Baptistengemeinde aktiv wären und dort als ehrlicher, fleißiger, liebenswerter und aufrichtiger Mensch geschätzt werden würden. Durch den Kontakt zur X würde auch guter Kontakt zu österreichischen Staatsbürgern bestehen. Gemeinsam mit Ihrem Gatten X würden Sie seit November 2004 an der Adresse X bzw. X, in X wohnen. Die Wohnung wäre stets sauber und die Mieten würden von Ihnen regelmäßig bezahlt. Von den Nachbarn würde bestätigt, dass Sie stets nett und hilfsbereit wären.

Auch wird darauf verwiesen, dass Sie krank seien und in Österreich in ständiger ärztlicher Behandlung stehen würden.

Eine Behinderung von 50 % geht aus dem beigelegten Behindertenausweis des Bundessozialamtes hervor.

 

Neben anderen Beilagen in Kopie, wie Versicherungsdatenauszug, Behindertenpass und einer im Juni 2011 eingereichten Verfassungsgerichtshofbeschwerde sind weiters einige Empfehlungsschreiben der Stellungnahme angeschlossen.

Hinsichtlich der Beantwortung der übrigen Punkte aus dem Parteiengehör wurde um Fristerstreckung bis zum 11.07.2011 ersucht. Bis dato sind bei der ha. Behörde keine weiteren Unterlagen eingelangt, die zur Entscheidungsfindung herangezogen werden könnten.

 

Nach Wiedergabe der einschlägigen Rechtsnormen führte die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht aus:

Aufgrund Ihres langjährigen Aufenthaltes in Österreich, und Ihrer Vereinstätigkeit ist Ihnen ein gewisses Maß an Integration zuzubilligen.

 

Dem gegenüber steht jedoch, dass Sie - wie eingangs erwähnt, am 05.07.2005 einen Antrag auf internationalen Schutz stellten. Am 27.07.2006 wurde Ihnen der erste abweisende Bescheid zugestellt, gegen diesen wurde am 07.08.2006 Berufung eingebracht. Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste Ihnen bewusst gewesen sein, dass es sich bei der Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG um eine mit der Dauer des Verfahrens befristete Berechtigung handelt. Sie hätten keine rechtliche Möglichkeit gehabt, sich in Österreich aufzuhalten, wenn Sie nicht einen Asylantrag gestellt hätten.

 

Zudem wird angeführt, dass Sie im Asylverfahren angaben, dass Sie im Juli 2005 eingereist seien. Aus Ihrer Stellungnahme geht hervor, dass Sie bereits seit November 2004, gemeinsam mit Ihrem Gatten in der X, in X wohnen würden.

 

Gegen Ihre Gatten wird ebenfalls eine Rückkehrentscheidung erlassen werden, weshalb nicht von einem Eingriff in Ihr Familienleben gesprochen werden kann.

Gegen Ihren Sohn X, dessen Ehegattin X sowie deren beiden Kinder X und X wurden bereits im Mai 2011 vom Asylgerichtshof Rückkehrentscheidungen getroffen und sind diese durchsetzbar.

Der Familie Ihres Sohnes wurde bereits von der ha. Behörde gem. § 58 Abs. 3 FPG mitgeteilt, dass sie zur unverzüglichen Ausreise verpflichtet seien. Es besteht somit kein Familienbezug zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden und wurden auch von Ihnen keine weiteren familiären Beziehungen zur Republik Österreich behauptet.

 

Aus Ihrem Versicherungsdatenauszug geht hervor, dass Sie nie einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen sind. Vielmehr wird Ihr Lebensunterhalt aus den Leistungen der Grundversorgung des Landes Oberösterreich für Verpflegung sowie Bekleidung bestritten. Auch Ihre Krankenversicherung wird aus öffentlicher Hand gezahlt. Es kann daher von keiner beruflichen oder sozialen Verfestigung, die eine „gelungene Integration" erkennen lassen würde, gesprochen werden.

 

Aus der Aktenlage bzw. AIS-Datensatz konnte entnommen werden, dass Sie mit etwa 43 Jahren nach Österreich eingereist sind, somit haben Sie den überwiegenden Teil Ihres bisherigen Lebens in Armenien verbracht und sind dort 10 Jahre zur Schule gegangen. Da Ihr Gatte bereits vor der Ausreise für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen ist, kann davon ausgegangen werden, dass Sie im Herkunftsland über eine hinreichende Existenzgrundlage verfügen werden.

 

Bezüglich Ihres Gesundheitszustandes ist anzumerken, dass bereits im Erkenntnis des Asylgerichtshofes ausgeführt wurde, dass Ihnen der Zugang zum armenischen Gesundheitssystem und somit die medizinische Versorgung im Herkunftsstaat durchaus möglich ist.

Zusammenfassend scheint nach ha. Ansicht eine Reintegration in Ihrer Heimat als möglich.

 

Sie halten sich seit 14.05.2011 insofern rechtswidrig im Bundesgebiet der Republik Österreich auf, als Ihnen seit diesem Zeitpunkt weder ein Einreisetitel nach dem FPG noch ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt wurde. Auch kommt Ihnen nach der Aktenlage kein Aufenthaltsrecht aufgrund einer anderen gesetzlichen Bestimmung zu bzw. wurde von ihnen kein derartiges behauptet.

 

Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährdet die öffentliche Ordnung in hohem Maße.

 

Laut ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar.

 

Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch die Normadressaten kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu.

 

Wenn Fremde nach Abschluss des Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verlassen, wird dadurch die öffentliche Ordnung (die Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens) schwerwiegend beeinträchtigt.

 

Es kann daher nicht hingenommen werden, dass Fremde ihren nicht rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet beharrlich fortsetzen und die Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen versuchen.

 

Zusammenfassend kann daher nur festgestellt werden, dass eine Rückkehrentscheidung nicht nur zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und somit im Lichte des § 61 Abs. 1 FPG 2005 zulässig scheint, sondern auch unter Beachtung der Bestimmungen des § 61 Abs. 2 und 3 FPG 2005 zulässig ist.

 

2. Gegen den Bescheid der belangten Behörde, der Bw im Wege ihrer rechtsfreundlichen Vertretung zugestellt am 29. September 2011, erhob die Bw mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2011, zur Post gegeben am gleichen Tage, rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung.

 

Einleitend stellt die Bw die Anträge, die Berufungsbehörde möge

a)       eine mündliche Berufungsverhandlung anberaumen und durchführen,

b)       die Bescheide der BPD Linz, vom 27.09.2011, ZI: 1016110/FRB, 1056412/FRB, zugestellt am 29.09.2011, dahingehend abändern, das die gegen uns erlassene Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 FPG in der geltenden Fassung ersatzlos behoben wird und eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt wird, sowie

c)        das gegen uns erlassene Einreiseverbot für den gesamten Schengenraum ersatzlos beheben in eventu die Dauer angemessen herabsetzen, in eventu.

d)       die gegenständlichen Bescheide zur Gänze aufheben und an die Erstinstanz zurückverweisen.

 

In der Begründung führte die Rechtsvertreterin wie folgt aus:

Ich erhebe zunächst mein gesamtes bisheriges Vorbringen zum integrierenden Be­standteil dieses Berufungsschriftsatzes und hätte bei richtiger rechtlicher Beurteilung eine inhaltlich anderslautende Entscheidung ergehen müssen.

 

Wir konnten uns in unserem sozialem Umfeld bestens integrieren und wohnen wir seit November 2004 an der Adresse X in X. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zur Vermieterin und zu den Nachbarn und hat es niemals Probleme gegeben. Seit dem Jahre 2002 sind wir Mitglieder der Baptistengemeinde der X in X sind wir auch getauft. Es besteht regelmäßiger Kontakt zur Baptistengemeinde und nehmen wir an vielen Veranstaltungen teil, im Zuge derer wir auch viele österreichische Staatsbürger kennenlernen konnten, welche sich für einen weiteren Verbleib von uns in Österreich einsetzen.

 

Ich, X, halte mich seit 6 1/2 Jahren in Österreich auf und gelang auch mir eine gute Integration in Österreich. Ich bin seit 2005 bei der Baptistengemeinde aktiv und wurden auch von österreichischen Staatsbürgern zahlreiche Empfehlungsschreiben vorgelegt. Ich bin in Osterreich in ständiger ärztlicher Behandlung und verweise ich auf den letzten Bericht des Konventhospital der X vom 06.09.2011 über eine Augenoperation. Ich habe eine Behinderung von 50% und wurde dies im Behindertenausweis des Bundessozialamtes so festgestellt. Auch mir ist die lange Dauer des Berufungsverfahrens nicht anzulasten.

 

Nach Erhalt eines Visums würde einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach­gehen können und für unseren Lebensunterhalt selbstständig aufkommen können.

 

Ich habe mich in Österreich immer wohl verhalten, spreche gut Deutsch und gibt es keine öffentlichen Interessen, welche gegen meinen Verbleib in Österreich sprechen.

 

Zudem weise ich abschließend darauf hin, dass die Verfassungsgerichtshofbeschwerde hinsichtlich des negativen Asylbescheides noch beim Verfassungsgerichtshof zu den Zahlen U1392-11 U1393-11, bei der zuständigen Verfassungsrichterin Frau Dr. X anhängig ist und noch nicht entschieden ist.

 

3.1. Die belangte Behörde legte den in Rede stehenden Verwaltungsakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Berufungsentscheidung vor.

 

3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt sowie durch Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister und den Versicherungsdatenauszug vom 4. Juli 2012.

 

Ein Antrag auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde von der Bw gestellt. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte dennoch abgesehen werden, da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Bescheid angefochtene Bescheid aufzuheben ist (§ 67d Abs. 2 Z 1 AVG).

 

3.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem in den Punkten 1. und 2. dieses Erkenntnisses dargestellten, im Wesentlichen unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

Am 25. November 2011 gab die Rechtsvertreterin bekannt, dass die Bw ab März 2012 im Restaurant X als Küchenkraft eingestellt werde (Voraussetzung: wirtschaftliche Lage, Aufenthaltstitel/Arbeitserlaubnis).

 

3.4. Der Oö. Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 50/2012, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

4.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst auch von der Bw selbst unbestritten, dass sie als Staatsbürger von Armenien Drittstaatsangehörige im Sinne des § 2 Abs. 3 Z 10 FPG ist und sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung erscheint daher vor dem Wortlaut des § 52 Abs. 1 FPG prima vista zulässig.

 

Es gilt jedoch in Folge bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung auch auf Art. 8 EMRK sowie § 61 FPG Bedacht zu nehmen.

 

4.2.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

4.2.2. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der        bisherige Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des      Asyl-          Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem   Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren   Aufenthaltstatus bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

4.3.1. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessensabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

Es ist festzuhalten, dass es gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte grundsätzlich zulässig und erforderlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Rückkehrentscheidung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

4.3.2. Zur Aufenthaltsdauer der Bw im Bundesgebiet ist zunächst festzuhalten, dass diese mittlerweile mehr als sieben Jahre beträgt. Wie im angefochtenen Bescheid dargestellt, war der Aufenthalt für sechs Jahre – nämlich während des Asylverfahrens – rechtmäßig.

 

4.3.3. Ein Familienleben des Bw besteht in Österreich. Die Bw lebt mit ihrem Gatten in einem gemeinsamen Haushalt und dieser hat aufgrund seiner Teilnahme am Berufsleben mehr als fünf Jahre für das Familieneinkommen gesorgt. Der Gatte hält sich seit dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Die belangte Behörde hat auch gegen den Gatten der Bw eine Rückkehrentscheidung verbunden mit einem Einreiseverbot erlassen. Das Berufungsverfahren den Ehegatten betreffend ist mit heutigem Tag rechtskräftig abgeschlossen worden. Der Berufung wurde stattgegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt.

 

4.3.4. Einen wesentlichen Punkt bei der vorzunehmenden Rechtsgüterabwägung stellt die Schutzwürdigkeit des Privatlebens dar. Wie sich unter anderem aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Dezember 2009, 2009/21/0348, ergibt, kann unter gewissen Umständen das Privatleben eines Bw alleine eine positive Gesamtbeurteilung nach sich ziehen. Dem Höchstgericht zufolge hat der dem § 61 Abs. 2 FPG (neu) vergleichbare § 66 Abs. 2 FPG (alt) schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates bzw familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte.

 

Im Sinne dieser Ausführungen geht der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ab einer Aufenthaltsdauer von etwa zehn Jahren das persönliche Interesse eines Fremden am Verbleib im Bundesgebiet ein derart großes Gewicht erlangt, dass eine Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG – auch bei einem Eingriff nur in das Privatleben – unverhältnismäßig erscheint (vgl etwa VwGH 20.1.2011, 2010/22/0158).

 

Im konkreten Fall ist die Bw sieben Jahre in der Republik Österreich aufhältig. Die in die Rechtsgüterabwägung zugunsten der Bw einfließende Aufenthaltsdauer liegt damit unter der höchstgerichtlich judizierten Schwelle von etwa zehn Jahren.

 

4.3.5. Merkmale für eine entsprechende soziale Integration der Bw in Österreich sind im Verfahren hervorgekommen. Neben der aktiven Mitarbeit in der Baptistengemeinde belegen zahlreiche Unterstützungserklärungen von Freunden und Mitgliedern der Baptistengemeinde die Eingliederung in die Gesellschaft. Ausreichende Deutschkenntnisse liegen vor. Bedingt durch eine 50%ige Behinderung war die Eingliederung in den Arbeitsprozess erschwert. Nach einer Augenoperation scheint die Arbeitsaufnahme möglich und für den Fall des Eintritts der Voraussetzungen wurde der Bw bereits eine Arbeitsstelle zugesagt.  

 

4.3.6. Festzustellen ist weiters, dass die heute 50-jährige Bw den überwiegenden Teil ihres Lebens in ihrem Herkunftsstaat verbracht hat und Bindungen an den Heimatstaat daher zweifellos vorhanden sind.

 

4.3.7. Die Bw ist strafgerichtlich unbescholten.

 

4.3.8. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung sind nicht hervorgekommen.

 

4.3.9. Das Asylverfahren der Bw dauerte – ohne dass diese Folgeanträge gestellt oder sonst das Verfahren verzögert hat – vom 5. Juli 2005 bis zum 13. Mai 2011, also sechs Jahre. Die Dauer des Aufenthalts der Bw ist daher auch in den Asylbehörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet.

 

4.3.10. Vor dem Hintergrund der in den obigen Punkten getroffenen Feststellungen ist zusammenfassend hinsichtlich des Eingriffs in den geschützten Bereich des Privatlebens der Bw festzuhalten, dass sich eine Eingriffsunzulässigkeit ergibt.

 

Die Bw hat während ihres langen Aufenthaltes im Bundesgebiet von mehr als sieben Jahren wesentliche Schritte zur Eingliederung in die österreichische Gesellschaft gesetzt, indem sie entsprechende Sprachkenntnisse erworben und, soweit es ihr Gesundheitszustand zugelassen hat, in der Baptistengemeinde sozial tätig gewesen ist. Dass diese Integration während des Asylverfahrens stattgefunden hat, kann der Bw schon insofern nicht negativ angelastet werden, als dieses Verfahren völlig unangemessen lange dauerte.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Von den in Art. 8 Abs. 2 EMRK enthaltenen Eingriffsvorbehalten kommen im gegenständlichen Fall jedoch keine zum Tragen. Die Bw ist strafrechtlich unbescholten und hat – abgesehen vom derzeitigen unrechtmäßigen Aufenthalt – auch sonst keine Verstöße gegen die Rechtsordnung begangen. Die Bw bzw. desser Aufenthalt gefährdet somit wohl kaum die nationale Sicherheit. Das wirtschaftliche Wohl des Landes ist aufgrund der bisherigen und wohl auch zukünftigen Erwerbstätigkeit des Gatten der Bw (Einstellungszusage) bzw. dessen finanzieller Unabhängigkeit vom Staat nicht in Gefahr.

 

Im Falle der Bw könnte ein Eingriff in ihr Privatleben allenfalls durch den Tatbestand "Verteidigung der Ordnung" gerechtfertigt sein, weil den Zuwanderungs- und Einwanderungsregelungen nach Österreich ein hoher Stellenwert zukommt.

 

Grundsätzlich stellt die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar und ist ein geordnetes Fremdenwesen für den österreichischen Staat von eminentem Interesse.

 

In diesem Zusammenhang ist jedoch auch auf die jüngste Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen. Im Erkenntnis vom 15. Mai 2012, 2012/18/0029, führt der Gerichtshof aus, dass "[d]er bloße unrechtmäßige Aufenthalt […] nach dem System der Rückführungs-RL noch keine derartige Störung der öffentlichen Ordnung dar[stellt], dass dies immer die Erlassung eines Einreiseverbotes gebieten würde. Zwar kann eine Rückkehrentscheidung dessen ungeachtet mit einem Einreiseverbot einhergehen, eine zwingende Mindestdauer von 18 Monaten - mag sie auch häufig gerechtfertigt sein - in jedem Fall, wird der Anordnung, wonach die Festsetzung der Dauer des Einreiseverbotes `in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls´ zu erfolgen habe, jedoch nicht gerecht. Letztere - zweifellos unmittelbar anwendbare - Richtlinienbestimmung steht daher § 53 Abs. 2 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 insoweit entgegen, als dort - ohne Ausnahme - die Festsetzung eines Einreiseverbotes für die Dauer von 18 Monaten vorgesehen ist. Umgekehrt kennt das FPG 2005 idF FrÄG 2011 keine kürzere Frist für das Einreiseverbot. Es ist daher davon auszugehen, dass gegebenenfalls, wenn sich das Fehlverhalten des Drittstaatsangehörigen auf den unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet beschränkt und fallbezogen ausnahmsweise (etwa auf Grund seiner kurzen Dauer oder der dafür maßgebenden Gründe) nur eine geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens darstellt, überhaupt kein Einreiseverbot zu verhängen ist."

 

Hinsichtlich der "Verteidigung der Ordnung" bzw. der "Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung" geht der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich im Sinne des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Mai 2012 davon aus, dass im gegenständlichen Fall der bloße derzeitige unrechtmäßige Aufenthalt der integrierten und über lange Jahre rechtmäßig aufhältigen Bw im Inland nach dem System der Rückführungs-RL noch keine derartige Störung der öffentlichen Ordnung darstellt, welche die Erlassung eines Einreiseverbotes gebieten würde.

 

Allenfalls könnte gegen die Bw daher eine Rückkehrentscheidung ohne ein Einreiseverbot erlassen werden. Aufgrund der langen Aufenthaltsdauer der Bw im Inland und den dargestellten gelungenen Bemühungen sich zu integrieren stellt eine solche Entscheidung, die im Wesentlichen einer Ausweisung gleichkommen würde, jedoch einen unzulässigen und unverhältnismäßigen Eingriff in die durch Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Rechte dar.

 

4.4.1. Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

4.4.2. Im Hinblick auf § 61 Abs. 3 zweiter Satz FPG ist abschließend festzuhalten, dass es aus Sicht des Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich keine Hinweise dahingehend gibt, wonach die drohende Verletzung des Privatlebens der Bw auf Umständen beruhen würde, die ihrem Wesen nach bloß vorübergehend sind. Eine Rückkehrentscheidung gegen die Bw ist daher auf Dauer unzulässig.

 

4.5. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt unterschrieben werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 22,10 Euro (Eingabe- und Beilagengebühren) angefallen.

 

 

 

Mag. Christian Stierschneider

 

 

 

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