Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-301056/5/WEI/Ba

Linz, 03.08.2012

B E S C H L U S S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß aus Anlass des Antrags auf Zustellung des gegen J S, geb. X, W, L, ergangenen h. Berufungserkenntnisses vom 21. Mai 2012 durch dessen Sachwalter Dr. A M, Rechtsanwalt in L, B, über Anregung des Sachwalters von Amts wegen den Beschluss gefasst:

 

 

Gemäß § 52a Abs 1 VStG wird das h. Erkenntnis vom 21. Mai 2012, Zl. VwSen-301056/2/WEI/Ba, aufgehoben und die Berufung des x gegen das mündlich verkündete Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 26. Mai 2011, Zl. S-19372/11-2, mit der Feststellung als unzulässig zurückgewiesen, dass das bisherige Strafverfahren mangels Beteiligung des gerichtlich bestellten Sachwalters zur Gänze unwirksam geblieben ist.

 

Rechtsgrundlagen:

§ 52a Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG; § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG iVm § 24 VStG

 

 

 

B e g r ü n d u n g :

 

1.1. Mit Strafverfügung vom 13. Mai 2011, Zl. S-19.372/11-2, wurde der Berufungswerber (im Folgenden Bw) auf Grund der Anzeige der Polizeiinspektion Hauptbahnhof vom 31. März 2011, Zl. A2/17056/2011-STR, betreffend eigene dienstliche Wahrnehmungen von Polizeiorganen am 31. März 2011 wie folgt schuldig erkannt:

 

"S t r a f v e r f ü g u n g

 

1)      Sie haben am 31.03.2011, von 18.15 – 18.20 Uhr in L, W den öffentlichen Anstand verletzt, indem Sie sich nur mit einer Unterhose bekleidet aus dem Fenster gelehnt haben.

2)      Sie haben am 31.03.2011, von 18.15 – 18.20 Uhr in L, W durch lautes Spielen mit einer Trompete bei geöffnetem Fenster, ungebührlicherweise störenden Lärm erregt.

 

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

1)         § 1 Abs. 1 OÖ. Pol. StG

2)         § 3 Abs. 1 OÖ. Pol. StG "

 

Wegen dieser Übertretungen verhängte die belangte Behörde gemäß § 10 Abs 1 lit a) Oö. PolStG zu den Spruchpunkten 1) und 2) je eine Geldstrafe von 50 Euro  und für den Fall der Uneinbringlichkeit je eine Ersatzfreiheitsstrafe von 36 Stunden.

 

Die Strafverfügung hat der Bw am 25. Mai 2011 eigenhändig übernommen.

 

1.2. Am 26. Mai 2011 erhob der Bw bei der belangten Behörde niederschriftlich Einspruch gegen die Strafverfügung, wobei er sich ausdrücklich nur gegen die Strafhöhe wendete (arg.: "weil mir das Strafausmaß aus folgenden Gründen zu hoch bemessen erscheint:"). Er führte dazu begründend weiter aus, dass es richtig sei, dass er mit der Trompete gespielt habe. Da einige Personen von der Straße aus zuhörten und applaudierten, habe er keine strafbare Lärmerregung gesehen. Es sei an diesem Tag auch schon wärmer gewesen, weshalb er nur mit Unterhose bekleidet war. Er habe nicht angenommen, dass man dies von der Straße habe wahrnehmen können. Die Strafen von je 50 Euro erscheinen ihm doch zu hoch bemessen.

 

Die belangte Behörde nahm daraufhin mit dem Bw die Niederschrift vom 26. Mai 2011 ab 11:30 Uhr auf, in der festgehalten wird, dass der Beschuldigte gegen die Strafverfügung der belangten Behörde vom 13. Mai 2011 fristgerecht Einspruch gegen die Strafhöhe erhob. Zu den persönlichen Verhältnissen des Bw wurde ein Einkommen von ca. 800 Euro (Pensionsvorschuss) kein Vermögen und keine Sorgepflichten festgehalten.

 

Die belangte Behörde verkündete daraufhin gemäß § 49 Abs 2 VStG ihre Entscheidung über den Einspruch durch Straferkenntnis über die Strafhöhe.

 

Zu den Spruchpunkten 1) und 2) der Strafverfügung wurden die Geldstrafen auf je 25 Euro und die Ersatzfreiheitsstrafen auf je 18 Stunden herabgesetzt. Dazu wurde gemäß § 64 VStG ein einheitlicher Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens in Höhe von 5 Euro (10 % der Geldstrafen) festgesetzt.

 

Begründend wird auf das geringere Verschulden durch die im Einspruch dargelegten Umstände und das geringe Einkommen des Bw hingewiesen.

 

Der Bw gab nach erteilter Rechtsmittelbelehrung keine Erklärung ab und die Amtshandlung war um 11:40 Uhr beendet.

 

2. Am 7. Juni 2011 erschien der Bw abermals bei der belangten Behörde und gab folgende Berufung zu Protokoll (Niederschrift vom 07.06.2011):

 

"Gegen das mündlich verkündete Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz unter obiger Zahl vom 26.5.2011 erhebe ich Berufung dem Grunde sowie in eventu der Strafhöhe nach.

 

Meiner Meinung nach setzte ich am 31.03.2011 kein strafbares Verhalten, weil ich bis 21:30 Uhr in meiner Wohnung Trompete spielen darf. Hinsichtlich der Anstandsverletzung möchte ich sagen, dass ich mich in meiner Wohnung bewegen kann, wie ich will. Ich kann auch nicht sagen, wer mich in der Unterhose bekleidet gesehen und angezeigt hat."

 

Mit Erkenntnis des UVS Oberösterreich vom 21. Mai 2012, Zl. VwSen-301056/2/WEI/Ba, wurde die Berufung in der Schuldfrage in der nach der Aktenlage begründeten Annahme zurückgewiesen, dass der Bw einen Einspruch gegen die Strafverfügung nur wegen der Strafhöhe erhoben hätte und der Schuldspruch daher rechtskräftig geworden wäre. Die Strafberufung wurde als ungegründet abgewiesen.

 

3.1. Mit Eingabe vom 17. Juli 2012 teilte Rechtsanwalt Dr. A M dem UVS Oberösterreich mit, dass er mit Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 14. Jänner 2011, Zl. 6P 256/10h, zum Sachwalter des Bw bestellt worden sei und sein Aufgabenkreis auch die Vertretung vor Ämtern und Behörden umfasse.

 

Der Beschuldigte leide nach den Feststellungen des Gerichtssachverständigen Dr. x im Sachwalterverfahren an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit Elementen der emotional instabilen und vor allem dissozialen Persönlichkeitsstörung im ausgeprägtem Ausmaß verbunden mit einer Alkoholabhängigkeitsproblematik. Insgesamt sei nach Ansicht des Sachverständigen von einer ausgeprägten psychischen Krankheit auszugehen, weshalb die Lebensbewältigung völlig insuffizient sei. Auf Grund dieser diagnostizierten Verhaltensstörung sei der Beschuldigte schuldunfähig gewesen.

 

Dem Sachwalter sei die erstbehördliche Strafverfügung vom 13. Mai 2011 sowie das Berufungserkenntnis des UVS Oberösterreich vom 21. Mai 2012 nunmehr erstmalig bekannt geworden, weil an ihn keine Zustellungen erfolgten. Neben einem Zustellantrag wird angeregt amtswegig mit Behebung vorzugehen, weil es schon n einer rechtswirksam erlassenen Entscheidung erster Instanz mangle und daher auch kein Berufungserkenntnis ergehen hätte dürfen.

 

3.2. Der Sachwalter hat mit der gegenständlichen Eingabe die "BESTELLUNG EINES SACHWALTERS (§ 268 Abs 3 Z 2 ABGB)" des Bezirksgerichts Linz zu Zl. 6P  256/10h-33 vom 14. Jänner 2011 vorgelegt. Ihr wesentlicher Inhalt lautet:

 

"URKUNDE

 

Für x, geb. am: X, W, L,

ist

 

Mag. Dr. A M Rechtsanwalt, B, L,

 

gemäß § 268 ABGB zum Sachwalter bestellt.

 

Der Sachwalter hat folgenden Kreis von Angelegenheiten zu besorgen (§ 268 Abs 3 Z 2 ABGB):

 

´           Vertretung bei Ämtern, Behörden, Gericht, Vermieter und etwaige Organisation psychosozialer Unterstützungsmaßnahmen;

´           Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten;

´           Schuldenregulierung

 

..."

 

3.3. Der UVS Oberösterreich hatte auf Grund der nunmehr hervorgekommenen Umstände im Ergebnis festzustellen, das das bisherige Verwaltungsstrafverfahren gegen den Bw ohne Beteiligung seines Sachwalters nicht rechtswirksam durchgeführt worden ist.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 9 AVG ist die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen, wenn in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist.

 

Dabei gilt der Grundsatz, dass die Rechtsfähigkeit die Parteifähigkeit und die Handlungsfähigkeit die Prozessfähigkeit begründet (vgl Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8 [2003], Rz 131). Das Fehlen der Prozessfähigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (vgl mwN Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2004], 214, Anm 3, 224 f, E 27a und E 27c zu § 9 AVG).

 

Für die Prozessfähigkeit im Verwaltungsstrafverfahren kommt es nicht darauf an, ob der Beschuldigte iSd § 3 Abs 1 VStG zurechnungsfähig ist oder nicht. Vielmehr ist im Hinblick auf § 24 VStG iVm § 9 AVG entscheidend, ob der Beschuldigte im Zeitpunkt der Erlassung des Straferkenntnisses in der Lage ist, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen und zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten (vgl VwGH 29.3.1989, Zl. 89/02/0014).

 

Für die Beurteilung der Handlungsfähigkeit (Prozessfähigkeit) einer behinderten Person ist der Gerichtsbeschluss über die Bestellung des Sachwalters (§ 273 Abs 3 ABGB entspricht nunmehr seit der Neufassung durch das SWRÄG 2006, BGBl I Nr. 92/2006, dem § 268 Abs 3 ABGB) bedeutsam (vgl Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, 254, Anm 2 zu § 11 AVG). Gemäß § 280 Abs 1 ABGB kann die behinderte Person innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters ohne dessen ausdrückliche oder stillschweigende Einwilligung rechtsgeschäftlich weder verfügen noch sich verpflichten.

 

Die Sachwalterbestellung wirkt für die Zeit ab ihrer Erlassung insofern konstitutiv, als die Prozessfähigkeit und Handlungsfähigkeit in dem umschriebenen Ausmaß nicht mehr gegeben ist. Hinsichtlich des vorangegangenen Zeitraums ist zu prüfen, ob der Betroffen nicht mehr prozessfähig gewesen ist und damit nicht mehr in der Lage war, Bedeutung und Tragweite der prozessualen Vorgänge zu erkennen und sich den diesbezüglichen Anforderungen entsprechend zu verhalten (vgl Nachw aus der Judikatur bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, 223 f, E 25b, E 25g und E25h zu § 9 AVG).

 

Mangelnde Prozessfähigkeit führt zur Unwirksamkeit verfahrensrechtlicher Akte (vgl mwN Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8 Rz 135). War eine nicht voll handlungsfähige Person in einem Verwaltungsverfahren durch ihren gesetzlichen Vertreter nicht vertreten, so kann der ergangene Bescheid dieser Person gegenüber nicht rechtswirksam werden (vgl Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, 225, E 28 zu § 9 AVG).

 

4.2. Dem Bw mangelte es auf Grund der mit Bestellungsurkunde vom 14. Jänner 2011 nachgewiesenen Bestellung eines Sachwalters u.A. für die Angelegenheit der Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten schon im Zeitpunkt der Erlassung der Strafverfügung vom 13. Mai 2011 an der Handlungs- bzw Prozessfähigkeit im Verkehr mit Gerichten und Behörden. Alle nur ihm und nicht auch gegenüber seinem Sachwalter gesetzten verfahrensrechtlichen Akte waren daher von vornherein unwirksam. Deshalb konnte die Behörde dem Bw weder Strafbescheide rechtswirksam zustellen, noch mit ihm allein ohne Beiziehung seines Sachwalters rechtswirksam eine Strafverhandlung durchführen und ihm eine Entscheidung verkünden. Auch sämtliche Erklärungen des Bw waren nichtig.

 

Eine Aussage über die davon zu unterscheidende Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit ist damit noch nicht getroffen. Die Schuld- bzw Zurechnungsfähigkeit wird im Hinblick auf die vom Sachwalter vorgebrachte erhebliche Persönlichkeitsstörung des Bw noch gesondert von der belangten Behörde zu prüfen sein.

 

4.3. Gemäß § 52a Abs 1 VStG können der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegende Bescheide, durch die das Gesetz zum Nachteil des Bestraften offenkundig verletzt worden ist, sowohl von der Behörde als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden. § 68 Abs 7 AVG gilt sinngemäß.

 

Im teilweise zurückweisenden und teilweise abweisenden Berufungserkenntnis des UVS Oberösterreich vom 21. Mai 2012, das selbst keiner weiteren Berufung mehr unterliegt, wurde die mangelnde Handlungs- und Prozessfähigkeit des Bw nicht berücksichtigt und damit das Gesetz zum Nachteil des Beschuldigten offenkundig verletzt. Über Anregung des ausgewiesenen Sachwalters war nunmehr von Amts wegen der Umstand aufzugreifen, dass sämtliche Prozesshandlungen des handlungsunfähigen Bw unwirksam waren und dass gegen ihn weder eine Strafverfügung noch ein Straferkenntnis ohne Beiziehung seines Sachwalters wirksam erlassen werden konnte. Deshalb hätte auch das die Berufung abweisende Berufungserkenntnis nicht ergehen dürfen, sondern hätte vielmehr die Berufung des prozessunfähigen Bw gegen ein rechtlich gar nicht wirksam gewordenes und damit dem Rechtsbestand angehörendes Straferkenntnis zurückgewiesen werden müssen. Dies war nunmehr von Amts wegen zu korrigieren.

 

Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Strafverfahren erster Instanz den bestellten Sachwalter als gesetzlich vorgesehenen Vertreter des behinderten Bw zu beteiligen und die Frage der Zurechnungsfähigkeit in concreto gegebenenfalls durch einen medizinischen Sachverständigen zu klären haben.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

 

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

Dr. W e i ß

 

 

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