Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730217/14/Sr/ER/WU

Linz, 23.08.2012

 

E R K E N NT N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung der X, geb. X, StA des Kosovo, vertreten durch Mag. X, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors der Landeshauptstadt Linz vom 22. September 2010, AZ.: 1068672/FRB, betreffend eine Ausweisung der Berufungswerberin nach dem Fremdenpolizeigesetz, nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung am 23. August 2012 zu Recht erkannt:

 

             I.      Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

 

          II.      Eine Rückkehrentscheidung ist auf Dauer unzulässig.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1. Mit Bescheid des Polizeidirektors der Landeshauptstadt Linz vom 22. September 2010, AZ.: 1068672/FRB, wurde gegen die Berufungswerberin (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 31 Abs. 1 und 1a, 53 Abs. 1 in Verbindung mit § 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, die Ausweisung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich angeordnet.

Neben der Wiedergabe der anzuwendenden Rechtsvorschriften führt die belangte Behörde zum Sachverhalt aus, dass die Bw am 23. September 2002 illegal über unbekannt nach Österreich eingereist sei.

Am 24. September 2002 habe sie einen Asylantrag gestellt, welcher am 12. Juni 2003 gem. §§ 10 bzw. 11 AslyG rechtskräftig zurückgewiesen worden sei. Am 7. Juli 2003 habe sie einen weiteren Asylantrag gestellt, dieser sei am 16. August 2010 gem. §§ 7 und 8 bzw. § 11 AsylG rechtskräftig negativ entschieden worden.

Mit Schreiben vom 24. August 2010 sei der Bw ihre beabsichtigte Ausweisung mitgeteilt und ihr gleichzeitig Gelegenheit gegeben worden, dazu schriftlich Stellung zu nehmen. In der Stellungnahme vom 8. September 2010 gab ihr Rechtsvertreter im Wesentlichen an, dass die Bw im Kosovo 4 Jahre Volks-, 4 Jahre Hauptschule und 2 Jahre Gymnasium besucht habe. Danach habe sie eine zweijährige Lehre als Verkäuferin absolviert. Weiters sei angeführt worden, dass sich der Exmann der Bw in Österreich aufhalte und dieser im Besitz eines beschränken Aufenthaltstitels sei. Vor der Einreise nach Österreich habe die Bw mit ihren Kindern in X, Kosovo gewohnt. Beruflich sei sie bereits bestens integriert. Sie würde bei der Firma X in X als Raumpflegerin arbeiten und dabei € 1.109,00 netto ins Verdienen bringen. Ihr Arbeitgeber schätze die Bw als fleißige Mitarbeiterin, was dieser schriftlich bestätigt habe. Die Bw verfüge über eine aufrechte Kranken- und Unfallversicherung, ihre Söhne sind mit ihr mitversichert. Für den Unterhalt der Familie komme die Bw auf, zusätzlich erhalte sie von ihrem Ex­-Mann noch € 250,-- Alimente für die beiden Söhne und gelegentliche freiwillige Zahlungen. Die Bw lebe mit ihren Söhnen in einer 68 m2 Mietwohnung, die Miete bezahle sie immer rechtzeitig. Dies bestätige der Vermieter in einem der Stellungnahme beigelegten Schreiben. In der Stellungnahme hebe die Bw hervor, dass sie sehr gut Deutsch spreche und bestätige dies durch zwei beigeschlossene Zertifikate über absolvierte Deutsch-Prüfungen.

Die Bw ersuche zu berücksichtigen, dass sie sich mit ihrer Familie bereits seit 2002 in Österreich aufhalte, sich bestens integriert und bereits zahlreiche Freundschaften zu österreichischen Staatsbürgern geknüpft hätte. Ihr Privat- und Familienleben führe sie in Österreich, ihr Exmann bzw. der Vater von X würde sich vorbildlich und in jeder Hinsicht um X kümmern.

Der Rechtanwalt weise des Weiteren darauf hin, dass die Bw strafrechtlich unbescholten sei und die österreichische Rechtsordnung respektiere. Im Falle eine Rückkehr in den Kosovo würde die Bw in eine Notlage geraten, da sie keinerlei Anknüpfungspunkte mehr in ihrer Heimat habe. Eine Existenzgrundlage sei in keiner Hinsicht gegeben.

 

In der rechtlichen Beurteilung führt die belangte Behörde aus, dass die Ausweisung einen nicht unerheblichen Eingriff in Ihr Privatleben bedeute, nachdem sich die Bw seit acht Jahren in Österreich aufhalte, hier einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehe und sich sozial integriert habe. Dies werde allerdings dadurch relativiert, dass dieser Aufenthalt auf Rechtsgrundlage eines offensichtlich unbegründeten Asylantrages beruht habe.

Spätestens seit 23. September 2004, dem Datum der erstinstanzlichen Abweisung ihres Asylantrags, habe der Bw bewusst sein müssen, dass es sich bei der Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG um eine mit der Dauer des Verfahrens befristete Berechtigung handle.

Zum tatsächlichen Bestehen eines Familienlebens müsse angeführt werden, dass die Bw von ihrem Exmann bereits als Sie den 2. Asylantrag eingebracht habe, geschieden gewesen sei und seit Anfang 2004 auch nicht mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebe.

Da die Söhne ebenfalls aus Österreich ausgewiesen würden, könne nicht von einem Eingriff in Ihr Familienleben gesprochen werden.

Aus der Aktenlage bzw. AIS-Datensatz könne entnommen werden, dass die Bw von 1975 bis 1983 die Grundschule in X, von 1983 bis 1986 ebenfalls in X die Berufsschule absolviert habe und anschließend als Schneiderin in einer Textilfabrik in X gearbeitet habe. Nach Ansicht der belangten Behörde scheine eine Reintegration in der Heimat als möglich.

 

Eine bestehende Integration in Österreich, welche durch die Beilage der Teilnahmebestätigungen von Deutschkursen, sowie der Tatsache, dass die Bw in Österreich einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehe, belegt sei, sei in ihrem Gewicht maßgeblich reduziert, da die integrationsbegründenden Umstände während eines Aufenthaltes erworben worden seien, der sich auf einen (von Anfang an) nicht berechtigten Asylantrag gründet habe.

 

Die Bw halte sich seit 17. August 2010 insofern rechtswidrig im Bundesgebiet der Republik Österreich auf, als ihr seit diesem Zeitpunkt weder ein Einreisetitel nach dem FPG noch ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt worden sei. Auch komme ihr nach der Aktenlage kein Aufenthaltsrecht aufgrund einer anderen gesetzlichen Bestimmung zu bzw. wurde von ihr kein derartiges behauptet.

 

Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maße. Laut ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stelle die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar.

 

Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Wenn Fremde nach Abschluss des Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verlassen, werde dadurch die öffentliche Ordnung (die Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens) schwerwiegend beeinträchtigt. Es könne daher nicht hingenommen werden, dass Fremde ihren nicht rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet beharrlich fortsetzen und die Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen versuchen.

Zusammenfassend könne daher nur festgestellt werden, dass die Ausweisung nicht nur zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und somit im Lichte des § 66 Abs. 1 FPG 2005 zulässig scheine, sondern auch unter Beachtung der Bestimmungen des § 66 Abs. 2 und 3 FPG 2005 zulässig sei.

 

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Bw, rechtsfreundlich vertreten, rechtzeitig Berufung mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2010. Darin werden die Anträge gestellt, die Berufungsbehörde möge eine mündliche Berufungsverhandlung anberaumen und durchführen, sowie den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass festgestellt wird, dass eine Ausweisung auf Dauer unzulässig ist. In eventu den angefochtenen Bescheid der Erstbehörde aufheben und die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auftragen.

 

Die Berufung begründet die Bw, indem sie zunächst auf sämtliche bisherige Vorbringen verweist, insbesondere auf die Stellungnahme ihres rechtsfreundlichen Vertreters vom 8. September 2010. Bei richtiger rechtlicher Würdigung hätte eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen. Gemäß § 66 FPG dürfe eine Ausweisung, durch die in das Privat- und Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur dann erlassen werden, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 MRK genannten Ziele dringend geboten sei. Gemäß Abs. 2 des genannten Paragrafen seien bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 MRK, insbesondere die Art und Dauer des -bisherigen Aufenthalts, die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, sowie die Frage, ob das Privat-und Familienleben der Fremden zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen.

Art. 8 Abs. 2 MRK fordere sohin eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs und damit eine Abwägung der betroffenen Rechtsgütern und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn hätte eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkung auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung der Ausweisung. Die Bw ersucht zu berücksichtigen, dass sie sich bereits seit September 2002, sohin seit mehr als acht Jahren in Österreich aufhalte und hier entsprechend integriert sei. Sie sei beruflich bestens in Österreich integriert und arbeite zur Zeit bei der Firma X. Sie stelle damit ihren Lebensunterhalt und den ihrer beiden Kindern sicher. Der Arbeitgeber schätze ihre Arbeit und beschreibe die Bw als fleißige Mitarbeiterin. Die Bw verweist auf die entsprechenden Beilagen, die der Stellungnahme ihres rechtsfreundlichen Vertreters angefügt gewesen seien.

Die Bw spreche auch bereits sehr gut Deutsch und habe die Prüfung Niveaustufe A2 des Europarates abgelegt.

Im Gegensatz zur gelungenen Integration in Österreich verfüge die Bw im Falle einer Rückkehr in den Kosovo über keinerlei Existenzmöglichkeit, keine Arbeitsmöglichkeit, keinen finanziellen Rückhalt, keine Wohnmöglichkeit und auch kein soziales Netzwerk. Die gesamte übrige Familie lebe im Ausland, sodass die Bw eine Rückkehr in eine existenzielle Notlage drängen würde. Vor dem Hintergrund der gelungenen beruflichen und auch sozialen Integration überwögen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung sämtlicher im § 66 Abs. 2 FPG angeführter Kriterien die Interessen an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Ausweisung. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Integration während eines Asylverfahrens erworben wurde, zumal auf die Dauer des Asylverfahrens keinerlei Einfluss bestanden und sich während der Dauer die Integration entwickelt habe. Die Bw gibt an, auf Grund der eingebrachten Berufung bzw. Beschwerde durchaus davon ausgegangen zu sein, dass diese zu einem für sie positiven Abschluss gebracht werden könne, sodass sie sich eines unsicheren Aufenthalts nicht bewusst gewesen sei.

Der Gesetzgeber sehe in den §§ 43ff NAG auch die Möglichkeit vor, dass Langzeitasylwerbern eine Niederlassungsbewilligung erlangen könnten. Wenn nun aber jede gelungene Integration, die auf ein Asylverfahren zurückzuführen ist, insoweit zu relativieren sei, als im Hinblick auf den Schutz der öffentlichen Ordnung mit einer Ausweisung zu rechnen sei, so würde den Bestimmungen des NAG jeglicher Anwendungsbereich entzogen werden. Insofern zeige sich, dass eine Ausweisung nicht erlassen werden hätte dürfen.

 

 3. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion Oberösterreich – nach Inkrafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Unabhängigen Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde, in Auszüge des Zentralen Melderegister, des Elektronischen Kriminalpolizeilichen Informationssystems, sowie in einen aktuellen Versicherungsdatenauszug.

 

3.2. Am 23. August 2012 wurde vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt.

 

Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1. und 2. dieses Erkenntnisses dargestellten, und auch durch die öffentliche mündliche Verhandlung unbestritten gebliebenen, Sachverhalt aus. Ergänzend wird festgestellt, dass die Bw seit X wieder mit dem Vater ihrer Kinder, Herrn X, der über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalts EG" verfügt, verheiratet ist und mit ihm und den beiden gemeinsamen Söhnen am selben Wohnsitz wohnt. Die Bw verfügt über ein abgesichertes soziales Umfeld in Österreich.

 

3.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

4. In der Sache hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

 

4.1.1. Gemäß § 125 Abs. 14 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 53 als Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden ist.

 

4.1.2. Im vorliegenden Fall wurde die Ausweisung auf Basis des § 53 FPG (in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011) erlassen, weshalb diese Ausweisung als Rückkehrentscheidung im Sinne des § 52 FPG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 anzusehen und zu beurteilen ist.

 

4.2.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 38/2011, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

4.2.2. Im vorliegenden Fall ist auch von der Bw selbst unbestritten, dass sie über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt und somit grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig ist.

 

Allerdings ist bei der Beurteilung der Rückkehrentscheidung sowohl auf Art. 8 EMRK als auch auf § 61 FPG Bedacht zu nehmen.

 

4.3. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Nach § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der       bisherige         Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.         der Grad der Integration;

5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des     Asyl-   Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem            Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren   Aufenthaltstatus bewusst waren;

9.         die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß § 125 Abs. 20 FPG, gelten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 38/2011 vorgenommene Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 66 als Beurteilungen und Entscheidungen gemäß § 61 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter.

 

4.4. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessenabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

Gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte ist es grundsätzlich zulässig und erforderlich, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Rückkehrentscheidung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

4.4.1. Da die Ausweisung die Trennung der Bw von ihrem in Österreich niedergelassenen Ehemann und Vater ihrer Kinder zur Folge hätte, ist eine Interessenabwägung gemäß § 61 Abs. 2 FPG hinsichtlich des Privat- und Familienlebens der Bw vorzunehmen, wobei insbesondere auf das Zusammenleben ihrer Kernfamilie am selben Wohnsitz in Österreich, ihre berufliche und soziale Integration, das Asylverfahren und die lange Aufenthaltsdauer Bedacht zu nehmen ist.

In Anbetracht ihres zehn Jahre währenden Aufenthaltes im Bundesgebiet ist der Bw eine der Dauer ihres Aufenthaltes entsprechende Integration zuzugestehen. Dieser Aufenthalt war nachweislich von 24. September 2002 bis zur Beendigung ihres Asylverfahrens am 16. August 2010, also rund acht Jahre, rechtmäßig.

Das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration wird jedoch angesichts der ständigen Judikatur des VwGH dadurch gemindert, als der Aufenthalt der Bw während des Asylverfahrens nur aufgrund eines Antrages, welcher sich letztendlich als unberechtigt erwiesen hat, temporär berechtigt war. Der Bw musste bewusst sein, dass sie ein Privatleben während eines Zeitraumes, in dem sie einen "unsicheren" Aufenthaltsstatus hatte, geschaffen hat, (vgl. etwa Erkenntnis vom 08.11.2006, Zahl 2006/18/0344 sowie Zahl 2006/18/0226 ua.). Sie durfte nicht von vornherein damit rechnen, nach einem allfälligen negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen.

Im Hinblick auf den zehn Jahre währenden Aufenthalt in Österreich ist im Besonderen auf die die jüngste Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abzustellen. Wie folgt wiedergegeben, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, GZ 2009/21/0348, einer sozialen Integration, obwohl sie in einem Zeitraum entstanden ist, während dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war, ein nicht unbeachtliches Gewicht beigemessen:

 

Das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich ist in seinem Gewicht gemindert, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (E. vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293; E. vom 29. September 2009, Zl. 2009/21/0253; E. des VfGH vom 3. März 2008, B 825/07 mit Bezug auf die Urteile des EGMR vom 31. Jänner 2006, Rodrigues da Silva und Hoogkaamer gegen die Niederlande [Beschwerde Nr. 50435/99] und vom 31. Juli 2008, Darren Omoregie u.a. gegen Norwegen [Beschwerde Nr. 265/07]). Der EGMR stellt in den angesprochenen Urteilen darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist. Sei das der Fall, bewirke eine Ausweisung des ausländischen Familienangehörigen nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Art 8 EMRK (vgl.: E vom 19. Februar 2009, Zl. 2008/18/0721, E. vom 30. April 2009, Zl. 2009/21/0086). In diesem Sinn ist nach der Z. 8 des § 66 Abs. 2 FPG [in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011] aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Annordnung bei der Interessensabwägung darauf Bedacht zu nehmen, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war. Freilich hat die genannte Bestimmung schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte.

 

 

Im Erkenntnis vom 20. Jänner 2011, Zl. 2010/22/0158, hat der Verwaltungsgerichtshof bei einer im Wesentlichen vergleichbaren Sachlage eines knapp über 10 Jahre bestehenden Aufenthaltes dem persönlichen Interesse des Fremden am Verbleib in Österreich ein solches Gewicht beigemessen, dass eine Ausweisung unzulässig ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat dabei wie folgt ausgeführt:

 

Der Beschwerdeführer verweist auf seine Erwerbstätigkeit und darauf, dass er sich während seines Aufenthaltes in Österreich "in privater Hinsicht sehr gut integriert" habe. Die belangte Behörde hob zwar zu Recht hervor, dass dem Beschwerdeführer bereits nach erstinstanzlicher Abweisung seines Asylantrages die Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst war, er somit nicht mit einem legalen Aufenthalt in Österreich rechnen durfte. Sie ist auch darin im Recht, dass dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. für viele etwa das Erkenntnis vom 6. Juli 2010, 2008/22/0688). Dementsprechend haben Fremde nach Abweisung ihres Asylantrages grundsätzlich den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet herzustellen. Demgegenüber vermag der Beschwerdeführer jedoch einen bereits über zehnjährigen Aufenthalt in Österreich für sich ins Treffen zu führen und es stellte die belangte Behörde auch fest, dass er erwerbstätig ist. Diese Umstände verleihen dem persönlichen Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich ein solches Gewicht, dass die Ausweisung unverhältnismäßig erscheint (vgl. zu ähnlichen Fällen etwa die E. vom 26. August 2010, 2010/21/0206 und 2010/21/0009).

 

4.4.2. Mit zehn Jahren Dauer kann die Bw auf einen langen, großteils rechtmäßigen, Aufenthalt in Österreich verweisen. Bezüglich des von der belangten Behörde ins Treffen geführten unsicheren Aufenthalts der Bw zum Zeitpunkt des Entstehens des Privatlebens ist insbesondere auf die oben zitierte jüngste Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen.

 

Die Bw ist seit X wieder mit dem Vater ihrer Kinder, der über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt EG" verfügt, verheiratet, nachdem die Ehe zwischenzeitlich geschieden war. Die Bw wohnt mit ihrem Ehemann und den beiden gemeinsamen Kindern in der selben Wohnung.

 

Die Bw ist zum überwiegenden Teil ihres Aufenthalts einer legalen, sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen. Laut aktuellem Versicherungsdatenauszug ist die Bw nach wie vor bei ihrem langjährigen Arbeitgeber beschäftigt. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass eine Integration am Arbeitsmarkt gelungen ist und auch in Zukunft gegeben sein wird.

 

Es kann der Bw wohl nach einem zehnjährigen Aufenthalt ein hohes Maß an Integration zugemessen werden, was auch dadurch belegt wird, dass sie die Deutschprüfung auf Niveau A2 abgelegt hat, einen Großteil ihres Aufenthalts in Österreich einer unselbstständigen, versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen ist, versichert ist und sie bereits seit Juli 2003 im selben Betrieb arbeitet.

 

Nach dem in Rede stehenden Zeitraum ist durchaus nachvollziehbar, dass die Bindung an den Heimatstaat keine relevante Ausprägung mehr erreicht. Demgegenüber ist nicht unerheblich, dass die Bw etwa 34 Jahre in ihrem Herkunftsstaat gelebt hat und dort ihre Ausbildung absolviert hat. Ihren Angaben, sie würde im Falle einer Aufenthaltsbeendigung ihre soziale Existenz verlieren, verleiht die Bw dadurch Glaubwürdigkeit, als sie angibt, über keinen Wohnsitz und kein soziales Netz in Serbien zu verfügen und sich aus dem vorgelegten Akt keinerlei Hinweise auf bestehende familiäre Kontakte ergeben.

 

Die Bw ist strafgerichtlich unbescholten.

 

Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat sich der Eindruck verfestigt, dass die Bw beruflich, sprachlich, familiär und sozial außerordentlich gut in Österreich integriert ist.

 

Gemäß der oben angeführten Judikatur des VwGH und VfGH ist in diesem Fall hinsichtlich der Frage eines unsicheren Aufenthalts nach § 61 Abs. 2 Z. 8 FPG bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände festzustellen, dass die für die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung sprechenden privaten Elemente die des öffentlichen Interesses gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK überwiegen.

 

Nicht zuletzt wird auch davon auszugehen sein, dass gemäß § 61 Abs. 2 Z. 9 FPG von einer eher in die Sphäre der Behörden fallenden langen Verfahrensdauer gesprochen werden muss, zumal das Asylverfahren bis zur rechtskräftigen letztinstanzlichen Entscheidung rund acht Jahre gedauert hat.   

 

Die dargelegten Umstände verleihen dem persönlichen Interesse der Bw an einem Verbleib in Österreich ein solches Gewicht, dass die Rückkehrentscheidung unverhältnismäßig ist.

 

4.5. Im Ergebnis ist eine Rückkehrentscheidung im Hinblick auf das Privat- und Familienleben der Bw auf Dauer unzulässig.

 

4.6. Es war daher der Berufung stattzugeben, der angefochtene Bescheid aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.

 

5. Da die Bw ausreichend der deutschen Sprache mächtig ist, konnte gemäß      § 59 Abs. 1 FPG von der Übersetzung des Spruches und der Rechtsmittelbelehrung Abstand genommen werden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt unterschrieben werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 37,70 Euro (Eingabe- und Beilagengebühr) angefallen.

 

 

Mag. Christian Stierschneider

 

 

 

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