Linz, 21.08.2012
E r k e n n t n i s
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X, geboren am X, türkischer Staatsangehöriger, vertreten durch X, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 8. April 2010, AZ.: 1062006/FRB, betreffend die Erlassung eines auf 3 Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes gegen den Berufungswerber nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:
Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
Rechtsgrundlage:
§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG
Entscheidungsgründe
1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 8. April 2010, AZ: 1062006/FRB, wurde über den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis des § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 8 iVm. § 66 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005 in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
In der Begründung führte die belangte Behörde zum Sachverhalt wie folgt aus:
2. In der rechtzeitig eingebrachten Berufungsschrift vom 19. April 2010 stellte der Bw die Anträge,
3. Die belangte Behörde legte den in Rede stehenden Verwaltungsakt zuständigkeitshalber der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vor.
Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion Oberösterreich – nach Inkrafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Unabhängigen Verwaltungssenat übermittelt wurde.
3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.
3.2. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist (§ 67 d Abs. 1 Z. 1 AVG).
3.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1. und 2. dieses Erkenntnisses dargestellten Sachverhalt aus.
Ergänzend wird folgender Sachverhalt festgestellt:
Laut Mitteilung des Magistrates der Landeshauptstadt St. Pölten ist der Bw mit seiner Familie (Gattin und drei Kinder: X, geboren am X, X, geboren X, X, geboren X und X, geboren X) nach X, gezogen und seit dem 19. Juli 2011 aufrecht gemeldet.
Im Schreiben vom 14. März 2012 hat der Rechtsvertreter des Bw bekanntgegeben, dass der Bw vom islamischen Kultur- und Wohltätigkeitsverein X als Vorbeter beschäftigt wird und monatlich 1.000 Euro netto verdient. Der Bw und seine Familie wohnen an der bekanntgegebenen Adresse in X und legen einen Mietvertrag vor.
Die beiden ältern Kinder besuchen in X die Schule und die Sprachkenntnisse des Bw werden durch Vorlage des A2 Sprachzertifikates belegt.
Neben der Arbeits- und Lohnbestätigung werden ein Mietvertrag, die Schulbesuchsbestätigungen, Sprachzertifikat (A2), Zertifikate über Deutschintegrationskurs Stufe 1 und Stufe 2, abgelegt vom Bw und seiner Gattin, Versicherungsdatenauszug und ZMR-Nachweise vorgelegt.
Sowohl der Bw als auch alle Familienmitglieder haben Verlängerungsanträge AB (Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit - Familiengemeinschaft) bei der zuständigen Niederlassungsbehörde in X gestellt.
3.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).
4. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:
4.1. Gemäß § 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG idgF. BGBl. I Nr. 49/2012, kann gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt
1. die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder
2. anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
Gemäß § 63 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 insbesondere jene des § 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 und Abs. 3. § 53 Abs. 5 und 6 gelten.
Gemäß § 63 Abs. 3 FPG ist ein Aufenthaltsverbot gemäß Abs. 1 in den Fällen des
§ 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 für die Dauer von mindestens 18 Monaten, höchstens jedoch für fünf Jahre, in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 4 für höchstens zehn Jahre und in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen. Die Frist beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.
4.2. Unbestritten verfügte der Bw vor der Stellung des Verlängerungsantrages über einen Aufenthaltstitel. Nach § 24 Abs. 1 NAG ist der Antragsteller unbeschadet fremdenpolizeilicher Bestimmungen bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Verlängerungsantrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.
Aufgrund der legalen Einreise im Jahr 2007 und des anhängigen Verlängerungsverfahrens hält sich der Bw derzeit formal rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Daher sind grundsätzlich die oben genannten Bestimmungen zur Prüfung des Aufenthaltsverbotes heranzuziehen.
Der Bw ist nicht aufenthaltsverfestigt, daher gelangen die Bestimmungen des § 64 FPG nicht zur Anwendung.
4.3. Es ist – im Hinblick auf die oa. Ausführungen und die dargestellten gesetzlichen Bestimmungen - zu prüfen, ob Tatsachen vorliegen, die die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigen.
Gemäß § 63 Abs. 2 FPG sind die bestimmte Tatsachen im Sinne des § 63 Abs. 1 FPG insbesondere jene des § 53 Abs. 2 Z. 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 und Abs. 3 FPG.
Im vorliegenden Fall kann § 53 Abs. 2 Z. 7 FPG als einschlägig angesehen werden (Betretung bei einer Beschäftigung, die der Fremde nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht ausüben hätte dürfen).
4.3.1. Der Bw wurde am 2. April 2008, am 29. September 2009 und am 12. Jänner 2010 bei Beschäftigungen betreten, die er nach Ansicht der einschreitenden Organe und der belangten Behörde nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes nicht ausüben hätte dürfen.
Abgesehen von der letzten Betretung bestreitet der Bw nicht, dass er nicht über eine erforderliche Beschäftigungsbewilligung verfügt hat.
Im gesamten Verfahren hat der Bw glaubhaft dargelegt, dass er zu keinem Zeitpunkt gegen die Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes verstoßen habe wollen. Im Hinblick auf die Auskunftserteilung bei der Erteilung des Aufenthaltstitels (Zulässigkeit einer geringfügigen Beschäftigung) und der erfolgten Anmeldungen zur Sozialversicherung sei er von der Rechtmäßigkeit seines Verhaltens ausgegangen.
Unabhängig davon, dass bei der Beurteilung nach § 53 Abs. 2 Z. 7 FPG keine Verschuldensprüfung durchzuführen und ausschließlich auf die Zulässigkeit der Beschäftigung zum Betretungszeitpunkt abzustellen ist, darf nicht nur auf das tatbestandsmäßige Verhalten abgestellt werden. Wie auch bei strafgerichtlichen Verurteilungen, wo nicht primär die Verurteilung maßgeblich ist, ist auch im vorliegenden Fall im Sinne einer Prognoseentscheidung das gegenwärtige und zukünftige Verhalten einer Person im Lichte seiner Handlungen rechtlich zu würdigen. Es ist also im konkreten Einzelfall zu analysieren, ob davon ausgegangen werden kann, dass sich der Bw hinkünftig rechtskonform verhalten wird.
Folgt man dem Vorbringen des Bw, dass er am 12. Jänner 2010 lediglich einen "Freundschaftsdienst" vorgenommen und keinesfalls eine Beschäftigung ausgeübt hat (dies wurde im Wesentlichen auch von der Auskunftsperson gegenüber den einschreitenden Organen bestätigt), dann liegt der letzte "Verstoß" des Bw beinahe drei Jahre zurück. In nunmehriger Kenntnis der tatsächlichen Rechtslage (entgegen seiner unzutreffenden Rechtsansicht) hat der Bw keinen neuerlichen Verstoß gegen das AuslBG gesetzt und sich somit fast drei Jahre wohl verhalten. Dieses Verhalten zeigt auf, dass der Bw nachweislich gewillt ist, sich auch weiterhin rechtskonform zu verhalten.
4.3.2. Die belangte Behörde hat, ohne sich mit dem Familienleben des Bw auseinander zu setzten, zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides am 8. April 2010 ein auf drei Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für ausreichend erachtet.
Selbst wenn trotz der mehrere Jahre zurückliegenden Verstöße gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz und des knapp drei Jahre bestehenden Wohlverhaltens es noch immer aus Gründen der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit eines Aufenthaltsverbotes bedürfte, ist dies im Hinblick auf § 61 FPG im vorliegenden Fall nicht zulässig.
Bei der Beurteilung des Aufenthaltsverbotes ist auf Art. 8 EMRK sowie § 61 FPG Bedacht zu nehmen.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
4. der Grad der Integration;
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltstatus bewusst waren;
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
Abs. 3 [...]
Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessensabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.
Es ist festzuhalten, dass es gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte grundsätzlich zulässig und erforderlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um massiven Gefährdungen des öffentlichen Interesses effektiv begegnen zu können. Im Sinne dieser Überlegung stellt ein Aufenthaltsverbot fraglos ein adäquates Mittel dar, um dem öffentlichen Interesse an der Wahrung eines geordneten Arbeitsmarktes und der Verhinderung von Schwarzarbeit nachzukommen.
Bei der Interessenabwägung ist festzustellen, dass der Bw glaubhaft auf fünfjährige legale Aufenthaltsdauer und ein gemeinsames Familienleben hingewiesen hat. Es ist also sowohl das Privat- als auch das Familienleben des Bw vom Aufenthaltsverbot betroffen. Zwei seiner drei Kinder besuchen in Österreich die Schule und sind insoweit als integriert anzusehen. Der Bw verfügt als Vorbeter über ein geregeltes Einkommen und bedingt durch seine Tätigkeit über ausreichende soziale Kontakte. Sowohl seine Gattin als auch er haben Integrationsnachweise und Deutschzertifikate erbracht. Der Bw ist darüber hinaus unbescholten. Er hat unbestritten einen diesen Umständen entsprechenden Grad an Integration erreicht.
Im Ergebnis muss jedoch – entgegen der Ansicht der belangten Behörde – ein Überwiegen der persönlichen und familiären Interessen erkannt werden, weshalb die gegen den Bw beabsichtigte fremdenpolizeiliche Maßnahme auch unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Privat- und Familienlebens nicht zulässig ist.
4.4. Es war daher der Berufung stattzugeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufzuheben.
4.5. Da der Bw der deutschen Sprache ausreichend mächtig ist, konnte die Übersetzung des Spruchs sowie der Rechtsmittelbelehrung dieses Bescheides gemäß § 59 Abs. 1 FPG unterbleiben.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt unterschrieben werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.
2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von insgesamt 50,40 Euro (Eingabegebühr, Beilagen) angefallen.
Mag. Christian Stierschneider