Linz, 01.10.2012
E R K E N N T N I S
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X, geboren am X, Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina, vertreten durch die X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors der Stadt Wels vom 8. August 2012, Zahl: 1-1035847/FP/12, betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt eines auf die Dauer von 10 Jahren befristeten Einreiseverbots, zu Recht erkannt:
Aus Anlass der Berufung wird der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
Rechtsgrundlagen:
§ 6 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2012/87
§ 66 Abs. 4 iVm § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG
Žalba se usvaja a osporeno rješenje ukida bez prava na naknadu.
Zakonski osnov:
§ 6 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2012/87
§ 66 Abs. 4 iVm § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG
1. Mit Bescheid des Polizeidirektors der Stadt Wels vom 8. August 2012, Zahl: 1-1035847/FP/12, zugestellt am 13. August 2012, wurde gegen den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf der Grundlage der §§ 52 Abs. 1 und 53 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (im Folgenden: FPG) in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Gemäß § 57 Abs. 1 FPG wurde die aufschiebende Wirkung einer Berufung gegen diesen Bescheid aberkannt.
Die Erstbehörde hat im angefochtenen Bescheid nach Wiedergabe einschlägiger fremdenpolizeilicher Vorschriften Folgendes ausgeführt:
2. Gegen den Bescheid der belangten Behörde, dem Bw im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung zugestellt am 13. August 2012, erhob der Bw mit Schriftsatz vom 23. August 2012, zur Post gegeben am gleichen Tage, rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung.
Auf die Begründung des Berufungsantrages braucht aufgrund des unten in Punkt 4. dargelegten Zuständigkeitskonfliktes nicht weiter eingegangen zu werden.
3.1. Die belangte Behörde legte den in Rede stehenden Verwaltungsakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Berufungsentscheidung vor.
3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt.
Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist (§ 67d Abs. 2 Z 1 AVG).
3.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem in Punkt 1. dieses Erkenntnisses dargestellten, im Wesentlichen unbestrittenen Sachverhalt aus.
3.4. Der Oö. Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).
4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:
4.1. § 6 Abs. 1 Satz 1 FPG zufolge richtet sich die örtliche Zuständigkeit der Behörde im fremdenpolizeilichen Verfahren im Inland nach dem Hauptwohnsitz im Sinn des § 1 Abs. 7 des Meldegesetzes 1991, in Ermangelung eines solchen nach einem sonstigen Wohnsitz des Fremden im Bundesgebiet.
Wie die belangte Behörde aufgrund des von ihr eingeholten Auszuges aus dem Zentralen Melderegister zu Recht ausführt, ist der Bw seit 20. Dezember 2011 mit Hauptwohnsitz in der Justizanstalt X gemeldet. Prima vista besteht (bzw. bestand vor der mit 1. September 2012 wirksam gewordenen Sicherheitsbehördenneustrukturierung) daher aufgrund § 6 Abs. 1 Satz 1 FPG eine Zuständigkeit des Bundespolizeidirektors der Stadt Wels.
4.2. Bei näherer Betrachtung kommt jedoch hervor, dass – zumindest im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides – eine Zuständigkeit des Polizeidirektors der Stadt Wels nicht bestanden hat.
Der Verwaltungsgerichthof geht nämlich in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Begründung eines Wohnsitzes den Aufenthalt an einem bestimmten Ort und den Willen, dort zu bleiben, voraussetzt. Ein – wie im Falle eines Untersuchungshäftlings oder Strafhäftlings – zwangsweise begründeter Aufenthaltsort stellt demnach keinen Wohnsitz dar (vgl. VwGH 26.9.2007, 2007/21/0238; 28.2.2008, 2008/21/0069).
Falls der einzige Wohnsitz eines Fremden im Inland jener in einer Justizanstalt ist, könnte in weiterer Folge überlegt werden, ob dies für eine Anknüpfung an § 6 Abs. 1 Satz 1 FPG ausreicht, widrigenfalls § 6 Abs. 2 leg cit, wonach, wenn der Fremde keinen Wohnsitz im Bundesgebiet hat, sich die Zuständigkeit nach seinem Aufenthalt zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens nach dem Fremdenpolizeigesetz richtet, einschlägig wäre.
Im gegenständlichen Fall hat der Bw jedoch, wie von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid auch ausdrücklich erwähnt, während der Haft mit 12. Juni 2012 einen Nebenwohnsitz in X, begründet. Der angefochtene Bescheid ist mit 8. August 2012 datiert und gilt mit der Zustellung am 13. August 2012 als erlassen. Diesfalls ist im Sinne der zitierten verwaltungsgerichtlichen Judikatur zweifelsohne davon auszugehen, dass der Bw in der Justizanstalt X, in welcher er sich nicht freiwillig aufhält, im Bescheiderlassungszeitpunkt keinen Hauptwohnsitz im Sinne von § 6 Abs. 1 erster Halbsatz FPG hatte, und somit der zweite Halbsatz der Bestimmung zur Anwendung gelangt. Als sonstiger Wohnsitz hat im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides jener in X bestanden.
4.3. Durch die Erlassung der angefochtenen Rückkehrentscheidung hat der Polizeidirektor der Stadt Wels somit eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihm der Gesetzgeber nicht zugedacht hat. Auf verfassungsrechtlicher Ebene ist es damit zu einer Verletzung des Art. 83 Abs. 2 B-VG bzw. des durch diesen verbürgten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf einfachgesetzlicher Ebene zur Verletzung des Rechts auf Einhaltung der Zuständigkeitsordnung gekommen. Eine Bestätigung bzw. bloße Abänderung des angefochtenen Bescheides durch den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich als örtlich und sachlich zuständiger Berufungsbehörde würde nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zwar die Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sanieren. Dies gilt jedoch nicht für die Verletzung des Rechts auf Einhaltung der Zuständigkeitsordnung.
4.4. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
4.5. Abschließend wird angemerkt, dass die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Sachverhaltsdarstellung äußerst lückenhaft ist. Die belangte Behörde setzt sich weder mit der Frage der Zuständigkeit auseinander, noch ist dem angefochtenen Bescheid beispielsweise zu entnehmen, seit wann sich der Bw im Inland aufhält oder ob sein Aufenthalt rechtmäßig ist bzw. war. Im Sinne der Nachvollziehbarkeit behördlicher Entscheidungen für alle Beteiligten, insbesondere auch für den Bescheidadressaten, wäre eine umfassendere Bearbeitung bzw. die Subsumtion des (hier zum Teil nicht entnehmbaren) Sachverhaltes unter die einzelnen Tatbestandselemente der herangezogenen Bestimmungen erforderlich.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweise:
1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.
2. Im gegenständlichen Verfahren sind Eingabegebühren in Höhe von 14,30 Euro angefallen.
Pouka o pravnom lijeku
Protiv ovog Rješenja nije dozvoljeno uredno pravno sredtsvo.
Napomena:
Protiv ovog Rješenja može se uložiti žalba u roku od šest sedmica od dana dostavljanja istog na Ustavni ili Upravni sud. Žalbu mora - osim uz zakonom propisane izuzetke - uložiti i potpisati ovlašteni advokat. Na svaku žalbu plaća se taksa u visini od 220 Euro.
Mag. Christian Stierschneider