Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401211/4/WEI/Ba

Linz, 12.09.2012

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Beschwerde des M J (alias M), geb. X, Staatsangehöriger von Afghanistan, derzeit Erstaufnahmestelle West, Thalham 80, 4880 St. Georgen im Attergau, wegen Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides und Anhaltung in Schubhaft durch die Bundespolizeidirektion Wels zu Recht erkannt:

 

 

I.       Der Beschwerde wird Folge gegeben und es werden der Schubhaftbescheid vom 27. August 2012 sowie die darauf beruhende Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft in der Zeit vom 27. bis 29. August 2012 für rechtswidrig erklärt.

 

II.     Der Bund hat dem Beschwerdeführer den notwendigen Verfahrensaufwand in Höhe von 751,90 Euro (darin enthalten Bundesstempelgebühren von 14,30 Euro) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlagen:

§§ 82 und 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG (BGBl I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl I Nr. 38/2011) iVm §§ 67c und 79a Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG iVm UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 (BGBl II Nr. 456/2008).

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Der unabhängige Verwaltungssenat geht auf Grund der Aktenlage vom nachstehenden Gang des Verfahrens und Sachverhalt aus:

 

1.1. Mit Mandatsbescheid vom 27. August 2012, Zl. 1-1038061/FP/12, ordnete die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer (im Folgenden nur Bf) auf der Grundlage des § 76 Abs 1 FPG iVm § 57 AVG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung (§ 46 FPG) an. Den Bescheid, dessen Spruch und Rechtsmittelbelehrung in die Sprache "DARI" und damit in eine für den Bf verständliche Sprache übersetzt wurden, übernahm der Bf noch am 27. August 2012 um 13:00 Uhr persönlich. Er wurde im polizeilichen Anhaltezentrum (PAZ) der Bundespolizeidirektion Wels bis zum 29. August 2012 angehalten und an diesem Tag um 13:00 Uhr aus der Schubhaft entlassen.

 

Den für die Anordnung der Schubhaft maßgeblichen Sachverhalt hielt die Behörde wie folgt fest:

 

"Sie wurden am 25.08.2012, um 08:20 Uhr, in Wels, Zug ICEx von Linz Richtung Passau von Beamten einer AGM Streife betreten. Sie konnten keine Dokumente vorweisen.

 

Sie sind demnach illegal in das Bundesgebiet eingereist und haben sich illegal bis zur Ihrer Festnahme aufgehalten. Sie wurden gemäß § 74/2 FPG festgenommen und in das PAZ Wels eingeliefert."

 

Nach darauffolgenden allgemeinen Rechtsausführungen führt die belangte Behörde dann zum konkreten Fall weiter lediglich aus:

 

"Das Sicherungserfordernis des § 76 Abs. 1 FPG 2005 ist – wie zuvor dargelegt – somit im Wesentlichen in den Umständen begründet, dass Sie in Österreich über keinen Wohnsitz verfügen und eine soziale Verankerung Ihrer Person im Inland nicht vorhanden ist.

Weiters ist bei Ihnen keine berufliche Verankerung, welcher Art auch immer, im Inland erkennbar und auch nicht vorhanden. Sie sind illegal in das Bundesgebiet eingereist und waren auf dem Weg nach Deutschland.

 

Aufgrund der vorgenannten Umstände kann die Behörde mit Recht davon ausgehen, dass Sie sich für die Durchführung der Abschiebung nicht freiwillig zur Verfügung der Behörde halten werden."

 

1.2. Aus der Aktenlage und den Angaben des Bf ergibt sich der folgende unstrittige Sachverhalt:

 

Der Bf reiste mit einem – in der Türkei vernichteten - Reisepass vor 5 bis 6 Monaten von Afghanistan zunächst in den Iran und dann in die Türkei, von wo er schlepperunterstützt nach Griechenland gelangte. Dort war er kurz in einem Flüchtlingscamp und gelangte mit einem Linienbus nach Athen, wo er sich zwei Monate aufhielt. Mit Hilfe einer gekauften griechischen ID-Karte und einem Flugticket konnte er am 24. August 2012 auf dem Luftweg über Wien-Schwechat nach Österreich einreisen. Am Bahnhof in Wien kaufte er ein Zugticket nach Frankfurt und bestiegt den entsprechenden Zug, in dem er dann am 25. August 2012 um 08:25 Uhr von einer AGM Streife festgenommen wurde.

 

Bei seiner fremdenpolizeilichen Einvernahme vom 27. August 2008 gab er an, dass er nach Europa gewollt habe. Der Händler, bei dem er den gefälschten Ausweis und das Flugticket kaufte, hätte ihm Wien empfohlen. In Griechenland, das selbst ein armes Land wäre, hätte er nicht leben können. Nach Afghanistan wollte der Bf nicht zurückreisen. Er erklärte, Asyl in Österreich haben zu wollen. Die Erstbefragung nach dem Asylgesetz durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes wurde in der Folge durchgeführt.

 

Mit der fremdenpolizeilichen Information der Asylbehörde vom 29. August 2012, Zl. 12 11.452- EAST WEST, wurde der belangten Behörde mitgeteilt, dass dem Bf eine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG zukomme. Mit Schreiben gleichen Datums wurde der Bf von der Asylbehörde aufgefordert, sich ehest möglich in der Erstaufnahmestelle einzufinden, und seine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG entgegen zu nehmen. Daraufhin verfügte die belangte Behörde die Entlassung aus der Schubhaft.

 

Der Bf befindet sich derzeit in Grundversorgung der Betreuungsstelle der Erstaufnahmestelle West in St. Georgen im Attergau.

 

1.3. Mit der am 6. September 2012 per Telefax gesendeten und ho. am 7. September 2012 im Original eingelangten Beschwerde vom 29. August 2012 bekämpft der Bf die Schubhaftverhängung mit Mandatsbescheid vom 27. August 2012 und die darauf beruhende Anhaltung in Schubhaft bis 29. August 2012 und begehrt die kostenpflichtige Rechtswidrigkeitserklärung. Die Beschwerde geht dabei im Wesentlichen vom oben dargestellten Sachverhalt aus.

 

2.1. Begründend rügt die Beschwerde zunächst, dass es für die verhängte Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung schon an einem Titel iSd § 46 Abs 1 FPG für einen allfällige Abschiebung fehle. Es mangle daher an einer gesetzlichen Grundlage für die Verhängung und Aufrechterhaltung der Schubhaft (Hinweis auf VwGH 29.02.2012, Zl. 2009/21/0198). Abgesehen davon entbehre der Schubhaftbescheid einer ordnungsgemäßen Begründung. Es sei im Fall des Bf kein Sicherungsbedarf vorhanden gewesen. Zur Haftverhängung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft zitiert die Beschwerde aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 5. Juli 2011, Zl. 2008/21/0100, zum Sicherungsbedürfnis im Einzelfall und stellt zu diesem Thema fest, dass eine individuelle Prüfung der Notwendigkeit der Schubhaft samt einzelfallbezogener Interessenabwägung unterlassen worden sei.

 

Die Beschwerde verweist auf den bereits am 27. August 2012 gestellten Asylantrag und zitiert zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft in Dublin-Fällen einschlägige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (Hinweis auf VwGH 28.6.2007/21/0051 und VwGH 19.06.2008, Zl. 2007/21/0070), um daraus den Schluss zu ziehen, dass im Fall des Bf ohne Dublin-Bezug umso mehr besondere Umstände vorliegen müssten, die in einem erhöhten Grad ein Untertauchen befürchten lassen. Konkrete Anhaltspunkte, dass sich der Bf dem Asylverfahren entziehen und für die Behörde nicht erreichbar sein werde, hätten gefehlt. Es sei nicht zu erkennen, warum der Bf seine Unterstützung in Grundversorgung aufgeben und in die Anonymität untertauchen hätte sollen.

 

Auch über die Vorschrift des § 76 Abs 6 FPG könne die rechtswidrig angeordnete Schubhaft nicht aufrecht erhalten werden. Schließlich dürfe die Schubhaft stets nur ultima ratio sein und sei zu prüfen, ob der Sicherungszweck auch durch gelindere Mittel erreichbar wäre. Die Anwendung solcher Mittel gemäß § 77 FPG sei im Fall des Bf überhaupt nicht geprüft worden. Ebenso wenig sei die Minderjährigkeit des Bf berücksichtigt worden. Die Verhängung der Schubhaft und Anhaltung des Bf in Schubhaft sei vor diesem Hintergrund äußerst rechtswidrig gewesen.

 

2.2. Mit dem Vorlageschreiben der nunmehr zuständigen Landespolizeidirektion Oberösterreich, Polizeikommissariat Wels, vom 6. September 2012, eingelangt am 10. September 2012, wird der bekannte Sachverhalt und Verfahrensgang dargestellt. Zur Schubhaftverhängung nach § 76 Abs 1 FPG wird darauf verwiesen, dass der Bf bis dahin keinen Asylantrag gestellt hatte und eine fremdenpolizeiliche Einvernahme des Bf geplant war, bei der er dann den Asylantrag stellte. Nach dem Einlangen am 29. August 2012 der Aufforderung der EASt West an den Bf, sich seine Aufenthaltsberechtigungskarte abzuholen, sei er aus der Schubhaft entlassen worden.

 

3. Der erkennende Verwaltungssenat hat auf Grundlage der vorgelegten Verwaltungsakten und unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens festgestellt, dass bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der eingebrachten Beschwerde der entscheidungswesentliche Sachverhalt hinreichend geklärt erscheint, weshalb von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden konnte.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 9 Abs 2 Satz 2 FPG ist gegen die Anordnung der Schubhaft weder eine Vorstellung noch eine Berufung zulässig.

 

Gemäß § 82 Abs 1 FPG hat der Fremde das Recht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung den unabhängigen Verwaltungssenat anzurufen,

 

  1. wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist;
  2. wenn er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz oder das Asylgesetz 2005 angehalten wird oder wurde oder
  3. wenn gegen ihn die Schubhaft angeordnet wurde.

 

Gemäß § 83 Abs 1 FPG (idF seit BGBl I Nr. 122/2009) ist zur Entscheidung über eine Beschwerde gemäß § 82 Abs 1 Z 2 oder 3 der unabhängige Verwaltungssenat zuständig, in dessen Sprengel die Behörde ihren Sitz hat, welche die Anhaltung oder die Schubhaft angeordnet hat. In den Fällen des § 82 Abs 1 Z 1 richtet sich die Zuständigkeit nach dem Ort der Festnahme.

 

Nach § 83 Abs 2 FPG gelten die §§ 67c bis 67g sowie 79a AVG mit der Maßgabe, dass

  1. eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, und
  2. die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates über die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche zu ergehen hat, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet.

 

Gemäß § 83 Abs 4 FPG hat der unabhängige Verwaltungssenat, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden.

 

Der Bf wurde im vorliegenden Fall auf Grund des Schubhaftbescheides vom 27. August 2012 in Schubhaft genommen und bis zum 29. August 2012 angehalten. Seine innerhalb der Sechswochenfrist erhobene Beschwerde ist zulässig, weshalb der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit berufen ist.

 

4.2. Gemäß § 76 Abs 1 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft nur verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

 

Nach § 76 Abs 1a FPG dürfen unmündige Minderjährige nicht in Schubhaft angehalten werden.

 

Gemäß § 76 Abs 2 FPG kann die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

 

  1. gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;
  2. gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;
  3. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist oder
  4. auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

 

Gemäß § 76 Abs 2a FPG hat die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber Schubhaft anzuordnen, wenn

 

  1. gegen den Asylwerber eine mit einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 verbundene durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde oder ihm gemäß § 12a Abs 1 AsylG 2005 ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt;
  2. eine Mitteilung gemäß § 29 Abs 3 Z 4 bis 6 AsylG 2005 erfolgt ist und der Asylwerber die Gebietsbeschränkung gemäß § 12 Abs 2 AsylG 2005 verletzt hat;
  3. der Asylwerber die Meldeverpflichtung gemäß § 15a AsylG 2005 mehr als einmal verletzt hat;
  4. der Asylwerber, gegen den nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde, der Mitwirkungsverpflichtung gemäß § 15 Abs 1 Z 4 vorletzter Satz AsylG 2005 nicht nachgekommen ist;
  5. der Asylwerber einen Folgeantrag (§ 2 Abs 1 Z 23 AsylG 2005) gestellt hat und der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 aufgehoben wurde, oder
  6. sich der Asylwerber gemäß § 24 Abs 4 AsylG 2005 ungerechtfertigt aus der Erstaufnahmestelle entfernt hat, soweit eine der Voraussetzungen des Abs 2 Z 1 bis 4 vorliegt,

 

und die Schubhaft für die Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung notwendig ist, es sei denn, dass besondere Umstände in der Person des Asylwerbers der Schubhaft entgegenstehen.

 

Die Schubhaft ist nach dem § 76 Abs 3 FPG grundsätzlich mit Mandatsbescheid gemäß § 57 AVG anzuordnen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zur Erlassung des Bescheides aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

 

4.3. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs verlangt die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit einer Schubhaft nach § 76 Abs 1 FPG eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Außerlandesschaffung und dem privaten Interesse an der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen. Dabei ist der Frage nach dem Sicherungsbedürfnis nachzugehen, was die gerechtfertigte Annahme voraussetzt, der Fremde werde sich dem Verfahren oder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen oder diese Maßnahmen zumindest wesentlich erschweren.

 

In der neueren Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs vermag die fehlende Ausreisewilligkeit eines Fremden für sich allein die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nicht zu rechtfertigen. Deshalb kann auch die Nichtbefolgung eines Ausreisebefehls die Schubhaft noch nicht rechtfertigen. Es ist nämlich in einem zweiten Schritt die Frage des Bestehens eines Sicherungsbedarfes zu prüfen, der insbesondere im Fall mangelnder sozialer Verankerung im Inland in Betracht kommt. Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof auch schon mehrfach betont, dass in Bezug auf die Annahme eines Sicherungsbedarfes aus Überlegungen zu einem strafgerichtlichen Verurteilungen zugrundeliegenden Fehlverhalten alleine nichts zu gewinnen sei (ständige Rspr; vgl ua. VwGH 8.9.2005, Zl. 2005/21/0301; VwGH 22.6.2006, Zl. 2006/21/0081; VwGH 27.3.2007, Zl. 2005/21/0381; VwGH 28.6.2007, Zl. 2005/21/0288 und Zl. 2004/21/0003; VwGH 30.8.2007, Zl. 2006/21/0107; VwGH 28.5.2008, Zl. 2007/21/0246).

 

Überdies ist nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs beim Sicherungserfordernis die konkrete Situation des Beschwerdeführers (Einzelfallprüfung) zu prüfen. Deswegen verbietet sich auch ein Abstellen auf allgemeine Erfahrungen im Umgang mit Asylwerbern oder aus anderen Fällen (vgl VwGH 28.6.2007, Zl. 2006/21/0051; VwGH 28.6.2007, Zl. 2006/21/0091).

 

4.4. Im gegenständlichen Fall konnte die belangte Behörde im Zeitpunkt der Schubhaftverhängung grundsätzlich auf den Schubhafttatbestand des § 76 Abs 1 FPG abstellen, weil der mittel- und wohnsitzlose Bf ohne Reisedokumente aufgegriffen worden und ohne Aufenthaltstitel und auch nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt war. Einen Asylantrag hatte er zum Zeitpunkt der Schubhaftverhängung noch nicht gestellt.

 

Die Beschwerde wendet allerdings schon mit Recht ein, dass die Rechtswidrigkeit der Schubhaft alleine schon daraus folgte, dass der Schubhaftbescheid nur die Sicherung der Abschiebung als Zweck der Schubhaft anführt und ein Rechtstitel für eine allfällige Abschiebung gar nicht vorlag.

 

Gemäß § 46 Abs 1 FPG sind Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung (§§ 61, 66 § 10 AsylG 2005) oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag der Behörde zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

 

1.  die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

2.  sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

3.  aufgrund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

4.  sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

Schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmung steht fest, dass Grundlage und Voraussetzung für die Abschiebung ein die Aufenthaltsbeendigung anordnender Rechtstitel, wie eine Rückkehrentscheidung, Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot, ist. In Ermangelung eines solchen Titels kann eine Abschiebung nicht rechtmäßig durchgeführt werden.

 

Wenn ein Schubhaftbescheid als Sicherungszweck die Abschiebung anführt, obwohl kein durchsetzbarer aufenthaltsbeendender Rechtstitel vorliegt, ist er a priori mit Rechtswidrigkeit behaftet, die sich in der Folge auch auf die Anhaltung erstreckt, deren Grundlage der Bescheid bildet. Existiert kein Titel kann die Verhängung und Aufrechterhaltung der Schubhaft allein zur Sicherung der Abschiebung nicht rechtmäßig sein (vgl VwGH 29.02.2012, Zl. 2009/21/0198).

 

4.5. Gemäß § 76 Abs 6 FPG kann die Anhaltung in Schubhaft aufrecht erhalten werden, wenn ein Fremder während der Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz stellt. Liegen die Voraussetzungen des Abs 2 oder 2a vor, gilt die Schubhaft als nach Abs 2 oder 2a verhängt. Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung der Schubhaft gemäß Abs 2 oder 2a ist mit Aktenvermerk festzuhalten.

 

Der Bf stellte nach Schubhaftverhängung anlässlich der fremdenpolizeilichen Einvernahme am Nachmittag des 27. August 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Aufrechterhaltung der Schubhaft nach § 76 Abs 2 oder Abs 2a FPG erfordert zunächst einen Aktenvermerk über das Vorliegen der Voraussetzungen, den die belangte Behörde nicht anlegte. Außerdem genügte nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs auch dieser Aktenvermerk noch nicht, sondern hätte die Behörde dem Schubhäftling auch Kenntnis vom Austausch des Schubhaftgrundes durch unverzügliche schriftliche Verständigung verschaffen müssen, damit ihm einen Bekämpfung mit Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat effektiv möglich wäre (vgl näher VwGH 18.12.2008, Zl. 2008/21/0582).

 

In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl jüngst VwGH 26.1.2012, Zl. 2008/21/0626) wird festgehalten, dass die fortgesetzte Haft durch einem "simplen Aktenvermerk" nicht rechtmäßig werden könnte:

 

"Ein einmal rechtswidriger Schubhaftbescheid kann nämlich nicht – quasi partiell für einen 'Teilzeitraum' – konvalidieren, zumal dies im Ergebnis einer im Gesetz insoweit nicht vorgesehenen Schubhaftverhängung 'auf Vorrat' gleichkommen würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. September 2009, Zl. 2009/21/0162). § 76 Abs. 6 FPG steht dem nicht entgegen, weil die dort angeordnete Zulässigkeit der Aufrechterhaltung der Schubhaft, wenn während der Anhaltung ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird, einen rechtmäßigen Schubhaftbescheid nach § 76 Abs. 1 FPG vor Augen hat.

[Zu einer] 'Heilung' könnte es nur durch einen neuen Schubhafttitel kommen. Ein solcher wäre im Fortsetzungsausspruch [des Oö. Verwaltungssenates] nach § 83 Abs. 4 FPG zu erblicken".

 

Im Grunde dieser Rechtsprechung konnte die rechtswidrig am 27. August 2012 angeordnete Schubhaft auch nicht durch einen allfälligen bloßen Aktenvermerk rechtmäßig werden, käme dies doch einer Schubhaftverhängung auf Vorrat gleich.

 

4.6. Der erkennende Verwaltungssenat pflichtet im Übrigen auch die Beschwerde bei, dass der angefochtene Schubhaftbescheid keine hinreichende Begründung zur Notwendigkeit der Schubhaft und dem dabei vorausgesetzten konkreten Sicherungsbedürfnis enthält, zumal nach den Umständen abzusehen war, dass der Bf einen Asylantrag stellen und danach Anspruch auf Grundversorgung in Österreich haben wird. Da bekanntlich eine Dublinrückführung nach Griechenland auf Grund der bekannten menschenrechtswidrigen Missstände in diesem Land nicht mehr in Betracht kommt, lag auch kein Dublinfall vor und wurde das Asylverfahren des Bf in Österreich offenbar zugelassen. Selbst in sog. Dublinfällen mit der möglichen Zurückweisung des Asylbegehrens und Ausweisung in einen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es in einem frühen Stadium des Asylverfahrens "besonderer Umstände" bedarf, um die Befürchtung des Untertauchens konkret begründen zu können (vgl VwGH 25.03.2010, Zl. 2008/21/0617). Den Aspekten einer mangelnden familiären Verankerung oder fehlenden sozialen Integration ist bei kurzfristig in Österreich aufhältigen Asylwerbern kein großes Gewicht beizumessen (vgl VwGH 24.06.20110, Zl. 2007/21/0349).

 

Die belangte Behörde hat offenbar in Verkennung dieser Rechtslage auch nicht an die naheliegende Anwendung eines gelindere Mittels gemäß § 77 FPG gedacht und sich in keiner Weise damit auseinandergesetzt.

 

5. Im Ergebnis war aus den dargelegten Gründen der Schubhaftbescheid vom 27. August 2012 und die darauf beruhende Anhaltung des Bf in Schubhaft bis zur Entlassung am 29. August 2012 für rechtswidrig zu erklären. Bei diesem Verfahrensergebnis war die belangte Behörde als unterlegene Partei anzusehen und dem Bf Aufwandersatz antragsgemäß zuzuerkennen.

 

Gemäß § 79a Abs 1 AVG iVm § 83 Abs 2 FPG hat die im Verfahren nach § 67c obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wird die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen oder zurückgezogen, dann ist die belangte Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei (§ 79a Abs 3 AVG).

 

Nach § 79a Abs 4 AVG gelten als Aufwendungen gemäß Abs 1 neben Stempel- und Kommissionsgebühren sowie Barauslagen vor allem die durch Verordnung des Bundeskanzlers festgesetzten Pauschbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand. Nach der geltenden UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 (BGBl II Nr. 456/2008) beträgt der Ersatz für Schriftsatzaufwand des Bf als obsiegende Partei 737,60 Euro.

 

Der Bund hat daher als Rechtsträger, für den die belangte Behörde tätig geworden ist, dem Bf den Schriftsatzaufwand von 737,60 Euro und die Eingabengebühr für die Beschwerde (Stempelgebühr) in Höhe von 14,30 Euro, für die der Bf aufzukommen hat (vgl § 79a Abs 4 Z 1 AVG), insgesamt daher 751,90 Euro zu ersetzen.

 

Analog dem § 59 Abs 4 VwGG 1985 war eine Leistungsfrist von 2 Wochen festzusetzen, zumal das Schweigen des § 79a AVG 1991 nur als planwidrige Lücke aufgefasst werden kann, sollte doch die Neuregelung idF BGBl Nr. 471/1995 im Wesentlichen eine Angleichung der Kostentragungsbestimmungen an das VwGG bringen (vgl Erl zur RV, 130 BlgNR 19. GP, 14 f).

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

 

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Im gegenständlichen Verfahren sind Bundestempelgebühren für die eingebrachte Beschwerde in Höhe von 14,30 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

Dr. W e i ß

 

 

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