Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-281451/5/Kl/TK

Linz, 02.11.2012

E r k e n n t n i s

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch die 5. Kammer (Vorsitzende Mag. Bismaier, Berichterin Dr. Klempt, Beisitzer Mag. Kühberger) über die Berufung des Herrn X, X, vertreten durch X, X, X, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn, Ge96-129-2012, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

 

II. Es entfallen jegliche Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlagen:

zu I: § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwal­tungsverfahrens­gesetz 1991 – AVG iVm §§ 24, 45 Abs.1 Z2 und 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG.

zu II: § 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 22. August 2012, Ge96-129-2012, wurde über den Berufungswerber eine Geldstrafe von 5.000 Euro, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 9 Tagen, wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 90 Abs. 1 und Abs. 5 Bauarbeiterschutzverordnung iVm § 118 Abs. 3 ASchG verhängt, weil er als handelsrechtlicher Geschäftsführer und sohin als das zur Vertretung nach außen berufene Organ der X zu vertreten hat, dass die X, X, X, am 10.07.2012 als Arbeitgeber die Arbeitnehmer X, geb. X, X, geb. X und X, geb. X, auf dem Dach der Waschhalle (Baustelle X) in X, X, mit Arbeiten auf dem Dach (Entfernen der Welleterniteindeckung) auf einer nicht gesicherten, nicht durchbruchsicheren Dachfläche (Wellplatteneindeckung) bzw. auf der darunter liegenden nicht durchbruchsicheren Isolierung beschäftigt bzw. die Arbeitnehmer diese Dachfläche betreten lassen hat und dabei den nach dem 9. Abschnitt des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes weitergeltenden Bestimmungen und zwar der Bauarbeiterschutzverordnung zuwidergehandelt hat, indem sie nicht dafür gesorgt hat, dass trotz der Tatsache, dass dieser Arbeitnehmer auf einem nicht durchbruchsicheren Dach bei einer Absturzhöhe von mehr als 5,00 m (Absturzhöhe ins Gebäudeinnere: 8.00 bis 9.00 m) beschäftigt waren, Sicherungsmaßnahmen nach § 90 Abs. 5 Bauarbeiterschutzverordnung wie z.B. Unterdachkonstruktionen nach § 90 Abs. 2 Z. 1 BauV, Fanggerüste nach § 59 Abs. 2 bis 5 BauV, Auffangnetze nach § 10 Abs. 2 BauV angebracht bzw. verwendet worden sind.

 

2. Dagegen wurde fristgerecht Berufung eingebracht und die Aufhebung des Straferkenntnisses beantragt. Zur Rechtzeitigkeit der Berufung wurde ausgeführt, dass zwar aktenkundig der Rückschein am 27.08.2012 von der Büroangestellten an der Geschäftsadresse, X, X, übernommen wurde. Die Rechtsmittelfrist sei jedoch nicht abgelaufen, da der Berufungswerber urlaubsbedingt erst in der 36. Kalenderwoche Kenntnis erlangt habe, weil er sich zwei Wochen, nämlich vom 18.08. bis 01.09.2012 auf Urlaub befunden habe. Als Nachweis wurde eine Bordkarte beigelegt. In der Sache selbst wurde in der Berufung ausgeführt, dass gegen den Berufungswerber neben Anzeigeerstattung an die Bezirkshauptmannschaft auch eine Anzeigenerstattung an die Staatsanwaltschaft Ried erfolgt sei. Es sei über ihn wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 1. Fall StGB im Diversionswege eine Geldbuße in der Höhe von 1.330 Euro verhängt worden. Diesen Strafbetrag habe er bezahlt, womit dieses Verfahren abgeschlossen sei.

Niemand dürfe wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden sei, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden (Verfassungsbestimmung des Art. 4 Abs. 1 des 7. ZP zur EMRK). Im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, VfSlg 15293 sei die Bestimmung des § 130 Abs. 5 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz im Fall einer drohenden Doppelbestrafung einer verfassungskonformen, das Verbot der Doppelbestrafung berücksichtigenden Interpretation zugänglich. Die Bestrafung nach den §§ 80 bzs. 88 StGB schließe die Bestrafung wegen desselben Verhaltens nach § 130 Abs. 5 ASchG aus. Es sei daher das Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren einzustellen.

 

3. Die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn hat die Berufung samt dem bezughabenden Verwaltungsstrafakt vorgelegt.

Weil eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, ist die nach der Geschäftsverteilung zuständige Kammer, bestehend aus drei Mitgliedern, zur Entscheidung berufen.

 

4. Weil bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass das mit Berufung angefochtene Straferkenntnis aufzuheben ist, entfällt eine öffentliche mündliche Verhandlung gemäß § 51 e Abs. 2 Z 1 VStG.

 

4.1. Der Berufung wurde eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis vom 6. September 2012, 30 BAZ 730/12z-6, vorgelegt, wonach gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen § 88 Abs. 1 und 4 1. Fall StGB geführt werde, allerdings die Möglichkeit eines Rücktrittes von der Verfolgung nach Zahlung eines Geldbetrages gemäß § 200 Abs. 4 StPO möglich sei. Es wurde ein Geldbetrag von 1.330 Euro festgesetzt, der innerhalb von 14 Tagen ab Zustellung der Mitteilung auf ein näher bezeichnetes Konto einzuzahlen sei.

 

4.2. Der Oö. Verwaltungssenat hat Parteiengehör gewahrt und es hat das Arbeitsinspektorat Vöcklabruck mit Stellungnahme vom 16. Oktober 2012 bekannt gegeben, dass einer Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens zugestimmt wird.   

 

5. Hierüber hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

5.1. Zur Rechtzeitigkeit der Berufung:

Laut Zustellschein wurde das angefochtene Straferkenntnis von einer Angestellten des Berufungswerbers am 27.08.2012 übernommen. Der Berufungswerber hat eine Abwesenheit wegen Urlaubs vom 18.08.2012 bis einschließlich 01.09.2012 bekannt gegeben und nachgewiesen. Es war daher von einer nicht nur vorübergehenden Ortsabwesenheit des Berufungswerbers auszugehen.

Gemäß § 16 Abs. 1 und Abs. 5 Zustellgesetz begann daher die Berufungsfrist erst mit 02.09.2012 zu laufen und endete somit am 16.09.2012. Die Berufung vom 13.09.2012 ist daher rechtzeitig.

 

5.2. Gemäß § 130 Abs. 5 Z 1 ASchG begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 145 Euro bis 7.260 Euro zu bestrafen ist, wer als Arbeitgeber/in den nach dem 9. Abschnitt weiter geltenden Bestimmungen zuwiderhandelt.

 

§ 22 VStG bestimmt, dass wenn jemand durch verschiedene selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat oder eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen fällt, die Strafen nebeneinander zu verhängen sind. Dasselbe gilt bei einem Zusammentreffen von Verwaltungsübertretungen mit anderen von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht zu ahndenden strafbaren Handlungen.

Gemäß der Anordnung nach § 30 VStG sind strafbare Handlungen unabhängig voneinander zu verfolgen, und zwar in der Regel auch dann, wenn die strafbaren Handlungen durch ein und dieselbe Tat begangen worden sind, wenn einem Beschuldigten von verschiedenen Behörden zu ahnende Verwaltungsübertretungen oder eine Verwaltungsübertretung und eine andere von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht zu ahndende strafbare Handlung zur Last liegen.

Dazu wird in Walter Thienel, Verwaltungsverfahren, Manz, 2. Auflage, Seite 415 ff, unter Hinweis auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 14696/1996) ausgeführt, dass die Vorschrift des § 22 und 30 VStG deswegen dem Verbot der Doppelbestrafung gemäß § 4 Abs. 1 7. ZPMRK nicht widerspricht, weil § 22 VStG lediglich die Strafbemessung im Sinn des Kumulationsprinzips regelt, wenn jemand mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat, und weil § 30 Abs. 1 VStG für diesen Fall die verwaltungsstrafverfahrensrechtliche Regel aufstellt, dass die strafbaren Handlungen unabhängig voneinander zu verfolgen sind. Ob bei eintätigem Zusammentreffen mehrerer Delikte diese insgesamt zu verfolgen sind, oder die Bestrafung nach einem Straftatbestand bei Bestrafung nach einem anderen ausschließt, ist den gesetzlichen Regelungen der materiellen Strafbestimmungen zu entnehmen, nicht jedoch § 22 und § 30 Abs. 1 VStG. Diese setzen vielmehr die gesetzliche Anordnung miteinander konkurrierender und daher nebeneinander zu ahndender Strafbestände schon voraus und ordnen als Konsequenz die kumulative Verfolgung sowie die kumulative Bestrafung der mehreren Straftaten an. "Die verfassungsrechtliche Grenze, die Art. 4 Abs. 1 7. ZPMRK einer Doppel- oder Mehrfachbestrafung zieht, kann nur darin liegen, dass eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung dann unzulässig ist, wenn sie bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war; dies ist der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodass ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mit umfasst. Strafverfolgungen bzw. Verurteilungen wegen mehrer Delikte, die auf Straftatbeständen fußen, die einander wegen wechselseitiger Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion jedenfalls bei eintätigem Zusammentreffen ausschließen, bilden verfassungswidrige Doppelbestrafungen, wenn und weil dadurch ein- und dieselbe strafbare Handlung strafrechtlich mehrfach geahndet wird."

"In Fällen, in denen wie hier eine Handlung gesetzt wird, die sowohl unter die Strafdrohung des § 130 Abs. 5 Z 1 bzw. Abs. 1 Z 15 oder Z 16 ASchG als auch unter die des § 80 bzw. § 88 StGB fällt, wird zwar in der Regel davon auszugehen sein, dass das Delikt der fahrlässigen Körperverletzung bzw. Tötung gemäß § 80 bzw. 88 StGB den Unrechts- und Schuldgehalt des Delikts des § 130 Abs. 5 Z 1 bzw. Abs. 1 Z 15 oder Z 16 ASchG vollständig erschöpft. Weder aus dem Wortlaut des § 130 ASchG noch aus dem Wortlaut der übrigen Bestimmungen des ASchG ergibt sich aber, dass bei der Ahndung der Delikte gemäß § 130 ASchG die Annahme einer Scheinkonkurrenz vom Gesetzgeber ausgeschlossen wäre; diese ist vielmehr gegebenenfalls aus dem Erfordernis, eine Gesetzesbestimmung einer – soweit möglich – verfassungskonformen Auslegung zuzuführen, geboten. Weder der bloße Wegfall der Subsidäritätsklausel noch die von den UVS ins Treffen geführte offenbar bewusste Bedachtnahme auf mit der Verwaltungsübertretung zugleich auftretende Arbeitsunfälle oder Gesundheitsschäden in den Materialien zum ASchG lassen eindeutig darauf schließen, dass der Gesetzgeber eine Doppelbestrafung normieren wollte (VfGH 07.10.1998, G51/97, G26/98)."

 

5.3. Im Grunde der vorgelegten Mitteilung der Staatsanwaltschaft Ried vom 06.09.2012, 30 BAZ 730/12z-6, über eine Diversion wegen des Vorwurfes der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 1. Fall StGB betreffend ein Tatverhalten, das auch dem Tatvorwurf des gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahrens zugrunde liegt, war nach der zitierten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes davon auszugehen, dass das Delikt der fahrlässigen Körperverletzung den Unrechts- und Schuldgehalt des Deliktes des § 130 Abs. 5 Z 1 ASchG vollständig erschöpft. Es darf daher wegen der gegenständlich vorgeworfenen strafbaren Handlung, die bereits Gegenstand einer gerichtlichen Strafverfolgung war, gemäß Art. 4 Abs. 1 des ZPMRK keine weitere Strafverfolgung und Bestrafung mehr erfolgen.

 

Es war daher von der Fortführung des Strafverfahrens abzusehen, das Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG einzustellen.

 

6. Weil die Berufung Erfolg hatte und das Strafverfahren einzustellen war, entfallen jegliche Verfahrenskostenbeiträge gemäß § 66 Abs.1 VStG.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

Mag. Bismaier

 

 

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