Linz, 24.10.2012
E r k e n n t n i s
I. Die Berufung wird statt gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.
II. Es entfallen sätmliche Verfahrenskostenbeiträge.
Rechtsgrundlagen:
Zu I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 111/2010 – AVG iVm § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 50/2012 – VStG.
Zu II.: § 66 Abs.1 u. 2 VStG.
Entscheidungsgründe:
1.1. Die Behörde erster Instanz führte begründend folgendes aus:
1.1. Diese Ausführungen vermögen den Schuldspruch letztlich nicht stützen.
2. Der Berufungswerber wendet sich dagegen mit seiner fristgerecht durch den ausgewiesenen Rechtsvertreter erhobenen Berufung:
3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Verlesung des Inhaltes des vorgelegten Verfahrensaktes, sowie das im Vorfeld im Rahmen eines Ortsaugenscheines und der Beischaffung eines maßstabsgetreuen Luftbildes ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme. Die sich daraus rechnerisch ergebenden Gefahrensichtweiten und Weg-Zeit-Abläufe wurden ebenfalls zur Erörterung gebracht.
Anlässlich der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung wurden die Polizeibeamten bzw. Besatzungen der Einsatzfahrzeuge, Inspin. X, GrInsp. X und RevInsp. X als Zeugen und der Berufungswerber als Beschuldigter einvernommen.
Am 23.10.2012 wurde vom Unabhängige Verwaltungssenat ein Ortsaugenschein vorgenommen, wobei mit Laserentfernungsmessgerät die Gefahrensichtweiten nachvollzogen und von der Örtlichkeit auch drei Fotos ausgenommen wurden.
4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:
Die Fahrbahn der X weist gemäß dem maßstabsgetreuen Luftbild an der Ausfahrt des nördlichen Tunelportals etwa ab 15 m vor der einem Schutzweg unmittelbar vorgelagerten Haltelinie vier durch Sperrlinien getrennte Fahrspuren auf. Während die zwei mittleren Spuren mit Richtungspfeilen "geradeaus" versehen sind, ist die rechte und linke Spur als ebenfalls mit entsprechenden Richtungspfeil ausgetattete Abbiegespur (nach rechts bzw. links) versehen. Die Haltelinie liegt relativ exakt auf vertikalter Ebene zur "Dachkante" des Portals angebracht.
Die Gefahrensichtweite nach links in Richtung X beträgt von der rechten Geradeausspur etwa 25 m. Der spätere Kolissionspunkt ist etwa 18 m nach dem Tunnelportal in Verlängerung der rechten Geradeausspur anzunehmen.
Bei einer Fahrgeschwindigkeit von 50 m werden in der Sekunde ca. 14 m zurückgelegt. Der Anhalteweg liegt bei dieser Geschwindigkeit selbst unter optimalsten Fahrbahnbedingungen (bei einer Reaktionszeit von einer Sekunde, 0,2 sek. Bremsschwellzeit und einer höchstmöglichen Verzögerung von 7,5 m/sek2) bei 28 m. Dieser Wert an Bremsverzögerung hätten jedoch bei der herrschenden Fahrbahnässe und der Fahrbahntemperatur mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gar nicht erreicht werden können.
Der Berufungswerber verantwortet sich auch im Berufungsverfahren wie schon bisher und erklärt das Polizeifahrzeug erst unmittelbar vor der seitlichen Kolission, welche im Bereich der linken Hintertür seines Fahrzeuges erfolgte, wahrgenommen zu haben. Er habe keine Bremsung mehr eingeleitet, sondern eher noch Gas gegeben um allenfalls noch aus der Fahrlinie des von links kommenden Einsatzfahrzeuges zu gelangen.
Die Zeugen X und X, waren ebenfalls mit Blaulicht in einem anderen Fahrzeug zur Unterstütung zur Polizeiinspektion L. unterwegs. Sie hielten wegen Rotlichtes an der Kreuzung (X/X) vor der Haltelinie an und tasteten sich dann von Fahrspur zu Fahrspur nach vorne, ehe das auf der rechten Geradeausspur das Fahrzeug des Berufungswerbers aus dem Tunel kommend wahrgenommen wurde. Sie hielten daher an. Unmittelbar danach kam es dann links vor ihnen zur Kolision mit dem zweiten Polizeifahrzeug, welches sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht wahrgenommen hatten.
Der als Beifahrer im Unfallfahrzeug mitfahrende Zeuge X blickte zum Unfallszeitpunkt bereits zum nahe gelegenen Fahrziel (Polizeiinspektion), glaubte jedoch der Lenker hätte kurz vor der Kolission das Fahrzeug ebenfalls angehalten gehabt. Dem steht jedoch entgegen, dass wohl das zweite Polizeifahrzeug am anhaltenden Blaulichtfahrzeug vorbeibeweg worden sein musse, wobei offenbar das Fahrzeug des Berufungswerbers schlichtweg übersehen worden sein dürfte. Anders lässt sich weder der Unfall noch das Verhalten des Lenkers des anderen Polizeifahrzeuges erklären.
Es ist wohl durchaus möglich, dass Fahrzeuge auf der linken Geradeausspur, wegen der bei Rotlicht in die Kreuzung einfahrenden Einsatzfahrzeuge, trotz Grünlicht anhielten, was andererseits die Wahrscheinlichkeit stärkt, dass einerseits die beidseitige Sicht auf die später am Unfall beteiligten Fahrzeuge zusätzlich eingeschränkt wurde. Faktum ist auch, dass frühestens am Ende des Tunelportals für den Berufungswerber die Einsatzfahrzeuge erkennbar wurden. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich dem Kolissionspunkt bereits auf 18 Meter angenähert gehabt. Offenbar zu diesem Zeitpunkt wurde er vom Lenker des zweiten Einsatzfahrzeuges auch tatsächlich wahrgenommen, der die Situation, im Gegensatz zum Lenker des andereren Einsatzfahrzeuges richtig einschätzte und anhielt.
Dies wurde von der Beifahrerin X als auch vom Lenker X bestätig. Daraus ergibt sich aber andererseits zwingend die Frage, ob der Lenker des offenbar links an ihnen vorbeifahrenden Einsatzfahrzeuges das von rechts kommende Fahrzeug des Berufungswerbers einfach übersehen, oder dessen präsumtiven Anhalteweg einfach falsch eingeschätzt hat.
Ausgehend von einer glaubhaften Fahrgeschwindigkeit des Berufungswerbers mit 50 km/h, hat dieser sich drei Sekunden vor der Kolision noch knappe 30 m im Tunel und von der späteren Unfallstelle 45 m entfernt befunden. Dort konnte er glaubhaft weder ein Folgetonhorn noch ein Blaulicht von links wahrgenommen haben, weil selbst an der Ausfahrt des Tunelportals die Gefahrensichtweite nach links von der zweiten Geradeausspur nur knappe 25 m beträgt. Dies belegt schließlich auch das von der Zeugin X beschriebene Vortasten um den Verkehr von rechts einsehen zu können. Daher war wohl auch für den Berufungswerber gleichsam erst im letzten Moment das von links kommende Einsatzfahrezug wahrnehmbar, wobei kein Zweifel daran besteht, dass dem Lenker keine kollisionsvermeidende Handlung mehr möglich war.
Demnach lag des Gesetz des Handels beim Lenker des Blaulichtfahrzeuges, was er jedoch in der entscheidenden Phase nicht genützt hat. Er sagte etwa vor der Behörde erster Instanz selbst, er hätte in dieser Phase bereits die nahe gelegene Polizeiinspektion im Auge gehabt, wo Unterstützung angefordert worden war.
Bei einer Gefahrenerkennungsmöglichkeit erst innerhalb des Anhalteweges – der mit zumindest 28 m anzunehmen ist - konnte daher der Berufungswerber dem Einsatzfahrzeug in keiner wie immer gearteten Form mehr den Vorrang einräumen oder Platz machen.
4.1. Aus diesem Grund wurde wider ihn wohl auch, ebenfalls mit Straferkenntnis vom 10.9.2012, Zl. S-16229/12-VP, wegen einer inhaltsgleichen Übertretung der StVO eine Strafe verhängt. Diese scheint in Rechtskraft erwachsen zu sein.
Dieser Schuldvorwurf kann demnach in Würdigung der obigen Faktenlage gegen den Berufungswerber nicht aufrecht erhalten werden.
Vor diesem Hintergrund geht der Tatvorwurf ins Leere bzw. kann ein schuldhaftes Verhalten jedenfalls nicht in einer für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit als erwiesen gelten.
Nach § 45 Abs.1 Z1 VStG ist ein Strafverfahren einzustellen wenn ein schuldhaftes Verhalten nicht erwiesen werden kann.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
Dr. B l e i e r
VwSen-167241/10/Br/Ai vom 24. Oktober 2012
Erkenntnis
Rechtssatz
StVO 1960 §26 Abs3;
StVO 1960 §38 Abs5
Wenn ein sich mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit fortbewegender Lenker ab Gefahrenerkennung nicht rechtzeitig anhalten kann, um einem bei Rotlicht in eine Kreuzung einbiegendem Einsatzfahrzeug den Vorrang einzuräumen, dann kann der Tatvorwurf nach § 26 Abs 3 iVm § 38 Abs 5 StVO 1960 nicht aufrecht erhalten werden.