Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231312/2/Gf/Rt

Linz, 23.11.2012

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mit­glied Dr. Gróf über die Berufung des J, vertreten durch RA Dr. G, gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 24. Oktober 2012, Zl. Sich96-471-1-2011, wegen einer Übertretung des Waffengesetzes zu Recht:

I. Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

 

II. Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens der belangten Behörde noch einen Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat zu leisten.

Rechtsgrundlage:

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG; § 66 Abs. 1 VStG.

Entscheidungsgründe:

 

 

1.1. Mit Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 24. Oktober 2012, Zl. Sich96-471-1-2011, wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in Höhe von 365 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 144 Stunden) verhängt, weil er am 23. Februar 2011 einem Minderjährigen eine Gaspistole samt Platzpatrone überlassen habe; dadurch habe er eine Übertretung des § 11 Abs. 1 des Waffengesetzes, BGBl.Nr. I 12/1997, in der hier maßgeblichen Fassung BGBl.Nr. I 43/2010 (im Folgenden: WaffG), begangen, weshalb er gemäß § 51 Abs. 1 Z. 4 WaffG zu bestrafen gewesen sei.

 

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass es nach den Feststellungen des Urteils des LG Wels vom 3. November 2011, 25 Hv 83/11, sowie auf Grund von Zeugenaussagen als zweifelsfrei erwiesen anzusehen sei, dass der Rechtsmittelwerber – trotz aufrechten Waffenverbotes – einer zum Vorfallszeitpunkt noch minderjährigen Person eine Gaspistole samt Platzpatrone zur Durchführung eines Raubüberfalles überlassen habe.

 

Im Zuge der Strafbemessung seien Milderungsgründe nicht hervorgekommen, während die Verführung eines anderen zu einer Straftat sowie die daraus resultierenden gravierenden Folgen jeweils als erschwerend zu werten gewesen seien; seine Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse seien entsprechend berücksichtigt worden.

 

1.2. Gegen dieses ihm am 29. Oktober 2012 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 12. November 2012 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung.

 

Darin bringt der Rechtsmittelwerber vor, dass sich die belangte Behörde ausschließlich auf die Aussage eines solchen Zeugen stütze, der diese schon deshalb nicht mehr ändern werde, weil er sich sonst der Falschaussage schuldig machen würde. Tatsächlich seien dem Beschwerdeführer aber schon vor dem Vorfallszeitpunkt sämtliche Waffen abgenommen worden, sodass er damals die verfahrensgegenständliche Pistole gar nicht mehr besessen haben könne. Im Zweifel hätte die Erstbehörde daher vielmehr von seiner Unschuld ausgehen müssen.

 

Deshalb wird die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens beantragt.

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck zu Zl. Sich96-147-2011; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und die Verfahrensparteien einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben, konnte im Übrigen von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

2.2. Nach § 51c VStG hatte der Oö. Verwaltungssenat im gegenständlichen Fall – weil hier eine den Betrag von 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe nicht verhängt wurde – nicht durch eine Kammer, sondern durch sein nach der Geschäftsverteilung zuständiges Einzelmitglied zu entscheiden.

 

 

3. Über die vorliegende Berufung hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

 

3.1. Gemäß § 51 Abs. 1 Z. 4  i.V.m. § 11 Abs. 1 WaffG begeht u.a. derjenige eine Verwaltungsübertretung und ist hierfür mit einer Geldstrafe bis zu 3.600 Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen, der Waffen und Knallpatronen Menschen unter 18 Jahren überlässt.

 

3.2. Im gegenständlichen Fall geht aus dem Akt der belangten Behörde hervor, dass über den Beschwerdeführer mit Urteil des LG Wels vom 3. November 2011, 25 Hv 83/11i, wegen des Verbrechens des schweren Raubes sowie auch deshalb, weil er dem unmittelbaren Täter hierfür am Tattag (23. November 2011) eine Gaspistole zur Verfügung gestellt und dadurch (auch) ein Vergehen gegen ein aufrechtes Waffenverbot (§ 50 Abs. 1 Z. 3 i.V.m. § 12 WaffG) begangen hat, eine Freiheitsstrafe von 36 Monaten (davon 24 Monate bedingt auf 3 Jahre) verhängt wurde.

 

Vor diesem Hintergrund war aber schon die Durchführung eines Verwaltungsstrafverfahrens und erst recht die Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Überlassung dieser Waffe an den damals noch minderjährigen Täter nach § 51 Abs. 1 Z. 4 i.V.m. § 11 Abs. 1 WaffG rechtlich unzulässig (vgl. z.B. statt vieler VwSen-231262 vom 27. Juni 2011, m.w.N.):

 

3.2.1. Im sog. "Zolotukhin"-Urteil (vom 10. Februar 2009, 14939/03) hat nämlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) seine bisher bereits mehrfach modifizierte Judikatur zu dem in Art. 4 Abs. 1 des 7.ZPMRK normierten Doppelbestrafungs- bzw. ‑verfolgungsverbot authentisch "harmonisiert" bzw. wie er dies selbst ausdrückt: "The Court is now called upon to provide a harmonised interpretation of the notion of the 'same offence' – the idem element of the non bis in idem principle – for the purposes of Article 4 of Protocol No. 7". Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass dieses Verbot in mehreren Internationalen Dokumenten jeweils im Wege unterschiedlicher Begriffe ausgedrückt wird und dass gerade darauf gestützt sowohl der Europäische Gerichtshof der EU (EuGH) als auch der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte davon ausgegangen sind, dass diese Differenzierungen ein entscheidendes Argument für die Bevorzugung eines solchen Ansatzes bilden, der strikt auf die Identität des materiellen Geschehens abstellt und dem gegenüber die (formelle) rechtliche Qualifikation als irrelevant ansieht – was im Ergebnis einen Täter insoweit begünstigt, als dieser nach einer Verurteilung bzw. einem Freispruch nicht mehr befürchten muss, wegen derselben Tat noch einmal verfolgt zu werden –, geht nunmehr auch der EGMR im Interesse einer weitest möglichen Grundrechtseffektivität davon aus, dass Art. 4 Abs. 1 des 7.ZPMRK so verstanden werden muss, dass eine Verfolgung oder ein Strafverfahren wegen einer zweiten "strafbaren Handlung" insoweit ausgeschlossen ist, als sich diese auf "denselben Sachverhalt" ("identical facts") oder auf einen "substantiell gleichen Sachverhalt" ("facts which are substantially the same") gründet.

 

Die bisherige Rechtsprechung des EGMR, die ursprünglich auf "dasselbe Verhalten" bzw. – mehr subjektiv orientiert – auf einen "einheitlichen Beweggrund" ("same conduct"), dann auf  einen Einzelakt, der mehrere ideal konkurrierende Tatbestände erfüllt und schließlich auf einen Einzelakt, der mehrere sich allenfalls essentiell überschneidende Tatbestände verwirklicht ("essential elements"), abstellte, gilt also nunmehr als dahin modifiziert bzw. konkretisiert, dass es für das Hindernis des Doppelverfolgungs- bzw. –bestrafungsverbotes ausschließlich auf einen "(völlig oder zumindest substantiell) identischen Sachverhalt" ("identical or substantially the same facts") ankommt.

 

Davon ausgehend hat der EGMR im Fall "Zolotukhin" nicht etwa deshalb eine Verletzung des Art. 4 Abs. 1 des 7.ZPMRK festgestellt, weil der Beschwerdeführer gesondert wegen nahezu identischer Delikte ("minder schwere Ordnungsstörung" – "gravierende Ordnungsstörung") verurteilt wurde, sondern ausschließlich deshalb, weil im nachfolgenden Verfahren jene zentralen Sachverhaltsaspekte, die bereits die Grundlage für die Erstverurteilung bildeten (konkret: Beschimpfung von zwei Beamten kurz nach der Ankunft auf einer Polizeistation), auch der neuerlichen Verurteilung zu Grunde gelegt wurden: Denn beide Sachverhalte
unterschieden sich nur in Bezug auf ein zusätzliches Element (konkret: Gewaltausübung), das nicht auch schon Gegenstand des ersten Verfahrens war, sodass der nachfolgende Prozess jedenfalls sämtliche faktischen Aspekte des ersten (mit‑)umfasste, weshalb aus dem Blickwinkel des Art. 4 des 7.ZPMRK beide strafbaren Handlungen ("offences") als substantiell gleich ("substantially the same") zu qualifizieren waren.    

 

3.2.2. Mit Erkenntnis vom 16. Dezember 2010, B 343/10, hatte der Verfassungsgerichtshof zwar eine Beschwerde, mit der der Rechtsmittelwerber deshalb eine Verletzung des Verbotes des Art. 4 Abs. 1 des 7.ZPMRK behauptete, weil er in ein und derselben Sache (gerichtlich) wegen des Vergehens der organisierten Schwarzarbeit (§ 153e StGB) und (verwaltungsbehördlich) wegen einer Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) bestraft wurde, noch abgewiesen.

 

3.2.3. Entscheidend ist aber aus heutiger Sicht die Frage, wie ein Sachverhalt wie jener, der dieser VfGH-Entscheidung zu Grunde lag, zu beurteilen ist, wenn man an diesen ungeachtet verfahrensrechtlicher Besonderheiten jene Kriterien anlegt, die der EGMR für die Auslegung des in Art. 4 Abs. 1 des 7. ZPMRK
normierten Doppelbestrafungsverbotes bereits in mehreren Folgeentscheidungen (vgl. EGMR vom 16. Juni 2009, 13079, vom 25. Juni 2009, 55759/07, und vom 14. Jänner 2010, 2376/03) als nunmehr pro futuro maßgeblich festgestellt hat. Denn danach kommt es jetzt auf die rechtliche Qualifikation, auf den Schutzzweck der Normen o.Ä. nicht mehr an, sondern nur mehr darauf, ob den beiden Verfahren ein "identischer" oder zumindest "substantiell identischer" Sachverhalt zu Grunde liegt (sodass – und insofern müsste die
unter 3.2.2. zitierte Passage des VfGH-Erkenntnisses nunmehr in ihr Gegenteil verkehrt werden – die Verfolgung wegen ein und desselben tatsächlichen Verhaltens nach zwei verschiedenen Straftatbeständen grundsätzlich auch dann nicht zulässig ist, wenn diese sich in ihren wesentlichen Elementen unterscheiden).

 

3.2.4. Die in § 51 WaffG normierte Subsidiaritätsklausel ("sofern das Verhalten nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet") erhält somit nunmehr im Lichte des "Zolotukhin"-Urteils, dem zufolge es nicht mehr auf den gesetzlichen Strafzweck, sondern auf den Sachverhalt ankommt, aus rechtssystematischer Sicht eine neue Bedeutung, nämlich dahin, dass eine Verfolgung und Bestrafung nach dieser Bestimmung schon von vornherein ausscheidet, wenn ein und dasselbe Verhalten eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung darstellt und deretwegen auch bereits de facto eine Verfolgung stattgefunden hat.

 

Da das dem Rechtsmittelwerber hier angelastete faktische Verhalten auch unter § 50 WaffG subsumierbar ist und ein entsprechendes Verfahren bereits durchgeführt und sogar rechtskräftig abgeschlossen wurde (vgl. oben, 3.2.), ist sohin gemäß Art. 4 des 7.ZPMRK ein zusätzliches verwaltungsbehördliches Strafverfahren aus den zuvor genannten Gründen gehindert.

 

Im Ergebnis erweist sich daher die Bestrafung des Beschwerdeführers nach § 51 WaffG im gegenständlichen Fall schon aufgrund dieses Prozesshindernisses als a priori unzulässig.

 

3.4. Der gegenständlichen Berufung war daher schon aus diesem Grund gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs. 1 Z. 3 VStG einzustellen.

 

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Kostenbeitrag zum Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat vorzuschreiben.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.


Hinweis:

 

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

 

 

 

Dr.  G r ó f

 

 

 

 

 

 

 

 

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