Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401046/17/Gf/Rt

Linz, 26.11.2012

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mit­glied Dr. Gróf aus Anlass der Beschwerde des S, vertreten durch Mag. E, Deserteurs- und Flüchtlingsberatung, wegen Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Ried vom 8. Jänner bis zum 5. Februar 2010 zu Recht:

 

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

II. Der Beschwerdeführer hat dem Bund Kosten in einer Höhe von insgesamt 426,20 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlage:

§ 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Ried vom 8. Jänner 2010, Zl. Sich41-115-2009, wurde über den Rechtsmittelwerber, einen Staatsangehörigen von Nigeria, gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, in der damals geltenden Fassung BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: FPG), zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Überstellung in das Polizeianhaltezentrum (PAZ) Wels sofort vollzogen.

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Juni 2003 ohne gültige Dokumente ins Bundesgebiet eingereist sei und einen Asylantrag gestellt habe. Dieser sei in der Folge mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. April 2005, Zl. 03-19633-BAW, abgewiesen worden, wobei gleichzeitig die Zulässigkeit der Abschiebung in seinen Heimatstaat festgestellt sowie seine Ausweisung verfügt worden sei. Mit dem am 22. Juni 2009 in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Asylgerichtshofes sei seine Aufenthaltsberechtigung erloschen und sein Aufenthalt sohin nicht mehr rechtmäßig.

Zwischen dem 17. April 2004 und dem 29. Jänner 2009 sei er in vier Fällen wegen eines Vergehens gegen das Suchtmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe in einer Höhe von insgesamt 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt worden, wobei der Vollzug der letzten (einjährigen) Freiheitsstrafe am 8. Jänner 2010 endete.

Der Beschwerdeführer sei zwar bis zu seiner letzten Inhaftierung unter einer näher bezeichneten Adresse in X polizeilich gemeldet  und wohnhaft gewesen; allerdings sei er nie einer geregelten Beschäftigung nachgegangen und bestünden auch sonst keine familiären oder sozialen Beziehungen zu Österreich. Zwar verfüge er über Barmittel in Höhe von 404,72 Euro, jedoch weder über einen Reisepass noch einen sonstigen Identitätsnachweis.

Am 29. Dezember 2009 habe der Rechtsmittelwerber, nachdem ihm eine Woche zuvor bekannt gegeben worden sei, dass die Fremdenpolizeibehörde intendiert, ihn nach dem Ende der Strafhaft in Schubhaft zu nehmen und ihn in seinen Heimatstaat abzuschieben, neuerlich einen Asylantrag gestellt. Daraufhin sei ihm am 4. Jänner 2010 mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, seinen Asylantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Da bei einer Gesamtbetrachtung die ernsthafte Gefahr bestehe, dass sich der Beschwerdeführer im Falle einer Freilassung dem behördlichen Zugriff entziehen und damit die Abschiebung vereiteln oder wesentlich erschweren würde, sei sohin die Schubhaft zu verhängen gewesen. Denn seinem Anspruch auf Aufnahme in die Grundversorgung und damit auf Rückkehr an seine frühere Wohnadresse stehe gegenüber, dass er sich standhaft weigere, freiwillig in seinen Heimatstaat zurückzukehren, dass er in kurzer Zeit mit seiner faktischen Abschiebung rechnen müsse und er zudem über keinerlei berufliche, soziale und familiäre Verankerung verfüge.

Ein gelinderes Mittel sei deshalb nicht anzuordnen gewesen, da keine Gewähr dafür bestünde, dass er im Falle einer Rückkehr an seine frühere Wohnstelle in X auch tatsächlich jederzeit greifbar sei; vielmehr liege ein Abtauchen in sein früheres Suchtgiftmilieu nahe. Unter dem Aspekt, dass im Hinblick auf seine frühere Delinquenz ein erhebliches Interesse an seiner Außerlandesschaffung bestehe, erweise sich die Schubhaft insgesamt sohin auch als eine verhältnismäßige Maßnahme zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.

1.2. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft richtete sich die am 4. Februar 2010 per Telefax beim Oö. Verwaltungssenat eingegangene Beschwerde.

Darin wurde vorgebracht, dass er – von Unterbrechungen durch Haft abgesehen – stets polizeilich gemeldet und unter dieser Adresse auch tatsächlich aufhältig gewesen sei sowie im Falle einer Haftentlassung auch wieder dorthin zurückkehren könne. Außerdem habe er sich bislang nie einer fremdenpolizeilichen Maßnahme entzogen; die diesbezüglichen gegenteiligen Vermutungen der belangten Behörde würden daher insbesondere auch unter dem Aspekt, dass er weiterhin einen Anspruch auf Grundversorgung habe, jeder Grundlage entbehren. Vielmehr wäre unter den gegebenen Umständen das gelindere Mittel der periodischen Meldung bei einer Sicherheitsdienststelle adäquat gewesen.

Daher wurde die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Schubhaftverhängung beantragt.

1.3. Mit Schriftsatz vom 4. Februar 2010, Zl. Sich41-115-2009, hat die
belangte Behörde den Bezug habenden Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.

Darin wurde ergänzend darauf hingewiesen, dass sich gegen Ende der Strafhaft – wie insbesondere die Stellung eines evident unzulässigen und mit Urteil des Asylgerichtshofes vom 4. Februar 2010 auch zurückgewiesenen Folgeasylantrages zeige – die Fluchtgefahr derart verdichtet habe, dass die damit verbundene Gefahr des Untertauchens die Schubhaft anstelle der Anwendung gelinderer Mittel rechtfertigen würde.

Daher wurde die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

2.1. Mit Erkenntnis des Oö. Verwaltungssenates vom 5. Februar 2010, Zl. VwSen-401046/5/Gf/Mu, wurde die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft als rechtswidrig festgestellt.

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass im gegenständlichen Fall allein die Frage strittig sei, ob die Inschubhaftnahme dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entspreche. In diesem Zusammenhang sei zunächst vorweg darauf hinzuweisen, dass die von der belangten Behörde unter Berücksichtigung aller Begleitumstände der Sache nach gezogene Schlussfolgerung, dass es sich beim Rechtsmittelwerber nicht um einen politisch Verfolgten, sondern in erster Linie um einen sog. "Wirtschaftsflüchtling" handelt (der sich seinen Unterhalt u.a. auch durch gelegentliche Suchtgiftkriminalität finanziert), zumindest nicht völlig abwegig ist.

Da jedoch eine gesetzliche Regelung, die konkret jene Konstellation regelt, wie die Behörden mit bloßen Wirtschaftsflüchtlingen umzugehen haben, (zumindest bislang nach wie vor) fehle, müsse insoweit zur Lösung der damit verbundenen Rechtsprobleme auf die allgemeinen fremdenrechtlichen Grundsätze zurückgegriffen werden. Weil nun diesbezüglich nicht unterschieden werde, könne daher über Fremde, die formell – nämlich durch Stellung eines Asylantrages – (noch) als Asylwerber anzusehen sind, grundsätzlich auch dann die Schubhaft verhängt werden, wenn diese materiell betrachtet in erster Linie als Wirtschaftsflüchtlinge zu gelten haben.

Andererseits unterliege aber eine derartige Anhaltung – wiederum mangels bestehender Sondervorschriften – denselben Regelungen, wie sie generell für fremden­polizeiliche aufenthaltsbeendende Maßnahmen gelten. Dies bedeute zum einen, dass zunächst sämtliche formelle Voraussetzungen für die konkret in Aussicht genommene fremdenpolizeiliche Maßnahme (hier: der Schubhaftgrund des Vorliegens einer durchsetzbaren Ausweisung sowie des hinsichtlich des Folgeantrages bereits eingeleiteten Ausweisungsverfahrens) vorliegen müssen (vgl. zur "finalen Determinierung" der Schubhaft z.B. VwGH vom 20. Dezember 2007, Zl. 2006/21/0359, und vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0067). Darüber hinaus dürfe sich die Anhaltung – was in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen sei – nicht als eine unverhältnismäßige Maßnahme erweisen und nur im Sinne einer ultima-ratio-Maßnahme zum Einsatz gebracht werden (vgl. VfGH v. 15. Juni 2007, B 1330/06), d.h., dass die alternative Heranziehung gelinderer Mittel nur dann nicht zum Tragen komme, wenn das Sicherungsbedürfnis anders nicht erreichbar ist (vgl. VwGH vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0370). Diesbezüglich habe der Verwaltungs­gerichtshof z.B. in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 2007, Zl. 2004/21/0003, einer Schubhaftbeschwerde unter Hinweis auf seine mit der dg. Entscheidung vom 22. Juni 2006, Zl. 2006/21/0081, geänderte Recht­sprechung, wonach allein das Vorliegen einer vollstreckbaren aufenthaltsbeenden­den Maßnahme sowie von strafgerichtlichen Verur­teilungen (weil die Inschubhaftnahme nicht der Aufdeckung, Verhinderung oder Sanktionierung von Straftaten dienen darf; vgl. VfSlg 13715/1994 und VwGH v. 22. November 2007, 2006/21/0189) und einer fehlenden Ausreise­willigkeit (insbesondere, solange noch nicht feststeht, ob die Abschiebung zulässig und die Ausreise zu überwachen ist sowie ein konkreter Sicherungsbedarf besteht) für die Tragfähigkeit der Prognose, dass sich der Asylwerber dem weiteren fremden­polizeilichen Verfahren entziehen werde, nicht mehr hinreichen, stattge­geben.

Insgesamt besehen bewirke so das Fehlen gesonderter, auf Wirtschafts­flüchtlinge bezogener gesetzlicher Bestimmungen, dass diese faktisch i.d.R. nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand wieder außer Landes geschafft werden können, weil die Behörden dazu verpflichtet und gleichzeitig darauf angewiesen sind, Rechtsvorschriften anwenden zu müssen, die nicht sachadäquat sind. Denn das auf der Genfer Flüchtlingskonvention fußende Asylrecht habe nur die Regelung der Rechtsstellung von aus politischen, rassischen, religiösen o.ä. Gründen verfolgten Personen zum Gegenstand, nicht aber von solchen, die ihren Heimatstaat in der Absicht verlassen, in einem anderen Staat bessere ökonomische Bedingungen vorzufinden und zu diesem Zweck auch eine Umgehung von formellen Einreisebestimmungen, einen Missbrauch des Asylrechts u.a. vornehmen.

Mangels (bislang) anders lautender Rechtsvorschriften sei jedoch allein der Umstand, dass sich ein Fremder in diesem Sinne rechtsmissbräuchlich verhält, diesem nur dann und selbst in jenem Fall nur insoweit rechtlich „anlastbar“, als dies entsprechend gesetzlich vorgesehen ist. So könne z.B. wegen illegaler Einreise ins Bundesgebiet eine Verwaltungsstrafe verhängt, ein Ausweisungsverfahren eingeleitet, ein Asylantrag mangels Zuständigkeit eines anderen Staates zurückgewiesen, etc. werden – es vermögen also Einzelmaßnahmen gesetzt werden, die jedoch seitens der Fremdenbehörde stets nur situationsangepasst zum Einsatz gebracht werden können und damit auch keine Gewähr dafür bieten, dass sie (isoliert oder in ihrem Zusammenwirken) das beabsichtigte Ziel auch tatsächlich erreichen; insbesondere darf davon ausgehend die Schubhaftverhängung nicht als eine "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber (vgl. VwGH vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0239) oder als eine präventive Vorbereitungshandlung zur erfolgreichen Durchführung der Abschiebung (vgl. VwGH vom 26. September 2007, Zl. 2004/21/0150) eingesetzt werden.

Diese dargestellte – zudem unter der Kautel des Art. 18 Abs. 1 B-VG, wonach die Handlungen der Behörde bei sonst drohendem Grundrechtseingriff stets einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, stehende – Rechtslage bedinge zunächst, dass, wie sich aus den zuvor angesprochenen Entscheidungen der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ergebe, eine generalisierende Betrachtungsweise von vornherein unzulässig sei. So dürfe z.B. aus dem Nichtvorhandensein von Bargeld nicht ausschließlich „unter Zugrundelegung allgemeiner Erfahrungssätze“ (vgl. nochmals VwGH vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0067) a priori darauf geschlossen werden, dass sich der Fremde, würde er in Freiheit belassen, die erforderlichen finanziellen Mittel durch illegale Arbeit beschaffen wird; und aus dem Nichtvorhandensein eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes nicht darauf, dass er sich (allein deshalb) dem behördlichen Zugriff entziehen wird; und aus einer Einreise ohne die hiefür erforderlichen Dokumente darauf, dass er eine gegenüber der Rechtsordnung des Aufnahmestaates generell ablehnende oder zumindest gleichgültige Haltung einnimmt; etc.

Vielmehr müsse die Fremdenpolizeibehörde, wenn sie – wie gegenständlich – als eine von mehreren Maßnahmen zur Außerlandesschaffung eines Fremden die Schubhaft anordnet, in jedem Einzelfall das Vorliegen der Voraussetzungen für diese gewählte aufenthaltsbeendende Maßnahme, sodann den aktuellen Sicherungsbedarf und schließlich noch konkret begründen, weshalb keine gelindere, in gleicher Weise zur Zielerreichung geeignete Maßnahme zum Tragen kommen konnte. Dabei seien beispielsweise die Fragen nach einer allfälligen beruflichen Tätigkeit und/oder einer – allenfalls auch wechselnden – Wohnmöglichkeit im Inland (bei Verwandten oder Bekannten) als Aspekte der sozialen Integration des Fremden jeweils von Amts wegen zu ermitteln (vgl. VwGH vom 26. September 2007, Zl. 2004/21/0150).

Davon ausgehend sei zunächst der zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung der Ausweisung sowie zur Sicherung der Abschiebung konkret erforderliche Sicherungsbedarf zu prüfen; daran ändere auch der mit der Novelle BGBl.Nr. I 122/2009 eingefügte § 76 Abs. 2a FPG – der hier auch deshalb nicht maßgeblich sei, weil die Anordnung der Schubhaft im gegenständlichen Fall nicht auf diese Bestimmung gestützt wurde – nichts (vgl. VwSen-401041 v. 28. Jänner 2010).

Ein solcher sei offenkundig generell umso größer, je weiter fortgeschritten dieses Verfahren bereits ist und dabei einem negativen Ausgang zustrebt: Ein Sicherungsbedarf werde daher regelmäßig – d.h. aber, wenn keine konkreten Umstände vorliegen, die eine gegenteilige Annahme rechtfertigen (wie z.B. eine amtsbekannt langdauernde Übermittlung von Heimreisezertifikaten durch bestimmte Staaten) – dann zu bejahen sein, wenn dem Fremden ein Ausweisungsbescheid zugestellt wird, mit dem gleichzeitig die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen wurde, weil ihm dann jedenfalls klar sein müsse, dass er regelmäßig in kurzer Zeit zwangsweise außer Landes geschafft werden wird, wenn er das Bundesgebiet nicht freiwillig verlässt (bzw. verlassen kann). Aus dieser Zwangslage könnte er sich dann i.d.R. eben nur dadurch befreien, dass er sich dem behördlichen Zugriff faktisch zu entziehen versucht, was gerade durch die Verhängung der Schubhaft verhindert werden soll.

Umgekehrt sei aber – gleichsam das gegenüberliegende Extrem – ein derartiges Sicherungsbedürfnis beispielsweise regelmäßig dann nicht gegeben, wenn ein Aufenthalts- oder Ausweisungsverfahren noch nicht über das Stadium der persönlichen Einvernahme eines Fremden, der sich etwa bisher legal in Österreich aufgehalten und hier über einen Wohnsitz und ein regelmäßiges Einkommen verfügt hat, hinausgekommen ist. Bei einer im Lichte des Art. 5 EMRK und des PersFrSchG gebotenen verfassungskonformen Interpretation könne daher ein Bedürfnis zur „Sicherung des Verfahrens“ in § 76 Abs. 2 FPG nicht allein schon deshalb, weil ein solches Verfahren zumindest bereits formell eingeleitet worden ist, angenommen werden, sondern es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Notwendigkeit der Sicherung eines derartigen Verfahrens durch eine freiheitsentziehende Maßnahme umso größer ist, je näher sich dieses einem negativen Abschluss nähert bzw. umgekehrt aus grundrechtlicher Sicht stets umso weniger gerechtfertigt erscheint, je weiter es von einem derartigen Ergebnis noch entfernt bzw. dessen Ausgang überhaupt offen ist.

Im gegenständlichen Fall seien gegen den Rechtsmittelwerber schon geraume Zeit vor der Schubhaftverhängung aufenthaltsbeendende Maßnahmen gesetzt, nämlich eine  Ausweisung (am 25. April 2005) erlassen worden; diese Maßnahmen stünden jedoch derzeit keineswegs bereits unmittelbar vor ihrer tatsächlichen Umsetzung, denn aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Akt ergäben sich keine Hinweise dafür, dass der Beschwerdeführer in naher Zeit tatsächlich in seinen Heimatstaat abgeschoben werden sollte und könnte, im Gegenteil: der Rechtsmittelwerber sei bereits am 7. Juli 2009 mit dem voraussichtlichen Haftende am 8. Jänner 2010 von der JA X in die JA X überstellt worden; dennoch sei erst am 28. Dezember 2009 erstmals ein Ersuchen auf Ausstellung eines Heimreisezertifikats im Wege des BMI an die nigerianische Botschaft in Wien gestellt worden.

Damit stelle sich für den Rechtsmittelwerber aber die Situation auch nicht so dar, dass er gegenwärtig praktisch umgehend mit seiner faktischen zwangsweisen Außerlandesschaffung zu rechnen habe.

In objektiver Hinsicht seien von der Fremdenpolizeibehörde der Sache nach weiters die Illegalität der Einreise und des Aufenthalts, die Mittellosigkeit und die fehlende Unterkunftsmöglichkeit als einen Sicherungsbedarf begründende Argumente ins Treffen geführt worden.

In diesem Zusammenhang treffe zwar unbestritten zu, dass der Rechtsmittelwerber illegal – nämlich ohne Reisepass und ohne gültigen Sichtvermerk – nach Österreich eingereist sei und nicht über Barmittel in einer Höhe verfüge, die zur Finanzierung eines längerfristigen Aufenthalts im Bundesgebiet hinreichen.

Aus ordnungsrechtlicher Sicht handle es sich dabei allerdings bloß um Bagatellvergehen. Außerdem sei er bei seiner Festnahme in seiner bundesbetreuten Unterkunft angetroffen worden. Ohne konkrete gegenteilige Anhaltspunkte habe die Haftbehörde aber nicht in vertretbarer Weise vom Fehlen jeglicher Unterkunftsmöglichkeit ausgehen können.

Dass er in irgend einer Weise in Österreich familiär oder sozial integriert wäre, sei auch vom Beschwerdeführer selbst gar nicht vorgebracht worden.

Davon ausgehend könne es grundsätzlich auch nicht als rechtswidrig angesehen werden, wenn die belangte Behörde im Zuge der gemäß Art. 8 EMRK gebotenen Abwägung im konkret vorliegenden Fall die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber den dadurch beeinträchtigten privaten Interessen des Beschwerdeführers als höher stehend bewertet habe.

Allerdings habe der Beschwerdeführer bislang kein Verhalten gesetzt, aus dem konkret und zugleich mit hoher Wahrscheinlichkeit zu schließen gewesen wäre, dass er sich umgehend dem behörd­lichen Zugriff zu entziehen versuchen würde, wenn er aus der Schubhaft entlassen werden würde. Insbesondere weise er in diesem Zusammenhang darauf hin, dass er wieder in seine bundesbetreute Unterkunft zurückkehren könnte, in der er zuvor im Zuge seiner Festnahme auch tatsächlich angetroffen worden sei. Dass das Hindernis des § 77 Abs. 2 FPG (Nichtzustimmung zur erkennungsdienstlichen Behandlung) vorliegen würde, sei aus dem Akt nicht ersichtlich, im Gegenteil: Eine solche sei offensichtlich bereits im Zuge des Asylverfahrens durchgeführt worden (vgl. ONr. 4 des erstbehördlichen Aktes).

Daher bleibe auch noch zu prüfen, ob anstelle der Schubhaftverhängung nicht auch gelindere Mittel dazu hingereicht hätten, den mit der Schubhaft verfolgten Zweck in gleicher Weise sicherzustellen. Als ein in diesem Sinne gelinderes Mittel sehe § 77 Abs. 3 FPG insbesondere vor, dem Fremden aufzutragen, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen und/oder sich in periodischen Abständen bei einem ihm bekannt gegebenen Polizeikommando zu melden.

Mangels konkreter gegenteiliger Anhaltspunkte spreche insbesondere unter dem Aspekt, dass eine Freiheitsentziehung nach Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG stets nur eine ultima-ratio-Maßnahme darstellen darf – sodass die Bestimmung des § 77 Abs. 1 FPG auch nicht als eine Ermächtigung zu einer Ermessensentscheidung, sondern vielmehr als eine Rechtsentscheidung aufzufassen ist –, der Umstand, dass der Rechtsmittelwerber in der Bundesbetreuung die erforderliche Aufnahme und finanzielle Unterstützung finden könnte, dafür, dass beim gegenwärtigen Stand des Abschiebungsverfahrens jedenfalls im Sinne einer Erstmaßnahme, also zumindest vorerst, gelindere Mittel – wie insbesondere die Verpflichtung zur täglichen Meldung bei einer Sicherheitsdienststelle – in gleicher Weise dazu hinreichen, um den mit der Schubhaftverhängung beabsichtigten Zweck zu realisieren.

Dies gelte insbesondere dann, wenn man in diesem Zusammenhang auch die höchstgerichtliche Judikatur, wonach die Schubhaftverhängung beispielsweise gerade nicht als eine präventive Vorbereitungshandlung zur erfolgreichen Durchführung der Abschiebung zum Einsatz gebracht werden darf, in die Überlegungen mit einbezieht.

Erst wenn dann auf Grund konkreter Anhaltspunkte offenbar werde, dass gelindere Mittel (wie z.B. der Auftrag, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen und/oder sich in periodischen Abständen bei einem ihm bekannt gegebenen Polizeikommando zu melden) tatsächlich nicht dazu hingereicht hätten, um die Durchführung des fremdenpolizeilichen Verfahrens ordnungsgemäß zu gewährleisten, hätte in einem zweiten Schritt die Schubhaft als eingriffsintensivere Maßnahme angewendet werden dürfen.

Im gegenständlichen Verfahren habe die belangte Behörde jedoch von Anfang an nicht einmal den Versuch unternommen, gelindere Mittel anstelle der Schubhaftverhängung zum Einsatz zu bringen.

Daher sei gemäß § 83 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG die Rechtswidrigkeit der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft festzustellen gewesen (vgl. in diesem Sinne auch statt vieler VwSen-401026 vom 17. August 2009).

2.2. Gegen diese Entscheidung hat die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich eine Amtsbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben.

3.1. Mit Erkenntnis vom 2. Oktober 2012, Zl. 2010/21/0094, hat der VwGH dieser Beschwerde stattgegeben und das h. Erkenntnis vom 5. Februar 2010, Zl. VwSen-401046/5/Gf/Mu, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründend wurde dazu ausgeführt (vgl. S. 6), dass "bereits am 11. Jänner 2010 ein erstinstanzlicher Zurückweisungsbescheid samt Ausweisung" ergangen und die Frage, ob "das die Beschwerde gegen den genannten Zurückweisungsbescheid abweisende Erkenntnis des Asylgerichthofes vom 4. Februar 2010 bereits zugestellt war", "bei Abfassung des gegenständlichen Bescheides" des Oö. Verwaltungssenates am 5. Februar 2010 (Abfertigung also bereits am nächsten Tag!) "völlig ungeprüft" geblieben sei; "Unabhängig davon" könne "aber jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, das (zweite) Asylverfahren des Mitbeteiligten habe sich noch im Anfangsstadium befunden". Diesem Aspekt komme aber ohnehin primär im Rahmen des Ausspruches, ob die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung in Schubhaft nicht vorliegen, Bedeutung zu; da die Schubhaft hier jedoch nicht nur zur Sicherung der Abschiebung, sondern auch zur Sicherung des asylrechtlichen Ausweisungsverfahrens verhängt wurde, sei dem gegenüber die Frage der Möglichkeit einer alsbaldigen Abschiebung des Fremden (noch) nicht entscheidungswesentlich gewesen. Anders als vom Oö. Verwaltungssenat angenommen habe sich die Erstbehörde im Schubhaftbescheid auch (jedenfalls) nicht (primär) auf die Illegalität der Einreise und des Aufenthalts sowie auf die Mittellosigkeit und schließlich (entgegen der aktenwidrigen Annahme des UVS Oberösterreich) überhaupt nicht auf eine fehlende Unterkunftsmöglichkeit gestützt; vielmehr habe sie damit argumentiert, dass eine mögliche Rückkehr an die frühere X Adresse des Fremden die von ihr konstatierte Fluchtgefahr nicht entkräften könne, wobei sie das unkooperative Verhalten, die missbräuchliche Stellung des zweiten Asylantrages und die Verankerung im Suchtgiftmilieu ins Treffen führte. Dass diese Gesichtspunkte für das Erfordernis von Schubhaft sprechen, sei ebenso wenig von der Hand zu weisen wie auch die strafgerichtliche Vergangenheit des Mitbeteiligten in die Verhältnismäßigkeitsprüfung habe mit einbezogen werden dürfen.

3.2. Wenngleich der VwGH in dieser Entscheidung in keiner Weise auf die unter Pkt. 3.2.8. des Erkenntnisses des Oö. Verwaltungssenates vom 5. Februar 2010, Zl. VwSen-401046/5/Gf/Mu, näher begründete absolute Vorrangigkeit gelinderer Mittel im Verhältnis zur Schubhaftverhängung (vgl. so explizit auch VfGH vom 3. Oktober 2010, G 140/11 u.a., RN 39) eingegangen ist und darin zudem auch offen bleibt, nach welchen abstrakten Parametern künftig jeweils zu beurteilen sein wird, dass jene vom VwGH vorgenommene Wertung bestimmter Sachverhaltselemente (unkooperatives Verhalten, missbräuchliche Stellung des zweiten Asylantrages, Verankerung im Suchtgiftmilieu und strafgerichtliche Vergangenheit) zwingend zur Rechtswidrigkeit (i.S.d. Art. 130 Abs. 1 und 2 B‑VG i.V.m. § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG) eines Bescheides, der auf einer anderen Wertung basiert, führen muss, ist der Oö. Verwaltungssenat im gegenständlichen Fall dennoch gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an diese Rechtsmeinung gebunden.

3.3. Unter Zugrundelegung dieser Auffassung war daher davon auszugehen, dass die Verhängung der Schubhaft im gegenständlichen Fall aus den im VwGH-Erkenntnis vom 2. Oktober 2012, Zl. 2010/21/0094, dargestellten Gründen nicht unverhältnismäßig war.

Die vorliegende Beschwerde war daher gemäß § 83 Abs. 2 FPG i.V.m. § 67c Abs. 3 AVG abzuweisen. 

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Beschwerdeführer dazu zu verpflichten, dem Bund nach § 79a Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4 Z. 3 AVG i.V.m. § 1 Z. 3 und 4 der UVS-Aufwandersatzverordnung, BGBl.Nr. II 456/2008, Kosten in einer Höhe von insgesamt 426,20 Euro (Vorlageaufwand: 57,40 Euro; Schriftsatzaufwand: 368,80 Euro) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweise:

 

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden, wobei für jede dieser Beschwerden eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten ist.

 

 

 

 

 

 

Dr.  G r ó f

 

 

 

VwSen-401046/17/Gf/Rt vom 26. November 2012

 

Erkenntnis

 

 

Rechtssatz

 

FPG §77;

FPG §83;

VwGG §42 Abs2 Z1;

VwGG §63

 

 

Wenngleich der VwGH in seiner aufhebenden Entscheidung in keiner Weise auf die vom Oö. Verwaltungssenat näher begründete absolute Vorrangigkeit gelinderer Mittel im Verhältnis zur Schubhaftverhängung (vgl. so explizit auch VfGH vom 3. Oktober 2010, G 140/11 u.a., RN 39) eingegangen ist und darin zudem auch offen bleibt, nach welchen abstrakten Parametern künftig jeweils zu beurteilen sein wird, dass jene vom VwGH vorgenommene Wertung bestimmter Sachverhaltselemente (hier: unkooperatives Verhalten, missbräuchliche Stellung des zweiten Asylantrages, Verankerung im Suchtgiftmilieu und strafgerichtliche Vergangenheit) zwingend zur Rechtswidrigkeit (i.S.d. Art. 130 Abs. 1 und 2 B‑VG i.V.m. § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG) eines Bescheides, der auf einer anderen Wertung basiert, führen muss, ist der Oö. Verwaltungssenat im gegenständlichen Fall dennoch gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an diese Rechtsmeinung gebunden.

 

 

 

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