Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401220/6/WEI/Ba

Linz, 12.10.2012

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Beschwerde des A S, geb. X, Staatsangehöriger von Afghanistan, vormals in Schubhaft im PAZ Wels, vertreten durch V F- und M, S, L, wegen Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides und der Anhaltung in Schubhaft durch die Bundespolizeidirektion Wels zu Recht erkannt:

 

 

I.       Der Beschwerde wird Folge gegeben und es werden der Schubhaftbescheid vom 13. August 2012 sowie die darauf beruhende Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft in der Zeit vom 13. bis 21. August 2012 für rechtswidrig erklärt.

 

II.     Der Bund hat dem Beschwerdeführer den notwendigen Verfahrensaufwand in Höhe von 759,70 Euro (darin enthalten Bundesstempelgebühren von 22,10 Euro) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlagen:

§§ 82 und 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG (BGBl I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl I Nr. 38/2011) iVm §§ 67c und 79a Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG iVm UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 (BGBl II Nr. 456/2008).

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Der unabhängige Verwaltungssenat geht auf Grund der Aktenlage vom nachstehenden Gang des Verfahrens und Sachverhalt aus:

 

1.1. Mit Mandatsbescheid vom 13. August 2012, Zl. 1-1037931/FP/12, ordnete die Bundespolizeidirektion Wels gegen den Beschwerdeführer (im Folgenden nur Bf) auf der Grundlage des § 76 Abs 1 FPG iVm § 57 AVG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung (§ 46 FPG) an. Den Bescheid, dessen Spruch und Rechtsmittelbelehrung in eine für den Bf verständliche Sprache übersetzt wurde, übernahm der Bf am 13. August 2012 um 12:20 Uhr persönlich. Er wurde im polizeilichen Anhaltezentrum (PAZ) der Bundespolizeidirektion Wels bis zum 21. August 2012 angehalten und an diesem Tag um 09:00 Uhr aus der Schubhaft entlassen.

 

Zur Begründung führt die Behörde wie folgt aus:

 

"Für die Anordnung der Schubhaft war folgender Sachverhalt maßgebend:

 

Sie wurden im Bundesgebiet am 11.08.2012 um 18:47 Uhr, in Wels, Terminalstraße 99 ÖBB ohne Unterstand und ohne gültiges Reisedokument angetroffen. Sie befanden sich mit drei weiteren Illegalen in einem LKW Anhänger [...].

In Ihrer Niederschrift vom 12.08.2012 gaben Sie im Beisein eines Dolmetschers an, afghanischer Staatsbürger zu sein und keine Dokumente bei sich zu haben. Ihre Dokumente seien in Ihrer Heimat. 2008 hätten Sie ihre Heimat verlassen, weil Sie wegen eines tödlichen Verkehrsunfalles ins Gefängnis hätten müssen. Sie reisten nach Pakistan und hielten sich dort 10 Tage auf. Dann in den Iran für ca. 10 – 15 Tage. Anschließend reisten Sie in die Türkei für 3 – 4 Tage. Danach nach Griechenland, wo Sie bis jetzt waren.

Da dort keine Arbeit mehr für Sie war, beschlossen Sie, nach Österreich zu reisen. Ein Schlepper wurde mit 3.000 Euro bezahlt und Sie gelangten in den LKW, in dem Sie nun aufgegriffen wurden. Als nach fünf Tagen das Wasser zu Ende war und Sie fürchterlichen Durst hatten, begannen Sie zu rufen und sich erkenntlich zu machen. Daraufhin wurden Sie aufgefunden und in das Paz Wels eingeliefert.

 

Sie halten sich demnach seit 11.08.2012 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf (Rückkehrentscheidungsstatbestand § 52 Abs. 1 FPG).

 

Die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung des bzw. der fremdenpolizeilichen Verfahren war notwendig, da zu befürchten war, dass Sie sich dem weiteren fremdenrechtlichen Verfahren bzw. Maßnahmen zu entziehen trachten werden.

Die Verhängung der Schubhaft ist im Hinblick auf das zu erreichende Ziel angemessen und verhältnismäßig.

 

[...]

 

Die Anordnung eines gelinderen Mittels gemäß § 77 FPG kam nicht in Betracht, da die Behörde keinen Grund zur Annahme hatte, dass der Zweck der Schubhaft auch durch dessen Anwendung erreicht werden kann, da Ihre Identität nicht feststeht, Sie über keinen Wohnsitz verfügen und erst in einer weiteren Einvernahme geklärt werden muss, was der Zweck Ihrer Einreise war."

 

1.2. Aus der Aktenlage ergibt sich der folgende unstrittige Sachverhalt:

 

Der Bf reiste von Griechenland kommend am 11. August 2012 versteckt auf einem LKW illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und wurde noch am selben Tag in Wels aufgegriffen. Bei der nach der Schubhaftverhängung am 13. August 2012 erfolgten fremdenpolizeilichen Befragung (Niederschrift vom 13.08.2012) gab er an, dass Zweck seiner Einreise "Asyl in Österreich" gewesen sei. Er besitze kein Geld, sei ledig und für niemanden sorgepflichtig. Seine Familie lebe in Afghanistan, in Österreich habe er keine Angehörige. Nach Belehrung über seinen illegalen Aufenthalt und der Ankündigung ein Ersatzdokument über seine Botschaft zu beschaffen, stellte der Bf ausdrücklich einen Asylantrag und wies darauf hin, dass ihn bisher niemand gefragt hätte. Die Fremdenpolizeibehörde teilte ihm mit, dass er in Schubhaft bleibe, bis über seine Zulassung im Asylverfahren entschieden wird.

 

Die Erstbefragung nach dem Asylgesetz durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Fachinspektion Polizeianhaltezentrum Wels fand erst am 16. August 2012 statt.

 

Mit Aktenvermerk gemäß § 76 Abs 6 FPG vom 17. August 2012 hielt die Behörde im Hinblick auf den gestellten Asylantrag fest, dass die gemäß § 76 Abs 1 FPG verhängte Schubhaft gemäß § 76 Abs 2 FPG aufrecht erhalten werde (Hinweis auf § 76 Abs 2 Z 4 FPG).

 

Mit der fremdenpolizeilichen Information des Bundesasylamts, Erstaufnahmestelle West, vom 20. August 2012, Zl. 12 10.648-EAST WEST, wurde der belangten Behörde mitgeteilt, dass dem Bf eine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG zukomme. Mit Schreiben gleichen Datums wurde der Bf von der Asylbehörde aufgefordert, sich ehest möglich in der Erstaufnahmestelle einzufinden, und seine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG entgegen zu nehmen.

 

Daraufhin verfügte die belangte Behörde am 21. August 2012 die Entlassung des Bf aus der Schubhaft.

 

1.3. Mit der am 4. Oktober 2012 auf dem Postweg beim Oö. Verwaltungssenat eingelangten Beschwerde vom 6. September 2012 bekämpft der Bf die Schubhaftverhängung und die darauf beruhende Anhaltung in Schubhaft und begehrt die kostenpflichtige Rechtswidrigkeitserklärung. Die Beschwerde geht dabei im Wesentlichen vom oben dargestellten Sachverhalt aus und weist auf die Zulassung des Asylverfahrens vor dem Bundesasylamt hin, in dem sich der Bf aufrecht befinde. Im Hinblick auf die Enthaftung am 21. August 2012 sei die Beschwerde rechtzeitig.

 

Nach der vom Oö. Verwaltungssenat eingeholten Auskunft der Post erfolgte die Annahme der Sendung (Einschreiben RQ 164782387AT) durch Filiale 4020 am 2. Oktober 2012 (vgl Faxmitteilung ON 5).

 

2.1. Begründend rügt die Beschwerde zunächst, dass es für die verhängte Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung schon an einem Titel iSd § 46 Abs 1 FPG für einen allfällige Abschiebung fehlte. Eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 46 FPG verlange jedenfalls das Vorliegen einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung, einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbots.

 

Auch mit der Asylantragstellung hätte sich kein geänderter Sicherungsgrund ergeben, weil auch die Voraussetzungen nach den einschlägigen Bestimmungen des § 76 Abs 2 und 2a FPG nicht vorgelegen wären. Da der Bf über Griechenland nach Österreich einreiste, wäre diesbezüglich zwar das Zutreffen von § 76 Abs 2 Z4 FPG denkbar. Derzeit seien aber auf Grund der Verfügung des EGMR keine (Dublin-) Rücküberstellungen nach Griechenland möglich, welcher Umstand notorisch und von der Behörde zu berücksichtigen sei (Hinweis auf VwGH 31.03.2008, Zl. 2005/21/0026), weshalb auch das Zutreffen dieser Voraussetzung für eine Anhaltung in Schubhaft ausscheide.

 

Die begründenden Ausführungen zum Schubhaftverhängungsgrund, wonach das gelindere Mittel nicht angewendet werden könne (und sohin die Schubhaftverhängung notwendig sei), weil erst in einer weiteren Einvernahme geklärt werden müsse, was der Zweck Ihrer Einreise war, würden offensichtlich keine Deckung im Gesetz finden.

 

Abgesehen sei der Schubhaftbescheid mangels einer hinreichenden Begründung. zum Sicherungsbedarf mit Rechtswidrigkeit behaftet. Die Notwendigkeit der Verhängung der Schubhaft bleibe unbegründet und beschränke sich auf den Satzbaustein, dass "zu befürchten war, dass Sie sich dem weiteren fremdenrechtlichen Verfahren bzw. Maßnahmen zu entziehen trachten werden", wobei nicht weiter ausgeführt werde, auf welche Anhaltspunkte sich die Befürchtung stützt. Diese Annahme sei angesichts der Angabe des Bf, beschlossen zu haben, nach Österreich zu reisen, nicht nachvollziehbar.

 

Die Behörde habe die Vornahme der gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterlassen und lediglich konstatiert, dass die Verhängung der Schubhaft im Hinblick auf das zu erreichende Ziel angemessen und verhältnismäßig sei. Worauf diese Annahme beruht, sei ebenfalls nicht nachvollziehbar.

 

Der Vollständigkeit wird angemerkt, dass die Schubhaftverhängung auch deshalb als unverhältnismäßig erscheine, da dem behördlich beabsichtigten Zweck jedenfalls die Anwendung gelinderer Mittel Genüge getan hätte. So begründe die Behörde die Nichtanwendung des gelinderen Mittels einerseits damit, dass die Identität nicht geklärt sei und der Bf über keinen Wohnsitz verfüge. Nach ständiger höchstgerichtlicher Judikatur würden die genannten Umstände für sich alleine jedoch keine Verhängung der Schubhaft rechtfertigen, ebenso wenig wie der Umstand, dass "erst in einer weiteren Einvernahme geklärt werden muss, was der Zweck Ihrer Einreise war".

 

2.2. Mit dem ho. am 8. Oktober 2012 eingelangten Vorlageschreiben der nunmehr zuständigen Landespolizeidirektion Oberösterreich, Polizeikommissariat Wels, vom 4. Oktober 2012, wird der Bezug habende Verwaltungsakt vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt, ohne aber auf diese einzugehen.

 

3. Der erkennende Verwaltungssenat hat auf Grundlage der vorgelegten Verwaltungsakten und unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens festgestellt, dass bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der eingebrachten Beschwerde der entscheidungswesentliche Sachverhalt hinreichend geklärt erscheint, weshalb von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden konnte.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 9 Abs 2 Satz 2 FPG ist gegen die Anordnung der Schubhaft weder eine Vorstellung noch eine Berufung zulässig.

 

Gemäß § 82 Abs 1 FPG hat der Fremde das Recht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung den unabhängigen Verwaltungssenat anzurufen,

 

  1. wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist;
  2. wenn er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz oder das Asylgesetz 2005 angehalten wird oder wurde oder
  3. wenn gegen ihn die Schubhaft angeordnet wurde.

 

Gemäß § 83 Abs 1 FPG (idF seit BGBl I Nr. 122/2009) ist zur Entscheidung über eine Beschwerde gemäß § 82 Abs 1 Z 2 oder 3 der unabhängige Verwaltungssenat zuständig, in dessen Sprengel die Behörde ihren Sitz hat, welche die Anhaltung oder die Schubhaft angeordnet hat. In den Fällen des § 82 Abs 1 Z 1 richtet sich die Zuständigkeit nach dem Ort der Festnahme.

 

Nach § 83 Abs 2 FPG gelten die §§ 67c bis 67g sowie 79a AVG mit der Maßgabe, dass

  1. eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, und
  2. die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates über die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche zu ergehen hat, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet.

 

Gemäß § 83 Abs 4 FPG hat der unabhängige Verwaltungssenat, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden.

 

Der Bf wurde im vorliegenden Fall auf Grund des Schubhaftbescheides vom 13. August 2012 in Schubhaft genommen und bis zum 21. August 2012 im PAZ Wels angehalten. Seine dagegen am 2. Oktober 2012 zur Post gegebene Beschwerde wurde noch innerhalb der Sechswochenfrist erhoben und ist damit zulässig, weshalb der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit berufen ist.

 

4.2. Gemäß § 76 Abs 1 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft nur verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

 

Nach § 76 Abs 1a FPG dürfen unmündige Minderjährige nicht in Schubhaft angehalten werden.

 

Gemäß § 76 Abs 2 FPG kann die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

 

  1. gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;
  2. gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;
  3. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist oder
  4. auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

 

Gemäß § 76 Abs 2a FPG hat die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber Schubhaft anzuordnen, wenn

 

  1. gegen den Asylwerber eine mit einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 verbundene durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde oder ihm gemäß § 12a Abs 1 AsylG 2005 ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt;
  2. eine Mitteilung gemäß § 29 Abs 3 Z 4 bis 6 AsylG 2005 erfolgt ist und der Asylwerber die Gebietsbeschränkung gemäß § 12 Abs 2 AsylG 2005 verletzt hat;
  3. der Asylwerber die Meldeverpflichtung gemäß § 15a AsylG 2005 mehr als einmal verletzt hat;
  4. der Asylwerber, gegen den nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde, der Mitwirkungsverpflichtung gemäß § 15 Abs 1 Z 4 vorletzter Satz AsylG 2005 nicht nachgekommen ist;
  5. der Asylwerber einen Folgeantrag (§ 2 Abs 1 Z 23 AsylG 2005) gestellt hat und der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 aufgehoben wurde, oder
  6. sich der Asylwerber gemäß § 24 Abs 4 AsylG 2005 ungerechtfertigt aus der Erstaufnahmestelle entfernt hat, soweit eine der Voraussetzungen des Abs 2 Z 1 bis 4 vorliegt,

 

und die Schubhaft für die Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung notwendig ist, es sei denn, dass besondere Umstände in der Person des Asylwerbers der Schubhaft entgegenstehen.

 

Die Schubhaft ist nach dem § 76 Abs 3 FPG grundsätzlich mit Mandatsbescheid gemäß § 57 AVG anzuordnen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zur Erlassung des Bescheides aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

 

4.3. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs verlangt die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit einer Schubhaft nach § 76 Abs 1 FPG eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Außerlandesschaffung und dem privaten Interesse an der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen. Dabei ist der Frage nach dem Sicherungsbedürfnis nachzugehen, was die gerechtfertigte Annahme voraussetzt, der Fremde werde sich dem Verfahren oder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen oder diese Maßnahmen zumindest wesentlich erschweren.

 

In der neueren Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs vermag die fehlende Ausreisewilligkeit eines Fremden für sich allein die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nicht zu rechtfertigen. Deshalb kann auch die Nichtbefolgung eines Ausreisebefehls die Schubhaft noch nicht rechtfertigen. Es ist nämlich in einem zweiten Schritt die Frage des Bestehens eines Sicherungsbedarfes zu prüfen, der insbesondere im Fall mangelnder sozialer Verankerung im Inland in Betracht kommt. Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof auch schon mehrfach betont, dass in Bezug auf die Annahme eines Sicherungsbedarfes aus Überlegungen zu einem strafgerichtlichen Verurteilungen zugrundeliegenden Fehlverhalten alleine nichts zu gewinnen sei (ständige Rspr; vgl ua. VwGH 8.9.2005, Zl. 2005/21/0301; VwGH 22.6.2006, Zl. 2006/21/0081; VwGH 27.3.2007, Zl. 2005/21/0381; VwGH 28.6.2007, Zl. 2005/21/0288 und Zl. 2004/21/0003; VwGH 30.8.2007, Zl. 2006/21/0107; VwGH 28.5.2008, Zl. 2007/21/0246).

 

Überdies ist nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs beim Sicherungserfordernis die konkrete Situation des Beschwerdeführers (Einzelfallprüfung) zu prüfen. Deswegen verbietet sich auch ein Abstellen auf allgemeine Erfahrungen im Umgang mit Asylwerbern oder aus anderen Fällen (vgl VwGH 28.6.2007, Zl. 2006/21/0051; VwGH 28.6.2007, Zl. 2006/21/0091).

 

4.4. Im gegenständlichen Fall konnte die belangte Behörde im Zeitpunkt der Schubhaftverhängung grundsätzlich auf den Schubhafttatbestand des § 76 Abs 1 FPG abstellen, weil der mittel- und wohnsitzlose Bf ohne Reisedokumente aufgegriffen worden und ohne Aufenthaltstitel und auch nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt war. Einen Asylantrag hatte er zum Zeitpunkt der Schubhaftverhängung noch nicht gestellt.

 

Die Beschwerde wendet allerdings schon mit Recht ein, dass die Rechtswidrigkeit der Schubhaft alleine schon daraus folgte, dass der Schubhaftbescheid nur die Sicherung der Abschiebung als Zweck der Schubhaft anführt und ein Rechtstitel für eine allfällige Abschiebung gar nicht vorlag.

 

Gemäß § 46 Abs 1 FPG sind Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung (§§ 61, 66 § 10 AsylG 2005) oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag der Behörde zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

 

1.  die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

2.  sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

3.  aufgrund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

4.  sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

Schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmung steht fest, dass Grundlage und Voraussetzung für die Abschiebung ein die Aufenthaltsbeendigung anordnender Rechtstitel, wie eine Rückkehrentscheidung, Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot, ist. In Ermangelung eines solchen Titels kann eine Abschiebung nicht rechtmäßig durchgeführt werden.

 

Wenn ein Schubhaftbescheid als Sicherungszweck die Abschiebung anführt, obwohl kein durchsetzbarer aufenthaltsbeendender Rechtstitel vorliegt, ist er a priori mit Rechtswidrigkeit behaftet, die sich in der Folge auch auf die Anhaltung erstreckt, deren Grundlage der Bescheid bildet. Existiert kein Titel kann die Verhängung und Aufrechterhaltung der Schubhaft allein zur Sicherung der Abschiebung nicht rechtmäßig sein (vgl VwGH 29.02.2012, Zl. 2009/21/0198).

 

4.5. Gemäß § 76 Abs 6 FPG kann die Anhaltung in Schubhaft aufrecht erhalten werden, wenn ein Fremder während der Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz stellt. Liegen die Voraussetzungen des Abs 2 oder 2a vor, gilt die Schubhaft als nach Abs 2 oder 2a verhängt. Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung der Schubhaft gemäß Abs 2 oder 2a ist mit Aktenvermerk festzuhalten.

 

Der Bf stellte nach Schubhaftverhängung anlässlich der fremdenpolizeilichen Einvernahme am Nachmittag des 13. August 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Grunde des § 76 Abs 2 oder Abs 2a FPG erfordert zunächst einen Aktenvermerk über das Vorliegen der Voraussetzungen. Außerdem genügte nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs auch dieser Aktenvermerk noch nicht, sondern hätte die Behörde dem Schubhäftling auch Kenntnis vom Austausch des Schubhaftgrundes durch unverzügliche schriftliche Verständigung verschaffen müssen, damit ihm einen Bekämpfung mit Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat effektiv möglich wäre (vgl näher VwGH 18.12.2008, Zl. 2008/21/0582).

 

In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl dazu jüngst VwGH 26.1.2012, Zl. 2008/21/0626) wird festgehalten, dass die fortgesetzte Haft durch einem "simplen Aktenvermerk" nicht rechtmäßig werden kann:

 

"Ein einmal rechtswidriger Schubhaftbescheid kann nämlich nicht – quasi partiell für einen 'Teilzeitraum' – konvalidieren, zumal dies im Ergebnis einer im Gesetz insoweit nicht vorgesehenen Schubhaftverhängung 'auf Vorrat' gleichkommen würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. September 2009, Zl. 2009/21/0162). § 76 Abs. 6 FPG steht dem nicht entgegen, weil die dort angeordnete Zulässigkeit der Aufrechterhaltung der Schubhaft, wenn während der Anhaltung ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird, einen rechtmäßigen Schubhaftbescheid nach § 76 Abs. 1 FPG vor Augen hat.

[Zu einer] 'Heilung' könnte es nur durch einen neuen Schubhafttitel kommen. Ein solcher wäre im Fortsetzungsausspruch [des Oö. Verwaltungssenates] nach § 83 Abs. 4 FPG zu erblicken".

 

Im Grunde dieser Rechtsprechung konnte die rechtswidrig am 13. August 2012 angeordnete Schubhaft auch nicht durch einen bloßen Aktenvermerk rechtmäßig werden, käme dies doch einer Schubhaftverhängung auf Vorrat gleich.

 

4.6. Der erkennende Verwaltungssenat pflichtet im Übrigen auch die Beschwerde bei, dass der angefochtene Schubhaftbescheid keine hinreichende Begründung zur Notwendigkeit der Schubhaft und dem dabei vorausgesetzten konkreten Sicherungsbedarf enthält, zumal auch nach den Umständen abzusehen war, dass der Bf einen Asylantrag stellen und danach Anspruch auf Grundversorgung in Österreich haben wird. Da bekanntlich eine Dublinrückführung nach Griechenland auf Grund der bekannten menschenrechtswidrigen Missstände in diesem Land nicht mehr in Betracht kommt (vgl dazu jüngst abermalige Feststellung einer Verletzung von Art 3 iVm Art 13 EMRK durch Griechenland im Urteil des EGMR vom 25.9.2012, Zl. 50,520/09 [Ahmade] wegen menschenunwürdiger Bedingungen für Asylwerber), lag in Wahrheit auch kein Dublinfall vor und wurde das Asylverfahren des Bf in Österreich vom Bundesasylamt umgehend zugelassen.

 

Selbst in sog. Dublinfällen mit der möglichen Zurückweisung des Asylbegehrens und Ausweisung in einen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es in einem frühen Stadium des Asylverfahrens "besonderer Umstände" bedarf, um die Befürchtung des Untertauchens konkret begründen zu können (vgl VwGH 25.03.2010, Zl. 2008/21/0617, weiters VwGH 28.6.2007, 2006/21/0051 und VwGH 19.06.2008, Zl. 2007/21/0070). Den Aspekten einer mangelnden familiären Verankerung oder fehlenden sozialen Integration ist bei kurzfristig in Österreich aufhältigen Asylwerbern kein großes Gewicht beizumessen (vgl VwGH 24.06.2010, Zl. 2007/21/0349). Es ist nämlich grundsätzlich nicht zu erkennen, warum ein Asylwerber im Frühstadium des Asylverfahrens seine Unterstützung in Grundversorgung aufgeben und in die Anonymität untertauchen sollte.

 

Die belangte Behörde hat in Verkennung dieser Rechtslage auch nicht die naheliegende Anwendung eines gelindere Mittels gemäß § 77 FPG erwogen, jedenfalls sich nicht in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise damit auseinandergesetzt, worauf die Beschwerde zutreffend hinweist.

 

5. Im Ergebnis war aus den dargelegten Gründen der Schubhaftbescheid vom 13. August 2012 und die darauf beruhende Anhaltung des Bf in Schubhaft bis zur Entlassung am 21. August 2012 für rechtswidrig zu erklären. Bei diesem Verfahrensergebnis war die belangte Behörde als unterlegene Partei anzusehen und dem Bf Aufwandersatz antragsgemäß zuzuerkennen.

 

Gemäß § 79a Abs 1 AVG iVm § 83 Abs 2 FPG hat die im Verfahren nach § 67c obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wird die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen oder zurückgezogen, dann ist die belangte Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei (§ 79a Abs 3 AVG).

 

Nach § 79a Abs 4 AVG gelten als Aufwendungen gemäß Abs 1 neben Stempel- und Kommissionsgebühren sowie Barauslagen vor allem die durch Verordnung des Bundeskanzlers festgesetzten Pauschbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand. Nach der geltenden UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 (BGBl II Nr. 456/2008) beträgt der Ersatz für Schriftsatzaufwand des Bf als obsiegende Partei 737,60 Euro.

 

Der Bund hat daher als Rechtsträger, für den die belangte Behörde tätig geworden ist, dem Bf den Schriftsatzaufwand in Höhe von 737,60 Euro und die Eingabengebühren für die Beschwerde von 14,30 Euro und für 2 Beilagen kurz (2 x 3,90 = 7,80 Euro), für die der Bf aufzukommen hat (vgl § 79a Abs 4 Z 1 AVG), insgesamt daher 759,70 Euro zu ersetzen.

 

Analog dem § 59 Abs 4 VwGG 1985 war eine Leistungsfrist von 2 Wochen festzusetzen, zumal das Schweigen des § 79a AVG 1991 nur als planwidrige Lücke aufgefasst werden kann, sollte doch die Neuregelung idF BGBl Nr. 471/1995 im Wesentlichen eine Angleichung der Kostentragungsbestimmungen an das VwGG bringen (vgl Erl zur RV, 130 BlgNR 19. GP, 14 f).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Im gegenständlichen Verfahren sind Bundestempelgebühren für die eingebrachte Beschwerde und 2 Beilagen kurz in Höhe von 22,10 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

     

Dr. W e i ß

 

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