Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401183/17/Gf/Rt

Linz, 18.12.2012

 

 

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mit­glied Dr. Gróf über die Beschwerde des L (alias S), vertreten durch die X, wegen Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Vöcklabruck vom 8. Mai bis zum 28. Juni 2012 nach der am 13. Dezember 2012 durchgeführten öffentlichen Verhandlung zu Recht:

 

I. Der Umstand, dass über den Beschwerdeführer die Schubhaft verhängt und diese Maßnahme vom 8. Mai  bis zum 28. Juni 2012 auch faktisch vollzogen wurde, wird als nicht rechtswidrig festgestellt.

II. Der Beschwerdeführer hat dem Bund Kosten in einer Höhe von insgesamt 887,20 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlage:

 

§ 83 FPG; § 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 8. Mai 2012, Zl. Sich40-1941-2012, wurde über den Rechtsmittelwerber, einen algerischen Staatsangehörigen, gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005 in der nunmehr maßgeblichen Fassung BGBl.Nr. I 50/2012 (im Folgenden: FPG), zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung sowie der Abschiebung die Schubhaft verhängt und diese durch Überstellung in das Polizeianhaltezentrum der BPD X umgehend vollzogen.

 

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der Rechtsmittelwerber am 4. Mai 2012 einen Asylantrag gestellt habe. Da er jedoch auch bereits zuvor, nämlich am 21. März 2012, einen entsprechenden Antrag in Rumänien gestellt habe, sei ihm am 8. Mai 2012 mitgeteilt worden, dass beabsichtigt ist, seinen in Österreich eingebrachten Asylantrag wegen Unzuständigkeit zurückzuweisen. Angesichts dessen, dass er sich illegal im Bundesgebiet aufhalte, über keine familiäre oder sonstige soziale Bindungen oder nennenswerte finanzielle Mittel verfüge, seine Identität nicht als gesichert gelte und er die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen mehrerer EU-Staaten konsequent ignoriert sowie an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts in keiner Weise mitgewirkt habe und er auch in keiner Weise gewillt sei, freiwillig nach Rumänien zur Abwicklung seines Asylverfahrens zurückzukehren, sei sohin von einem besonders hohen Sicherungsbedarf auszugehen. Weil auf der Hand liege, dass er sich ansonsten dem Zugriff der Fremdenpolizeibehörde entziehen wird, sei daher im überwiegenden öffentlichen Interesse eines geordneten Fremdenwesens die Schubhaft zu verhängen gewesen, zumal gelindere Mittel nicht in gleicher Weise geeignet wären, den damit verfolgten Zweck zu erreichen.

1.2. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft richtet sich die vorliegende, am 15. Mai 2012 per Telefax beim Oö. Verwaltungssenat eingegangene Beschwerde.

Darin wird vorgebracht, dass sich die belangte Behörde in Wahrheit überhaupt nicht mit der konkreten Situation des Beschwerdeführers auseinandergesetzt hätte. Davon abgesehen begründe nach der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts weder eine Ausreiseunwilligkeit noch der Umstand, dass der Fremde bereits in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt hat, einen entsprechenden Sicherungsbedarf; vielmehr dürfe die Schubhaft nur im Sinne einer ultima-ratio-Maßnahme, nämlich erst dann angeordnet werden, wenn gelindere Mittel nicht hinreichen, was jedoch im gegenständlichen Fall überhaupt nicht geprüft worden sei. Schließlich gehe aus der Dublin-II-Verordnung auch unmissverständlich hervor, dass dem Fremden zunächst eine freiwillige Ausreise zu ermöglichen sei und erst in dem Fall, dass er diese Gelegenheit ungenützt lässt, Zwangsmaßnahmen angewendet werden dürften.

Daher wird die kostenpflichtige Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung in Schubhaft beantragt.

1.3. Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2012 hat die belangte Behörde den Bezug habenden Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, mit der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

 

Darin wird mitgeteilt, dass sich der Rechtsmittelwerber seit dem 12. Mai 2012 im Hungerstreik befinde. Weiters wird u.a. nochmals auf die mehrfachen illegalen Grenzübertritte, auf die Angabe einer falschen Reiseroute und die Verwendung einer anderen Identität in Rumänien, auf das Vernichten und Unterdrücken von Personal- und Reisedokumenten sowie auf die Nichtmitwirkung im Asylverfahren und die beabsichtigte Freipressung aus der Schubhaft durch Hungerstreik hingewiesen. Außerdem hätten die rumänischen Behörden mit Wirkung vom 10. Mai 2012 einer Rückübernahme des Fremden zugestimmt.

 

1.4. Mit h. Schriftsatz vom 18. Mai 2012, Zl. VwSen-401183/4/Gf/Rt, hat der Oö. Verwaltungssenat gemäß Art. 140 Abs. 1 i.V.m. Art. 129a Abs. 3 und Art. 89 B-VG einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung einiger Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes wegen Verfassungswidrigkeit gestellt.

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der unter der Überschrift "Dauer der Schubhaft" stehende erste Satz des § 80 Abs. 4 FPG durch die Bestimmung des § 80 Abs. 2 Z. 2 FPG sachlich ergänzt werde. Daraus scheine sich insgesamt folgende Systementscheidung des einfachen Gesetzgebers zu ergeben:

 

* Nach § 80 Abs. 2 Z. 2 FPG darf eine Anhaltung in Schubhaft grundsätzlich die Dauer von vier Monaten nicht überschreiten;

 

* Ausnahmsweise darf die Schubhaft jedoch (u.a.) dann, wenn der Fremde – wie hier – deshalb nicht abgeschoben werden kann, weil die für die Einreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates (noch) nicht vorliegt, zwar länger als vier Monate, jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden (§ 80 Abs. 4 Z. 2 erste Alternative FPG);

 

* Wiederum als Ausnahme von dieser Ausnahme ist schließlich eine Anhaltung in Schubhaft dann länger als sechs Monate, höchstens jedoch für zehn Monate zulässig, wenn entweder

 

– der Fremde deshalb nicht abgeschoben werden kann oder darf, weil die Feststellung seiner Identität bzw. Staatsangehörigkeit nicht möglich ist, die für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt oder er die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt widersetzt und daher deren Nichtvornahme seinem Verhalten zuzurechnen ist oder

 

– die Abschiebung dadurch gefährdet erscheint, dass sich der Fremde bereits einmal dem Verfahren entzogen hat oder

 

– die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 FPG, d.h. deshalb verhängt wurde, weil der Fremde ein Asylwerber ist und gegen ihn entweder eine durchsetzbare Ausweisung erlassen (§ 76 Abs. 2 Z. 1 FPG) oder ein Ausweisungsverfahren eingeleitet (§ 76 Abs. 2 Z. 2 FPG) oder vor Stellung des Asylantrages eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, eine durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen (§ 76 Abs. 2 Z. 3 FPG) wurde bzw. anzunehmen ist, dass sein Asylantrag mangels Zuständigkeit Österreichs zu dessen Prüfung zurückgewiesen werden wird (§ 76 Abs. 2 Z. 4 FPG).

 

Davon ausgehend scheine die Anordnung des § 80 Abs. 4 FPG zunächst gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 18 Abs. 1 B-VG zu verstoßen, weil daraus mit Blick auf den gegenständlich anhängigen Fall insgesamt nicht hervorgehe, ob dann, wenn eine Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 FPG – also über einen Asylwerber – verhängt wurde, auch der Grundsatz des § 80 Abs. 2 Z. 2 FPG, wonach diese vier Monate nicht überschreiten darf, maßgeblich ist, oder ob der letzte Satz des § 80 Abs. 4 FPG vielmehr so zu verstehen ist, dass in diesem Fall die Dauer der Schubhaft schon a priori länger als sechs Monate betragen kann.

 

Soweit es den Normtext betrifft, sei dieser jedenfalls nicht eindeutig; er scheine eher für die letztere Alternative zu sprechen (vgl. aber dem gegenüber die Gesetzesmaterialien, 952 BlgNR, 22. GP, S. 105: "In den Fällen des Abs. 4 wird eine Schubhaft länger als zwei Monate – grundsätzlich längstens sechs Monate – dauern" [Hervorhebung nicht im Original]). Dies deshalb, weil die Formulierung bereits auf die ursprüngliche Fassung des FPG (BGBl.Nr. I 100/2005) zurückgehe, wonach die grundsätzliche Dauer der Schubhaft noch nicht vier, sondern lediglich zwei Monate betragen habe, was im (Normal-)Fall eines Asylwerbers ohne Reisedokumente aber wohl stets zu kurz und somit deren bis zu sechsmonatige Anhaltung die Regel gewesen sei.

 

Dem gegenüber verstehe die behördliche Praxis den letzten Satz des § 80 Abs. 4 FPG jedoch so, dass diese Bestimmung bloß subsidiär, nämlich erst dann zum Tragen komme, wenn mit der prinzipiell mit vier Monaten befristeten Regel-Anhaltedauer des § 80 Abs. 2 Z. 2 FPG in concreto nicht das Auslangen gefunden werden könne. 

 

Weiters schienen diese Bestimmung und § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG gegen das auch den einfachen Gesetzgeber bindende Sachlichkeitsgebot des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 7 B-VG, Art. 2 StGG und Art. I Abs. 1 RassDiskrBVG; vgl. dazu bspw. VfGH vom 9.3.2011, G 53/10 u.a., und vom 16.12.2010, U 1769/10), insbesondere in dessen Konnex mit dem Schutz der persönlichen Freiheit (Art. 1 Abs. 3 PersFrBVG, Art. 5 Abs. 1 EMRK und Art. 14 EMRK), zu verstoßen, wenn sie – davon ausgehend, dass der letzte Satz des § 80 Abs. 4 FPG in keiner Korrelation zu dessen erstem Satz steht – es der Behörde ohne jede nähere Differenzierung ermöglichten, überhaupt und zudem in unverhältnismäßiger Weise in das nicht nur Staats- und Unionsbürgern, sondern – in adäquater Weise – auch einem Drittstaatsangehörigen verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf persönliche Freiheit einzugreifen.

 

Denn selbst wenn man davon ausgehe, dass auch bei Asylwerbern nach § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG eine Schubhaftverhängung prinzipiell zulässig und § 80 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 FPG insgesamt dahin zu verstehen ist, dass die höchstzulässige Anhaltedauer in Schubhaft grundsätzlich bloß vier Monate beträgt und deren Ausdehnung auf sechs Monate nur dann zulässig ist, wenn eine der Voraussetzungen des § 80 Abs. 4 erster Satz FPG erfüllt ist, sei in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass das Grundrecht der persönlichen Freiheit in einem demokratischen Rechtsstaat eines der höchsten Rechtsgüter verkörpere, sodass staatliche Beeinträchtigungen stets einer besonderen und zwingenden sachlichen Rechtfertigung bedürften. Aus der Sicht des einfachen Gesetzgebers scheine diese nach dem Normtext des § 76 Abs. 2 erster Satz FPG jedoch ausschließlich in der Notwendigkeit der Sicherung der Durchführung eines fremdenpolizeilichen Verfahrens, nämlich der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme samt deren Vollstreckung im Wege der Abschiebung, zu bestehen. In diesem Zusammenhang werde aber lediglich auf die Eigenschaft des Fremden als "Asylwerber" abgestellt; hingegen mache es aber offenbar keinen Unterschied, ob es sich – als Extremfall auf der einen Seite – um einen Fremden handle, der in Österreich bereits durch strafgerichtlich zu ahndende Handlungen (wie z.B. Suchtgift- oder Vermögensdelikte) in Erscheinung getreten ist und somit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bildet(e), was wiederum eine erhöhte Sicherungsnotwendigkeit bedingt, oder – als Extremfall auf der anderen Seite – um einen solchen Fremden, der sich nur zufällig und/oder unauffällig im Bundesgebiet aufhalte und dieses auch freiwillig wieder (sogar) in einen außerhalb der EU gelegenen Staat verlassen wolle, was jedoch (primär bloß) an Formalien, nämlich an entsprechenden Reisedokumenten, scheitere. Der Umstand, dass in Konstellationen wie der zuletzt erwähnten, wo eine regelmäßig mehrmonatige (!) Anhaltung in Schubhaft ersichtlich ausschließlich dazu diene, die – vom Fremden selbst überdies in keiner Weise beeinflussbare – Zeitdauer der Ausstellung der erforderlichen Reisedokumente durch seinen Heimatstaat zu überbrücken, lasse eine derartige Anhaltung angesichts der eher bloß geringfügigen Verfehlungen des Fremden nicht nur als offenkundig unverhältnismäßig i.S.d. Art. 1 Abs. 3 PersFrBVG erscheinen, sondern bereits bedrohlich in die Nähe einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK rücken (wobei der bloße Umstand, dass selbst für offensichtlich problemlose Fälle bislang in Österreich trotz langjähriger politischer Zusicherungen faktisch noch immer keine humaneren Methoden einer effektiven Verfahrenssicherung geschaffen wurden, aus rechtlicher Sicht naturgemäß nicht zum Nachteil des Fremden gereichen könne).

 

Dazu komme, dass in der gegenwärtigen fremdenpolizeilichen Vollzugspraxis für einen Fremden keine vorherseh- und berechenbare, sohin rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Garantie dafür bestehe, dass diese infolge mangelnder gesetzlicher Differenzierung übermäßige Bandbreite an von § 80 Abs. 2 und Abs. 4 FPG potentiell erfassten (Extrem-)Fallkonstellationen zumindest auf der nachgeordneten Ebene der Vollziehung entsprechend zuverlässig korrigiert wird. Denn die anstelle der Schubhaftverhängung vorgesehenen gelinderen Mittel kämen nach der Textierung des § 77 Abs. 1 FPG nunmehr zwar formal im Wege einer Rechtsentscheidung (vor der FPG-Novelle 2011: bloße Ermessensentscheidung) zum Tragen. Allerdings seien deren tatbestandsmäßige Voraussetzungen derart konzipiert, dass eine konkrete Heranziehung dieser Bestimmung – was für sich besehen wiederum einen Verstoß gegen das Determinierungsgebot des Art. 18 Abs. 1 B-VG zu bedeuten scheine – nicht von objektiv nachprüfbaren Kriterien, sondern vielmehr ausschließlich von der subjektiv-persönlichen Einschätzung (des jeweiligen Organwalters) der jeweiligen Fremdenpolizeibehörde (arg.: "wenn sie Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann") abhänge. Damit sei aber die Bestimmung des § 77 Abs. 1 FPG schon von vornherein nicht geeignet, das bislang in der Vollzugspraxis der Fremdenpolizeibehörden dominierende Regel-Ausnahme-Verhältnis, wonach die Schubhaftanordnung die Standardmaßnahme und ein gelinderes Mittel den Ausnahmefall bildet, entsprechend umzukehren (wobei mangels entsprechender Hinweise in den Erläuterungen [vgl. 1078 BlgNR, 24. GP, S. 37] offen bleibe, ob dies vom Gesetzgeber der FPG-Novelle 2011 in dieser Schärfe überhaupt intendiert gewesen sei). Denn es liege auf der Hand, dass aus der Sicht der Behörde eine Anhaltung in Haft deren jederzeitigen Zugriff auf die Person des Fremden mit wesentlich höherer Wahrscheinlichkeit gewährleiste als die in § 77 Abs. 3 Z. 1 bis 3 FPG vorgesehenen Maßnahmen. Wegen sonach schon voraussetzungsgemäßer Ungleichheit könnten daher "Schubhaft" einerseits und "gelindere Mittel" andererseits der Fremdenpolizeibehörde seitens des einfachen Gesetzgebers nicht als adäquate Maßnahmen, sondern nur in der Form überantwortet werden, dass zweifelsfrei klargestellt werde, dass gelindere Mittel stets grundsätzlich anzuwenden sind, während eine Heranziehung der Schubhaft nur in ganz besonders begründeten Ausnahmefällen möglich ist. Indem der derzeitige Normtext des § 77 Abs. 1 zweiter Halbsatz FPG jedoch darauf abstelle, dass die Anwendung gelinderer Mittel nur dann in Betracht komme, wenn auch dadurch "der Zweck der Schubhaft ..... erreicht werden kann", werde durch diese zwingende Korrelation im Ergebnis eine Gleichstellung von sachlich nicht Vergleichbarem bewirkt. Damit scheine jedoch ein Verstoß gegen das auch den einfachen Gesetzgeber bindende Sachlichkeitsgebot des Gleichheitsgrundsatzes und/oder das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art. 7 B-VG, Art. 2 StGG und Art. I Abs. 1 RassDiskrBVG) vorzuliegen.

 

Ergänzend sei schließlich – insbesondere im Lichte des jüngsten Erkenntnisses des VfGH vom 14. März 2012, U 466/11 u.a., wonach die in der EGRC gewährleisteten Verbürgungen als "verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte" i.S.d. Art. 144 Abs. 1 B-VG sowie als Prüfungsmaßstab in Verfahren nach Art. 139 Abs. 1 und Art. 140 Abs. 1 B‑VG anzusehen sind – auch noch darauf hinzuweisen, dass Art. 6 EGRC – im Gegensatz zu Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK – keinen expliziten Vorbehalt zur Einschränkung der persönlichen Freiheit eines Fremden wegen dessen Betroffenheit von einem schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren mehr vorsehe; vielmehr stelle sich danach die persönliche Freiheit (zumindest grundsätzlich) als eine ebenso schrankenlose Gewährleistung wie die Menschenwürde, das Recht auf Leben, das Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung und das Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit (Art. 1 und Art. 2 EGRC bzw. Art. 3 EGRC und Art. 4 EGRC) dar. Ob aber die in Art. 52 Abs. 1 EGRC (bloß als Ausnahme vom Grundsatz) vorgesehene Möglichkeit der Einschränkung (auch) der persönlichen Freiheit stets "den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer" diene, könne jedenfalls ebenso wenig vorbehaltlos bejaht werden wie die Frage, ob dadurch, dass in den "Erläuterungen zur Charta der Grundrechte" bezüglich Art. 6 EGRC explizit auf Art. 5 EMRK (und damit auch auf dessen Abs. 1 lit. f) hingewiesen wird, zum Ausdruck gebracht habe werden sollen, dass die unionsrechtliche Gewährleistung (i.S.d. Art. 52 Abs. 3 letzter Satz EGRC) inhaltlich nicht über die Garantie des Art. 5 EMRK hinausgehe.

 

Nach Art. 6 Abs. 1 PersFrBVG bzw. Art. 5 Abs. 4 EMRK habe jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit seine Entlassung angeordnet wird, wobei diese Entscheidung grundsätzlich binnen einer Woche zu ergehen hat. Dazu komme, dass Art. 13 EMRK vorsieht, dass derjenige, der sich in einem von der EMRK gewährleisteten Recht als verletzt erachtet (arg.: "Everyone whose rights ..... are violated"), einen verfassungsmäßig garantierten Anspruch darauf habe, eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz einzulegen.

 

Diese Garantie scheine jedoch – institutionell bedingt – immer dann missachtet zu werden, wenn gegen einen Fremden die Schubhaft angeordnet und diese auf § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG und/oder § 80 Abs. 2 und 4 FPG gestützt wird, der Fremde jedoch jene die Schubhaft tragende(n) Bestimmung(en) oder § 77 Abs. 1 erster Satz zweiter Halbsatz FPG für verfassungswidrig halte. Denn ein Individualantrag gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG scheide wohl mangels unmittelbarer Betroffenheit solange aus, bis über ihn die Schubhaft verhängt wurde. Aber auch eine unter Berufung auf die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Grundlage erhobene Beschwerde gemäß § 82 Abs. 1 FPG oder ein in deren Zuge vom Unabhängigen Verwaltungssenat gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG gestellter Gesetzesprüfungsantrag würde – ebenso wie eine für den Fall der Abweisung der Schubhaftbeschwerde nach § 83 Abs. 2 FPG erhobene Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 zweite Alternative B-VG – jeweils nicht dazu führen, dass über die Verfassungsmäßigkeit des  76 Abs. 2 Z. 2 FPG bzw. § 80 Abs. 2 und 4 FPG bzw. § 77 Abs. 1 erster Satz zweiter Halbsatz FPG und damit über die Rechtmäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft effektiv und ehetunlich entschieden wird, im Gegenteil: Weil in jenem Gesetz, das das Verfahren des zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der als bedenklich erachteten gesetzlichen Bestimmungen zuständigen VfGH ein Provisorialrechtsschutz schon grundsätzlich nicht vorgesehen sei, scheine die Geltendmachung der Verfassungswidrigkeit jener die Schubhaft tragenden gesetzlichen Grundlagen somit stets gleichsam "programmgemäß" jedenfalls zu einer massiven Überschreitung der in Art. 6 Abs. 1 PersFrBVG normierten Höchstfrist von einer Woche, zumindest aber zu einer Verletzung des Rechtes auf eine wirksame Beschwerde gemäß Art. 13 EMRK zu führen.

 

Da es dem Unabhängigen Verwaltungssenat im Zuge einer Beschwerde wie der vorliegenden weder zukomme, selbst die Verfassungsmäßigkeit dieser gesetzlichen Grundlagen zu beurteilen, noch aus eigenem anstelle der Schubhaft gelindere Mittel anzuordnen oder der Fremdenpolizeibehörde einen diesbezüglichen verbindlichen Auftrag zu erteilen, sondern von diesem vielmehr bloß die Rechtmäßigkeit der (Schubhaftverhängung bzw.) weiteren Anhaltung zu beurteilen sei (vgl. z.B. VwGH vom 25.3.2010, Zl. 2009/21/0281), könne die gegenständliche Antragstellung sohin auch nicht dadurch gehindert sein, dass sich diese insoweit zum Nachteil der mitbeteiligten Partei auswirke, als dadurch die Entscheidung gemäß § 80 Abs. 7 FPG verzögert wird. Denn dies wäre nur dann der Fall, wenn diese a limine zugunsten des Fremden ausfallen müsste, was gegenständlich allerdings nicht zutreffe.

 

In seiner Erstkonzeption habe Art. 6 Abs. 1 PersFrBVG noch keine Festlegung dahin, dass die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Festnahme und Anhaltung (regelmäßig) innerhalb von einer Woche zu ergehen hat, enthalten (vgl. dazu den Entwurf der sog. "Grundrechtskommission", in: BKA–Verfassungsdienst [Hrsg.], Der Schutz der persönlichen Freiheit, Wien 1987, 72 ff). Eine Motivation, die den Verfassungsgesetzgeber in der Folge – obwohl seitens Art. 5 Abs. 4 EMRK ("ehetunlich") in keiner Weise gefordert – dennoch zur Normierung dieser Wochenfrist veranlasste, lasse sich amtlichen Dokumenten, insbesondere den Gesetzesmaterialien, nicht entnehmen; denn in den E zur RV (134 BlgNR, 17. GP, 7) finde sich insoweit nur der den Rechtsschutzbehelf der Maßnahmenbeschwerde tangierende Hinweis: "Durch Abs. 1 zweiter Satz wird das Beschwerderecht vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts selbstverständlich nicht berührt" und auch der AB (667 BlgNR, 17. GP, 3) führe in diesem Zusammenhang lediglich aus: "Der Ausschuß hielt es für zweckmäßig, diese Regelung im Sinne des Art. 5 Abs. 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu ergänzen. Es wird daher ausdrücklich vorgesehen, daß im Falle der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Freiheitsentzuges die Freilassung des Betroffenen anzuordnen ist." Auch die im engen Konnex damit stehende, "den vom Bundesverfassungsgesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit in Art. 6 vorgegebenen Standard" umsetzende (vgl. die E zur RV, 9 BlgNR 18. GP, 3) Novellierung des FPG 1954 (BGBl.Nr. 21/1991) liefere hierfür keinen Anhaltspunkt. Vor dem Hintergrund, dass damals Asyl- und Fremdenrechtsfälle – und damit auch Schubhaftbeschwerden – faktisch lediglich in vergleichsweise geringer Anzahl aufgetreten seien und zugleich auch dem Art. 13 EMRK in der Judikatur des EGMR noch keine maßgebliche Bedeutung gekommen sei, habe diese Wochenfrist in der Vollzugspraxis in aller Regel auch kein ernsthaftes Problem dargestellt (wobei schon die damalige – die Unabhängigen Verwaltungssenate in keiner Weise berücksichtigende – Prognose des Gesetzgebers bezüglich der künftigen finanziellen Zusatzbelastung symptomatisch erscheine: "Mehrkosten können sich in geringer Höhe durch eine Erhöhung des Verwaltungsaufwandes bei den Fremdenpolizeibehörden ergeben"; vgl. die E zur RV, 9 BlgNR 18. GP, 2). 

 

Zwischenzeitlich hätten sich jedoch die maßgeblichen Rahmenbedingungen drastisch geändert: 1.) hätten sich die im Jahresdurchschnitt wenigen Fälle zu Beginn der 90-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts mittlerweile zu einer nicht mehr abebbenden Flüchtlingswelle entwickelt, die keineswegs nur die in geographischer Randlage situierten Mitgliedsstaaten tangiere, sondern der heute die Europäische Union insgesamt politisch hilflos gegenüberstehe. Dazu komme 2.), dass die nach den maßgeblichen Rechtsvorschriften ausschließlich zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Schubhaftverhängung zuständigen Unabhängigen Verwaltungssenate seither kontinuierlich – vornehmlich im Zuge der Verwaltungsreformgesetze – mit einer Fülle von weiteren gesetzlichen Aufgaben betraut worden seien, die im Zuge einer Gesamtbetrachtung die Schubhaftprüfung (wie aus den entsprechenden Tätigkeitsberichten hervorgehe) als eine bloße und angesichts der Einrichtung des Asylgerichtshofes zudem auch "artfremde" Nebenaufgabe erscheinen lassen würden. Von entscheidendster Bedeutung sei jedoch in diesem Zusammenhang 3.), dass – wie im Zuge der Rechtsentwicklung allgemein üblich – auch hier die von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts entwickelten Anforderungen an eine Schubhaftprüfung in den vergangenen 20 Jahren sowohl in inhaltlicher als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht stetig angestiegen seien (wie – um hier nur die markantesten Entwicklungslinien anzuführen – etwa: [regelmäßig] keine Beschränkung auf Beschwerdepunkte; keine bloße Grobprüfung; Prognoseentscheidung bezüglich der Absicht, sich dem Verfahren zu entziehen; Kooperationsbereitschaft und soziale Integration des Fremden, insbesondere etwa auch unter Einbeziehung des Assoziationsratsbeschlusses 1/80 EU-Türkei; strafrechtlich relevantes Verhalten; faktische Durchsetzbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen, insbesondere auch unter Einbeziehung der aktuellen politischen Situation im Abschiebestaat unter dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK; vollumfängliche Einbeziehung des parallel laufenden und allenfalls auch Familienmitglieder betreffenden Asylverfahrens bzw. Prognostizierung des hypothetischen Ergebnisses desselben – z.B., ob ein humanitäres Bleiberecht nach dem NAG gewährt werden wird – als Vorfrage; Verhältnismäßigkeitsprüfung im Hinblick auf gelindere Mittel; Identitätsfeststellung und Feststellung der Minderjährigkeit des Fremden; Prüfung der Haftfähigkeit, insbesondere des Vorliegens einer behaupteten Traumatisierung; Prüfung der örtlichen Zuständigkeit; Durchführung einer mündlichen Verhandlung, selbst wenn dies innerhalb der einwöchigen Entscheidungsfrist nicht möglich ist [vgl. jüngst VwGH v. 28. August 2012, Zl. 2010/21/0291, S. 12: "Die gesetzlich gebotene mündliche Verhandlung kann auch nicht deswegen unterbleiben, weil die belangte Behörde ihre Durchführung innerhalb der Entscheidungsfrist für 'faktisch unmöglich' hält"] – freilich ohne dass der VwGH [nach zweijähriger Verfahrensdauer] in diesem Zusammenhang eine entsprechende Konfliktlösung zumindest andeuten würde). Es sei offensichtlich, dass diese Kriterien – insbesondere wenn sie, was in der Praxis ja regelmäßig der Fall sei, in Kombination auftreten – innerhalb der Frist von einer Woche nicht erfüllt werden könnten, zumal die Fremdenpolizeibehörde auch nicht einmal eine Pflicht zur Aktenvorlage treffe, ganz abgesehen davon, dass diese im Regelfall schon von Gesetzes wegen bloß einen Mandatbescheid gemäß § 57 AVG zu erlassen habe (und ihrerseits hierbei nicht an eine Wochenfrist gebunden sei !). 

 

All dies berücksichtigend liege daher nach h. Auffassung auf der Hand, dass die ursprüngliche Sichtweise, dass sich der Unabhängige Verwaltungssenat jeweils selbst so zu organisieren habe, dass diese Frist jedenfalls eingehalten werden kann, gegenwärtig nicht mehr aufrecht erhalten werden könne. Im Lichte der zuvor aufgezeigten aktuellen Rahmenbedingungen sei Art. 6 Abs. 1 zweiter Satz PersFrBVG heute vielmehr so auszulegen, dass eine entsprechende Aufgabenübertragung durch den Fremdenrechtsgesetzgeber an eine Institution wie die Unabhängigen Verwaltungssenate, die vorrangig mit dem Vollzug anderer Materien betraut seien und zudem in keiner Weise über eine eigenständige Personal- und Budgethoheit verfügen würden, bei sonstiger Verfassungswidrigkeit nur in der Weise erfolgen könne, dass zugleich auch eine adäquate Ressourcenausstattung erfolgt.

 

Dem sei jedoch – wie zuvor gezeigt – schon a priori nicht entsprochen worden. Indem der einfache Gesetzgeber diese Anforderungen auch anlässlich der jüngsten Novellierung des FPG trotz explizit eingestandener zusätzlicher Aufgabenübertragung zweifelsfrei wiederum nicht erfüllt habe (vgl. die RV, 1078 BlgNR, 24. GP, 1 f und 5), erweise sich die Bestimmung des § 83 Abs. 2 FPG nunmehr offenkundig als verfassungswidrig, weil sie im Lichte der effektiv und nachhaltig geänderten rechtlichen und faktischen Rahmenbedingungen schon von vornherein nicht geeignet sei, die Verheißungen des Art. 6 Abs. 1 zweiter Satz PersFrBVG zu erfüllen.

 

(Nur ergänzend dürfe darauf hingewiesen werden, dass den Vorgaben der letztgenannten Verfassungsbestimmung erst recht nicht entsprochen werden könne, wenn jene die Schubhaft tragenden Bestimmungen vom Fremden selbst im Wege eines Individualantrages gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG angefochten worden wären, weil § 63 Abs. 3 VfGG in diesem Zusammenhang eine [längere] Frist von einem Monat vorsieht [wobei sich selbst diese im Regelfall als viel zu kurz erweist], die jedoch im Lichte des Art. 6 Abs. 1 zweiter Satz PersFrBVG ihrerseits als verfassungsrechtlich offenkundig bedenklich erscheine).

 

Die angefochtenen Bestimmungen erschienen schließlich auch noch insoweit als verfassungsrechtlich bedenklich, als im FPG keine Möglichkeit eingeräumt sei, dem Rechtsbehelf der Schubhaftbeschwerde eine aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

 

Das Fehlen jeglicher effektiver Form eines vorläufigen Rechtsschutzes scheine nicht nur zur bewussten Inkaufnahme einer unverhältnismäßigen Dauer der vorangehenden Freiheitsentziehung für den Fall, dass die Schubhaft ex post als rechtswidrig festgestellt werden sollte, und damit zu einer Verletzung der Gewährleistung des Art. 1 Abs. 1 PersFrBVG zu führen, sondern auch insoweit zu einer Missachtung des Art. 13 EMRK und/oder des rechtsstaatlichen Grundprinzips der Bundesverfassung.

 

1.5. Mit Erkenntnis vom 3. Oktober 2012, G 140/11 u.a. (ho. eingelangt am 8. November 2012), hat der VfGH die vom Oö. Verwaltungssenat in anderen gleich gelagerten Fällen gestellten Gesetzesprüfungsanträge teilweise zurück- und teilweise abgewiesen.

 

In der Sache wurde dazu begründend ausgeführt (vgl. die RN 35 ff dieser Entscheidung), dass ein Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit gemäß Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG nur dann und insoweit gerechtfertigt sei, wenn dieser zur Erreichung des mit einer Maßnahme verfolgten Zweckes notwendig ist und zu dem mit der Maßnahme verfolgten Zweck nicht außer Verhältnis steht; dieses ausdrücklich formulierte Verhältnismäßigkeitsgebot erlaube der Behörde sohin nur dann die Verhängung der Schubhaft, wenn dies zur Sicherung des fremdenpolizeilichen Verfahrens notwendig ist und soweit der Freiheitsentzug zu diesem Zweck nicht außer Verhältnis steht. Angesichts der sich schon aus dem Grundrecht ergebenden Verpflichtung der Behörden, von der Anordnung der Schubhaft jedenfalls Abstand zu nehmen, wenn sie im Einzelfall nicht notwendig und Verhältnismäßig ist (VfSlg 14981/1997 u. 17288/2004), belaste es daher eine Regelung wie § 76 Abs. 1 FPG nicht mit Verfassungswidrigkeit, wenn es der Gesetzgeber den vollziehenden Behörden überlässt, die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des fremdenpolizeilichen Verfahren einerseits und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen andererseits vorzunehmen (VfSlg 17891/2006 u. 18145/2007).

 

Weiters spreche auch schon der klare Gesetzeswortlaut des § 77 Abs. 1 FPG gegen ein Verständnis dieser Bestimmung dahin, dass es dadurch zu einer unsachlichen rechtlichen Gleichbehandlung von Schubhaft und gelinderen Mitteln komme. Denn § 77 Abs. 1 FPG gebe der Behörde keine freie Wahlmöglichkeit zwischen der Anordnung gelinderer Mittel und der Verhängung der Schubhaft; vielmehr sei ein – nach Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG auch verfassungsrechtlich gebotener (VfSlg 19323/2011) – klarer Vorrang der Anordnung gelinderer Mittel festgelegt. Unter Heranziehung dieser verfassungsrechtlich zwingenden Auslegung sei der Inhalt des § 77 Abs. 1 FPG gegenüber der Behörde ausreichend determiniert und differenziere dieser auch im gebotenen Maße zwischen der Verhängung von Schubhaft und der Anordnung von gelinderen Mitteln.

 

Auch die Bedenken, dass die §§ 76 und 77 FPG eine Verletzung von Art. 13 EMRK darstellen, seien deshalb unbegründet, weil ein Fremder, der auf Grund von Gesetzen, die gegen die EMRK verstoßen, in Schubhaft genommen wird, die Möglichkeit hätte, gemäß § 82 FPG eine Beschwerde beim UVS einzubringen; dieser hätte binnen einer Woche über die Rechtmäßigkeit der Fortsetzung der Schubhaft zu entscheiden (VfSlg 18081/2007); gegen einen negativen Bescheid wäre dann eine Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG an den VfGH zulässig, der ihr auf Antrag des Fremden die aufschiebende Wirkung zuerkennen könne. Selbst wenn die Schubhaft also aufgrund von gegen die EMRK verstoßenden Gesetzen verhängt werden würde, stünde eine den Anforderungen des Art. 13 EMRK genügende wirksame Beschwerdemöglichkeit zur Verfügung.

 

Die gegen § 80 Abs. 2 und 4 FPG vorgebrachten Bedenken, dass danach die im Einzelfall geltende höchstzulässige Schubhaftdauer nicht festzustellen sei, seien schon deshalb nicht zu teilen, weil aus dem klaren Wortlaut des § 80 Abs. 2 Z. 1 FPG abgeleitet werden könne, dass gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, die Schubhaft grundsätzlich nur für eine Höchstdauer von vier Monaten verhängt werden darf; die in § 80 Abs. 3 und 4 FPG formulierten Fälle seien also als ausdrückliche Ausnahmen zu der in Abs. 2 Z. 1 festgelegten höchst zulässigen Dauer der Schubhaft zu verstehen. Außerdem bestehe die Pflicht zur Achtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei der Vollziehung des FPG zu jedem Zeitpunkt des Vollzuges der Haft, sodass § 80 Abs. 4 FPG keineswegs eine undifferenzierte Dauer der Verhängung der Schubhaft ermögliche.

 

Schließlich könne eine strukturelle Überlastung des UVS, die zu einer Missachtung der gesetzlichen Entscheidungsfrist führt, nicht auf die Verfassungsmäßigkeit einer einfachgesetzlichen Bestimmung, die der verfassungsmäßig vorgegebenen Frist entspricht, zurückwirken.

  

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der BH Vöcklabruck vorgelegten Akt zu Zl. Sich40-1941-2012 sowie im Wege der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung am 13. Dezember 2012, zu der M S und W E als Vertreter der belangten Behörde erschienen sind; der Beschwerdeführer und dessen Rechtsvertreterin sind ohne Angabe von Gründen nicht erschienen.

 

Im Zuge dieser Beweisaufnahme konnte der oben unter 1.1. bis 1.4. dar­gestellte Sachverhalt mit der Ergänzung als unbestritten und sohin zutreffend festgestellt werden, dass die Schubhaft bis zum 28. Juni 2012 andauerte und die belangte Behörde vor der Schubhaftverhängung erwogen hat, gelindere Mittel – nämlich die Verpflichtung zum Aufenthalt in einer Flüchtlingsunterkunft, zur periodischen Meldung bei einer Sicherheitsdienststelle und zum Erlag einer finanziellen Sicherheit – anzuordnen, davon jedoch wegen dringenden Sicherungsbedarfes Abstand genommen hat.

 

2.2. Im vorliegenden Fall wurde der Rechtsmittelwerber auf Grund eines auf § 76 FPG gestützten Bescheides einer Behörde, die ihren Sitz im Sprengel des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich hat, angehalten; nach § 83 Abs. 1 FPG ist damit die örtliche Zuständigkeit des Oö. Verwaltungssenates zur Behandlung der gegenständlichen Beschwerde gegeben.

 

2.3. Dieser hatte gemäß § 83 Abs. 2 FPG i.V.m. § 67a AVG durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

 

 

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

 

3.1. Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat die Behörde gegenüber einem Fremden, gegen den die verfahrensrechtliche Erlassung oder die Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zulässig ist, gelindere Mittel einzusetzen, sofern dies notwendig ist, um die Durchführung eines solchen Verfahrens bzw. einer solchen Vollstreckungsmaßnahme zu sichern, und sie zudem Grund zur Annahme hat, dass der ansonsten mit einer Schubhaftverhängung intendierte Zweck auch durch die Anwendung eines gelinderen Mittels erreicht werden kann.

 

Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist nach § 77 Abs. 2 FPG weiters, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, wenn diese zuvor nicht ohnehin schon von Amts wegen erfolgt ist.

 

Als gelinderes Mittel kommt gemäß § 77 Abs. 3 FPG insbesondere die Anordnung, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen (Z. 1), sich in periodischen Abständen bei einem Polizeikommando zu melden (Z. 2) und/oder eine angemessene finanzielle Sicherheit bei der Behörde zu hinterlegen (Z. 3) in Betracht.

 

Nach § 76 Abs. 2a Z. 1 FPG hat die Fremdenpolizeibehörde u.a. über einen Asylwerber, gegen den eine mit einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG verbundene durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde, die Schubhaft anzuordnen, sofern diese diese für die Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG oder der Abschiebung notwendig ist und dieser Maßnahme besondere Umstände in der Person des Asylwerbers nicht entgegenstehen.

 

3.2. Von der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieser einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage bzw. davon ausgehend, dass diese nach dem zuvor dargestellten Erkenntnis des VfGH vom 3. Oktober 2012, G 140/11 u.a., unter Rückgriff auf Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG dahin auszulegen ist, dass die Fremdenpolizeibehörde während des Verfahrens zur zwangsweisen Durchsetzung einer Abschiebung zu jeder Zeit zu gewährleisten hat, dass eine solche Vollstreckungsmaßnahme klar vorrangig durch – in § 77 Abs. 3 FPG bloß demonstrativ normierte – gelindere Mittel (und nur im Ausnahmefall im Wege der ultima-ratio-Maßnahme der Schubhaft) gesichert wird, ist daher im Zuge einer gemäß § 82 Abs. 1 FPG erhobenen Beschwerde vom Unabhängigen Verwaltungssenat als gemäß Art. 6 Abs. 1 PersFrSchG zuständige Haftprüfungsinstanz, die hierüber, sofern der Fremde noch in Schubhaft angehalten wird, binnen einer Woche zu entscheiden hat, – gleichsam schrittweise – zu prüfen,

 

1.) ob die gesetzlichen Formalvoraussetzungen (nämlich: im Wege der Abschiebung vollstreckbarer Bescheid, mit dem eine Aufenthaltsbeendigung des Fremden angeordnet wird) einerseits und beim Beschwerdeführer die subjektiven Haftbedingungen (Haftfähigkeit etc.) andererseits (weiterhin) vorliegen,

 

2.) ob sich die Fremdenpolizeibehörde unter dem Aspekt der Zweckbindung (nämlich: Verfahrenssicherung im Wege der Verhältnismäßigkeit) der von ihr intendierten Maßnahmen – nachweislich – zunächst mit der Frage der Anordnung gelinderer Mittel auseinandergesetzt und ob sie dabei die Auswahl jenes gleichermaßen zur Zweckerreichung noch geeignete sowie den geringsten Rechtseingriff nach sich ziehende Mittel überhaupt sowie auch sachlich zutreffend in Erwägung gezogen hat, und

 

3.) ob und welche Belege dafür vorliegen, dass und aus welchen konkreten Gründen die Anordnung dieses gelinderen Mittels zur Zweckerreichung nicht geeignet erschien, sondern dass und ab welchem Zeitpunkt nachweislich eine solche ultima-ratio-Situation gegeben war, die die Anordnung der Schubhaftverhängung unabdingbar erforderte, und dass bzw. wie lange diese Fakten gegebenenfalls auch über den Zeitpunkt einer vom Unabhängigen Verwaltungssenat nach § 83 Abs. 4 FPG zu treffenden Entscheidung noch vorliegen werden, sowie

 

4.) gegebenenfalls, welche konkreten Umstände – nachweislich – gegeben sind, die die Annahme rechtfertigen, dass und wie lange diese ultima-ratio-Situation auch nach Ablauf der gemäß § 80 Abs. 2 Z. 2 FPG in aller Regel mit vier Monaten beschränkten Höchstdauer der Schubhaft fortbestehen wird.        

 

Davon ausgehend ergibt sich für den gegenständlichen Fall konkret Folgendes:

 

3.2.1. Der Rechtsmittelwerber war zum Zeitpunkt seiner Inschubhaftnahme als Asylwerber, dem zuvor mitgeteilt worden war, dass nach der Dublin‑VO ein anderer EU-Mitgliedstaat zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, zu qualifizieren.

 

Dafür, dass der Rechtsmittelwerber schon dem Grunde nach haftuntauglich gewesen wäre, haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte ergeben; insbesondere hat auch weder er selbst noch seine Rechtsvertreterin ein diesbezügliches Vorbringen erstattet.

 

Auf Basis dieser Faktenlage war daher die belangte Behörde im Grunde dazu berechtigt, über den Beschwerdeführer als einen Asylwerber, dessen Antrag i.S.d. § 5 Abs. 1 AsylG infolge der Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen sein wird, zum Zweck der Sicherung seiner Abschiebung ihren auf § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG gegründeten Bescheid vom 8. Mai 2012, Zl. Sich40-1941-2012, zu erlassen und damit die Schubhaft anzuordnen.

 

Die gesetzlichen Formalvoraussetzungen und die subjektiven Haftbedingungen sind daher im vorliegenden Fall als gegeben festzustellen.

 

3.2.2. Auch das von der belangten Behörde im vorzitierten Schubhaftbescheid angenommene – sowohl gelindere Mittel als auch eine Schubhaftanordnung in gleicher Weise materiell determinierende – Sicherungsbedürfnis erweist sich als evident, und zwar vornehmlich deshalb, weil der Beschwerdeführer weder über Personal- noch über Reisedokumente noch über einen Wohnsitz oder die zur Bestreitung seines Aufenthalts erforderlichen finanziellen Mittel verfügte und er sich stets standhaft geweigert hat, in den zur Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedsstaat (Rumänien) zurückzukehren.

 

3.2.3. Wie sich im Zuge der Verhandlung vor dem Oö. Verwaltungssenat ergeben hat, hat die belangte Behörde erwogen, zunächst bloß gelindere Mittel – nämlich: die Verpflichtung zum Aufenthalt in einer Flüchtlingsunterkunft, zur periodischen polizeilichen Meldung und zum Erlag einer finanziellen Sicherheit – anzuordnen.

 

Damit wurde aber dem vom VfGH in seinem oben unter Pkt. 1.6. näher dargestellten Erkenntnis vom 3. Oktober 2012, G 140/11 u.a., postulierten Kriterium zur primär bzw. absolut vorrangig gebotenen Heranziehung gelinderer Mittel – als eine grundlegende materielle Voraussetzung der allfälligen Zulässigkeit (auch) der Schubhaftverhängung – entsprochen. Denn die belangte Behörde hat solche erwogen und diese im Ergebnis deshalb zutreffend verworfen, weil sie sich auf Grund der konkreten Umstände (insbesondere: fehlende Dokumente, keine Unterkunft, keine soziale Integration, keine finanziellen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts, kategorische Weigerung zur Rückkehr in den zur Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedsstaat) als offenkundig nicht in gleicher Weise effektiv erwiesen haben. Davon ausgehend war die Fremdenpolizeibehörde sohin auch tatsächlich zur Anwendung der ultima-ratio-Maßnahme der Inschubhaftnahme berechtigt.

 

3.3. Vor diesem Hintergrund erweist sich die gegenständliche Beschwerde somit als unbegründet.

 

Dies hatte der Oö. Verwaltungssenat gemäß § 83 Abs. 1 und 4 FPG i.V.m. § 67c Abs. 3 AVG festzustellen.

 

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Beschwerdeführer dazu zu verpflichten, dem Bund als Rechtsträger der belangten Behörde nach § 79a Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4 Z. 3 AVG i.V.m. § 1 Z. 3 bis 5 der UVS-Aufwandersatzverordnung, BGBl.Nr. II 456/2008, Kosten in einer Höhe von insgesamt 887,20 Euro (Vorlageaufwand: 57,40 Euro Schriftsatzaufwand: 368,80 Euro; Verhandlungsaufwand: 461,00 Euro) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden, wobei für jede dieser Beschwerden eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten ist.

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von 18,20 Euro angefallen; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

 

Dr.  G r ó f

 

 

 

 

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