Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-590338/3/Gf/Rt

Linz, 21.12.2012

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch seine 10. Kammer (Vorsitzender: Mag. Stierschneider; Berichter: Dr. Gróf; Beisitzer: Dr. Brandstetter) über die Berufung des R, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 24. Oktober 2012, Zl. Ges-140372/9-2012-Bit, wegen der Anordnung von Maßnahmen nach dem Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 AVG.

 

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

 

1.1. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 24. Oktober 2012, Zl. Ges-140372/9-2012-Bit, wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 39 Abs. 1 Z. 12 des Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes, BGBl.Nr. I 13/2006 i.d.g.F. BGBl.Nr. II 125/2011 (im Folgenden: LMSVG), i.V.m. der VO (EG) 852/2004 über Lebensmittelhygiene (im Folgenden kurz: EU-VO 852/2004), aufgetragen, "durch geeignete Verfahren sicherzustellen (und nachzuweisen)", dass seine "Rohmilch den in der VO (EG) Nr. 852/2004 festgelegten Kriterien entspricht. Daher sind geeignete Untersuchungsbefunde vorzulegen. Die angeführte Maßnahme ist mit sofortiger Wirkung durchzuführen".

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass im Zuge einer behördlichen Betriebskontrolle am 14. Dezember 2011 festgestellt worden sei, dass der Rechtsmittelwerber keine Untersuchungsbefunde bezüglich der zulässigen Keimzahl der von ihm erzeugten Rohmilch vorweisen könne. Daher sei ihm zunächst aufgetragen worden, solche Befunde bis spätestens 29. Februar 2012 vorzulegen. Dieser Aufforderung sei er jedoch bis dato noch immer nicht nachgekommen, weshalb nunmehr eine unverzügliche Vorlagepflicht in Bescheidform anzuordnen gewesen sei.

 

1.2. Gegen diesen ihm am 29. Oktober 2012 zugestellten Bescheid richtet sich die vorliegende, am 7. November 2012 – und damit rechtzeitig – per Telefax eingebrachte Berufung.

 

Darin wird – der Sache nach – neuerlich eingewendet, dass die von ihm erzeugte Rohmilch nicht der von der Behörde herangezogenen EU-Verordnung, sondern vielmehr der von der Bezirksbauernkammer herausgegebenen "Leitlinie für eine gute Hygienepraxis für bäuerliche Milchbetriebe" unterliege, die sich inhaltlich zwar weitgehend, aber nicht gänzlich mit der unionsrechtlichen Vorschrift decken würde. Insbesondere sei nach dieser Leitlinie die Erstellung und Führung von Aufzeichnungen nicht verpflichtend, sondern solche Maßnahmen hätten bloß empfehlenden Charakter.

 

Daher wird – erschließbar – die  Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

 

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vom Amt der Oö. Landesregierung zu Zl. Ges-140372-2012 vorgelegten Akt; da die Verfahrensparteien einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben, konnte im Übrigen gemäß § 67d Abs. 1 AVG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

2.2. Nach § 39 Abs. 5 LMSVG haben die Unabhängigen Verwaltungssenate (u.a.) über Berufungen gegen Bescheide, mit denen vom Landeshauptmann Maßnahmen i.S.d. § 39 Abs. 1 LMSVG angeordnet werden – und zwar gemäß § 67a AVG durch eine aus drei Mitgliedern bestehende Kammer – zu entscheiden.

 

 

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

 

3.1. Gemäß § 39 Abs. 1 LMSVG hat der Landeshauptmann im Falle der Wahrnehmung von Verstößen gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften mit Bescheid die nach Art des Verstoßes und unter Berücksichtigung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit erforderlichen Maßnahmen zur Mängelbehebung oder Risikominderung – gegebenenfalls unter einer gleichzeitig zu setzenden angemessenen Frist und unter Ausspruch der notwendigen Bedingungen oder Auflagen – anzuordnen.

 

Nach § 39 Abs. 1 Z. 12 LMSVG zählt hierzu in entsprechend begründeten Fällen insbesondere auch die Anordnung der Vorlage von Untersuchungszeugnissen.

 

3.2. Im gegenständlichen Fall wird sowohl im Spruch als auch in der Begründung des angefochtenen Bescheides als jene die angeordnete Maßnahme tragende Rechtsgrundlage durchgehend die "VO (EG) Nr. 852/2004" – also die Verordnung (EG) Nr. 852/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über Lebensmittelhygiene (ABl L 139/2004, S. 1, i.d.g.F. ABl L 87/2009, S. 109, im Folgenden: EU-VO 852/2004) – angeführt.

 

Gemäß Art. 3 EU-VO 852/2004 hat jeder Lebensmittelunternehmer sicherzustellen, dass auf allen seiner Kontrolle unterstehenden Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen die einschlägigen Hygienevorschriften dieser Verordnung erfüllt sind.

 

Nach Art. 1 Abs. 1 lit. b EU-VO 852/2004 gilt diese Verordnung u.a. auch für die Primärproduktion von Lebensmitteln; allerdings ist davon nach Art. 1 Abs. 2 lit. c EU-VO 852/2004 die direkte Abgabe kleiner Mengen von Primärerzeugnissen durch den Erzeuger an den Endverbraucher oder an lokale Einzelhandelsgeschäfte, die die Erzeugnisse unmittelbar an den Endverbraucher abgeben, explizit ausgenommen.

 

Abgesehen davon, dass im gegenständlichen Fall nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Betrieb des Rechtsmittelwerbers unter diese Ausnahmeregelung fällt, enthält – was (wie unten noch näher darzustellen sein wird) im Ergebnis von (mit-)entscheidender Bedeutung ist – die EU-VO 852/2004 keinen "Anh. III Abschn. IX Kap. I Z. III (Kriterien für Rohmilch)", aus dem die belangte Behörde eine verpflichtende Obergrenze in Bezug auf Keimzahlen ableitet. Damit fehlt es aber insoweit auch an einer tragfähigen Basis dafür, den Rechtsmittelwerber zur Vorlage entsprechender Untersuchungsbefunde zu verpflichten.

 

3.3. Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs (ABl L 139/2004, S. 55, i.d.g.F. ABl L 8/2012, S. 29, im Folgenden: EU-VO 853/2004) müssen Lebensmittelunternehmer die einschlägigen Vorschriften der Anhänge II und III dieser Verordnung erfüllen.

 

Anhang III Abschnitt IX Kapitel I Pkt. III Nr. 2 EU-VO 853/2004 ordnet u.a. an, dass eine repräsentative Anzahl an Rohmilchproben, die nach dem Zufallsprinzip aus Milcherzeugungsbetrieben gezogen werden, auf deren Übereinstimmung mit den in Nr. 3 und Nr. 4 der genannten Bestimmung getroffenen Festlegungen kontrolliert werden muss, wobei diese Kontrolle gemäß lit. d dieser Bestimmung (auch) im Rahmen einer nationalen Kontrollregelung durchgeführt werden kann. Nach Anhang III Abschnitt IX Kapitel I Pkt. III Nr.  3 lit. a sublit. ii EU-VO 853/2004 müssen Lebensmittelunternehmer mit geeigneten Verfahren sicherstellen, dass Rohmilch von anderen Tieren als Kühen bei 30° C im Mittel keine höhere Keimzahl als 1,500.000 aufweist.

 

Gemäß Art. 1 Abs. 3 lit. c. EU-VO 853/2004 gilt diese Verordnung jedoch nicht für die direkte Abgabe kleiner Mengen von Primärerzeugnissen durch den Erzeuger an den Endverbraucher oder an örtliche Einzelhandelsunternehmen, die die Erzeugnisse direkt an den Endverbraucher abgeben.

 

3.4. Insgesamt besehen liegt es nun zwar nahe, die Bezugnahme des angefochtenen Bescheides auf die EU-VO 852/2004 als ein Versehen dahin zu qualifizieren, dass die belangte Behörde stattdessen tatsächlich stets die EU-VO 853/2004 gemeint hat – also ein Versehen, das etwa dadurch entstanden sein könnte, dass ein Textverarbeitungsprogramm mit einer sog. "Autokorrektur-Funktion" zum Einsatz kam, wobei schon die ursprüngliche Eingabe fehlerhaft vorgenommen wurde, sodass dieser Fehler dann in der Folge automatisch und umfassend perpetuiert wurde.

 

Allein der Umstand einer im Ergebnis unzutreffenden Angabe der Rechtsgrundlage würde jedoch noch nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheides führen; vielmehr könnte bzw. müssten derartige im Zuge eines Rechtsmittelverfahrens erkannte Fehler von der Berufungsbehörde entsprechend korrigiert werden.

 

3.5. Allerdings ist zu beachten, dass die belangte Behörde im gegenständlichen Fall dem Beschwerdeführer gegenüber nicht nur im angefochtenen Bescheid, sondern auch sonst niemals zum Ausdruck gebracht hat, dass sie ihr Vorgehen nicht auf die EU-VO 852/2004, sondern in Wahrheit auf die EU-VO 853/2004 gestützt hat.

 

Unter solchen Umständen ist es ist es objektiv besehen nicht nur unschwer nachvollziehbar, dass der – selbst rechtsunkundige – Rechtsmittelwerber ständig zwischen der Nichtanwendbarkeit der EU-VO 852/2004, der – ebenfalls unzutreffenden – Annahme der Maßgeblichkeit einer Leitlinie der Bezirksbauernkammer sowie zeitweiser gänzlicher Ratlosigkeit (vgl. dessen e-mail vom 27. Februar 2012: "Für mich ist nichts mehr klar") hin- und herschwankte. Im Ergebnis wurde es ihm auf diese Weise schon von vornherein verunmöglicht, sachdienliche Argumente zur effektiven Verteidigung seines Rechtsstandpunktes vorzubringen.

 

Dazu kommt, dass seitens der belangten Behörde keinerlei Ermittlungen dahin, ob die in Rede stehenden unionsrechtlichen Normen für den Betrieb des Rechtsmittelwerbers überhaupt maßgeblich sind, durchgeführt wurden; eine Klärung dahin, ob der Beschwerdeführer unter die Ausnahmebestimmung des Art. 1 Abs. 3 lit. c EU-VO 853/2004 fällt (direkte Abgabe kleiner Mengen an Endverbraucher oder örtliche Einzelhandelsunternehmen), wäre jedoch offenkundig unabdingbar gewesen.

 

Ferner findet sich im Akt auch kein Anhaltspunkt dafür, dass ein solches – und welches – innerstaatliche(s) Kontrollsystem i.S.d. Anhanges III Abschnitt IX Kapitel I Pkt. III Nr. 2 zur EU-VO 853/2004 besteht, das der Behörde die Durchführung von Kontrollen auf die Einhaltung des in Anhang III Abschnitt IX Kapitel I Pkt. III Nr. 3 lit. a sublit. ii normierten Grenzwertes in Form von Probenziehungen nach dem Zufallsprinzip ermöglicht. Sollte jedoch davon ausgehend eine gesetzliche und/oder sonstige nähere rechtliche Regelung zur Wahrnehmung von Verstößen i.S.d. Art. 18 Abs. 1 B-VG überhaupt fehlen, dann kann folglich die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid intendierte Anordnung zur Vorlage von Untersuchungsbefunden auch nicht auf § 39 Abs. 1 LMSVG Z. 12 LMSVG gestützt werden.

 

Schließlich ist auch noch zu beachten, dass der gegenständlichen Berufung ein Bescheid zu Grunde liegt, der nicht in einem auf Antrag des Rechtsmittelwerbers, sondern in einem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren ergangen ist, d.h., dass sich die Beschwerde nicht gegen die Verweigerung einer begehrten Bewilligung, sondern gegen einen behördlichen Eingriffsakt richtet.

 

Unter solchen Umständen würde es rechtsstaatlichen Grundsätzen fundamental zuwider laufen, wenn der – selbst weder demokratisch legitimierte noch politisch verantwortliche – Oö. Verwaltungssenat nach autonomer Substituierung der erforderlichen sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen anstelle der i.S.d. Art. 20 Abs. 1 B-VG obersten Verwaltungsbehörde gleichsam sowohl materiell als auch originär – und noch dazu mit sofortiger Wirkung – dem Rechtsmittelwerber vorschreibt, durch geeignete Verfahren sicherzustellen und nachzuweisen, dass die Rohmilch den in der EU-VO 853/2004 festgelegten Kriterien entspricht, und/oder die Vorlage von Untersuchungszeugnissen und/oder eine andere (arg. "insbesondere") der in § 39 Abs. 1 LMSVG genannten, dem Verhältnismäßigkeitsprinzip allenfalls besser entsprechende Eingriffsmaßnahme anordnet.

 

3.6. Aus allen diesen Gründen war daher – wie der Oö. Verwaltungssenat schon mehrfach ausgesprochen hat (vgl. z.B. jüngst VwSen-590294 vom 6. Juli 2012)  – keine reformatorische Entscheidung zu treffen, sondern der gegenständlichen Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG insoweit stattzugeben, als der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben wird.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden, wobei für jede dieser Beschwerden eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten ist.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von 14,30 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

 

 

M a g.  S t i e r s c h n e i d e r

 

 

 

 

VwSen-590338/3/Gf/Rt vom 21. Dezember 2012

 

Erkenntnis

 

 

Rechtssatz

 

LMSVG §39 Abs1;

Verordnung (EG) Nr 852/2004 über Lebensmittelhygiene;

Verordnung (EG) Nr. 853/2004 über Lebensmittelhygiene tierischen Ursprungs;

AVG §66 Abs4

 

Da es rechtsstaatlichen Grundsätzen fundamental zuwider laufen würde, wenn der – selbst weder demokratisch legitimierte noch politisch verantwortliche – UVS nach autonomer Substituierung der erforderlichen sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen anstelle der iSd Art20 Abs1 B-VG obersten Verwaltungsbehörde gleichsam sowohl materiell als auch originär – und noch dazu mit sofortiger Wirkung – dem Rechtsmittelwerber vorschreibt, durch geeignete Verfahren sicherzustellen und nachzuweisen, dass die Rohmilch den in der Lebensmittelhygieneverordnung tierischen Ursprungs festgelegten Kriterien entspricht, und/oder die Vorlage von Untersuchungszeugnissen und/oder eine andere (arg. "insbesondere") der in §39 Abs1 LMSVG genannten, dem Verhältnismäßigkeitsprinzip allenfalls besser entsprechende Eingriffsmaßnahme anordnet, war keine reformatorische Entscheidung zu treffen, sondern der gegenständlichen Berufung gemäß §66 Abs4 AVG insoweit stattzugeben, als der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben wird.

 

 

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