Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-301203/2/MB/WU

Linz, 27.03.2013

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Markus Brandstetter über die Berufung der X, geb. X, vertreten durch Rechtsanwalt X, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 20. Dezember 2011, AZ: S-59256/11-2, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem Glücksspielgesetz zu Recht erkannt:

 

I.             Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 und Z 3 VStG eingestellt.

 

II.          Die Berufungswerberin hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Kostenbeitrag für das Berufungsverfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat zu leisten.

 

Rechtsgrundlagen:

zu I: § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG iVm § 66 Abs 4 Allgemeines Verwal­tungsverfahrens­gesetz 1991 – AVG;

zu II: § 66 Abs 1 VStG.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz (nunmehr: Landespolizeidirektion Oberösterreich; im Folgenden: belangte Behörde) vom 10. Februar 2012, AZ S-59256/11-2, wurde die Berufungswerberin (im Folgenden: Bwin) für schuldig erkannt, sie habe es, wie am 6. Dezember 2011 um 8:45 Uhr in X, im Lokal "X" von Organen des Finanzamtes Linz festgestellt wurde, als Person, die eine Glücksspieleinrichtung (Internet Shop Online E2, ohne Seriennummer) bereithält, gegen die Mitwirkungspflicht nach § 50 Abs 4 GSpG verstoßen, da sie den Organen des Finanzamtes Linz nicht die geforderten Auskünfte erteilt habe.

 

Als verletzte Rechtsvorschriften führte die belangte Behörde § 50 Abs 4 Satz 2 GSpG iVm § 52 Abs 1 Z 5 GSpG an und verhängte über die Bwin eine Geldstrafe in Höhe von 550 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 24 Stunden) und verpflichtete sie zur Leistung eines Beitrags zu den Kosten des Strafverfahrens erster Instanz in Höhe von 10 % der Geldstrafe.

 

1.2. Zum Sachverhalt stellte die belangte Behörde fest, dass zum Tatzeitpunkt von Organen des Finanzamtes Linz im "X", X, in X eine Glücksspielkontrolle durchgeführt worden sei. Als Betreiber dieser Glücksspiele sei die X anzusehen. Die Bwin sei bei der Kontrolle als einzige Angestellte anzutreffen gewesen. Bei dieser Kontrolle habe die Finanzpolizei das Gerät betriebsbereit und eingeschaltet vorgefunden. Die Bwin sei sodann im Zuge der Kontrolle aufgefordert worden, Auskünfte über das Gerät zu erteilen. Diese Auskünfte verweigerte die Bwin jedoch. Des weiteren sei die Bwin mit Schreiben vom 2. Jänner 2012 aufgefordert worden, sich binnen zwei Wochen schriftlich zu rechtfertigen. Dieses Schreiben wurde in weiterer Folge durch Hinterlegung zugestellt und habe die Bwin es bis dato verabsäumt diesem Auftrag nachzukommen.

 

1.3. In rechtlicher Hinsicht wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass unbestritten feststehe, dass es sich bei der vorgefundenen Gerätschaft um ein betriebsbereites und eingeschaltetes Glücksspielgerät handle. In weiterer Folge beschreibt die belangte Behörde den Spielablauf der angebotenen Ausspielung und folgert, dass dies bewilligungslos erfolge. Nachfolgend führt die belangte Behörde aus, dass die Bestimmung des § 50 Abs. 4 Satz 2 GSpG explizit vorsehe, dass u.a. Personen, die Glücksspieleinrichtungen bereit halten, als Normadressaten in Frage kommen. Die Bwin sei eine Mitarbeiterin des Betreibers, der X, und als einzige Person im Lokal organisatorisch für den Glücksspielbereich verantwortlich.

 

Nach Bewertung des § 50 Abs. 4 GSpG als Ungehorsamsdelikt führt die belangte Behörde aus, dass vor diesem Hintergrund das verantwortliche Organ – die Bw [?] – dann strafbar sei, wenn sie nicht genügend Verkehrungen getroffen habe, um die Verwirklichung des Tatbildes durch den unmittelbaren Täter zu verhindern. Es liege daher eine Unterlassung dem Vorwurf zugrunde. In einem solchen Fall habe bei Erfüllung des objektiven Tatbildes der verwaltungsstrafrechtliche Verantwortliche glaubhaft zu machen, dass die Bwin an der Verwaltungsübertretung kein Verschulden treffe. Solange dies nicht der Fall sei, habe die Behörde anzunehmen, dass der Verstoß bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte vermieden werden können. Es sei daher Sache der Bwin, glaubhaft zu machen, dass sie an der Begehung der Verwaltungsübertretung kein Verschulden treffe (VwGH 29. April 2011, Zl. 2009/09/0037).

 

Weiters folgert die belangte Behörde, dass die Bw vorsätzlich die "Mitwirkungspflicht" unterlassen. Von den Organen der Finanzpolizei sei glaubwürdig angezeigt worden, dass die Bwin kein Auskünfte erteilt habe.

 

Abschließend führt die belangte Behörde zur Strafzumessung aus, dass die Bwin Unbescholtenheit geltend machen könne und die Tat unrechts- und schuldangemessen sei. Einkommens-, Familien- und Vermögensverhältnisse werden von der belangten Behörde in der Form angenommen, als keine Sorgepflichten, kein Vermögen und 1.000 Euro netto Monatsverdienst als gegeben angenommen werden können.

 

2. Gegen dieses Straferkenntnis, zugestellt am 13. Februar 2012, richtet sich die rechtzeitige Berufung, welche am 20. Februar 2012 per Fax übermittelt wurde.

 

Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die belangte Behörde nicht darlegt habe, warum die Bwin eine Person sein solle, welche Glücksspieleinrichtungen bereit gehalten habe. Zum anderen sei fraglich, was unter den von der belangten Behörde im Spruch angeführten geforderten Auskünften zu verstehen sei. Die Bwin könne nur Auskünfte darüber erteilen, worüber sie auch Bescheid wisse. Abschließend wird zudem bestritten, dass das besagte Gerät ein dem GSpG unterliegendes sei.

 

Die Bwin beantragt daher sinngemäß, der Berufung Folge zu geben und das angefochtene Straferkenntnis ersatzlos aufzuheben. Ausdrücklich beantragt die Bwin auch die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu der sämtliche bei der Kontrolle anwesenden Personen als Zeugen zu laden seien.

 

2.2. Die belangte Behörde legte mit Schreiben vom 21. Februar 2012 die Berufung und ihren Bezug habenden Verfahrensakt dem Oö. Verwaltungssenat zur Entscheidung vor. Von der Möglichkeit einer Berufungsvorentscheidung macht die belangte Behörde aus Plausibilitätsgründen nicht Gebrauch.

 

3. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsstrafakt der belangten Behörde (einschließlich der Schriftsätze der Parteien). Da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben war, konnte gemäß § 51e Abs 2 Z 1 VStG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

Gemäß § 51c VStG hatte der Oö. Verwaltungssenat im gegenständlichen Fall – weil hier eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde – durch eine Kammer zu entscheiden.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 50 Abs 1 Glücksspielgesetz, BGBl 620/1989 in der zur Tatzeit geltenden Fassung BGBl I 76/2011 (in der Folge: GSpG) sind für Strafverfahren und Betriebsschließungen nach diesem Bundesgesetz in zweiter Instanz die Unabhängigen Verwaltungssenate gemäß § 51 Abs 1 VStG zuständig. Nach § 27 VStG ist im vorliegenden Fall auch die örtliche Zuständigkeit als gegeben anzunehmen.

 

4.2. Gemäß § 50 Abs 4 GSpG sind die Behörde nach § 50 Abs 1 GSpG und die im § 50 Abs 2 und 3 leg.cit. genannten Organe zur Durchführung ihrer Überwachungsaufgaben berechtigt, Betriebsstätten und Betriebsräume sowie Räumlichkeiten zu betreten, auch wenn dies sonst der Allgemeinheit untersagt ist, soweit dies zur Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes erforderlich ist. Veranstalter, Anbieter und Personen, die Glücksspieleinrichtungen bereithalten, haben der Behörde nach § 50 Abs 1 GSpG, dem Amtssachverständigen (§ 1 Abs 3 GSpG) und den Organen der öffentlichen Aufsicht umfassend Auskünfte zu erteilen, umfassende Überprüfungen und Testspiele zu ermöglichen und Einblick in die geführten Aufzeichnungen sowie die nach diesem Bundesgesetz aufzulegenden Spielbeschreibungen zu gewähren.

 

Gemäß § 52 Abs 1 Z 5 GSpG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Behörde mit Geldstrafe bis zu 22 000 Euro zu bestrafen, wer gegen eine Bestimmung der in § 2 Abs 3 GSpG vorgesehenen Verordnung, gegen die Auflageverpflichtung von Spielbeschreibungen, die Anzeigeverpflichtung gemäß § 4 Abs 6 GSpG oder eine Duldungs- oder Mitwirkungspflicht nach § 50 Abs 4 GSpG verstößt.

 

Gemäß § 52 Abs 5 GSpG beträgt die Verjährungsfrist (§ 31 Abs 2 VStG) für Verwaltungsübertretungen gemäß § 52 Abs 1 GSpG ein Jahr.

 

4.3. § 50 Abs 4 GSpG normiert eine "umfassende" Mitwirkungs- und Duldungspflicht, welche sich an verschiedene Adressaten richtet. Im Grunde soll diese Mitwirkungs- und Duldungspflicht die Effizienz der Kontrolle im Rahmen des GSpG steigern (vgl grundlegend EBRV 658 BlgNR 24. GP, 3) und zur Gewinnung der notwendigen Informationen zur Durchführung der Überwachungsaufgaben im Rahmen des GSpG führen, soweit dies zur Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen des GSpG erforderlich ist (vgl dazu § 50 Abs 4 1. Satz GSpG).

 

Schon aus dem Wortlaut der Bestimmung wird eine erste Grenze der Duldungs- und Mitwirkungspflicht ersichtlich. Diese Pflichten erstrecken sich nur auf den Bereich der Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen des GSpG. Liegt hingegen der Verdacht – welcher im Kern des Begriffes notwendig ein begründeter, d.h. auf Tatsachen zurückzuführender, ist (siehe zum retrospektiv diagnostischen Element des Verdachtsbegriffes im Rahmen der abduktiven Entdeckung und Bewertung von Hypothesen Schulz, Normiertes Misstrauen, 224 ff, 312 ff und 528 f) – auf den Verstoß gegen das GSpG vor, so endet die Duldungs- und Mitwirkungspflicht. Ab diesem Zeitpunkt handelt es sich nicht mehr um die Durchführung von Überwachungsaufgaben zum Zwecke (arg.: "erforderlich") der Einhaltung des GSpG, sondern zum Zwecke der Tataufklärung und Ermittlung wegen eines angenommenen Verstoßes gegen das GSpG.

 

Diese Auslegung korreliert jedenfalls betreffend die Mitwirkungspflicht in den überwiegenden Fallkonstellationen mit den Vorgaben des verfassungsrechtlich verankerten Prinzips "nemo tentur se ipsum accusare", nach dem der Gesetzgeber keine Regelung treffen darf, die eine im Verdacht einer strafbaren Handlung stehende Person verpflichtet, Beweise gegen sich selbst zu liefern (dazu mwN Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 Rz 786).

 

Darüber hinaus ist aus dem Wortlaut abzuleiten, dass die Duldungs- und Mitwirkungspflicht nicht nur ad personam durch die Anwendbarkeit des Selbstbezichtigungsverbotes begrenzt ist, sondern dass das Entstehen der Verdachtslage auch generell die Zäsur darstellt.

 

Ist somit aus der objektiven Sichtweise ex ante eine Verdachtslage auf einen Verstoß gegen das Glücksspielgesetz gegeben, so endet zumindest die Mitwirkungspflicht (siehe zur vorzunehmenden Art der Abgrenzung in ähnlichen Konstellationen Lienbacher, Ist staatsanwaltliches Handeln ein zulässiger Kontrollgegenstand, in Lienbacher/Wielinger, Jahrbuch Öffentliches Recht 2010, 73 f). Denn es geht dann nicht mehr nur um die Wahrnehmung von Überwachungsaufgaben zur Kontrolle der Einhaltung des Glücksspielgesetzes, sondern um strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen im Hinblick auf einen Verstoß.

 

Das Argument, dass durch das bloße Einschreiten von Hilfsorganen - deren Verhalten der zuständigen Verwaltungsstrafbehörde zuzurechnen ist - der öffentlichen Aufsicht (Finanzpolizei) noch kein formaler Beginn eines Strafverfahrens im Sinne des § 32 VStG (arg. noch keine behördliche Verfolgungshandlung) erfolgt sei, vermag am oben dargelegten, verfassungsrechtlich gebotenen Interpretationsergebnis, das nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs aus der materiellen Bedeutung des Anklageprinzips nach Art 90 Abs 2 B-VG folgt und daher auch im Verwaltungsstrafverfahren gilt (vgl mN Mayer, B-VG4 [2007] Art 90 B-VG Anm III), sachlich nichts zu ändern. Es liegt auf der Hand, dass das bloße Abstellen auf behördliche Verfolgungshandlungen und ein Ausblenden des Verfolgungsverhaltens von Hilfsorganen nur ein der Aushöhlung und Umgehung dienender Formalismus wäre, der dem Wesensgehalt des verfassungsrechtlichen Selbstbezichtigungsverbots und der Unschuldvermutung des Art 6 Abs 2 EMRK diametral zuwiderliefe.

 

Vor diesem Hintergrund ist nun aus der Zusammenschau des Akteninhalts, insbesondere der Anzeige der Finanzpolizei samt der beigelegten Fotodokumentation mit der für die Beschlagnahme üblichen Nummerierung der Gerätschaften und der Aufnahme einer Gerätschaft mit Versiegelung mit dem offenkundig dem Ziel der strafrechtlichen Aufklärung (Strafverfolgung) dienenden Funktion, und aus dem Umstand, dass in Oberösterreich auch das kleine Glücksspiel immer verboten war (weshalb keine Übergangsfristen gemäß § 60 Abs 25 GSpG in Betracht kommen) zu erkennen, dass für das Einschreiten der Finanzpolizei im gegenständlichen Fall der Verdacht von Eingriffen in das Glücksspielmonopol und damit von Übertretungen der Strafbestimmung des § 52 GSpG im Vordergrund stand. Darüber hinaus wurde laut Feststellungen der belangten Behörde beim Eintreffen im Lokal das Gerät betriebsbereit und eingeschaltet vorgefunden. Schon in diesem Zeitpunkt lag somit die oben beschriebene Verdachtslage vor und endete bei verfassungskonformer Auslegung die Mitwirkungspflicht gemäß dem § 50 Abs 4 GSpG. Mangels einer Mitwirkungspflicht an der Strafverfolgung und Aufklärung von Delikten war auch keine mit Strafe bedrohte Handlung möglich.

 

4.4. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu den Sprucherfordernissen nach § 44a Z 1 VStG ist die Tat so weit zu konkretisieren, dass diese erstens nach Tatort und Tatzeit unverwechselbar feststeht sowie zweitens eine eindeutige Zuordnung zu den Tatbestandsmerkmalen ermöglicht wird und damit auch die Identität der Tat unverwechselbar feststeht (stRsp seit verst. Senaten VwSlg 11.466 A/1984 und VwSlg 11.894 A/1985); im Spruch sind daher alle wesentlichen Tatbestandsmerkmale anzuführen, die zur Individualisierung und Konkretisierung des inkriminierten Verhaltens notwendig sind.

 

Der Vorschrift des § 44 a Z 1 VStG ist dann entsprochen, wenn im Spruch die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, dass der Beschuldigte in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen und der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhalten nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Eine Umschreibung der Tat bloß in der Begründung reicht im Verwaltungsstrafrecht nicht aus (vgl Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2004] 1522, Anm 2 zu § 44a VStG).

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Rechtsmittelbehörde nach § 66 Abs 4 AVG (iVm § 24 VStG) nicht die Befugnis, dem Beschuldigten eine andere Tat als die Erstbehörde anzulasten und damit die Tat auszuwechseln (vgl allgemein VwGH 25.3.1994, Zl. 93/02/0228; VwGH 19.5.1993, Zl. 92/09/0360; VwGH 28.2.1997, Zl. 95/02/0601). Die Entscheidungsbefugnis der Berufungsbehörde ist durch den Spruchgegenstand des angefochtenen Bescheides beschränkt (vgl VwGH 23.11.1993, Zl. 93/04/0169). Eine Abänderungsermächtigung besteht nur im Rahmen der Sache iSd § 66 Abs 4 AVG (vgl etwa VwGH 25.9.1992, Zl. 92/09/0178; VwGH 8.2.1995, Zl. 94/03/0072; VwGH 3.9.1996, Zl. 96/04/0080). Dabei ist Sache des Berufungsverfahrens die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs im Bescheid der Unterbehörde bildet (vgl u.a. VwGH 24.3.1994, Zl. 92/18/0356; VwGH 23.10.1995, Zl. 94/04/0080; VwGH 29.10.1996, Zl. 96/07/0103; VwGH 19.3.1997, Zl. 93/11/0107). Ein Austausch wesentlicher Tatbestandsmerkmale führt zur Anlastung einer anderen Tat und ist daher unzulässig (vgl VwGH 20.11.1997, Zl. 97/06/0170).

 

4.5.1. Die Bestimmung des § 50 Abs 4 GSpG in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung verpflichtet verschiedene Adressaten, nämlich Veranstalter und Anbieter von Glücksspielen und Personen, die Glücksspieleinrichtungen bereithalten, unmittelbar zur Mitwirkung. Zu diesen Varianten unmittelbarer Täterschaft kann jeweils eine Beteiligungssituation hinzutreten. Beispielsweise ist denkbar, dass der Veranstalter oder Anbieter von Glücksspielen dazu beiträgt oder anstiftet, dass eine bereithaltende Person der Mitwirkungspflicht nicht nachkommt. Weiters ist zu bedenken, dass – wie es im gegenständlichen Fall gegeben ist – eine juristische Person als Veranstalter bzw Anbieter in Frage kommt und wiederum ein außenvertretungsbefugtes Organ (zB Geschäftsführer) im Rahmen des § 9 VStG verantwortlich ist. In diesem Zusammenhang haftet das außenvertretungsbefugte Organ wiederum in zwei Varianten. Entweder setzt das Organ selbst in zurechenbarer Weise ein rechtswidriges Verhalten für die juristische Person oder das außenvertretungsbefugte Organ muss sich ein rechtswidriges Verhalten von Mitarbeitern als Organisationsverschulden zurechnen lassen.

 

Da nun die Art der Täterschaft einer Verwaltungsübertretung nach dem § 50 Abs 4 iVm § 52 Abs 1 Z 5 GSpG in vielen Erscheinungsformen möglich ist, hat im Spruch des Straferkenntnisses eine genaue Aus- und Anführung zur Täterschaft und Beteiligung iSd § 7 VStG zu erfolgen, um dem Beschuldigten eine entsprechende Verteidigung zu ermöglichen. Erfolgt diese Differenzierung und Konkretisierung nicht, so ist der Spruch des Straferkenntnisses nicht iSd Anforderungen nach § 44a Z 1 VStG bestimmt und unverwechselbar und daher mit Rechtswidrigkeit behaftet. So hat beispielsweise der Verwaltungsgerichtshof zur Beteiligungsform der Beihilfe klargestellt, dass im Spruch sowohl die Tatumstände zu konkretisieren sind, welche eine Zuordnung der Tat des Haupttäters zur verletzten Verwaltungsvorschrift ermöglicht, als auch jenes konkrete Verhalten darzustellen ist, durch welches der Tatbestand der Beihilfe verwirklicht wird (vgl VwSlg 13112 A/1990 und VwSlg 13224 A/1990).

 

4.5.2. Vor dem Hintergrund der verschiedenen Tatbegehungsformen hätte die belangte Behörde eine differenzierte und konkretisierte Fassung des Tatvorwurfes vornehmen müssen. Ihre Ausführungen decken sich stattdessen weitgehend mit dem Gesetzeswortlaut im § 50 Abs 4 GSpG und reichen für die Bestimmtheit iSd § 44a Z 1 VStG nicht hin. Durch die substanzlose Verwendung der verba legalia wird nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs noch keine Konkretisierung im Sinne der Anforderungen des § 44a Z 1 VStG vorgenommen. Denn es reicht nicht aus, den bloßen Gesetzeswortlaut unter Anführung von Tatzeit und Tatort wiederzugeben, sondern die Tat ist entsprechend den Gegebenheiten des jeweiligen Falles zu individualisieren (vgl mwN Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2004] 1522, Anm 2 zu § 44a VStG).

 

Diese einzelfallbezogene Konkretisierung des Spruches iSd § 44a Z 1 VStG ist einerseits deshalb erforderlich, damit der Beschuldigte in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und andererseits um den Beschuldigten rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden (vgl VwGH 18.10.2011, Zl. 2011/02/0281 unter Bezugnahme auf Vorjudikatur) und damit der Gefahr einer allfälligen Doppelbestrafung ausgesetzt zu sein (vgl speziell für Übertretungen nach dem GSpG VwGH 12.3.2010, Zl. 2010/17/0017).

 

4.5.3. Im konkreten Fall wird der Bwin in Wiederholung des Gesetzeswortlautes vorgeworfen, als Person, welche eine Glückspieleinrichtung bereithält, gegen die Mitwirkungspflicht verstoßen zu haben. Näheres betreffend die von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Kriterien wird nicht angeführt. Hinzutritt, dass sich selbiges aus einer Gesamtschau des Bescheides nicht erschließt, da wohl die Mitarbeitereigenschaft zur X aufzufinden ist, anschließend aber wiederum vom im Rahmen des § 9 VStG erforderlichen Überwachungssystem die Rede ist (2. Absatz, letzte Seite des Bescheides).

 

4.5.4. In Bezug auf den Tatvorwurf im Straferkenntnis, dass die Bwin "die geforderten Auskünfte zu den Glücksspielgeräten nicht erteilt" und daher gegen §§ 50 Abs 4 iVm 52 Abs 1 Z 5 GSpG verstoßen habe, fehlt es dem Spruch zudem ein weiteres Mal an der erforderlichen Konkretisierung, zumal es sich um eine bloße Leerformel handelt, die nur eine (teilweise) Wiederholung des Gesetzeswortlautes darstellt und nicht geeignet ist, die Bwin eine individuelle Tat unverwechselbar vorzuwerfen. Genau betrachtet enthält der Spruch keine Substanz und damit auch keinen "echten" Tatvorwurf. Bestätigt wird dies aus dem Akteninhalt. Ein Erhebungsergebnis ist zu diesem Tatvorwurf nicht vorzufinden.

 

4.5.4.1. Die gemäß § 50 Abs 5 2. Satz GSpG verpflichteten Personen haben u.A. den Organen der öffentlichen Aufsicht "umfassende" Auskünfte zu erteilen, "umfassende" Überprüfungen und Testspiele zu ermöglichen und Einblick in die geführten Aufzeichnungen sowie die aufzulegenden Spielbeschreibungen zu gewähren. Aus der gesetzlichen Fassung dieser Mitwirkungsverpflichtung ist dem Grunde nach zu erkennen, dass die von der belangten Behörde vorgeworfene "Tat" nicht mit Strafe gemäß § 52 Abs. 1 Z 5 iVm § 50 Abs 4 GSpG bedroht wird, da ein wesentlicher Unterschied zwischen den "geforderten" und den "umfassenden" Auskünften besteht. § 50 Abs 4 GSpG statuiert die Pflicht zur umfassenden Auskunftserteilung allein an die Behörde und die Organe der öffentlichen Aufsicht, welche die Einhaltung des GSpG kontrollieren. Auf der Überwachung der Einhaltung des GSpG liegt iSd § 50 Abs 4 1. Satz der Bezug der umfassenden Auskunftserteilung.

 

Mit anderen Worten: Es sind jene umfassenden Auskünfte zu erteilen, die erforderlich sind, um die Überwachung der Einhaltung des GSpG zu ermöglichen. Diese Zielrichtung lässt sich aus einem Kausalzusammenhang mit der Aufgabenerfüllung ableiten, wogegen sich das "Geforderte" lediglich aus der Existenz einer entsprechenden Frage bzw Forderung determiniert. Letzteres wird jedoch vom Gesetz nicht mit Strafe bedroht. Auch insofern ist daher der Spruch des Bescheides der belangten Behörde verfehlt und mit Rechtswidrigkeit behaftet.

 

4.6. Die belangte Behörde hat weder im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses, noch in der Aufforderung zur Rechtfertigung einen entsprechend den Umständen des Einzelfalles konkretisierenden Tatvorwurf erhoben, der die Identität der Tat mit ausreichender Bestimmtheit formuliert und unverwechselbar erscheint. Mangels einer geeigneten behördlichen Verfolgungshandlung ist insofern nach Ablauf der Jahresfrist des § 52 Abs 5 GSpG auch die Verfolgungsverjährung eingetreten.

 

Dem Unabhängigen Verwaltungssenat war es außerdem als Berufungsbehörde, die gemäß dem § 66 Abs 4 AVG iVm § 24 VStG bei ihrer Entscheidungsbefugnis auf den Gegenstand des Spruches des Straferkenntnisses beschränkt ist, verwehrt, eine ganz neue Anlastung vorzunehmen und dabei wesentliche Tatmerkmale auszutauschen.

 

5. Im Ergebnis war das angefochtene Straferkenntnis im Hinblick auf wesentliche Spruchmängel mangels einer zutreffend angelasteten Verwaltungsübertretung aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 und Z 3 VStG einzustellen.

Bei diesem Verfahrensergebnis war der Bwin gemäß § 66 Abs 1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Kostenbeitrag für das Berufungsverfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils durch einen Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 240 Euro zu entrichten.

 

Markus Brandstetter

 

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum