Linz, 02.04.2013
E R K E N N T N I S
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X, geboren am X, StA von Serbien, vertreten durch Rechtsanwalt X, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 6. März 2009, GZ: Sich40-24259-2006, betreffend die Verhängung eines auf 3 Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes gegen den Berufungswerber nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:
Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
Rechtsgrundlage:
§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG
Entscheidungsgründe
1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 6. März 2009, GZ: Sich40-24259-2006, wurde über den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) gemäß den §§ 60 Abs. 1 und 2 Z 2, 63 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, ein auf drei Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich verhängt.
Begründend führt die belangte Behörde zunächst Folgendes aus:
Nach Zitierung der §§ 60, 63 und 66 FPG führt die Behörde weiters aus:
2. Gegen diesen zuhanden des damaligen Rechtsvertreters am 11. März 2009 zugestellten Bescheid erhob der Bw mit Schriftsatz vom 25. März 2009 rechtzeitig Berufung und brachte wie folgt vor:
Der Berufung legte der Bw ein Zertifikat über seine Deutschkenntnisse (Niveau A2) vom 14. November 2008 bei.
3.1. Mit Erkenntnis vom 17. April 2009, GZ: VwSen-720243/5/Gf/Mu, hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich der Berufung des Bw insofern stattgegeben, als die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf sechs Monate herabgesetzt wurde. Im Übrigen wurde diese hingegen abgewiesen und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass es in dessen Spruch die Wendung "Aus diesem Grund haben Sie das Bundesgebiet der Republik Österreich bis zum 15. April 2008 zu verlassen" zu entfallen hatte.
Gegen dieses Erkenntnis erhob der Bw Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof – VwGH.
3.2. Mit Erkenntnis vom 8. September 2009, Zl. 2009/21/0104, hat der VwGH der Beschwerde stattgegeben und den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit aufgehoben.
Es hätten keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass der Bw (infolge Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit durch seine Ehefrau) als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen sei und damit die Voraussetzungen gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 FPG für die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates gegeben gewesen seien.
3.3. Daraufhin wurde mit Beschluss des Unabhängigen Verwaltungssenates vom 29. September 2009, GZ: VwSen-720234/17/Gf/Mu, die Berufung des Bw zuständigkeitshalber an die Sicherheitsdirektion Oberösterreich weitergeleitet.
3.4. Die Sicherheitsdirektion Oberösterreich gab der Berufung mit Bescheid vom 11. März 2010, Zl. E1/17195/2009, keine Folge und bestätigte den angefochtenen Bescheid.
Nach Wiedergabe der Ausführungen der belangten Behörde und des Berufungswerbers und Darstellung der Rechtslage nahm die Sicherheitsdirektion Oberösterreich folgende rechtliche Beurteilung vor:
Gegen diesen Bescheid erhob der Bw erneut Beschwerde beim VwGH.
3.5. Mit Erkenntnis vom 13. Dezember 2012, Zl. 2010/21/0105-7, hat der VwGH der Beschwerde stattgegeben und den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
In der Begründung führte der VwGH wie folgt aus:
3.6. Die Landespolizeidirektion Oberösterreich hat den bezughabenden Verwaltungsakt dem nunmehr zuständigen Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich am 22. Jänner 2013 zur Erlassung eines Ersatzbescheids vorgelegt. Dieser hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.
Mit Schreiben vom 18. Jänner 2013 (eingelangt am 28. Jänner 2013) übermittelte die belangte Behörde die aktuellen Verwaltungsvorstrafenauszüge und aktuelle Auszüge aus dem EKIS.
Daraus ist ersichtlich, dass der Bw mit Erkenntnis vom 20. April 2009 wegen einer Übertretung des § 5 Abs. 1 StVO bestraft und über ihn eine Geldstrafe von 700,-- Euro verhängt worden ist. Das Straferkenntnis ist in Rechtskraft erwachsen.
Im Strafregister der Republik Österreich scheint keine Verurteilung auf.
Die Einsichtnahme in das Führerscheinregister hat die aktenkundigen Entziehungen der Lenkberechtigung bestätigt.
Im Beschwerdeverfahren hat der VwGH mit Beschluss vom 30. März 2010, AW 2010/21/0067 – 3, die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Laut Angaben der Verfahrensparteien ist der Bw nach wie vor mit seiner Gattin, einer österreichischen Staatsbürgerin, verheiratet (kein Hinweis auf eine Scheidung).
3.7. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht beantragt wurde und auch nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).
3.8. Der Unabhängige Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1., 2., 3.5. und 3.6. dieses Erkenntnisses dargestellten, entscheidungswesentlichen Sachverhalt aus.
Der relevante Sachverhalt ist unbestritten.
3.9. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (§ 67a Abs. 1 Z. 1 AVG).
3.10. Im fortgesetzten Verfahren wird der Bw nunmehr von Rechtsanwalt X vertreten.
4. In der Sache hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:
4.1. Gemäß § 67 Abs. 1 FPG idF BGBl. I Nr. 38/2011 ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
Gemäß Abs. 2 kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.
[...]
Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß Abs. 4 auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist beginnt mit Eintritt der Durchsetzbarkeit zu laufen.
Gemäß § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG ist Familienangehöriger, wer Drittstaatsangehöriger oder Ehegatte ist.
Nach § 65b FPG unterliegen Familienangehörige der Visumspflicht und für sie gelten die Bestimmungen für Drittstaatsangehörige.
4.2. Der Bw ist serbischer Staatsangehöriger, war in der Zeit vom 13. Mai 2005 bis 9. September 2011 durchgehend in Österreich gemeldet (danach Reise in den Kosovo zur Pflege des kranken Vaters) und ist laut Aktenlage derzeit unbekannten Aufenthalts. Der Aufenthalt des Bw im Bundesgebiet war/ist durchgehend rechtmäßig.
Entgegen der erstbehördlichen Annahme ist – im Hinblick auf die oa. Bestimmungen - nun gemäß § 67 Abs. 1 FPG zu prüfen, ob Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Bw die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet.
Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist dies dann der Fall, wenn das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen.
Im vorliegenden Fall wurden gegen den Bw zwar keine gerichtlichen Strafen verhängt, jedoch zahlreiche Straferkenntnisse erlassen, die in Rechtskraft erwachsen sind. Bedeutsam ist dabei, dass gegen den Bw seit dem Jahr 2009 nur zwei Geldstrafen im Bagatellbereich (72 Euro und 48 Euro) verhängt wurden.
Zur Beurteilung der Frage, ob ein bestimmter Sachverhalt die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen Familienangehörigen, für den die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige gelten, rechtfertigt, ist auf die demonstrative Aufzählung des § 53 Abs. 2 FPG lediglich als "Orientierungshilfe" zurückzugreifen. Entgegenstehende europarechtliche Vorgaben sind dabei jedenfalls zu beachten.
Hinsichtlich der nach dem FPG anzustellenden Prognosebeurteilungen hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass es letztlich immer auf das in Betracht zu ziehende Verhalten des Fremden ankommt. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Wie nachfolgend ausgeführt, legt das FPG, bezogen auf unterschiedliche Personenkreise oder nach bestimmter Aufenthaltsdauer, ein unterschiedliches Maß für die zu prognostizierende Gefährlichkeit des Fremden fest. Bezogen auf § 53 Abs. 2 FPG ("Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" oder "Zuwiderlaufen anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen") verlangt § 67 Abs. 1 FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") ein höheres Maß der Gefährdungsprognose.
4.3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt unterschrieben werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 240 Euro zu entrichten.
2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 18,20 Euro (Eingabe- und Beilagengebühr) angefallen.
Mag. Christian Stierschneider