Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401282/5/Gf/Rt

Linz, 24.04.2013

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Gróf aus Anlass der Beschwerde des R, dzt. Polizeianhaltezentrum X, vertreten durch die D, wegen Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Schärding seit dem 18. April 2013 zu Recht:

 

I. Die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft wird als nicht rechtswidrig festgestellt; unter einem wird festgestellt, dass aus der Sicht des Oö. Verwaltungssenates im Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen weiterhin vorliegen.

 

II. Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in einer Höhe von insgesamt 426,20 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlage:

§ 83 FPG; § 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Schärding vom 18. April 2013, Zl. Sich41-1628-2013, wurde über den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Russischen Föderation, gemäß § 76 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005 i.d.g.F. BGBl.Nr. I 22/2013 (im Folgenden: FPG), zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt und diese durch Überstellung in das Polizeianhaltezentrum (PAZ) X vollzogen.

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Rechtsmittelwerber am 21. August 2010 illegal in Österreich eingereist und in der Erstaufnahmestelle X einen Asylantrag gestellt habe. Mit Bescheid des Bundesasylamtes (Außenstelle Graz) vom 18. November 2010, Zl. 1007576, sei dieser Asylantrag abgewiesen und die Ausweisung in seinen Heimatstaat verfügt worden. Die dagegen erhobene Beschwerde sei vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. März 2012, Zl. D4-416634-1/2010/2E, abgewiesen worden; Gleiches gelte auch für die von seiner Gattin und seinen Kindern gestellten Asylanträge. Die am 8. Dezember 2012 gestellten Folgeanträge seien sodann wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und unter einem neuerlich die Ausweisung aller Familienmitglieder verfügt worden. Am 18. Jänner 2013 seien gegen den Beschwerdeführer zwecks Verfahrenssicherung seitens des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck gelindere Mittel angeordnet worden. Diesen habe er jedoch nicht entsprochen, sondern er sei vielmehr in der Anonymität untergetaucht. In der Folge sei er in Deutschland aufgegriffen und nach Österreich rücküberstellt worden. Angesichts seiner Mittellosigkeit, des Fehlens eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes und jeglicher sozialer Bezugspunkte zu Österreich sowie des Umstandes, dass er die als gelindere Mittel angeordneten Maßnahmen nicht befolgt habe, sei daher mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er sich – in Kenntnis über die unmittelbar bevorstehenden fremdenpolizeilichen Maßnahmen – seiner Abschiebung durch neuerliches Untertauchen in die Anonymität zu entziehen versuchen wird. Daher würde sich die nochmalige Anordnung gelinderer Mittel nicht zur Zielerreichung eignen, weshalb nunmehr die Schubhaft zu verhängen gewesen sei.

 

1.2. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft sei dem 18. April 2013 richtet sich die vorliegende, am 19. April 2013 per Telefax eingebrachte Beschwerde.

 

Darin wird lediglich eingewendet, dass der dem Rechtsmittelwerber übermittelte Schubhaftbescheid weder eine Amtssignatur noch eine Unterschrift des Genehmigenden bzw. eine kanzleimäßige Beglaubigung aufweise und deshalb absolut nichtig sei. Damit fehle es an einer die Schubhaft tragenden Grundlage, weshalb sich diese als rechtswidrig erweise.

 

Daher wird die kostenpflichtige Feststellung dieser Rechtswidrigkeit beantragt.

 

1.3. Die belangte Behörde hat dem Oö. Verwaltungssenat am 22. bzw. 23. April 2013 den Bezug habenden Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.

 

In dieser wird insbesondere darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer am 18. April 2013 um 14.44 Uhr einen ordnungsgemäß unterfertigten Schubhaftbescheid übernommen habe.

 

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde zu Zl. Sich41-1628-2013; da sich bereits aus diesem in Verbindung mit dem Vorbringen der Parteien der entscheidungsrelevante Sachverhalt klären ließ und diese auch einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben, konnte im Übrigen von der Durchführung einer gemäß § 83 Abs. 2 Z. 1 FPG ohnehin nur für Ausnahmsfälle vorgesehenen und auch mit Blick auf die Kürze der gesetzlichen  Entscheidungsfrist nur für echte Sonderkonstellationen gedachten öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

2.2. Im vorliegenden Fall wurde bzw. wird der Rechtsmittelwerber auf Grund eines auf § 76 FPG gestützten Bescheides einer Behörde, die ihren Sitz im Sprengel des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich hat, angehalten; nach § 83 Abs. 1 FPG ist damit die örtliche Zuständigkeit des Oö. Verwaltungssenates zur Behandlung der gegenständlichen Beschwerde gegeben.

2.3. Dieser hatte, weil im vorliegen Fall auch die übrigen Prozessvoraussetzungen des § 67c Abs. 1 und 2 AVG vorliegen, gemäß § 83 Abs. 2 FPG i.V.m. § 67a AVG durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

 

 

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1. Soweit es zunächst den Einwand des Beschwerdeführers betrifft, dass der ihm übermittelte Schubhaftbescheides nicht ordnungsgemäß unterfertigt gewesen sei, ergibt sich aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Akt zweifelsfrei, dass die von ihm persönlich übernommene Bescheidausfertigung nicht nur die Unterschrift des approbationsbefugten Sachbearbeiters der belangten Behörde, sondern auch den Hinweis, dass diese amtssigniert wurde, wobei eine jederzeit mögliche und auch tatsächlich durchgeführte Signaturprüfung unter "www.signaturprüfung.gv.at" zudem die Authentizität dieses Dokumentes erwiesen hat.

 

Es trifft daher nicht zu, dass der Anhaltung des Rechtsmittelwerbers kein (ordnungsgemäß zugestellter  und damit absolut nichtiger) Schubhaftbescheid zu Grunde liegt.

 

3.2. Im h. Erkenntnis vom 21. März 2013, Zl. VwSen-401272, dessen Begründung hiermit zu einem integrierenden Bestandteil des gegenständlichen Bescheides erklärt wird, wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 3. Oktober 2012, G 140/11 u.a., festgestellt hat, dass ein Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit nur dann und insoweit gerechtfertigt sei, wenn dieser zur Erreichung des damit verfolgten Zweckes notwendig ist und zu dem mit der Maßnahme verfolgten Zweck nicht außer Verhältnis steht; dieses ausdrücklich formulierte Verhältnismäßigkeitsgebot erlaube der Fremdenpolizeibehörde sohin nur dann die Verhängung der Schubhaft, wenn dies zur Sicherung des Verfahrens notwendig ist und soweit der Freiheitsentzug zu diesem Zweck nicht außer Verhältnis steht. Angesichts der sich schon aus dem Grundrecht ergebenden Verpflichtung der Behörden, von der Anordnung der Schubhaft jedenfalls Abstand zu nehmen, wenn sie im Einzelfall nicht notwendig und verhältnismäßig ist (VfSlg 14981/1997 u. 17288/2004), belaste es daher eine gesetzliche Regelung nicht mit Verfassungswidrigkeit, wenn es der Gesetzgeber den vollziehenden Behörden überlässt, die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des fremdenpolizeilichen Verfahren einerseits und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen andererseits vorzunehmen (VfSlg 17891/2006 u. 18145/2007). Weiters gebe § 77 Abs. 1 FPG der Behörde keine freie Wahlmöglichkeit zwischen der Anordnung gelinderer Mittel und der Verhängung der Schubhaft; vielmehr sei ein – nach Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG auch verfassungsrechtlich gebotener (VfSlg 19323/2011) – klarer Vorrang der Anordnung gelinderer Mittel festgelegt.

 

Auf dem Boden dieser höchstgerichtlichen Rechtsprechung ist daher zu konstatieren, dass der Fremdenrechtsgesetzgeber den Organen der Vollziehung für die Erreichung der in § 76 FPG und § 77 FPG normierten, identischen (arg. "bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe" in § 77 Abs. 1 FPG) Zwecksetzung, v.a. jener der Verfahrenssicherung, zwei unterschiedliche Typen von Mitteln zur Hand gegeben hat – nämlich: Schubhaftverhängung einerseits und Anordnung gelinderer Mittel andererseits –, deren Heranziehung im konkreten Fall nicht im Ermessen der Behörde steht: Vielmehr wird deren wechselseitiges Verhältnis zueinander durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit determiniert. Dies in der Weise, dass die Fremdenpolizeibehörde – vorausgesetzt, dass ein Sicherungsbedarf überhaupt vorliegt – zunächst zu prüfen hat, ob die Heranziehung gelinderer Mittel, die ihrer Art nach einen vergleichsweise weniger intensiven Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit nach sich ziehen, zur Zweckerreichung geeignet sind. Dabei steht der Gesetzgeber auf dem Standpunkt, dass dies im Normalfall grundsätzlich zu bejahen ist, die Anordnung gelinderer Mittel also den Regelfall verkörpert (und zwar ungeachtet des Umstandes, dass diese [aus einer früher noch andersgearteten rechtspolitischen Grundhaltung heraus erklärbar] im Text des FPG systematisch besehen unzutreffend erst im Anschluss an die Schubhaftverhängung geregelt sind).

 

Davon ausgehend darf das fremdenpolizeiliche Verfahren nur dann im Wege der ultima-ratio-Maßnahme der Schubhaftverhängung gesichert werden, wenn die konkreten Umstände des Einzelfalles ausnahmsweise (!) ein weniger eingriffsintensives Vorgehen zweifelsfrei und zwingend ausschließen.       

 

3.3. Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat die Behörde gegenüber einem Fremden, gegen den die verfahrensrechtliche Erlassung oder die Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zulässig ist, gelindere Mittel anzuordnen, sofern dies notwendig ist, um die Durchführung eines solchen Verfahrens bzw. einer solchen Vollstreckungsmaßnahme zu sichern, und sie zudem Grund zur Annahme hat, dass der ansonsten mit einer Schubhaftverhängung intendierte Zweck auch durch die Anwendung eines gelinderen Mittels erreicht werden kann.

 

Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist nach § 77 Abs. 2 FPG weiters, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, wenn diese zuvor nicht ohnehin schon von Amts wegen erfolgt ist.

 

Als gelinderes Mittel kommt gemäß § 77 Abs. 3 FPG insbesondere die Anordnung, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen (Z. 1), sich in periodischen Abständen bei einem Polizeikommando zu melden (Z. 2) und/oder eine angemessene finanzielle Sicherheit bei der Behörde zu hinterlegen (Z. 3), in Betracht.

 

Nach § 76 Abs. 1 FPG kann über Fremde, die sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, u.a. dann eine Schubhaft verhängt werden, wenn dies notwendig ist, um eine Abschiebung zu sichern.

 

3.4. Davon ausgehend ergibt sich für den gegenständlichen Fall konkret Folgendes:

 

3.4.1. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. Dezember 2012 wurde der Asyl-(Folge-)Antrag des Beschwerdeführers als unzulässig zurückgewiesen; unter einem wurde er in seinen Heimatstaat (Russische Föderation) ausgewiesen. Die in diesem Bescheid verfügte Ausweisung war daher im Hinblick auf § 36 Abs. 1 des Asylgesetzes auch unmittelbar vollstreckbar, zumal der Rechtsmittelwerber weder behauptet hat, gegen diesen Zurückweisungsbescheid eine Beschwerde an den Asylgerichtshof eingebracht zu haben, noch, dass dieser jener eine aufschiebende Wirkung zuerkannt hätte.

 

Die gesetzlichen Formalvoraussetzungen für eine Schubhaftverhängung gemäß § 76 Abs. 1 FPG und die subjektiven Haftbedingungen – Letztere insbesondere schon mangels gegenteiligen Vorbringens des Beschwerdeführers selbst – waren und sind daher im vorliegenden Fall während der Anhaltung des Rechtsmittelwerbers gegeben.

 

3.4.2. Auch das von der belangten Behörde in ihrem Schubhaftbescheid angenommene – sowohl gelindere Mittel als auch eine Schubhaftanordnung in gleicher Weise materiell determinierende – Sicherungsbedürfnis erweist sich als vertretbar:

 

Denn dem Schubhaftbescheid kann zweifelsfrei entnommen werden, dass dem Rechtsmittelwerber – jeweils mit näherer Begründung – seine Mittellosigkeit, das gänzlichen Fehlen jeglicher Bezugspunkte zu Österreich, seine offenkundige Rückkehrunwilligkeit in seinen Heimatstaat, die Zurückweisung seines Asylantrages sowie seine frühere Nichtbeachtung der Anordnung gelinderer Mittel als solche konkreten Umstände aufgezeigt werden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass er sich – in voller Kenntnis über die nun unmittelbar bevorstehenden fremdenpolizeilichen Maßnahmen – seiner Abschiebung durch ein neuerliches Untertauchen in die Anonymität zu entziehen versuchen wird.

 

Die grundsätzliche Notwendigkeit, konkrete Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, um einen ordnungsgemäßen Fortgang des fremdenpolizeilichen Verfahrens zu gewährleisten, liegt daher auf der Hand.

 

3.4.3. Damit erhebt sich an diesem Punkt unmittelbar die Frage nach der Adäquanz, d.h. vom Vorliegen dieses Sicherungsbedürfnisses ausgehend ist im nächsten Schritt – und zwar prioritär – zu prüfen, ob die belangte Behörde die nach dem zuvor unter Pkt. 3.2. näher dargestellten Erkenntnis des VfGH vom 3. Oktober 2012, G 140/11 u.a., absolut vorrangig gebotene Heranziehung gelinderer Mittel – als eine grundlegende negativ-materielle Voraussetzung der allfälligen (nachgeordneten) Zulässigkeit der Schubhaftverhängung – erwogen und im Ergebnis zutreffend verworfen hat, sodass sie davon ausgehend auf Grund der konkreten Umstände des vorliegenden Falles auch tatsächlich zur Anwendung der ultima-ratio-Maßnahme der Inschubhaftnahme berechtigt war.

 

3.4.3.1. Diesbezüglich geht aus dem Schubhaftbescheid vom 18. April 2013, Zl. Sich41-68-2013, hervor (vgl. S. 4), dass die belangte Behörde die Anordnung gelinderer Mittel geprüft, im Ergebnis aber deshalb davon Abstand genommen hat, weil er bereits zuvor den vom Bezirkshauptmann von Vöcklabruck am 18. Jänner 2013 angeordneten gelinderen Mittel de facto nicht entsprochen hat, sondern stattdessen in der Anonymität untergetaucht ist.

 

Daraus lässt sich schließen, dass die Fremdenpolizeibehörde in der (nochmaligen) bloßen Vorschreibung gelinderer Mittel – wie insbesondere in der Anordnung einer Meldepflicht bei einer Sicherheitsdienststelle und des zusätzlichen Sicherungsmittels der Einhebung einer fühlbaren Kaution (die gegenständlich schon deshalb ausscheidet, weil der Rechtsmittelwerber, was auch von ihm selbst gar nicht bestritten wird, über keine nennenswerten finanziellen Mittel verfügt – allein noch keine Gewähr dafür erblickt, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der zwangsweisen Durchführung der Abschiebung auch tatsächlich für sie greifbar wäre.

 

Und zuletzt sind auch sonstige gelindere Mittel, die im Verein mit einer periodischen Meldepflicht insgesamt dazu geeignet wären, einigermaßen verlässlich zu gewährleisten, dass der Beschwerdeführer zwecks Durchführung seiner zwangsweisen Abschiebung nach Russland tatsächlich für die Behörde greifbar ist, objektiv nicht erkennbar.

 

3.4.3.2. Zwar hat der Oö. Verwaltungssenat im bereits angesprochenen h. Erkenntnis vom 21. März 2013, VwSen- 401279/4/Gf/Rt, darauf hingewiesen, dass durch eine gleichsam routineartige Schubhaftverhängung in jedem "standardmäßigen Durchschnittsfall", der sich dadurch auszeichnet, dass ein örtlich und sozial ungebundener Asylwerber illegal und mittellos ins Bundesgebiet eingereist ist und in der Folge versucht, seinen Aufenthalt in Österreich – auch durch mangelnde Kooperation im Asyl- und fremdenpolizeilichen Verfahren – faktisch so lange als möglich hinauszuzögern, nicht nur das dem Gesetzgeber nach dem VfGH-Erkenntnis vom 3. Oktober 2012, G 140/11 u.a., zusinnbare Verhältnis der absoluten Nachrangigkeit zu gelinderen Mitteln ins Gegenteil verkehrt würde: Zu Ende gedacht würde es damit einem Fremden auch kategorisch verunmöglicht, nunmehr ein normenkonformes Verhalten an den Tag legen und damit seine Besserungswilligkeit unter Beweis stellen zu können. Dies könnte aber die weitere Gefahr in sich bergen, dass Fremde auf diese Weise dem Pauschalverdacht ausgesetzt werden, habituell unbekehrbare Gesetzesübertreter zu sein. Ein solches Ergebnis würde jedoch augenfällig dem Art. 1 EGRC (vgl. dazu jüngst VwGH vom 23. Jänner 2013, Zl. 2010/15/0196, wonach insbesondere das fremdenpolizeiliche Verfahren als "Durchführung des Rechts der Union" i.S.d. Art. 51 Abs. 1 EGRC anzusehen ist) insoweit widersprechen, als es nach dieser allgemeinen Grundrechtsgewährleistung kategorisch ausgeschlossen ist, das Verhalten eines Fremden unter Außerachtlassung der Unantastbarkeit der Menschenwürde vorrangig nur auf Basis allgemeiner Erfahrungs- und statistischer Durchschnittswerte zu taxieren und damit als bloßes Objekt eines Aufenthaltsbeendigungsverfahrens anzusehen. Aus solchen Gründen, wie sie in Fällen von schlepperunterstützten Asylwerbern typischerweise vorliegen (wie: Nichtfeststehen der Identität; Fehlen von Reisedokumenten, sozialen Bindungen und finanziellen Mitteln; Rückkehrunwilligkeit; etc.), kann hingegen nicht schon per se darauf geschlossen werden, dass diese stets für die Verhängung von Schubhaft hinreichen; denn bei einer solchen Sichtweise würde eben die Priorität gelinderer Mittel gerade ins Gegenteil verkehrt.

 

Im Gegensatz dazu liegt jedoch nunmehr mit der Unmöglichkeit, über die bloße Verpflichtung zum Aufenthalt in einer bundesbetreuten Unterkunft und zur periodischen Meldung bei einer Polizeiinspektion hinaus weitere gelindere Mittel (wie insbesondere die Einhebung einer – auch fühlbaren bzw. effektiven – finanziellen Sicherheitsleistung) anzuordnen in Verbindung mit der gegenwärtig unmittelbar bevorstehenden Durchführung der Ausweisung im Wege der zwangsweisen Abschiebung des Beschwerdeführers eine solche ultima-ratio-Situation vor, die die Anordnung von Schubhaft rechtfertigt.

 

3.4.3.3. Die von der belangten Behörde gezogene Schlussfolgerung, dass sich die Schubhaftverhängung angesichts der konkreten Umstände des vorliegenden Falles somit im Ergebnis nicht als unverhältnismäßig erweist, kann daher aus allen diesen Gründen nicht als rechtswidrig erkannt werden.

 

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang insbesondere darauf, dass der Unabhängige Verwaltungssenat in einem Verfahren nach den §§ 82 f FPG nicht – wie in einem sonstigen Administrativ- oder Verwaltungsstrafverfahren nach dem 1. und 2. Abschnitt des IV. Teiles des AVG bzw. nach dem 5. Abschnitt des II. Teiles des VStG – Berufungs-, sondern nur Haftprüfungsbehörde i.S.d. Art. 6 PersFrSchG und Art. 5 Abs. 4 EMRK ist. Dies bedeutet, dass dem UVS nur eine Rechtmäßigkeitskontrolle zukommt, und zwar dahin, ob es unter Zugrundelegung der von der Haftbehörde vorgenommenen Bewertung der tatsächlichen Umstände des konkreten Falles verhältnismäßig war, von der Verhängung gelinderer Mittel abzusehen und stattdessen die Schubhaft zu verhängen.

 

Davon ausgehend kann die originäre Entscheidung darüber, ob bzw. welche gelinderen Mittel – singulär oder kumulativ – anzuordnen sind oder stattdessen die Schubhaft zu verhängen ist, grundsätzlich nur von der Fremdenpolizeibehörde selbst getroffen und vom UVS eine dementsprechende Mittelauswahl im Rahmen des Schubhaftbeschwerdeverfahrens nur im Falle von Rechtswidrigkeit, nicht aber auch dann gerügt werden, wenn bzw. solange sich die Behörde im Rahmen des ihr insoweit zustehenden Beurteilungsspielraumes bewegt.

 

3. Aus allen diesen Gründen war daher die gegenständliche Beschwerde gemäß § 83 Abs. 1 und 4 FPG i.V.m. § 67c Abs. 3 AVG abzuweisen.

 

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Beschwerdeführer dazu zu verpflichten, dem Bund nach § 79a Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4 Z. 3 AVG i.V.m. § 1 Z. 3 und 4 der UVS-Aufwandersatzverordnung, BGBl.Nr. II 456/2008, Aufwendungen in Höhe von insgesamt 426,20 Euro (Gebühren: 57,40 Euro; Schriftsatzaufwand: 368,80 Euro) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

 

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden, wobei für jede dieser Beschwerden eine Gebühr von 240 Euro zu entrichten ist.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von 18,20 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

 

Dr.  G r ó f

 

 

 

VwSen-401282/5/Gf/Rt vom 24. April 2013

 

Erkenntnis

 

 

Rechtssatz

 

Grundrechte Charta Art1;

Grundrechte Charta Art51 Abs1;

MRK Art5;

PersFrBVG Art6;

FrPolG 2005 §76;

FrPolG 2005 §77;

FrPolG 2005 §80;

FrPolG 2005 §83

 

* Priorität von gelinderen Mitteln iSd § 77 FPG im Verhältnis zur Verhängung von Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2a Z. 1 FPG (wie VwSen-401272 vom 21. März 2013 und VwSen-401279 vom 18. April 2013);

 

* Vorliegen einer ultima-ratio-Situation, die die Verhängung von Schubhaft rechtfertigt, ist gegeben, wenn einerseits auf Grund der konkreten Situation des Fremden über die bloße Verpflichtung zum Aufenthalt in einer bundesbetreuten Unterkunft und zur periodischen Meldung bei einer Polizeiinspektion hinaus weitere gelindere Mittel (wie insbesondere die Einhebung einer – auch effektiven – finanziellen Sicherheitsleistung) nicht angeordnet werden können und der Beschwerdeführer andererseits bereits zuvor verfügten gelinderen Mitteln tatsächlich nicht entsprochen, sondern sich diesen durch Untertauchen in der Anonymität faktisch entzogen hat;

 

* Als bloße Haftprüfungsbehörde kommt dem UVS im Rahmen eines Schubhaftbeschwerdeverfahrens nur eine Rechtmäßigkeitskontrolle zu, und zwar dahin, ob es unter Zugrundelegung der von der Haftbehörde vorgenommenen Bewertung der tatsächlichen Umstände des konkreten Falles verhältnismäßig war, von der Verhängung gelinderer Mittel abzusehen und stattdessen die Schubhaft zu verhängen; davon ausgehend kann die originäre Entscheidung darüber, ob bzw. welche gelinderen Mittel – singulär oder kumulativ – anzuordnen sind oder stattdessen die Schubhaft zu verhängen ist, grundsätzlich nur von der Fremdenpolizeibehörde selbst getroffen und vom UVS eine dementsprechende Mittelauswahl im Rahmen des Schubhaftbeschwerdeverfahrens nur im Falle von Rechtswidrigkeit, nicht aber auch dann gerügt werden, wenn bzw. solange sich die Behörde im Rahmen des ihr insoweit zustehenden Beurteilungsspielraumes bewegt.

 

 

 

 

 

 

 

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