Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730733/2/BP/JO

Linz, 14.05.2013

 

E r k e n n t n i s

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung des X, geb. am X, StA vom Kosovo, vertreten durch X, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 9. April 2013, GZ: 1073213/FRB, betreffend die Erlassung eines auf die Dauer von drei Jahren befristeten Aufenthaltsverbotes nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

 

 

Apelimi pranohet dhe Vendimi i kundërshtuar shpallet plotësisht i pavlershëm.

 

 

Rechtsgrundlage/Baza ligjore:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

 

 


Entscheidungsgründe

 

1.1.1. Mit Bescheid der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom
9. April 2013, GZ: 1073213/FRB, wurde über den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis des § 67 Abs.1 und 2 des Fremdenpolizeigesetzes (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot verhängt.

Gleichgehend wurde dem Bw gemäß § 70 Abs. 3 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt.

 

1.1.2. Begründend führt die belangte Behörde zum Sachverhalt Folgendes aus:

 

Der Aktenlage nach reisten Sie erstmals im Mai 2009 nach Österreich ein und stellten am 25.05.2009 einen Asylantrag, der mit 23.10.2009 rechtskräftig abgewiesen wurde.

 

Seit 13.06.2012 sind Sie mit der ungarischen Staatsangehörigen X verheiratet, der vom Magistrat Linz eine Anmeldebescheinigung ausgestellt wurde.

Ihnen wurde eine bis 02.08.2017 gültige Aufenthaltskarte ausgestellt.

 

Sie wurden mittlerweile zweimal gerichtlich verurteilt:

 

1) Am 15.06.2012 (rk 19.06.2012) vom LG Linz, 37 Hv 56/2012 d, wegen des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs. 1 StGB und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z. 4 StGB, Freiheitsstrafe 4 Monate, bedingt auf 3 Jahre;

 

2) Am 13.02.2013 (rk 15.02.2013) vom LG Linz, 16 Hv 6/2013 y, wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, Freiheitsstrafe 7 Monate bedingt auf 3 Jahre sowie € 720,- Geldstrafe.

 

ad 1): Sie haben am 21.05.2011 in Linz den Polizeibeamten X mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich Ihrer Festnahme, gehindert, indem Sie sich losrissen und X einen heftigen Stoß versetzten, wodurch dieser zu Sturz kam; während der Vollziehung seiner Aufgaben haben Sie X durch diese Tathandlung vorsätzlich in Form einer massiven Schwellung, einer diffusen ödematösen Hautrötung sowie einer Hautabschürfung am linken Knie am Körper verletzt.

 

ad 2): Sie haben am 06.11.2012 in Linz X durch die auf albanisch getätigten sinngemäßen Äußerungen „Du wirst dies mit dem Leben bezahlen! Ich werde deine ganze Familie ticken! Ich werde dich mit einem Messer aufschlitzen, sodass deine Gedärme rauskommen!" gefährlich zumindest mit einer Körperverletzung bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen;

durch Versetzen von Schlägen mit einem ca. 30 cm langen Gabelschlüssel haben Sie X in Form einer Platzwunde am Kopf und einer Prellung im Bereich des linken Schlüsselbeines am Körper verletzt.

 

1.1.3. Ihre rechtliche Beurteilung führte die Erstbehörde folgendermaßen aus:

 

Zur beabsichtigten Erlassung des Aufenthaltsverbotes erstattet Ihr Rechtsvertreter mit Schriftsatz vom 18.03.2013 folgende Stellungnahme:

„Herr X ist in aufrechter Ehe mit Frau X verheiratet und ist seit 02.08.2012 berechtigt, sich im Staatsgebiet Österreich aufzuhalten.

 

Darüber hinaus ist Herr X in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis als Eisenbieger bei der Firma X.

Es ist zutreffend, dass Herr X mittlerweile zweimal beim Landesgericht Linz verurteilt wurde.

Bei beiden Verurteilungen ist angesichts der verhängten Strafe im Verhältnis zum Strafrahmen davon auszugehen, dass auch das Gericht das jeweils begangene Delikt als nicht besonders schwerwiegend bzw. die Schuld von Herrn X als eher gering beurteilt hat. Trotz der als einschlägig angesehenen Vorstrafe wurde anlässlich der zweiten Verurteilung keine unbedingte Haftstrafe verhängt und auch vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht in Bezug auf die Erstverurteilung abgesehen.

Während es sich bei der ersten Verurteilung um ein Missverständnis bzw. um eine Angstreaktion von Herrn X handelte, ging der der zweiten Verurteilung zugrunde liegenden Tathandlung eine Provokation des letztlich Verletzten voran. Insgesamt handelt es sich daher um Ausnahmesituationen.

Aufgrund des Umstandes und der geordneten familiären und beruflichen Verhältnisse stellt Herr X keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit dar. Anderenfalls wäre das Landesgericht Linz nicht davon ausgegangen, dass es lediglich der Androhung einer Haftstrafe bedarf, um Herrn X von weiteren Straftaten abzuhalten. Es liegt somit keine tatsächliche, gegenwärtige oder erhebliche Gefahr vor. Damit besteht jedoch auch kein Anlass, gegen Herrn X ein Aufenthaltsverbot zu erlassen."

 

Die Bundespolizeidirektion Linz hat folgendes erwogen:

 

Der Versuch, sich der Festnahme zu entziehen und die Durchsetzung des Staatswillens im Gastland hintan zu halten, zeugt davon, dass Sie weit von den Werten der hiesigen Gesellschaft entfernt sind.

 

Darüber hinaus offenbarten Sie im Rahmen der Tatbegehungen einen Charakter, welcher von einer geringen Hemmschwelle und erheblichen Gewaltbereitschaft und Aggression sowie Gleichgültigkeit gegenüber den rechten und Freiheiten anderer aber auch gegenüber der Rechtsordnung Ihres Gastlandes geprägt ist.

 

Eine Verurteilung zu einer bloß bedingten Freiheitsstrafe bedeutet keineswegs generell eine positive Prognose des Gerichts dahin, dass der Täter damit keine Gefahr mehr für die Öffentlichkeit darstellt. Derartiges könnte ja im Übrigen auch für den Zeitraum nach der Verbüßung einer Haftstrafe nie verlässlich ausgeschlossen werden.

Primär soll durch eine bedingte Verurteilung vielmehr nur zum Ausdruck gebracht werden, dass insgesamt doch die Überzeugung überwiegt, dass der Täter von der Begehung weiterer Straftaten durch die dann kumulativ hinzutretende Bestrafung wegen des früheren Delikts und somit wegen der insgesamt verschärften Strafdrohung abgehalten werden wird. Darüber hinaus ist die hier anzustellende Gefährdungsprognose allein aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts vorzunehmen und können die Erwägungen des Gerichts insoweit nicht als ausschlaggebend angesehen werden.

 

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass Ihr oben näher geschildertes persönliches kriminelle Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, nämlich das Grundinteresse an der Wahrung der körperlichen Unversehrtheit und der Bekämpfung krimineller Handlungen überhaupt.

 

Auch wenn durch die Erlassung des Aufenthaltsverbotes in Ihr Privat- und Familienleben eingegriffen wird, scheint sie im gegenständlichen Fall nicht nur zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten, sondern auch im Licht des § 61 Abs. 2 FPG zulässig.

 

1.2. Gegen diesen Bescheid erhob der Bw durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter mit Schriftsatz vom 6. Mai 2013 rechtzeitig Berufung, in welcher er Folgendes ausführte:

 

Der Bescheid, wonach über den Berufungswerber ein Aufenthaltsverbot für die Dau­er von drei Jahren ausgesprochen wird, da aufgrund zweier strafgerichtlicher Verur­teilungen eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliege, wird zur Gänze angefochten und werden die Rechtsmittelgründe der unrichtigen rechtli­chen Beurteilung und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht. Hiezu wird im Einzelnen folgendes ausgeführt:

 

I. Unrichtige rechtliche Beurteilung

 

1. Die belangte Behörde hat im Rahmen der rechtlichen Beurteilung dargelegt, dass der Versuch, sich einer Festnahme zu entziehen, von einer großen Diskrepanz zu den Werten der hiesigen Gesellschaft zeuge.

 

Weiters sei beim Berufungswerber eine geringe Hemmschwelle, erhebliche Ge­waltbereitschaft und Aggression sowie die Gleichgültigkeit gegenüber den Rech­ten anderer aber auch gegenüber der Rechtsordnung vorhanden.

 

Der Einwand des Berufungswerbers, das Gericht habe vor allem im Falle der zweiten strafrechtlichen Verurteilung vom 13.02.2013 keine den Widerruf der be­dingten Strafnachsicht begründende Gefährlichkeitsprognose erblicken können, obwohl durch beide Straftaten in die gleichen geschützten Rechtsgüter eingegrif­fen wurde, wurde bei der anzustellenden Gefährlichkeitsprognose nicht berück­sichtigt.

 

Die belangte Behörde wäre jedoch im Zuge der Erstellung und Würdigung der Gefährdungsprognose gemäß ständiger Rechtsprechung des VwGH verpflichtet gewesen, auch die Hintergründe, die zu den Taten führten sowie die jeweilige Verantwortung des Berufungswerbers, die bereits in seiner Stellungnahme vom 18.03.2013 ausführlich dargestellt wurde, einfließen zu lassen. Nicht die strafrecht­liche Verurteilung ist maßgeblich, sondern das dahinter stehende Verhalten ist zu würdigen (vgl. VwGH 29.04.2008, 2008/21/0072).

 

2. Im Rahmen der Hauptverhandlung des Landesgerichts Linz vom 15.06.2012,37 Hv 56/2012d, verantwortete sich der Berufungswerber, er habe sich der Ausweis­kontrolle und Festnahme entziehen wollen, da er seine Papiere zuhause vergessen habe. Beim Davonlaufen sei er über etwas gestolpert und gestürzt. Der ihn verfol­gende Polizeibeamte sein ebenfalls über dieses Hindernis gestürzt.

 

Im Zusammenhang mit diesem Vergehen darf nicht übersehen werden, dass der kosovarische Berufungswerber während der Kriegswirren in seiner Heimat auf­wuchs und dort auch die Willkür staatlicher Organe erlebte. In dieser Situation der Ausweiskontrolle - für den Berufungswerber eine Ausnahmesituation - hatte er Angst. Aus diesen Angstgefühlen heraus sah er sich zur Flucht veranlasst.

 

Sofern die belangte Behörde in diesem Verhalten ein Zeugnis der Missachtung der gesellschaftlichen Werte erkennen will, hätte auch beachtet werden müssen, dass gerade in einer Ausnahmesituation ein Rückfall in traumatische Erinnerungen er­folgen kann. Das heißt, der Berufungswerber wollte sich nicht der Amtshandlung an sich widersetzen, sondern sah sich durch seine bisherigen Erlebnisse zur Flucht veranlasst. Er hatte in dieser Situation Angst, abgeschoben zu werden.

 

Auch wenn der verletzte Polizeibeamte angab, vom Berufungswerber geschubst worden zu sein, lässt sich darin keine erhöhte Gewaltbereitschaft erblicken, da dieses Schubsen jedenfalls im Zusammenhang mit dem Fluchtverhalten zu beur­teilen ist und nicht für sich isoliert bewertet werden darf.

 

3. Hinsichtlich der Verurteilung des Landesgerichts Linz vom 13.02.2013,16 Hv 6/13y, zeigte sich der Berufungswerber geständig und stand für sein Verhalten, dem eine Provokation des Verletzten vorausging, ein.

 

Gerade auch diese Verantwortung zeigt, dass sich Herr X mit den Werten der Gesellschaft identifiziert und sich diesen fügt. Geständiges Verhalten impli­ziert nicht nur die Übernahme der Verantwortung für dieses konkret gesetzte Handeln, sondern legt auch immer ein generelles Unrechtsbewusstsein nahe, da man sich durch die geständige Verantwortung immer sein eigenes unrechtmäßi­ges Verhalten einzugestehen hat.

 

4. Dieser Ansicht folgte auch das zur Entscheidung berufene Gericht, da von einem Widerruf der bedingten Strafnachsicht hinsichtlich der Straftat vom 15.06.2012 ab­gesehen wurde.

 

Gemäß § 53 StGB kann von einem Widerruf der bedingten Strafnachsicht abgese­hen werden, wenn das Gericht der Ansicht ist, dass ein Widerruf nicht geboten er­scheint, um den Straftäter von einer neuerlichen strafbaren Handlung abzuhalten.

 

Auch wenn die im gegenständlichen Verfahren zu erstellende Gefährlichkeits­prognose aus fremdenpolizeilichen Gesichtspunkten zu bewerten ist, so hat die Einschätzung der Strafgerichte zumindest eine Indizwirkung, da beide - sowohl das Gericht als auch die Behörde - die gleichen Rechtsgüter zu schützen haben. Der Berufungswerber ist abgesehen von diesen beiden Vergehen nicht negativ auffällig geworden.

 

5. Bei einer entsprechend den Grundsätzen des Verwaltungsgerichtshofes durchge­führten Gefährlichkeitsprognose hätte die belangte Behörde im Verhalten des Be­rufungswerbers keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erbli­cken dürfen, sondern wäre zur Ansicht gelangt, dass von Herrn X keine konkrete Gefahr ausgehe.

 

II. Mangelhaftigkeit des Verfahrens

 

1. Gemäß § 67 Abs. 1 FPG können strafrechtliche Verurteilungen alleine die Maß­nahme des Aufenthaltsverbotes nicht begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen seien nicht zulässig.

 

Die belangte Behörde führte diesbezüglich jedoch nur aus, der Versuch, sich der Festnahme zu entziehen, zeige, dass der Berufungswerber von den Werten der hiesigen Gesellschaft weit entfernt sei.

 

Eine weitere Auseinandersetzung mit den vom Berufungswerber zu verantwor­tenden Vergehen erfolgte nicht, sondern führte die Erstbehörde lediglich allge­mein aus, eine Verurteilung zu einer bloß bedingten Freiheitsstrafe bedeute kei­neswegs eine generelle Prognose des Gerichts, dass der Täter damit keine Gefahr mehr für die Öffentlichkeit darstelle. Gleiches könnte ja auch für den Zeitraum nach der Verbüßung einer Haftstrafe nie ausgeschlossen werden.

 

Eine gesetzlich vorgeschriebene Erörterung mit Bezugnahme auf den Einzelfall er­folgte daher im Rahmen der rechtlichen Beurteilung nicht. Die belangte Behörde legte nicht konkret dar, weshalb es „keinem Zweifel unterliegen" könne, dass das kriminelle Verhalten des Berufungswerbers eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Eine derar­tige Aussage kann ohne die sachverständige Auseinandersetzung eines Psycholo­gen, ob der Berufungswerber gewaltbereit ist, nicht in dieser pauschalen Art ge­troffen werden.

 

2. Die belangte Behörde wäre weiters gemäß § 61 Abs. 1 FPG zur Durchführung ei­ner Verhältnismäßigkeitsprüfung verpflichtet gewesen.

 

Danach hat die belangte Behörde zu prüfen, ob der mit dem Ausspruch des Auf­enthaltsverbotes verbundene Eingriff in das absolut geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens zur Erhaltung der in Art 8 Abs. 2 EMRK genann­ten Schutzgüter verhältnismäßig ist.

 

Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung wäre zu würdigen gewesen, dass der Berufungswerber in einem aufrechten Arbeitsverhältnis steht und seit rund einem Jahr verheiratet ist. Herr X wohnt seit geraumer Zeit in X. Er ist gut integriert und pflegt auch ein gutes Verhältnis zu seinen Arbeitskollegen. Zu seinem Heimatland hat der Berufungswerber bereits seit mehreren Jahren keinen Bezug mehr.

 

Der Ausspruch eines Aufenthaltsverbotes würde für den Berufungswerber nicht nur den Verlust seines Arbeitsplatzes bedeuten, sondern wäre aufgrund der äu­ßerst schlechten Arbeitsmarktlage in seinem Heimatland, in welches er mangels Alternativen zurückkehren müsste, auch mit einer dauernden Arbeitslosigkeit verbunden.

 

Da die Gattin des Berufungswerbers ebenfalls Immigrantin ist, und jeweils die an­dere Muttersprache des Ehegatten nicht beherrscht wird, hätte das Aufenthalts­verbot für die Ehe des Berufungswerbers negative Folgen, weil nicht zu erwarten ist dass ihm seine Gattin in ein für sie fremdes Land folgen wird. Da die Heirat des Berufungswerbers gegen den Willen seiner Eltern erfolgte, weil die Gattin an­derer Herkunft ist und einer anderen Religion angehört, wäre sie nicht willkom­men, zumal auch der Berufungswerber bereits aufgrund dieser Umstände in sei­ner Familie auf Unverständnis gestoßen ist. Die Ausweisung hätte auf die Gattin wirtschaftlich nachteilige Auswirkungen, da die von beiden Ehegatten bewohnte Wohnung für einen allein nicht leistbar wäre.

 

Beide Ehegatten leben in Österreich, um hier zu arbeiten und im Gegensatz zu ih­rer jeweiligen Heimat in geordneten und friedlichen Verhältnissen zu leben. Sie wollen sich auch hier integrieren und vertrauen auf den Rechtsstaat, der die indi­viduellen Situationen berücksichtigt.

 

Dieser massive Eingriff in die Rechte des Berufungswerbers wäre mit den ge­schützten Werten der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung und Sicher­heit, Schutz der Gesundheit und Freiheiten abzuwiegen gewesen.

 

Diese gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung wurde von der gelangten Behörde gänzlich unterlassen, sondern zu unrecht nur allgemein ausgeführt, auch wenn durch die Erlassung des Aufenthaltsverbotes in das Privat- und Familienleben ein­gegriffen würde, scheine diese im gegenständlichen Fall nicht nur zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten, sondern auch im Licht des § 61 Abs. 2 FPG zulässig. Dies trifft jedoch auf den Berufungswerber nicht zu.

 

Mangels Vornahme dieser Abwägungen blieb das Verfahren auch mangelhaft.

 

III. Antrag

 

Der Berufungswerber stellt sohin den

 

Antrag:

Der angefochtene Bescheid der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 09.04.2013, AZ 1073213/FRB, möge ersatzlos aufgehoben und das gegen den Beru­fungswerber eingeleitete Verfahren eingestellt werden.

 

 

2.1. Die belangte Behörde legte den in Rede stehenden Verwaltungsakt mit Schreiben vom 7. Mai 2013 dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidungsfindung vor.

 

2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

Nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei und völlig unwidersprochen aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren primär die Klärung  von Rechtsfragen vorzunehmen ist und auch kein diesbezüglicher Parteienantrag gestellt wurde, konnte auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gemäß § 67d AVG verzichtet werden.

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1.2., und 1.2. dieses Erkenntnisses dargestellten völlig unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1.1  Gemäß § 65a Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, BGBl. I Nr. 100 /2005, in der Fassung des Bundesgesetzblattes BGBl. I Nr. 68/2013, haben begünstigte Drittstaatsangehörige (§ 2 Abs. 4 Z. 11) das Recht auf Aufenthalt für einen Zeitraum von drei Monaten, unterliegen aber der Visumpflicht, sofern Anhang I zur Visumpflichtverordnung (§ 2 Abs. 4 Z. 20) auf sie Anwendung findet. Sie haben Anspruch auf Erteilung eines Visums.

 

Gemäß § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG ist begünstigter Drittstaatsangehöriger: der Ehegatte, eingetragene Partner, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder des eingetragenen Partners eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr unionsrechtliches oder das ihnen aufgrund des Freizügigkeitsabkommens EG - Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine unionsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.

 

3.1.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst unbestritten, dass der Bw aufgrund seiner im Jahr 2012 geschlossenen Ehe mit einer ungarischen Staatsangehörigen unter den Begünstigtenkreis des § 65a FPG zu subsumieren ist, weshalb auf ihn betreffend Erlassung eines Aufenthaltsverbotes § 67 FPG Anwendung findet.

 

3.2.1. Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

 

3.2.2. Nachdem sich der Bw erst seit Mai 2009 und somit seit rund 4 Jahren im Bundesgebiet aufhält, kommt § 67 Abs. 1 vorletzter Satz FPG im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung.

 

3.2.3. Es ist – im Hinblick auf die oa Bestimmung - nun zu prüfen, ob das Verhalten des Bw auch aus derzeitiger Sicht geeignet erscheint, die öffentliche Ordnung oder Sicherheit tatsächlich, gegenwärtig und erheblich zu gefährden.

 

Bei Interpretation des unbestimmten Gesetzesbegriffs "tatsächlich" ist festzuhalten, dass darunter sowohl eine nach Intensität als auch Konkretheit vorliegende Wirksamkeit angesprochen wird. Als Synonym bzw. Deskription von tatsächlich könnte demnach auch "wirksam feststellbar", im Umkehrschluss: nicht fiktiv oder potentiell, verstanden werden.

 

Zum Vorliegen des Tatbestandselements der Gegenwärtigkeit bedarf es eines Sachverhalts, dessen Wirkungen nicht schon in der Vergangenheit erschöpft, sondern auch zumindest in die Gegenwart reichend anzusehen sind. Dies impliziert jedoch auch die Beurteilung einer aus Sicht des gegenwärtigen Augenblicks erstellten Zukunftsprognose.

 

"Erheblich" wiederum bedeutet in etymologischer Herleitung: "Schwer genug, um die Waagschale zu heben". Ursprünglich aus dem Rechtsbegriff Relevanz abgeleitet, übersteigt "erheblich" in der Gemeinsprache den Ursprungsbegriff der Intensität nach.

 

Die eben dargestellten Tatbestandselemente müssen zur Rechtfertigung eines Aufenthaltsverbotes kumulativ gegeben sein.

 

3.2.4. Im vorliegenden Fall wurde der Bw während seines Aufenthalts in Österreich wie folgt strafgerichtlich verurteilt:

 

1) Am 15.06.2012 (rk 19.06.2012) vom LG Linz, 37 Hv 56/2012 d, wegen des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs. 1 StGB und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z. 4 StGB, Freiheitsstrafe 4 Monate, bedingt auf 3 Jahre;

 

2) Am 13.02.2013 (rk 15.02.2013) vom LG Linz, 16 Hv 6/2013 y, wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, Freiheitsstrafe 7 Monate bedingt auf 3 Jahre sowie € 720,- Geldstrafe.

 

ad 1): Der Bw hatte am 21.05.2011 in Linz einen Polizeibeamten mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Festnahme, gehindert, indem er sich losriss und dem Beamten einen heftigen Stoß versetzte, wodurch dieser zu Sturz kam; während der Vollziehung seiner Aufgaben hatte der Bw den Polizeibeamten durch diese Tathandlung vorsätzlich in Form einer massiven Schwellung, einer diffusen ödematösen Hautrötung sowie einer Hautabschürfung am linken Knie am Körper verletzt.

 

ad 2): Der Bw hatte am 06.11.2012 in Linz eine Person durch die auf albanisch getätigten sinngemäßen Äußerungen „Du wirst dies mit dem Leben bezahlen! Ich werde deine ganze Familie ticken! Ich werde dich mit einem Messer aufschlitzen, sodass deine Gedärme rauskommen!" gefährlich zumindest mit einer Körperverletzung bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen;

durch Versetzen von Schlägen mit einem ca. 30 cm langen Gabelschlüssel hatte der Bw diese Person in Form einer Platzwunde am Kopf und einer Prellung im Bereich des linken Schlüsselbeines am Körper verletzt.

 

3.2.5.1. Fraglos sind Widerstand gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung und gefährliche Drohung als nicht vernachlässigbare Delikte einzustufen, die – wenn sie auch lediglich als Vergehen strafrechtlich geahndet werden, durchaus geeignet scheinen, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden. In diesem Sinn ist das Verhalten des Bw als tatsächliche Gefährdung zu qualifizieren.

 

3.2.5.2. Hinsichtlich der Gegenwärtigkeit der Gefährdung ergibt sich ein weniger klares Bild. Der Bw suchte sich zwar im Rahmen der ersten Straftat unter Gewaltanwendung seiner Festnahme zu entziehen und wies im Rahmen der zweiten Straftat durchaus ein nicht unerhebliches Aggressionspotential auf; allein er zeigte sich geständig und scheint gerade bei der zweiten Straftat das Unrecht seines Handelns einzusehen, was sich jedenfalls auf die Minderung des Gefährdungspotentials hinsichtlich dessen Gegenwärtigkeit auswirkt. Zur Bejahung der Nachhaltigkeit des Gesinnungswandels könnte ein entsprechend – nicht langfristiger – Beobachtungszeitraum als geboten angedacht werden.

 

3.2.5.3. In Hinblick auf die oben vorgenommene Interpretation des Begriffs Erheblichkeit, der über Relevanz hinausgehend, ein durchaus hohes Maß ansetzt, erfüllen die vom Bw verübten "Vergehen" dieses Maß – vor allem auch unter dem Gesichtspunkt der unionsrechtlich besonders zu berücksichtigenden Verhältnismäßigkeit - wohl nicht.

 

3.2.5.4. Nachdem aber das Tatbestandselement der erheblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im vorliegenden Fall verneint werden muss, lässt sich auch keine Grundlage für die Verhängung der getroffenen Maßnahme finden.

 

3.3. Nachdem es aber im vorliegenden Fall schon an der Tatbestandsmäßigkeit mangelt, war ohne auf die Aspekte des Schutzes des Privat- und Familienlebens einzugehen, der Berufung stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben. 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 240 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 14,30 Euro (Eingabegebühr) angefallen.

 

 

 

 

Sqarim të drejtave ligjore:

 

Kundër këtij Vendimi në bazë të drejtave ligjore të rregullta nuk lejohet ankesa.

 

 

 

Njoftim:

 

Kundër këtijë Vendimi është e mundur që brenda gjasht jave nga dita e marrjes të bëhet ankesa pranë Gjyqit Kushtetues dhe/apo pranë Gjyqit Suprem Administrativ; kjo duhet të bëhet - mvarësisht nga rastet e veçanta ligjore – nga një avokate e autorizuar apo nga një avokat i autorizuar. Për çdo lloj të këtyre ankesave të bëra duhet të paguhen 240 euro taksa.

 

 

 

 

 

Bernhard Pree

 

 

 

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