Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401198/17/SR/WU

Linz, 12.06.2013

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Beschwerde des X, geboren am X alias X alias X, StA von Nigeria, vertreten durch den X, wegen Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme und Anhaltung in Schubhaft in eventu der weiteren Anhaltung in Schubhaft seit 14. Juli 2012 durch den Bezirkshauptmann von Ried im Innkreis, im zweiten Rechtsgang zu Recht erkannt:

 

 

I.            Der Beschwerde wird stattgegeben und die Festnahme, der Schubhaftbescheid und die Anhaltung vom 18. Juni bis 27. Juli 2012 werden für rechtswidrig erklärt.

 

II.         Der Bund (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann von Ried im Innkreis) hat dem Beschwerdeführer Kosten in der Höhe von insgesamt 751,90 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

 

Rechtsgrundlagen:

§§ 82 Abs. 1 und 83 Abs. 2 und 4 Fremdenpolizeigesetz – FPG (BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2013) iVm §§ 67c und 79a Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG und der UVS-Aufwandsersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 456/2008.

 

 

 


Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Ried im Innkreis vom 14. Mai 2012, GZ.: Sich41-173-2011, wurde über den Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) auf Basis des § 76 Abs. 1 FPG des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG i.d.F. BGBl. I 112/2011 zur Sicherung der Abschiebung (§ 46 FPG) die Schubhaft angeordnet, wobei die Rechtsfolgen des Bescheides nach der Entlassung des Bf aus der Gerichtshaft eintreten sollten. Der Bescheid wurde dem Bf am 15. Mai 2012 zu eigenen Handen zugestellt

 

Nach Wiedergabe der einschlägigen Bestimmungen des FPG stützte sich die belangte Behörde auf eigene Ermittlungsergebnisse und jene der BPD Wien.

 

Der Bf, ein Fremder gemäß § 2 Abs. 4 Z. 1 FPG, sei nach eigenen Angaben von Nigeria kommend auf dem Seeweg illegal ohne Dokumente nach Griechenland gelangt und dort erkennungsdienstlich behandelt worden. Nach Ausstellung einer Lagerkarte sei er im April 2010 in einem Lkw versteckt via Italien nach Österreich gereist und habe am 23. April 2010 in Traiskirchen als "X, geb. X" Asyl beantragt. Im Asylverfahren sei auf Grund des gerichtsmedizinischen Gutachtens vom 28. Mai 2010 seine Volljährigkeit festgestellt worden. Das Bundesasylamt habe im Verfahren auf die Geburtsdaten "X alias X" abgestellt, den Asylantrag mit Bescheid vom 20. Juli 2010 wegen Unzuständigkeit Österreichs gemäß § 5 AsylG 2005 zurückgewiesen und mit einer Ausweisung nach Griechenland gemäß § 10 AsylG 2005 verbunden (rechtskräftig seit 5. August 2010). Eine inhaltliche Prüfung des Antrags habe nicht stattgefunden. Seit April 2010 halte sich der Bf durchgehend in Österreich auf.

 

Laut Fremdenakt habe sich der Bf in Österreich zu folgenden Zeiten in Schubhaft befunden: "von 04.06.2010 bis 25.06.2010 für die BH Baden und von 06.05.2011 bis 10.05.2011 für die BPD Linz".

 

Zuletzt sei der Bf am 17. Juni 2011 in X wegen Übertretung nach dem Suchtmittelgesetz festgenommen und in Gerichtshaft überstellt worden.

 

Gegen den Bf scheinen drei strafgerichtliche Verurteilungen in Österreich auf (Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 22. Juli 2010 zu Zahl 141 Hv 111/2010t, wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach den § 27 Abs. 1 Z. 1 achter Fall und Abs. 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten, wovon 6 Monate unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurden [rechtskräftig seit 22.07.2010]; Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 4. November 2010 zu Zahl 161 Hv 122/2010 g, wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den  §§ 15 und 269 Abs. 1 1. Fall StGB sowie des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 2 Z. 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten [rechtskräftig seit 4.11.2010]; Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 20. Juli 2011 zu Zahl 0162 Hv 93/11 a, wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach den §§ 27 Abs. 1 Z. 1 achter Fall und Abs. 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten [rechtskräftig seit 20.07.2011]).

 

Mit Bescheid der BPD Wien vom 9. Oktober 2010, Zahl III-1294606/FrB/10, sei gegen den Bf ein auf 10 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden (rechtskräftig seit 26. Oktober 2010).

 

Am 16. August 2011 sei der Bf im Stand der Strafhaft von der Justizanstalt X in die Justizanstalt X überstellt worden (errechnetes Strafende 18. Juni 2012).

 

Vor der Festnahme habe der Bf in X, gewohnt. Die Abmeldung sei am 25. Juli 2011 erfolgt. Davon habe der Bf angeblich keine Kenntnis gehabt. Er sei ledig und habe in Österreich keine Verwandten. Ein nigerianischer Onkel lebe in Griechenland, mit einer in Rom lebenden Angolanerin namens X, ca. 24 Jahre alt, sei er befreundet. Sie habe ihn zuvor öfter in X besucht und für die Fahrten italienische Papiere verwendet. Das genaue Geburtsdatum und die exakte Adresse in Rom könnte er nicht angeben. Die Telefonnummer habe er im Mobiltelefon gespeichert. Im Zeitpunkt seiner Festnahme sei sie vom Bf ein Monat schwanger gewesen. Von einem Freund habe der Bf erfahren, dass die Freundin vor kurzem in Rom einen Sohn geboren habe. Der Bf wisse weder den Namen noch das genaue Geburtsdatum des bei der Mutter X in Rom lebenden Kindes. Ein Besuch in der Haft habe nie stattgefunden, sie habe jedoch Geld geschickt.

 

In Österreich habe der Bf mitunter schwarz gearbeitet. Er besitze keinen gültigen nigerianischen Reisepass und auch sonst keine Identitätsnachweise. Er sei Christ.

An Barmittel verfüge er über 122,15 Euro.

 

Im Zuge der Einvernahme am 16. März 2012 habe die belangte Behörde den Bf von der beabsichtigten Schubhaftanordnung zur Sicherung der Abschiebung nach Nigeria in Kenntnis gesetzt. Von der Beschaffung eines nigerianischen Heimreisezertifikates sei der Bf informiert worden.

 

Nach Vorhalt des gerichtsmedizinischen Gutachtens des X vom 28. Mai 2010 (Annahme der Volljährigkeit des Bf) habe der Bf ausgeführt, dass er weiterhin bei dem Geburtsdatum - X – bleibe, da ihm dieses Datum sein Vater genannt habe.

 

Eine Überstellung nach Griechenland komme für die belangte Behörde nicht in Betracht. In Griechenland sei der Bf weder als Asylwerber noch als anerkannter Flüchtling registriert.

 

Den behördlichen Vorhalt könne der Bf nicht nachvollziehen, da er in Griechenland als Asylwerber mit den Daten "X, geb. X" registriert worden sei. Nach Nigeria wolle er nicht zurück, da er nach Europa gekommen sei, um ein besseres Leben zu führen. Nach dem Strafhaftende wolle er zu seiner Freundin und dem gemeinsamen Kind nach Rom, um dort den Aufenthalt zu regeln. Österreich sei nicht lebenswert, eine freiwillige Rückkehr nach Nigeria komme für ihn nicht in Betracht.

 

Seit 21. März 2012 bemühe sich die belangte Behörde um die Beschaffung eines nigerianischen Heimreisezertifikates. Der Bf habe bis dato keinen weiteren Asylantrag gestellt.

 

Gestützt auf das vom X am 28. Mai 2010 erstellte gerichtsmedizinische Gutachten würden sowohl das Bundesasylamt als auch die belangte Behörde von der Volljährigkeit des Bf ausgehen. Das Institut sei auf Basis der Ergebnisse einer individuellen körperlichen, zahnärztlichen und radiologischen Untersuchung unter Berücksichtigung der Schwankungsbreiten zu dem Ergebnis gelangt, dass der Bf zum Untersuchungszeitpunkt ein Mindestalter von 19 Jahren oder älter aufgewiesen habe. Das vom Bf zu diesem Zeitpunkt geltend gemachte chronologische Alter von 15 Jahren konnte aufgrund der erhobenen Befunde aus gerichtsmedizinischer Sicht ausgeschlossen werden.

 

Trotz der Vorhaltungen beharrte der Bf auf dem Geburtsdatum X. Die Behörde halte diese Angaben jedoch für eine Schutzbehauptung, mit der der Bf offenkundig bezwecke, fremdenpolizeiliche Maßnahmen möglichst zu erschweren. Zu keinem Zeitpunkt habe er irgendwelche Identitätsbeweismittel vorgelegt. Die zitierte forensische Altersschätzung sei schlüssig und nachvollziehbar.

 

Bei Gesamtbetrachtung des vorliegenden Sachverhaltes und genauer Einzelfallprüfung bestehe ernsthaft die Gefahr, dass der Bf sich bei einer Abstandnahme von der Verhängung der Schubhaft dem Zugriff der Behörde entziehen und dadurch die angeführten fremdenpolizeilichen Maßnahmen vereiteln oder wesentlich erschwere. Diese Befürchtung erscheine vor allem deshalb schlüssig, weil der Bf im Bundesgebiet keine relevanten beruflichen, familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte aufweise.

 

Der Bf sei illegal nach Österreich eingereist und halte sich nicht rechtmäßig in Österreich auf. Er sei in Österreich keiner geregelten Beschäftigung nachgegangen, habe keine Familienangehörigen im Bundesgebiet, verfüge in Österreich auch über keinen festen Wohnsitz mehr bzw. sei nicht polizeilich gemeldet. Allein aufgrund des Umstandes, dass er vor der Festnahme in X, wohnhaft und gemeldet war, sei keineswegs sichergestellt, dass er sich behördlichen Maßnahmen nicht entziehen würde. Die Abmeldung an dieser Adresse sei mit 25. Juli 2011 erfolgt.

 

Der rechtskräftig zurückgewiesene Asylantrag, das rechtskräftige Aufenthaltsverbot für die Dauer von 10 Jahren für Österreich und die bevorstehende Abschiebung würden so massive Fluchtanreize darstellen, dass – angesichts des bisherigen Verhaltens - bei Abstandnahme von Schubhaft mit dem sofortigen Untertauchen des Bf zu rechnen sei. Besonders zu betonen wäre, dass der Bf absolut rückkehrunwillig sei und eine freiwillige Rückkehr nach Nigeria auch selbst ausschließe. Hinsichtlich der vom Bf angestrebten Ausreise nach Italien mangle es sowohl am erforderlichen Reisedokument als auch an der notwendigen italienischen Einreiseberechtigung.

 

Der Zweck der Schubhaft könne in diesem Einzelfall auch nicht durch Anwendung eines gelinderen Mittels gemäß § 77 FPG erreicht werden, weil auf Grund des dargestellten Sachverhaltes zu fürchten wäre, dass der Bf sich mit Beendigung der Strafhaft in die Anonymität absetzen und seine Abschiebung vereiteln würde. Gegen die Anwendung gelinderer Mittel spreche, dass der Bf illegal nach Österreich eingereist sei und keine Identitätsnachweise vorweisen könne. Zudem sei das tatsächliche Geburtsdatum unklar, weil der Bf mit dem offenbar falschen Geburtsdatum X Asyl beantragt habe. Erst durch die Einholung eines gerichtsmedizinischen Gutachtens habe geklärt werden können, dass der Bf jedenfalls volljährig bzw. mindestens 19 Jahre alt sei. Der Bf habe derzeit in Österreich keinen Wohnsitz und es erscheine der Behörde mehr als unwahrscheinlich, dass er sich für die Behörden jederzeit greifbar halten würde. Außerdem habe er im Stand der Strafhaft zweimal die Abnahme von Fingerabdrücken (für Zwecke der Identitätsfeststellung und Beschaffung eines Heimreisezertifikats) verweigert.

 

Es müsse insgesamt angenommen werden, dass der Bf – im Fall der Abstandnahme von der Schubhaft – sehr wohl versuchen werde, sich fremdenpolizeilichen Zwangsmaßnahmen zu entziehen, um die Abschiebung nach Nigeria zu vereiteln. Im konkreten Fall könne speziell auch das Suchtgiftmilieu ein Untertauchen wesentlich erleichtern.

 

Im Übrigen würden die vom Bf begangenen Straftaten die Anwendung eines gelinderen Mittels keinesfalls geboten erscheinen lassen. Von einem rechtskonformen Verhalten könne beim Bf absolut keine Rede sein. Bei entsprechender Delinquenz würden die öffentlichen Interessen an einer effizienten Außerlandesschaffung eine maßgebliche Verstärkung erfahren. Dies treffe hier zu. So sei der Bf nicht nur zwei Mal wegen Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz, sondern auch wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt und wegen schwerer Körperverletzung rechtskräftig in Österreich verurteilt. Dies deute auf ein gewisses Gewalt- und Aggressionspotenzial hin.

 

Die Unterkunftnahme des Bf in X vor der Verhaftung könne die massiven Fluchtanreize nicht entkräften. Es bestehe ein akuter Sicherungsbedarf und die Notwendigkeit zur Schubhaftverhängung.

 

Nach Prüfung der Verhältnismäßigkeit sei die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangt, dass der mit der Schubhaftverhängung verbundene Eingriff in die persönliche Freiheit des Bf im Hinblick auf das besondere öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens und der Bekämpfung der Suchtgift- und Aggressionskriminalität nicht außer Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehe. Die öffentlichen Interessen an der Sicherung der Abschiebung des Bf würden die privaten Interessen an der Schonung der persönlichen Freiheit bei weitem überwiegen.

 

Die Abschiebung des Bf sei aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Sinne des § 46 Abs. 1 Z. 1 FPG dringend geboten. Auf Grund des bisherigen Verhaltens (Asylantrag in Österreich mit falschem Geburtsdatum, illegale Einreise in Österreich, mehrfache Straffälligkeit in Österreich) des Bf und seiner offen ausgesprochenen Rückkehrunwilligkeit sei davon auszugehen, dass er seiner Verpflichtung zur (legalen) Ausreise nicht nachkommen werde (§ 46 Abs. 1 Z. 3 FPG). So sei er schon der Ausreiseverpflichtung anlässlich der asylrechtlichen Ausweisung und der Erlassung des Aufenthaltsverbots nicht nachgekommen und habe in Österreich weiterhin Straftaten verübt.

 

Hinsichtlich der bevorstehenden Abschiebung nach Nigeria habe der Bf angegeben, nicht dorthin zurückkehren zu wollen, weil er nach Europa gekommen sei, um ein besseres Leben führen zu können. Unter offenkundig falscher Identität habe er in Österreich Asyl beantragt und es habe erst anhand eines gerichtsmedizinischen Gutachtens seine Volljährigkeit festgestellt werden können. Trotz dieser Feststellung habe der Bf am behaupteten Geburtsdatum X festgehalten.

 

Für die Behörde seien keine konkreten, stichhaltigen Gründe für die Unzulässigkeit einer Abschiebung nach Nigeria (Refoulement-Verbot) hervorgekommen.

 

2. Gegen den Schubhaftbescheid sowie gegen die darauf basierende Anhaltung in Schubhaft erhob der Bf, vertreten durch den X, per Telefax am 25. Juli 2012 um 16:01 Uhr "Schubhaftbeschwerde" an den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich.

 

Begründend führte der Vertreter zum Sachverhalt aus, dass der ursprüngliche Asylantrag des Bf gemäß der Dublin II VO zurückgewiesen und der Bf rechtskräftig nach Griechenland ausgewiesen worden sei.

 

Am 9. Juli 2012 sei versucht worden, den Bf rechtswidriger Weise nach Nigeria abzuschieben. Der neuerlich am 14. Juli 2012 eingebrachte Asylantrag sei inhaltlich zu prüfen, da eine Abschiebung nach Griechenland nicht zulässig sei.

 

Der Bf habe in Italien ein zum Aufenthalt berechtigtes Kind und werde derzeit in Schubhaft angehalten.

 

Die Schubhaft sei unrechtmäßig verhängt worden. Ein besonderer Sicherungsbedarf sei nicht erkennbar.

 

Der Bf habe aus dem Stande der Schubhaft einen neuen Asylantrag gestellt. Somit sei er jedenfalls an einem Kontakt mit den österreichischen Behörden interessiert. Die Gefahr des Untertauchens sei nicht real. Da der Asylantrag inhaltlich überprüft werden müsse, sei seit der Stellung des Antrages die Schubhaft unverhältnismäßig. Die gebotene Unverhältnismäßigkeitsprüfung sei unterlassen worden.

 

Fehlende Ausreisewilligkeit vermöge nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH für sich allein die Verhängung der Schubhaft niemals zu rechtfertigen.

 

Eine Abschiebung des Bf nach Nigeria sei zumindest derzeit nicht möglich. Dem Bf stehe ein Asylverfahren zu. Allenfalls hätte mit einem gelinderen Mittel das Auslangen gefunden werden können. In eventu hätte dem Bf aufgetragen werden können, in von der Behörde bestimmten Räumlichkeiten Unterkunft zu nehmen. Die Schubhaft und die weitere Anhaltung in Schubhaft sei daher rechtswidrig.

 

Abschließend wurde betragt, den Schubhaftbescheid, die Festnahme und die Anhaltung für rechtswidrig zu erklären und die Verfahrenskosten zu ersetzen.

 

3. Mit E-Mail vom 26. Juli 2012 übermittelte die belangte Behörde vorweg den Schubhaftbescheid und brachte vor, dass der Bf für die belangte Behörde im PAZ X, angehalten werde. Der Bf hätte am 9. Juli 2012 im Rahmen einer begleiteten Linienabschiebung von Wien-Schwechat über Frankfurt nach Lagos abgeschoben werden sollen. Durch Widerstandshandlungen habe der Bf die Abschiebung am Flughafen Wien-Schwechat vereitelt. Die nächste Charterabschiebung finde am 12. September 2012 statt. Die belangte Behörde habe das BMI bereits ersucht, einen früheren Termin für die Charterabschiebung einzuplanen. Am 14. Juli 2012 habe der Bf einen Asylantrag gestellt. Die Asyleinvernahme sei für den 27. Juli 2012 anberaumt worden. Mit Aktenvermerk gemäß § 76 Abs. 6 FPG sei festgehalten worden, dass die Schubhaft seit 14. Juli 2012 als gemäß § 76 Abs. 2 FPG verhängt gelte. Der gesamte Verwaltungsakt werde auf dem Postweg nachgereicht.

 

3.1.1. In der Gegenschrift vom 26. Juli 2012 führte die belangte Behörde zum Sachverhalt aus, dass der im Betreff angeführte Bf auf Grundlage des Bescheides der belangten Behörde vom 14. Mai 2012 gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ab 18. Juni 2012, 8.00 Uhr, vorerst im Polizeianhaltezentrum (PAZ) X in Schubhaft angehalten wurde. Am 30. Juni 2012 sei die Überstellung im Stand der Schubhaft in das PAZ X, erfolgt. Aufgrund des Hungerstreiks sei der Bf am 5. Juli 2012 um 13.30 Uhr in die JA X zur Heilbehandlung verbracht worden. Die Rücküberstellung ins PAZ X habe am 8. Juli 2012 um 9.45 Uhr stattgefunden.

 

Am 9. Juli 2012 sollte der Bf im Rahmen einer begleiteten Linienabschiebung von Wien-Schwechat über Frankfurt am Main nach Lagos, Nigeria, abgeschoben werden. Der Abschiebevorgang habe abgebrochen werden müssen, da sich der Bf gewaltsam und laut schreiend der Abschiebung widersetzt habe. Daraufhin sei der Bf vorerst ins PAZ X, und am 25. Juli 2012 ins PAZ X, überstellt worden, wo er zur Sicherung der Abschiebung angehalten werde. Die Schubhaft sei weiterhin aufrecht.

 

In der Beilage werde der Fremdenpolizeiakt zur Schubhaftbeschwerde vom 25. Juli 2012 zwecks Entscheidung vorgelegt.

 

Der Bf sei in fremdenpolizeilichen Verfahren bis zuletzt unvertreten gewesen. Der belangten Behörde sei am 23. Juli 2012 eine Vollmacht (vom 20. Juli 2012) für den X, übermittelt worden. Der Schubhaftbescheid sei daher rechtswirksam allein dem Fremden zugestellt worden.

 

Die belangte Behörde vertrete weiterhin den Standpunkt, dass akuter Sicherungsbedarf vorliege. In diesem Zusammenhang und im Hinblick auf die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft sowie auf die Nichtanwendung gelinderer Mittel werde, um Wiederholungen zu vermeiden, nochmals auf die ausführliche Begründung des Schubhaftbescheides verwiesen. Der Bf verfüge in Österreich über keinen festen Wohnsitz. Er sei absolut rückkehrunwillig bzw. lehne eine freiwillige Rückkehr in den Herkunftsstaat konsequent ab. Er verfüge nur über geringe finanzielle Mittel. Eine berufliche, soziale oder familiäre Verankerung im Bundesgebiet fehle vollständig. Zu Ungunsten des Bf sei auch zu erwähnen, dass er im Stande der Strafhaft anlässlich der Besorgung des Heimreisezertifikats zweimal die Abnahme der Fingerabdrücke verweigert habe. Die drei rechtskräftigen Verurteilungen in Österreich (zweimal wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgift, einmal wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt sowie schwerer Körperverletzung) ließen auf mangelndes rechtskonformes Verhalten sowie ein gewisses Aggressions- und Gewaltpotenzial schließen.

 

Keineswegs könne mit der Anwendung gelinderer Mittel das Auslangen zur Erreichung des Sicherungszwecks gefunden werden, sodass die Anhaltung im konkreten Fall eine "ultima ratio"-Maßnahme darstelle. Es sei zu befürchten, dass der Bf bei Abstandnahme von Schubhaft sofort in die Anonymität untertaucht oder sich wiederum illegal in einen anderen Mitgliedstaat der EU oder in die Schweiz absetzen werde.

 

Dass der Bf mit einer in Italien lebenden Angolanerin befreundet sei und mit dieser ein in Italien zum Aufenthalt berechtigtes Kind habe, welches in Italien wohnhaft sei, erscheine deshalb wenig glaubwürdig, weil der Bf anlässlich seiner Einvernahme am 16. März 2012 weder die Geburtsdaten seiner Freundin noch seines Kindes noch die genaue Adresse in Rom nennen konnte. Ein nigerianischer Onkel des Bf solle zudem in Griechenland leben. Es gebe jedoch keine Familienangehörigen oder sonstige soziale Kontakte in Österreich.

 

Selbst wenn diese Behauptungen zutreffen, stehe dies der Schubhaft nicht entgegen. Die Fluchtgefahr könne auf diese Weise objektiv nicht entkräftet werden. Ein Art. 8 MRK-relevanter Sachverhalt, welcher der Durchsetzung fremdenpolizeilicher Maßnahmen entgegenstehen würde, liege jedenfalls nicht vor.

 

Die mangelnde Ausreisewilligkeit sei daher keineswegs der alleinige Grund zur Rechfertigung einer Schubhaftverhängung. Hinzu würden die nicht vorhandenen familiären, beruflichen und sozialen Kontakte in Österreich sowie der Umstand, dass der Bf über keinen relevanten Wohnsitz verfüge, an den er realistischerweise zurückkehren könne, treten. Insbesondere sei auch auf die mangelnde Mitwirkung des Bf bei der Sachverhalts- und Identitätsfeststellung hinzuweisen. So habe er sowohl die Unterschrift auf der Niederschrift vom 16. März 2012 und die Abnahme von Fingerabdrücken zwei Mal verweigert sowie bis zuletzt ein falsches Geburtsdatum, und zwar den X angegeben. Dies, obwohl ein gerichtsmedizinisches Gutachten des X vom 28. Mai 2010 seine Volljährigkeit bereits zum Zeitpunkt der Gutachtenserstellung bestätigt habe.

 

Ausdrücklich werde darauf hingewiesen, dass für den Bf bereits für 9. Juli 2012 eine Linienabschiebung organisiert worden sei. Die begleitete Abschiebung habe abgebrochen werden müssen, weil sich der Bf mit dem Bauch nach unten auf den Boden fallen habe lassen, sich an Sitzstreben festkrallte und laut zu schreien begonnen habe. Der Bf befinde sich daher ausschließlich aufgrund seines Verhaltens bzw. aufgrund eigenen Verschuldens weiterhin in Schubhaft. Die Behörde habe sich seither bemüht, einen zeitnahen Abschiebetermin im Wege einer Charter-Abschiebung für August 2012 zu bekommen, jedoch bisher erfolglos. Eine neuerliche Linienabschiebung erscheine auf Grund des Verhaltens des Bf am 9. Juli 2012 sinnlos.

 

In der Folge erwähnte die belangte Behörde, dass für den Bf aufgrund seines Hungerstreiks auch eine Heilbehandlung vom 5. bis 8. Juli 2012 erforderlich gewesen sei.

 

Von einer rechtswidrigen Abschiebung könne aufgrund des rechtskräftig zurückgewiesenen Asylantrages sowie des rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes für die Dauer von 10 Jahren nicht die Rede sein. Für die Behörde hätten sich keine konkreten, stichhaltigen Gründe für die Unzulässigkeit einer Abschiebung nach Nigeria (Refoulement-Verbot) ergeben.

 

Der am 14. Juli 2012 neuerlich eingebrachte Asylantrag erscheine der Behörde – ebenso wie der Umstand, dass er sich bisher als Minderjähriger ausgegeben habe - als weiterer Versuch, eine Abschiebung in den Herkunftsstaat zu vereiteln bzw. zu verzögern. Die Schubhaft stütze sich seither auf § 76 Abs. 2 FPG.

 

Abschließend beantragte die belangte Behörde, die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft abzuweisen. Im Übrigen wurde der Zuspruch des pauschalierten Aufwandersatzes begehrt.

 

3.1.2. Am 27. Juli 2012 gab die belangte Behörde bekannt, dass das Asylverfahren des Bw nach der Asyleinvernahme am 27. Juli 2012 zugelassen und im Anschluss an diese Mitteilung die Entlassung des Bf aus der Schubhaft angeordnet worden sei.

 

Mit E-Mail vom 30. Juli 2012 teilte die belangte Behörde mit, dass die Entlassung des Bf um 14.15 Uhr erfolgt sei.

 

Der Fremdenakt samt Gegenschrift langte am 30. Juli 2012 beim Oö. Verwaltungssenat ein.

 

Mit E-Mail vom 2. August 2012 übermittelte die belangte Behörde einen Bericht des LPK Wien, SPK Margareten, Kriminalreferat, wonach der Bf wegen des Verdachts der Urkundenfälschung angezeigt und eine amtliche Abmeldung wegen Scheinanmeldung veranlasst worden sei. Aus der beiliegenden Einvernahme des Bf gehe hervor, dass ihm die Wohnung in X, von einer Staatsangehörigen aus "Kamerun" namens "X" angeboten worden sei. Die behördlichen Erhebungen hätten ergeben, dass der Bf an der genannten Adresse zwar gemeldet, aber nicht wohnhaft gewesen wäre.

 

3.2. Mit Erkenntnis vom 21. August 2012, VwSen-401198/8/SR/WU, wies der Oö. Verwaltungssenat die Beschwerde als unbegründet ab.

 

Begründend wurde wie folgt ausgeführt:

 

Erweist sich die Abschiebung Fremder, deren Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 wegen der Unzuständigkeit Österreichs zurückgewiesen worden ist, in den Drittstaat als nicht möglich, so ist hievon das Bundesasylamt unverzüglich in Kenntnis zu setzen (§ 50 Abs. 4 FPG).

 

Nach § 2 Abs. 4 Z. 9 FPG ist unter Drittstaat jeder Staat, außer einem Mitgliedstaat des EWR-Abkommens oder der Schweiz zu verstehen.

 

Gemäß § 4 Abs. 5 AsylG treten ausschließlich Entscheidungen gemäß § 4 Abs. 1 AsylG (Drittstaatsicherheit) außer Kraft, wenn ein Fremder aus faktischen Gründen, die nicht in seinem Verhalten begründet sind, nicht binnen drei Monaten nach Durchsetzbarkeit abgeschoben werden.

 

Da die vorliegende Entscheidung des Bundesasylamtes gemäß § 5 AsylG ergangen ist, führt die Nichtvornahme der Abschiebung nicht zur Beseitigung der Zurückweisungs- und Ausweisungsentscheidung. Das "erste" Asylverfahren ist weiterhin als rechtskräftig abgeschlossen anzusehen.

 

Wie dem Vorlageakt zu entnehmen ist, hat die belangte Behörde bereits während der Strafhaft, unmittelbar nach der Überstellung des Bf in die JA X, erste Ermittlungsschritte (beginnend mit 5. September 2011) aufgenommen. Am 24. Februar 2012 wurde die ARGE Rechtsberatung mit der Rechtsberatung des Bf betraut. Im Zuge des folgenden Ermittlungsverfahrens hat die belangte Behörde eine Prüfung gemäß § 50 FPG durchgeführt, den Bf am 16. März 2012 damit konfrontiert, dass eine Abschiebung nach Griechenland nicht vorgenommen werde, eine inhaltliche Prüfung des Asylverfahrens nicht stattgefunden habe, das Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen sei und die belangte Behörde die Schubhaftverhängung im Anschluss an das Haftende zur Sicherung der Abschiebung nach Nigeria plane. Zur beabsichtigten Abschiebung nach Nigeria brachte der Bf vor, dass er sich gegen die Abschiebung nach Nigeria ausspreche, da er nicht nach Nigeria zurückwolle. Er sei nach Europa gekommen um ein besseres Leben zu führen. Nach dem Schubhaftende wolle er zu seiner Freundin und dem gemeinsamen Kind nach Rom. In Österreich sei das kein Leben für ihn. Gründe, die eine Abschiebung nach Nigeria verbieten würden, brachte der Bf nicht vor. Ebenso wenig stellte der Bf einen weiteren Asylantrag.

 

Da im Ermittlungsverfahren keine Gründe hervorgekommen sind, die eine Abschiebung des Bf in den Herkunftsstaat verbieten würde (§ 50 FPG), hat die belangte Behörde zu Recht weiterhin die Außerlandesschaffung des Bf betrieben (siehe ONr 129: Niederschrift vom 16. März 2012).

 

Im Aktenvermerk vom 26. Juni 2012 (ONr. 173) hielt die belangte Behörde fest, dass der Bf trotz niederschriftlicher Belehrungen zu keinem Zeitpunkt einen Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria gestellt hat. Ebenso wenig erstattete der Bf bei der niederschriftlichen Befragung am 16 März 2012 ein relevantes Vorbringen im Sinne des § 50 FPG. In der Schubhaft fand ein Gespräch des Bf mit der Schubhaftbetreuungsorganisation Caritas statt. Auch nach dieser Beratung stellte der Bf keinen weiteren Asylantrag und brachte auch keine Gründe vor, die einer Abschiebung nach Nigeria entgegenstehen würden.

 

3.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 16. Mai 2013, Zl. 2012/21/0218-5, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

 

Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass der BH bereits ab Oktober 2011 klar war, dass der Bf nicht nach Griechenland überstellt werden könne. Daher habe sie mit der Schubhaft darauf abgezielt, den Bf nach Nigeria abzuschieben. Grundlage dafür habe ein aus dem Oktober 2010 stammendes Aufenthaltsverbot geboten. Da im Asylverfahren bisher keine meritorische Prüfung stattgefunden hatte, war Österreich nach Versäumung der Fristen (Dublin II-VO) zur Prüfung des Asylverfahrens zuständig geworden (vgl. das Erkenntnis vom 19. März 2013, Zl. 2011/21/0128 – zum subjektiven Recht eines Drittstaatsangehörigen, dass ein Mitgliedstaat sein Asylverfahren führt). Auf Grund der entstandenen Prüfpflicht Österreichs hätte die Asylbehörde den Zurückweisungsbescheid von Amtswegen beheben müssen. Auch wenn eine solche Aufhebung noch nicht erfolgt war, hätte die BH die Schubhaft gegen den Bf zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 76 Abs. 1 FPG nicht erlassen dürfen. Der Bescheid der BH vom 14. Mai 2012 erweise sich daher als rechtswidrig.

 

3.4. Mit Erkenntnis vom 4. Februar 2013, VwSen-420756/8/SR/Jo, gab der Oö. Verwaltungssenates der Beschwerde des Bf statt und erklärte den Versuch der zwangsweisen Abschiebung des Bf am 9. Juli 2012 durch Organe der belangten Behörde für rechtswidrig.

 

Die Behandlung der dagegen erhobenen Amtsbeschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 16. Mai 2013, Zl. 2013/21/0052-3, abgelehnt.

 

3.5. Der Oö. Verwaltungssenat geht von dem unter den Punkten 1. und 3. bis 3.4. dieses Erkenntnisses dargestellten entscheidungswesentlichen Sachverhalt aus.

 

3.6. Wie sich bereits aus der Sachverhaltsdarstellung in der Beschwerdeschrift ergibt, ist der relevante Sachverhalt unbestritten.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

4.1.1.  Gemäß § 83 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung des Bundesgesetzblattes BGBl. Nr. 50/2012, ist zur Entscheidung über eine Beschwerde gemäß § 82 Abs. 1 Z. 2 oder 3 der unabhängige Verwaltungssenat zuständig, in dessen Sprengel die Behörde ihren Sitz hat, welche die Anhaltung oder die Schubhaft angeordnet hat. In den Fällen des § 82 Abs. 1 Z. 1 richtet sich die Zuständigkeit nach dem Ort der Festnahme.  

 

Gemäß § 82 Abs. 1 FPG hat der Fremde das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen,

1.   wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist;

2.   wenn er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz oder das Asylgesetz 2005 angehalten wird oder wurde, oder

3.   wenn gegen ihn die Schubhaft angeordnet wurde.

 

Gemäß § 83 Abs. 4 FPG hat der Unabhängige Verwaltungssenat, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden.

 

4.1.2. Es ist unstrittig, dass der Bf aufgrund des in Rede stehenden Bescheides der belangten Behörde vom 18. Juni 2012 bis 27. Juli 2012 in Schubhaft angehalten wurde, weshalb der Oö. Verwaltungssenat zur Entscheidung berufen ist.

 

4.2.1. Gemäß § 76 Abs. 1 können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

 

Gemäß § 76 Abs. 2 kann die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

1. gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;

2. gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;

3. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist oder

4. auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

Gemäß § 76 Abs. 6 FPG kann die Anhaltung in Schubhaft aufrecht erhalten werden, wenn ein Fremder während der Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz stellt. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 oder 2a vor, gilt die Schubhaft als nach Abs. 2 oder 2a verhängt. Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung der Schubhaft gemäß Abs. 2 oder 2a ist mit Aktenvermerk festzuhalten.

 

Die Schubhaft ist nach § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich mit Mandatsbescheid gemäß § 57 AVG anzuordnen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zur Erlassung des Bescheides aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Der Bescheid hat den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung auch in einer dem Fremden verständlichen Sprache zu enthalten oder einer Sprache, bei der vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass er sie versteht. Eine unrichtige Übersetzung begründet lediglich das Recht, unter den Voraussetzungen des § 71 AVG wiedereingesetzt zu werden.

 

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat die Behörde bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres hat die Behörde gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn, bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z. 1.

 

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung,

1. in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,

2. sich in periodischen Abständen bei einem Polizeikommando zu melden oder

3. eine angemessene finanzielle Sicherheit bei der Behörde zu hinterlegen.

 

4.2.2. Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass der erste Asylantrag (AI Zl. 10 03.483) gemäß § 5 AsylG zurückgewiesen und die Ausweisung nach Griechenland gemäß § 10 AsylG verfügt worden ist. Der Bescheid ist in der Folge in Rechtskraft erwachsen.

 

Unbestritten ist ferner, dass gegen den Bf ein aufrechtes Aufenthaltsverbot (Bescheid der BPD Wien vom 12. Oktober 2010, GZ III-1294606/FRB/11, durchsetzbar seit 12. Oktober 2010, rechtskräftig seit 26. Oktober 2010) besteht. Das Aufenthaltsverbot ist während des laufenden Asylverfahrens bis zur Durchsetzbarkeit einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG nicht durchsetzbar (§ 1 Abs. 2 FPG).

 

4.3. Gemäß § 1 Abs. 2 FPG ist die Durchsetzung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen Asylwerber erst zulässig, wenn die Ausweisung nach § 10 AsylG durchgesetzt werden kann.

 

Die belangte Behörde ging davon aus, dass der "erste" Asylantrag (AI Zl. 10 03.483) gemäß § 5 AsylG zurückgewiesen und die Ausweisung nach Griechenland gemäß § 10 AsylG erlassen worden ist. Wie dem zum Zeitpunkt der Vornahme der Maßnahme aktuellen Asylwerberinformationssystem (im Folgenden: AI) zu entnehmen war, war der Bescheid des Bundesasylamtes in Rechtskraft erwachsen und gehörte nach wie vor dem Rechtsbestand an. Darüber hinaus war aber auch im AI vermerkt, dass die Überstellungsfrist nach Griechenland am 1. Jänner 2012 abgelaufen ist. Demnach sei dem Bf bis zur neuerlichen Asylantragstellung (AI Zl. 12 08.825) am 14. Juli 2012 nicht mehr der Status eines Asylwerbers zugekommen (§ 2 Abs. 14 AsylG) und wurde als Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z. 1 FPG angesehen. Darauf abstellend ging die belangte Behörde davon aus, dass das Aufenthaltsverbot (Bescheid der BPD Wien vom 12. Oktober 2010, GZ III-1294606/FRB/11, durchsetzbar seit 12. Oktober 2010, rechtskräftig seit 26. Oktober 2010) bis zur "zweiten" Asylantragstellung durchsetzbar gewesen wäre.

 

Im Erkenntnis vom 19. Juni 2008, 2007/21/0509, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass es nach der aktuellen Rechtslage der ausdrücklichen Aufhebung des nach § 5 AsylG ergangenen verfahrensrechtlichen Bescheides bedarf.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im angesprochenen Erkenntnis mit der Selbsteintrittsverpflichtung auseinander gesetzt, auf Art. 19 Abs. 3 und 4 und Art. 20 Abs. 2 der Dublin II VO Bezug genommen und folgende Überlegungen angestellt (Hervorhebungen nicht im Original):

 

Art. 19 Abs. 3 Dublin II VO lautet:

Die Überstellung des Antragstellers von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat.

 

Art. 20 Abs. 2 Dublin II VO lautet:

Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, so geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung oder die Prüfung des Antrags aufgrund der Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte, oder höchstens achtzehn Monate, wenn der Asylbewerber flüchtig ist.

 

Die genannten Bestimmungen ordnen für den Fall der Überschreitung der Überstellungsfrist einen Zuständigkeits(rück)übergang auf den Staat der Asylantragstellung (gemeint: den Aufenthaltsstaat) an. Die Regelung stützt sich auf die Überlegung, dass der Mitgliedstaat, der die gemeinsamen Zielvorgaben zur Kontrolle der illegalen Zuwanderung nicht umsetzt, also die Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat nicht "zeitgemäß" durchführt, gegenüber den Partnerländern die (negativen) Folgen tragen muss. Außerdem soll durch diese Bestimmung vermieden werden, dass eine Kategorie sogenannter "refugees in orbit" entsteht, deren Antrag monate- oder gar jahrelang in keinem Mitgliedstaat geprüft wird (Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung2, K 30 zu Art. 19, Seite 150, und K 11 f zu Art. 20, Seite 155 f).

 

Der Übergang der Zuständigkeit nach Fristablauf stellt eine besondere Zuständigkeitsnorm dar, die letztlich lediglich vom Ablauf der Frist abhängig ist (Filzwieser/Liebminger, aaO). Mit Ablauf der Frist tritt der Zuständigkeitsübergang "de jure" ein (Schmid/Frank/Anerinhof, aaO, K 18, Seite 122). Daraus folgerten die zuletzt genannten Autoren, die innerstaatliche Regelung des § 5a Abs. 3 AsylG 1997 wäre insoweit entbehrlich gewesen, als "diese EG-rechtliche Wirkung" auch die innerstaatliche Dublin-Unzuständigkeitsentscheidung "mit ex-nunc-Wirkung beseitigt" hätte. Der Zuständigkeitsübergang auf den mit der Überstellung säumigen Staat und die "Beseitigung" der die Unzuständigkeit dieses Staates aussprechenden innerstaatlichen Entscheidung hätte sich - so ist die wiedergegebene Kommentarstelle offenbar zu verstehen - bereits aus den zitierten, unmittelbar anwendbaren Normen der Dublin II-VO ergeben.

 

Im Einklang mit dieser Auffassung verzichtete der Gesetzgeber darauf, in das (am 1. Jänner 2006 in Kraft getretene) AsylG 2005 eine dem § 5a Abs. 3 AsylG 1997 entsprechende ausdrückliche Regelung aufzunehmen. Dazu heißt es in den Gesetzesmaterialien zu § 5 AsylG 2005 (RV 952 BlgNR 22. GP 35):

"Wenn eine Überstellung - etwa wegen Transportunfähigkeit des Asylwerbers - längere Zeit nicht möglich ist, ergeben sich aus dem Dubliner Übereinkommen und der Dublin-Verordnung Fristen, nach denen Österreich zuständig wird. Diese Fristen sind uneinheitlich, je nach dem Grund des Überstellungshindernisses. Wenn eine Überstellung auf Grund von Fristenablauf nicht mehr erfolgen kann, so ist der Bescheid nach § 5 von Amts wegen zu beheben und in die inhaltliche Prüfung des Verfahrens einzutreten. Auf eine entsprechende Normierung wurde verzichtet, da sich dies bereits aus den Vorschriften des Dubliner Übereinkommens und der Dublin-Verordnung ergibt."

 

Während somit § 5a Abs. 3 AsylG 1997 für den Fall des Ablaufs der Überstellungsfrist ex lege das Außerkrafttreten der Dublin-Unzuständigkeitsentscheidung anordnete, geht der Gesetzgeber des AsylG 2005 davon aus, dass dem in der Dublin II-VO für diesen Fall vorgesehenen Zuständigkeits(rück)übergang mit einer Aufhebung des verfahrensbeendenden Bescheides Rechnung zu tragen ist. Dem ist zu folgen, zumal sich aus der genannten Verordnung nicht ergibt, in welcher Form es zur "Beseitigung" der innerstaatlichen Unzuständigkeitsentscheidung kommt. Mangels ausdrücklicher Regelung über ein ex-lege-Außerkrafttreten bedarf es somit im Anwendungsbereich des AsylG 2005 zur Beseitigung der Rechtskraftwirkungen der ursprünglichen (nicht fristgerecht umgesetzten) "Dublin-Entscheidung" deren förmlicher Aufhebung. Diese ist unverzüglich nach fruchtlosem Ablauf der jeweiligen Überstellungsfrist (auch von Amts wegen) vorzunehmen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat – abstellend auf den damals zu beurteilenden Fall – zur verfahrensrechtlichen Stellung der Bf ausgeführt:

 

Da im Zeitpunkt der Anordnung der Schubhaft am 19. November 2007 ein solcher Aufhebungsbescheid der Asylbehörden (noch) nicht erlassen worden war, kam der Beschwerdeführerin - entgegen der von ihr vertretenen Meinung - damals nicht die Stellung als Asylwerberin zu. Die auf § 76 Abs. 1 FPG gestützte Anordnung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung durch die Bundespolizeidirektion Wien und die darauf gegründete Anhaltung erweist sich daher nicht als rechtswidrig, zumal das Bestehen eines Sicherungsbedarfs schon aus den von der belangten Behörde angeführten Gründen im vorliegenden Fall nicht fraglich sein kann.

 

Im das gegenständliche Beschwerdeverfahren betreffende Erkenntnis vom 16. Mai 2013, Zl 2012/21/0218, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass die entstandene Prüfungspflicht Österreichs auch dann der Schubhaftnahme eines Fremden nach § 76 Abs. 1 FPG zur Sicherung seiner Abschiebung entgegen steht, selbst wenn die gebotene Aufhebung des Zurückweisungsbescheides noch nicht erfolgt ist. Im vorliegenden Fall hätte die belangte Behörde („BH“) dies beachten müssen, weshalb sich ihr Schubhaftbescheid vom 14. Mai 2012 als rechtswidrig erweist.

 

4.4. Da sich die belangte Behörde ausschließlich auf den Bescheid vom 14. Mai 2012 gestützt hat, waren im Hinblick auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes die Festnahme, der Schubhaftbescheid und die Anhaltung im angefochtenen Zeitraum für rechtswidrig zu erklären.

 

5. Nach § 79a Abs 1 AVG 1991 iVm § 83 Abs 2 FPG hat die im Verfahren nach    § 67c AVG obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wird die Beschwerde zurückgewiesen oder zurückgezogen oder abgewiesen, dann ist die belangte Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei (§ 79a Abs 3 AVG). Nach § 79a Abs 6 AVG ist Aufwandersatz nur auf Antrag der Partei zu leisten.

 

Gemäß § 79a Abs 4 AVG gelten als Aufwendungen gemäß Abs 1 neben Stempel- und Kommissionsgebühren sowie Barauslagen vor allem die durch Verordnung des Bundeskanzlers festgesetzten Pauschbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand. Nach der geltenden UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 (BGBl II Nr. 456/2008) beträgt der Schriftsatzaufwand für den Beschwerdeführer als obsiegende Partei 737,60 Euro.

 

Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren war der Verfahrensaufwand des Bf mit insgesamt 751,90 Euro (737,60 Euro Schriftsatzaufwand und 14,90 Euro Beilagegebühren) festzusetzen und dem Bund der Kostenersatz zugunsten des Bf aufzutragen.

 

Analog dem § 59 Abs 4 VwGG 1985 war eine Leistungsfrist von 2 Wochen festzusetzen, zumal das Schweigen des § 79a AVG 1991 nur als planwidrige Lücke aufgefasst werden kann, sollte doch die Neuregelung idF BGBl Nr. 471/1995 im Wesentlichen eine Angleichung der Kostentragungsbestimmungen an das VwGG bringen (vgl Erl zur RV, 130 BlgNR 19. GP, 14 f).

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt unterschrieben werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 240 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in Höhe von 18,20 Euro (Eingabe- und Beilagengebühr) angefallen.

 

 

Mag. Stierschneider

 

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