Linz, 25.07.2013
E R K E N N T N I S
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X, geboren am X, Staatsangehöriger von Kosovo, vertreten durch Herrn X, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 9. April 2013, AZ: 1050914/FRB, betreffend die Erlassung eines auf die Dauer von drei Jahre befristetes Aufenthaltsverbot nach dem Fremdenpolizeigesetz zu Recht erkannt:
Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG iVm §§ 9 Abs. 1a, 53 Abs. 3 Z 1, 63 f Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG (BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 68/2013
Entscheidungsgründe:
1. Mit Bescheid des Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 9. April 2013, AZ: 1050914/FRB, dem Berufungswerber (im Folgenden: Bw) durch Hinterlegung zugestellt am 12. April 2013, wurde gegen den Bw auf Grundlage des § 63 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz (im Folgenden: FPG) in der geltenden Fassung ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Weiters wurde gem. § 55 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 1 Monat ab Durchsetzbarkeit des Bescheides festgelegt.
Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass der Berufungswerber seit 2005 in Österreich lebe und derzeit über einen bis 9. Juni 2016 gültigen Aufenthaltstitel (Daueraufenthalt - Familienangehöriger) verfüge.
Am 7. Jänner 2013 sei er vom LG Linz, Zl. 22 Hv 148/2012 y, wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, bedingt auf 3 Jahre, verurteilt worden.
Aus der Urteilsausfertigung gehe hervor, dass der Bw im bewussten und gewollten Zusammenwirken X mit Gewalt gegen seine Person eine Geldbörse samt Inhalt in der Höhe von zumindest € 20,- mit dem Vorsatz weggenommen habe, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem der Berufungswerber ihn zu Boden gerissen und ihm mit den Füßen und Fäusten Schläge versetzt habe, um ihm anschließend die Geldbörse samt Inhalt wegzunehmen, wobei X in Form von mehreren Prellungen verletzt worden sei.
2. Gegen den am 12. April 2013 dem Berufungswerber durch Hinterlegung zugestellten Bescheid erhob dieser rechtsfreundlich vertreten mit Schriftsatz vom 24. April 2013, bei der belangten Behörde eingelangt am 30. April 2013, rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung (Poststempel 25. April 2013).
Zu Beginn werden die Anträge gestellt, die Berufungsbehörde möge
a) eine mündliche Berufungsverhandlung anberaumen und durchführen;
b) den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben; in eventu
c) die ausgesprochene Aufenthaltsverbotsdauer angemessen herabsetzen; in eventu
d) den angefochtenen Bescheid aufheben und der Erstbehörde die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auftragen.
Im Rechtsmittel führt der Bw aus, dass er der aufgezeigten Verurteilung nicht entgegen trete und sein Fehlverhalten zutiefst bereue. Es handle sich jedoch um seine erste Verurteilung und er sei sich dessen bewusst, dass er im Falle der Begehung einer weiteren Straftat die verhängte Strafe auch verbüßen werde müssen und auch seinen bestehenden Aufenthalt in Österreich gefährden würde. Es hätte die Fremdenbehörde, wie bereits das Strafgericht, von einer günstigen Zukunftsprognose ausgehen müssen und der Erlassung des gegenständliches Aufenthaltsverbot nicht bedurft. Er wolle die gegenständliche Straftat keineswegs beschönigen oder verharmlosen, doch stelle diese ein typisches Beispiel einer Jugenddelinquenz dar. Er verweise in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall X gegen Österreich vom 22. März 2007, in dem der EMGR selbst bei einer Verurteilung zu einer zweijährigen bedingten und neun Monaten unbedingten Haftstrafe davon ausgegangen sei, dass auf Grund der Jugenddelinquenz die Erlassung des Aufenthaltsverbots nicht erforderlich sei.
Seine gesamte Familie lebe in Österreich und seinem Vater sei bereits die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden. Er verfüge daher im Kosovo über keinerlei soziales Netzwerk mehr, auf das er zurückgreifen könne. Er habe im Kosovo auch lediglich vier Jahre die Volksschule besucht, seine weitere Schulausbildung habe er in Österreich absolviert und abgeschlossen. Ende März habe er eine Lehrausbildung als Maler und Beschichtungstechniker begonnen. Er sei in Österreich sowohl sozial als auch familiär bestens integriert und hätte daher gegenständliches Aufenthaltsverbot auch im Hinblick auf die Verletzung des Art. 8 EMRK nicht erlassen werden dürfen.
Der Berufung ist ein Lehrvertrag vom 9. April 2013 beigelegt.
3.1. Die belangte Behörde legte den in Rede stehenden Verwaltungsakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich mit Schreiben vom 30. April 2013 zur Entscheidungsfindung vor.
3.2.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat für den 19. Juli 2013 eine mündliche Verhandlung anberaumt und dazu die Verfahrensparteien geladen. Die belangte Behörde hat sich rechtzeitig entschuldigt.
3.2.2. Auf Grund der mündlichen Verhandlung steht folgender Sachverhalt fest:
Der Bw hält sich seit dem Jahr 2005 durchgehend rechtmäßig in Österreich auf. Zuletzt wurde ihm am 9. Juni 2011 der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – Familienangehöriger“ ausgestellt (gültig bis 9. Juni 2016).
Der Bw beherrscht die deutsche Sprache sehr gut.
Der überwiegende Teil der Freunde und die gesamte Familie des Bw befinden sich in Österreich. Der Vater des Bw hat bereits die österreichische Staatsbürgerschaft erlangt.
Das LG Linz hat den Bw am 7. Jänner 2013 unter der Zl. 22 Hv 148/2012 y wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt.
Demnach hat der Bw am 29. August 2012 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit weiteren Tätern Gewalt gegen das Opfer ausgeübt und diesem eine Geldbörse samt Inhalt in der Höhe von zumindest € 20,- mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Im Schuldspruch wird ausgeführt, dass der Bw und die beiden weiteren Täter das Opfer zu Boden gerissen und diesem mit den Füßen und Fäusten Schläge versetzt haben, um ihn anschließend die Geldbörse samt Inhalt wegzunehmen, wobei das Opfer in Form von mehreren Prellungen verletzt worden ist.
Mildernd wurde die bisherige Unbescholtenheit gewertet. Erschwerend wirkte sich die eingetretene Körperverletzung des Raubopfers aus.
Im angesprochenen Urteil wird ausgeführt, dass die Diversionsvoraussetzungen nicht vorliegen, da die ganzheitliche Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände fallbezogen bereits eine schwere Schuld begründen (Gesinnungsunwert [Verwerflichkeit der inneren Einstellung des Angeklagten] und Handlungsunwert [mit erheblicher Intensität ausgeführte Tatbegehensweise]) und fallbezogen spezialpräventive Überlegungen entgegenstehen (der Bw hat nicht einmal eine bedingte Unrechtseinsicht oder partielle Verantwortungsübernahme gezeigt).
Nach Rücksprache mit dem Verteidiger verzichtete der Bw auf Nichtigkeitsbeschwerde, Berufung und Beschwerde.
In der mündlichen Verhandlung am 19. Juli 2013 bestritt der Bw den Schuldvorwurf und sagte wiederholt aus, dass er die Tat nicht begangen habe. An das Gespräch mit dem Pflichtverteidiger (Abgabe eines Rechtsmittelverzichtes) könne er sich nicht mehr erinnern. Vermutlich sei ein Rechtsmittel nicht ergriffen worden, da man ihm schon in der Verhandlung nicht geglaubt habe.
3.2.3. Der festgestellte Sachverhalt ist, soweit er nicht die Tathandlung am 29. August 2012 und die Verurteilung am 7. Jänner 2013 betrifft, unstrittig.
Das Vorbringen des Bw, am Raub am 29. August 2012 nicht beteiligt gewesen zu sein, ist nicht glaubwürdig. Sein Verhalten und seine Verantwortung vor dem LG Linz, dem Unabhängigen Verwaltungssenat und seine Ausführungen in den Schriftsätzen sind widersprüchlich.
Wie bereits oben dargestellt, zeigte der Bw im Gerichtsverfahren nicht einmal eine bedingte Unrechtseinsicht oder eine partielle Verantwortungsübernahme. In der mündlichen Berufungsverhandlung am 19. Juli 2013 bestreitet der Bw die Tat überhaupt und will nur Zuschauer gewesen sein, der den Raub am Rande (in einer Entfernung von mehreren Metern) mitverfolgt haben will. Nicht nachvollziehbar stellt sich daher dar, dass der Bw nach der Rechtsmittelbelehrung im Anschluss an die Urteilsverkündung und der Besprechung mit seinem Pflichtverteidiger auf die Erhebung eines Rechtsmittels verzichtet hat, obwohl er sich vollkommen unschuldig fühlt. Widersprüchlich ist die Verantwortung in der mündlichen Verhandlung zu den Ausführungen im Berufungsschriftsatz. Darin ist der Bw nicht gegen die aufgezeigte Verurteilung aufgetreten und hat sein Fehlverhalten noch zutiefst bereut. Zu diesem Zeitpunkt war er sich auch noch bewusst, dass er im Falle der Begehung einer weiteren Straftat nicht nur die bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe verbüßen werden müsse, sondern auch sein Aufenthalt in Österreich massiv gefährdet wäre.
3.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).
4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:
4.1. Gemäß § 63 Abs. 1 FPG kann gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt
1. die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder
2. anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
Gemäß § 63 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 insbesondere jene des § 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 und Abs. 3. § 53 Abs. 5 und 6 gelten.
Gemäß § 63 Abs. 3 FPG ist ein Aufenthaltsverbot gemäß Abs. 1 in den Fällen des
§ 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 für die Dauer von mindestens 18 Monaten, höchstens jedoch für fünf Jahre, in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 4 für höchstens zehn Jahre und in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen. Die Frist beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.
4.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst unbestritten, dass der Bw über einen Aufenthaltstitel verfügt und sich derzeit rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Daher sind grundsätzlich die oben genannten Bestimmungen zur Prüfung des Aufenthaltsverbotes heranzuziehen.
4.3.1. Da der Bw über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – Familienangehöriger“ verfügt, ist vorrangig zu prüfen, ob eine Aufenthaltsverfestigung gemäß § 64 FPG gegeben ist.
Einschlägig ist § 64 Abs. 4 FPG. Dieser lautet:
Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen waren und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EG“ oder „Daueraufenthalt – Familienangehöriger“ verfügen, dürfen nur mehr ausgewiesen werden, wenn ihr weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.
4.3.2. Wie bereits oben festgestellt, hält sich der Bw seit dem Jahr 2005 durchgehend rechtmäßig in Österreich auf. Zuletzt wurde ihm am 9. Juni 2011 vom Magistrat Linz unter der Zahl AEG/32921 der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – Familienangehöriger“ ausgestellt. Dieser ist bis zum 9. Juni 2016 gültig.
Die einzige Tat, wegen der der Bw verurteilt wurde, ist von ihm am 29. August 2012 begangen worden.
Der Bw war somit vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer niedergelassen und verfügte über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – Familienangehöriger“.
Eine Verfestigung des Bw liegt jedoch nur vor, wenn sein weiterer Aufenthalt keine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt.
Mit Urteil des LG Linz, Zl. 22 Hv 148/2012 y, vom 7. Jänner 2013 wurde der Bw wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt worden.
Maßgeblich ist aber nicht primär, dass eine strafgerichtliche Verurteilung ausgesprochen wurde, sondern dass im Sinne einer Prognoseentscheidung das gegenwärtige und zukünftige Verhalten einer Person im Lichte ihrer strafgerichtlichen Verurteilung rechtlich zu würdigen ist.
Die rechtskräftige Verurteilung des Bw gilt nach § 64 Abs. 5 FPG als schwere Gefahr. Für sich alleine betrachtet reicht diese Verurteilung jedoch nicht aus, um das Vorliegen einer Aufenthaltsverfestigung zu verneinen.
Entscheidungsrelevant ist, ob die hinreichend schwere Gefahr gegenwärtig vorliegt.
Der Bw wurde während seines seit dem Jahr 2005 rechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich nur einmal – und zwar im Jänner 2013 wegen einer Tat im August 2012 – rechtskräftig verurteilt.
Die Verantwortung des Bw schwankte im laufenden Verfahren zwischen Unrechtsuneinsichtigkeit und umfassender Reue. Obwohl die festgestellte Vorgangsweise auf das Vorliegen einer niedrigen Hemmschwelle und einer hohen Gewaltbereitschaft schließen lässt, hat das erkennende Gericht für das gegenständliche Verbrechen ein äußerst mildes Urteil – bedingte Freiheitsstrafe (12 Monate) – verhängt.
Wie aus der Urteilsbegründung hervorgeht hat das Gericht das jugendliche Alter des Bw nicht ausdrücklich als Milderungsgrund angeführt. Aus dem Umstand, dass von der Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe Abstand genommen wurde, ist zu schließen, dass es beim Bw nicht des Haftübels bedurfte, um ihn zu läutern und von weiteren Tatbegehungen abzuhalten.
Abstellend auf die Beweisergebnisse und den Eindruck, der aus dem Verhalten des Bw bei der mündlichen Verhandlung gewonnen werden konnte, ist davon auszugehen, dass vom weiteren Aufenthalt des Bw gegenwärtig keine hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgeht.
Da der Bw somit als aufenthaltsverfestigt anzusehen ist, war der Berufung stattzugeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufzuheben.
5. Von einer Übersetzung gemäß § 59 Abs. 1 FPG konnte aufgrund der sehr guten Deutschkenntnisse des Bw abgesehen werden.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweise:
1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 240 Euro zu entrichten.
2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in Höhe von 18,20 Euro (Eingabe- und Beilagengebühr) angefallen.
Mag. Christian Stierschneider