Linz, 30.09.2013
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X, geb. X, StA des Kosovo, vertreten durch X, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 19. Juli 2013, AZ.: 1036523/FP/13, betreffend die Verhängung eines auf 7 Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes gegen den Berufungswerber nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:
Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
Rechtsgrundlage:
§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG
Entscheidungsgründe
1. Mit Bescheid der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 19. Juli 2013, AZ.: 1036523/FP/13, wurde über den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 63 Abs. 1 und 3 iVm. 53 Abs. 3 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, ein auf 7 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich verhängt.
Begründend führt die belangte Behörde Folgendes aus:
2.1. Gegen diesen, zuhanden des Rechtsvertreters am 23. Juli 2013 zugestellten, Bescheid erhob der Bw vertreten durch seinen Rechtsanwalt mit Telefax vom 1. August 2013 rechtzeitig Berufung.
Seiner Berufung legte der Bw eine Anmeldebestätigung der Wirtschaftskammer Oberösterreich vom 23. Juli 2013 für einen Lehrabschlussprüfungstermin und eine Mitteilung des Arbeitsmarktservices vom 22. Juli 2013 über den Leistungsanspruch bei.
Begründend führt der Bw in der Berufung Folgendes aus:
Abschließend stellt der Bw die Anträge, der Berufung Folge zu geben und den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben; in eventu den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Erstbehörde zurückzuverweisen; in jedem Fall eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen.
3.1. Die belangte Behörde legte den in Rede stehenden Verwaltungsakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich mit Schreiben vom 1. August 2013 zur Entscheidungsfindung vor.
3.2. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, sowie durch Einsichtnahme in das Elektronische Kriminalpolizeiliche Informationssystem und das Zentrale Melderegister.
3.3. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte entfallen, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist (§ 67d Abs 2 Z 1 2. Fall AVG).
3.4. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter Punkt 1 und 2 dieses Erkenntnisses dargestellten, im Wesentlichen unbestrittenen Sachverhalt aus.
Darüber hinaus stellt der Oö. Verwaltungssenat fest, dass sich aus dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 26. August 2013 ergibt, dass der Bw seit 8. Dezember 2001 durchgehend im Bundesgebiet aufhältig ist.
Ferner steht aufgrund eines entsprechenden Eintrags im EKIS fest, dass der Bw im Besitz eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte Plus“ ist.
3.5. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).
4. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:
4.1. Gemäß § 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG idF. BGBl. I Nr. 38/2011 kann gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt
1. die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder
2. anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
Nach § 63 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 insbesondere jene des § 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 und Abs. 3. § 53 Abs. 5 und 6 gelten.
Gemäß § 63 Abs. 3 FPG ist ein Aufenthaltsverbot gemäß Abs. 1 in den Fällen des § 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 für die Dauer von mindestens 18 Monaten, höchstens jedoch für fünf Jahre, in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 4 für höchstens zehn Jahre und in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen. Die Frist beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.
[...]
4.2.1. Im vorliegenden Fall ist § 63 FPG einschlägig, da der Bw am 20. September 2012 einen Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels gestellt hat und dieser auch bewilligt wurde (gültig von 4. Oktober 2012 bis 3. Oktober 2013).
4.2.2. Gemäß § 53 Abs. 3 FPG ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 (im vorliegenden Fall ein Aufenthaltsverbot gemäß § 63 FPG – siehe 4.2.1.) für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes (hier Aufenthaltsverbots) neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn
1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;
2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;
3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;
4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;
5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);
7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder
8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.
4.3. Aus verfahrensökonomischer Sicht ist es aufgrund des mittlerweile beinahe 12-jährigen Aufenthalts des Bw im Bundesgebiet im gegenständlichen Fall zweckmäßig, nicht erst zu prüfen, ob ein Aufenthaltsverbot dem Grunde nach gerechtfertigt ist, sondern erst die Frage zu klären, ob eine Aufenthaltsverfestigung im Sinne des § 64 FPG gegeben ist, weil der Bw vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts die österreichische Staatsbürgerschaft hätte erwerben können. Diesfalls dürfte ein Aufenthaltsverbot, mag es vor dem Hintergrund des § 63 auch berechtigt sein, ohnehin nicht erlassen werden.
Gemäß § 64 Abs. 1 Z 1 FPG darf ein Aufenthaltsverbot gemäß § 63 gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, nicht erlassen werden, wenn ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können.
4.3.1. In seiner Entscheidung vom 24.09.2009, Zl. 2007/18/0653, hat der VwGH festgestellt, dass "Unter dem Zeitpunkt ‚vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes‘ [...] der Zeitpunkt vor Eintritt des ersten der in ihrer Gesamtheit für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände zu verstehen [ist].
[...]
Nach dem Gesagten kommt es vorliegend daher darauf an, ob dem Beschwerdeführer am [...] gemäß § 10 Abs. 1 StbG die Staatsbürgerschaft hätte verliehen werden können. Eine Verleihungsmöglichkeit in anderen Zeitpunkten vermag den Aufenthaltsverbot-Verbotsgrund des § 61 Z. 3 FPG nicht zu verwirklichen. Bei der Beurteilung, ob sämtliche Voraussetzungen nach § 10 Abs. 1 StbG erfüllt sind, stellen die vor dem genannten Zeitpunkt liegenden Verhaltensweisen des Fremden Umstände dar, die der Verleihung der Staatsbürgerschaft zu diesem Zeitpunkt gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StBG entgegen gestanden wären."
Der maßgebliche Sachverhalt, der zur (erstmaligen) Verurteilung des Bw am 23. Jänner 2013 geführt hat, wurde am 31. Mai 2012 durch das Verbrechen des schweren Raubes verwirklicht. Als "Zeitpunkt vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts" ist demnach der 31. Mai 2012 festzusetzen.
Zur Feststellung, ob dem Bw vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden hätte können, ist daher § 10 Abs. 1 StbG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 heranzuziehen.
4.3.2. § 10 Abs. 1 StbG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 lautet:
Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn
1. er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat und davon zumindest fünf Jahre niedergelassen war;
2. er nicht durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist, die der Verurteilung durch das ausländische Gericht zugrundeliegenden strafbaren Handlungen auch nach dem inländischen Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, entsprechendem Verfahren ergangen ist;
3. er nicht durch ein inländisches Gericht wegen eines Finanzvergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist;
4. gegen ihn nicht wegen des Verdachtes einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat oder eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist;
5. gegen ihn kein Aufenthaltsverbot besteht und auch kein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung anhängig ist;
6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;
7. sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder ihn an seiner finanziellen Notlage kein Verschulden trifft und
8. er nicht mit fremden Staaten in solchen Beziehungen steht, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Interessen der Republik schädigen würde.
4.3.3. Gemäß § 64 Abs. 1 Z 1 FPG darf gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn diesem vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG verliehen hätte werden können. Im gegenständlichen Fall ist zu prüfen, ob eine Aufenthaltsverfestigung stattgefunden hat.
§ 2 Abs. 2 NAG definiert „Niederlassung“. Demnach ist unter Niederlassung der tatsächliche oder zukünftig beabsichtigte Aufenthalt im Bundesgebiet zum Zweck
1. der Begründung eines Wohnsitzes, der länger als sechs Monate im Jahr tatsächlich besteht;
2. der Begründung eines Mittelpunktes er Lebensinteressen oder
3. der Aufnahme einer nicht bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit.
4.3.3.1. Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich, dass der Bw seit 8. Dezember 2001 durchgehend mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet ist.
Der Bw war somit im für eine eventuelle Aufenthaltsverfestigung gemäß § 64 Abs. 1 FPG iVm. § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG maßgeblichen Zeitraum von 31. Mai 2002 bis 31. Mai 2012 rechtmäßig und ununterbrochen aufhältig und niedergelassen.
4.3.3.2. Aufgrund des Verwaltungsakts bzw. der Abfrage des EKIS steht fest, dass der Bw während des gemäß § 64 Abs. 1 FPG iVm. § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG maßgeblichen Zeitraums durch kein inländisches oder ausländisches Gericht verurteilt wurde und gegen ihn in diesem Zeitraum bei keinem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig war.
4.3.3.3. Im relevanten Beurteilungszeitpunkt scheiden auch die in § 10 Abs. 1 Z. 5 und 8 StbG enthaltenen Tatbestände offensichtlich aus.
4.3.3.4. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 7 Stbg kann die Staatsbürgerschaft nur verliehen werden, wenn der Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist.
Aus dem Vorlageakt und der Berufungsschrift ergibt sich, dass der Lebensunterhalt des Bw hinreichend gesichert ist.
4.4. Es ist nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich daher davon auszugehen, dass durch die Nicht-Erfüllung von Versagungstatbeständen des § 10 Abs. 1 StbG dem Bw vor Verwirklichung des für das gegenständliche Aufenthaltsverbot maßgeblichen Sachverhalts im Sinne des § 64 Abs. 1 Z 1 FPG die österreichische Staatsbürgerschaft hätte verliehen werden können. Der Bw ist in seinem Aufenthalt daher verfestigt.
5. Es war aus diesem Grund spruchgemäß zu entscheiden.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt unterschrieben werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 240 Euro zu entrichten.
2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in der Höhe von 22,10 Euro (Eingabe- gebühr) angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.
Mag. Christian Stierschneider