Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420785/21/Gf/Rt VwSen-440162/6/Gf/Rt

Linz, 22.04.2013

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mit­glied Dr. Gróf über die Beschwerde des F, vertreten durch RA Dr. P, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Organe der Landespolizeidirektion Oberösterreich im Wege der Anordnung eines Betretungsverbotes am 10. Februar 2013 betreffend seine in X, Straße Nr. x, im 2. Stock gelegenen Wohnung (Tür Nr. x) und deren nähere Umgebung sowie der Verfügung von dessen nachfolgender Aufrechterhaltung ab dem 11. Februar 2013 nach der am 2. und 16. April 2013 durchgeführten öffentlichen Verhandlung zu Recht:

Der Beschwerde wird insoweit stattgegeben, als die am 11. Februar 2013 gegen 8:30 Uhr gegen den Rechtsmittelwerber behördlich verfügte weitere Aufrechterhaltung des Betretungsverbotes als rechtswidrig festgestellt wird; im Übrigen wird diese hingegen – insbesondere, soweit sie sich gegen die polizeiliche Anordnung des Betretungsverbotes am 10. Februar 2013 richtet – als unbegründet abgewiesen.

Rechtsgrundlage:

§ 67c Abs. 3 AVG.

Entscheidungsgründe:

 

 

1.1. In seiner am 22. Februar 2013 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebenen Beschwerde an den Oö. Verwaltungssenat wird vom Rechtsmittelwerber vorgebracht, dass er am 10. Februar 2013 von Polizeibeamten gegen seinen Willen aus seiner Wohnung gewiesen, gegen ihn ein Betretungsverbot ausgesprochen und ihm untersagt worden sei, sich in der Umgebung seiner Wohnung aufzuhalten; am 19. Februar 2013 sei das Betretungsverbot um weitere zwei Wochen verlängert worden. Diese Zwangsmaßnahmen würden sich jedoch deshalb als rechtswidrig erweisen, weil sie ausschließlich auf Aussagen seiner Gattin, die jeder sachlichen Grundlage entbehren würden, basiert hätten. Vielmehr stellten sich die von ihr gegen ihn erhobenen Anschuldigungen bezüglich sexueller Nötigung als ein offensichtlicher Racheakt dar, weil er – nach Ablehnung der ihr angebotenen einvernehmlichen Scheidung – eine entsprechende gerichtliche Klage gegen sie eingebracht habe. Daher strebe sie nunmehr offenkundig danach, in diesem Scheidungsverfahren eine günstigere Ausgangsposition zu erlangen, weil es ihr primär nur um eigenen finanzielle Vorteile gehe. Außerdem könne nicht ausgeschlossen werden, dass seine Gattin schon in ihrer früheren Ehe erlittene Misshandlungen nunmehr auf den Beschwerdeführer projiziere.

 

Da zudem zum Zeitpunkt der Verhängung des Betretungsverbotes objektiv besehen jedenfalls keinerlei faktische Anzeichen für einen bevorstehenden gefährlichen Angriff vorgelegen seien, wird die kostenpflichtige Feststellung dieser Amtshandlung beantragt.

 

1.2. Die Landespolizeidirektion Oberösterreich hat den Bezug habenden Akt zu Zl. E1/27498/2013 vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, mit der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

 

Begründend wird dazu vorgebracht, dass die Ehegattin des Rechtsmittelwerbers am Nachmittag des 10. Februar 2013 aus eigenem in der Polizeiinspektion (PI) Linz-X vorgesprochen und gegen ihn eine Anzeige wegen gefährlicher Drohung und sexueller Nötigung erstattet habe. Denn sie sei an diesem Tag zuvor gegen 3:30 Uhr – nachdem sie früher schon mehrmals von ihm vergewaltigt worden wäre – neuerlich gegen ihren Willen zu einem Oralverkehr gezwungen und mit dem Umbringen bedroht worden. Als die Beamten in der Folge den Beschwerdeführer einvernahmen, sei er zwar wieder ruhig und kooperativ gewesen; allerdings habe er die Anschuldigungen seiner Gattin bloß unsubstantiiert bestritten. Da die Beamten zum Zeitpunkt ihres Einschreitens – nicht zuletzt auch auf Grund ihrer Berufserfahrung – keinen Anlass gehabt hätten, an der Glaubwürdigkeit des Vorbringens seiner Gattin zu zweifeln, hätten sie mit gutem Grund davon ausgehen können, dass er die von ihm ausgestoßenen Drohungen gegen deren körperliche und sexuelle Integrität auch tatsächlich wahrmachen könnte. Da sohin eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen gefährlichen Angriff gegeben gewesen sei, habe die polizeiliche Vorgangsweise daher sowohl den Voraussetzungen des Sicherheitspolizeigesetzes als auch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprochen.

 

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der Landespolizeidirektion Oberösterreich zu Zl. E1/33972/2013 sowie im Wege der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung am 2. und am 16. April 2013, zu der als Parteien der Beschwerdeführer und dessen Rechtsvertreter sowie Mag. F als Vertreter der belangten Behörde und die Zeugen RI M (Beamtin in der Polizeiinspektion [im Folgenden: PI] Linz-X), E (Ehegattin des Rechtsmittelwerbers) und V (Neffe der Ehegattin) erschienen sind.

 

2.1.1. Im Zuge dieser Beweisaufnahme wurde folgender, für das gegenständliche Verfahren entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt:

 

Der Beschwerdeführer hat am Vorabend des Vorfallstages in Linz eine Faschingsveranstaltung besucht und dort (zumindest) 5 Halbe Bier konsumiert. Am 10. Februar 2013 ist er gegen 3:00 früh wieder in seine Wohnung zurückgekehrt.

 

Sein Vorbringen, dass er dabei seine Gattin nicht gesehen habe, sondern sofort zu Bett gegangen sei, erscheint allerdings nicht nur auf Grund der gegenteiligen Darstellung seiner Gattin, sondern auch deshalb als unglaubwürdig, weil er bei seiner Rückkehr offenkundig (und zudem nicht unbeträchtlich) alkoholisiert war. Unter solchen Umständen ist es daher wesentlich lebensnäher, davon auszugehen, dass er mit seiner Gemahlin – wie von ihr vorgebracht – in eine lautstarke verbale Auseinandersetzung geraten ist, in deren Zuge seinerseits auch vom "Umbringen" die Rede war. Außerdem hat er von ihr einen Oralverkehr gefordert, was sie jedoch vehement abgelehnt hat; vielmehr konnte sie sich zuvor seinem physischen Zugriff entziehen und sich im Bad bzw. im Schlafzimmer in Sicherheit bringen. Kurz darauf ist der Rechtsmittelwerber eingeschlafen und dann erst am späten Vormittag wieder aufgewacht.

 

Etwa zum selben Zeitpunkt hat seine Gattin zunächst mit ihrer Schwester und im  Anschluss daran mit ihrem Neffen – dem dritten Zeugen – telefoniert. Diesem erklärte sie sinngemäß, dass nach mehreren gleichartigen früheren Übergriffen der Vorfall der letzten Nacht nunmehr gleichsam "das Fass zum Überlaufen gebracht" hat und sie bei der Polizei eine Anzeige gegen den Beschwerdeführer erstatten will. Da sie aber selbst kaum Deutsch spricht, erklärte sich ihr Neffe dazu bereit, sie dann später von zu Hause abzuholen und zur Polizei zu begleiten, weil er zuvor – der 10. Februar 2013 war ein Sonntag – noch etwas mit seiner Familie unternehmen musste.

 

Gegen 16:00 Uhr hat der dritte Zeuge seine Tante vor ihrem Wohnhaus abgeholt und beide haben sich dann zur PI Linz-X begeben, wo um 16:45 Uhr von der ersten Zeugin eine Niederschrift mit der Gattin des Beschwerdeführers aufzunehmen begonnen wurde. Dabei fungierte ihr Neffe als Übersetzer, weil die Polizeibeamtin selbst nicht Rumänisch spricht und sich die erste Zeugin, wie dies auch in der öffentlichen Verhandlung hervorgekommen ist, auf Deutsch – von ganz alltäglichen Themenbereichen und Lebenssituationen abgesehen – aus eigenem nicht verbal verständlich machen kann. Da die Gattin im Zuge ihrer Einvernahme auch auf wiederholtes Nachfragen hin und unter zusätzlichem Verweis auf die Strafbarkeit einer allfälligen Falschaussage dennoch darauf beharrte, dass sie vom Rechtsmittelwerber in der vorangegangenen Nacht mit dem Umbringen bedroht sowie sexuell genötigt wurde und deshalb große Angst vor ihm hat, wurde der Beschwerdeführer telefonisch aufgefordert, umgehend in der PI Linz-X vorzusprechen.

 

Als dieser gegen 18:00 erschien und im Zuge seiner eigenen Einvernahme mit den zuvor erhobenen Vorwürfen seiner Gattin konfrontiert wurde, stellte er diese kategorisch, nämlich als "völlig aus der Luft gegriffen", in Abrede. Nach Rücksprache der einschreitenden Polizeibeamtin mit dem diensthabenden Juristen der belangten Behörde wurde aber dessen ungeachtet von ihr ein Betretungsverbot gegen den Rechtsmittelwerber verhängt, das sich auf seine in der Straße Nr. x im 2. Stock gelegene Wohnung (Tür Nr. x) und deren nähere Umgebung bezog.

 

Die folgende Nacht verbrachte der Rechtsmittelwerber daher mangels einer anderen geeigneten Unterkunft an seinem Arbeitsplatz, und zwar in einem dort eingerichteten Sozialraum. Am nächsten Morgen wurde ihm gegen 8:30 Uhr seitens der belangten Behörde telefonisch mitgeteilt, dass eine Überprüfung des bestehenden Betretungsverbotes ergeben hat, dass dieses mangels geänderter faktischer Umstände weiterhin aufrecht erhalten wird.

 

Über Antrag seiner Ehegattin wurde in der Folge vom Bezirksgericht Linz mit Beschluss vom 7. März 2013, Zl. 7 C 7/13 f, eine Einstweilige Verfügung erlassen, mit der dem Beschwerdeführer für die Dauer von weiteren sechs Monaten untersagt wurde, in seine Wohnung und deren unmittelbare Umgebung zurückzukehren.

 

2.1.2. Diese Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf die jeweils glaubwürdigen und – soweit entscheidungserheblich – im Wesentlichen sowohl wechselseitig als auch mit dem Akteninhalt übereinstimmenden Aussagen der in der öffentlichen Verhandlung einvernommenen Zeugen, soweit unter 2.2.1. nicht mit entsprechender Begründung bereits Anderes festgestellt wurde.

 

2.1.3. Im Übrigen werden die h. Verhandlungsprotokolle zu einem integrierenden Bestandteil der Begründung dieser Entscheidung erklärt.

 

2.2. Nach § 67a AVG hatte der Oö. Verwaltungssenat über die vorliegende
Beschwerde durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

 

 

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

 

3.1. Gemäß § 38a Abs. 1 des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl. 566/1991 i.d.g.F. BGBl.Nr. I 53/2012 (im Folgenden: SPG), sind Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes dazu ermächtigt, einen Menschen, von dem eine Gefahr ausgeht, aus einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, und deren unmittelbarer Umgebung wegzuweisen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen – insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs – anzunehmen ist, dass ein (weiterer) gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevorsteht.

 

Nach § 38a Abs. 2 SPG sind die Exekutivorgane bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 38a Abs. 1 SPG auch dazu ermächtigt, einem Menschen das Betreten eines i.S. der letztgenannten Bestimmung festzulegenden Bereiches zu untersagen; bei einem Verbot, in die eigene Wohnung zurückzukehren, ist besonders darauf Bedacht zu nehmen, dass dieser Eingriff in das Privatleben des Betroffenen die Verhältnismäßigkeit wahrt.

 

Gemäß § 38a Abs. 6 SPG ist die Anordnung eines Betretungsverbotes der Sicherheitsbehörde unverzüglich bekanntzugeben und von dieser binnen 48 Stunden zu überprüfen.

 

Ein derartiges Betretungsverbot endet zwei Wochen nach seiner Anordnung bzw. im Falle eines binnen dieser Frist eingebrachten Antrages auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382e der Exekutionsordnung, RGBl.Nr. 79/1896 i.d.g.F. BGBl.Nr. I 33/2013, mit der Zustellung der Entscheidung des Gerichts an den Antragsgegner, spätestens jedoch vier Wochen nach Anordnung des Betretungsverbotes.

 

3.2. Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass  im Zuge der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Zwangsmaßnahme entscheidend ist, ob die Exekutivorgane aus deren Blickwinkel vertretbar davon ausgehen konnten, dass die Voraussetzungen für die Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt zum Zeitpunkt ihres Einschreitens tatsächlich vorlagen (vgl. z.B. VwGH vom 15. März 2012, 2012/01/0004).

 

Davon ausgehend stellte sich für die im gegenständlichen Fall einschreitende Polizeibeamtin die Situation so dar, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers eine von diesem ausgestoßene, etwa 12 Stunden zurück gelegene massive Drohung gegen ihre körperliche Integrität und eine versuchte sexuelle Nötigung geschildert und in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen hat, dass sich bereits zuvor mehrmals ähnliche Übergriffe ereignet haben. Da diese Darstellung trotz mehrfachen Nachfragens keine Widersprüche aufwies, sondern vielmehr grosso modo in sich durchaus schlüssig schien und die Gattin ungeachtet des dezidierten Hinweises auf die strafrechtlichen Folgen einer allfälligen Falschaussage diese als zutreffend bekräftigte, bestand sohin für die einschreitende Polizistin weder ein Anlass, das tatsächliche Zutreffen dieses Vorbringens selbst noch die Ernsthaftigkeit der Befürchtung der Gattin dahin, dass der Rechtsmittelwerber sein vorangegangenes, vornehmlich durch übermäßigen Alkoholgenuss bedingtes Drohverhalten in Kürze wiederholen könnte, in Zweifel zu ziehen.

 

Im Ergebnis vermag daran auch der Umstand, dass der Einvernahme der Gattin kein professioneller Dolmetscher beigezogen wurde, nichts zu ändern. Zwar wäre eine solche Vorgangsweise im gegenständlichen Fall auf Grund der eklatanten Sprachschwierigkeiten offenkundig erforderlich gewesen, zumal sich in der Verhandlung vor dem Oö. Verwaltungssenat ergeben hat, dass gerade aus diesem Grund gewisse Teile ihrer Aussage im Ergebnis nicht zutreffend protokolliert wurden; allerdings hat sich andererseits kein Hinweis darauf ergeben, dass ihre Angaben entweder schon von ihrem Neffen falsch übersetzt oder von der Beamtin derart unzutreffend niederschriftlich festgehalten wurden, dass dies von Einfluss auf das für das gegenständliche Verfahren maßgebliche Substrat hätte sein können: Denn dass die Gattin gegen den Beschwerdeführer damals im Kern jedenfalls den Vorwurf der gefährlichen Drohung und der sexuellen Nötigung erhoben und deshalb Angst vor ihm hatte, hat sich auch in mehreren folgenden, im jeweiligen Beisein einer Dolmetscherin durchgeführten zeugenschaftlichen Einvernahmen und insbesondere auch in der öffentlichen Verhandlung vor dem Oö. Verwaltungssenat bestätigt.     

 

Auch der Umstand, dass Art. 6 Abs. 2 EMRK fordert, dass bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld vermutet wird, dass ein wegen einer strafbaren Handlung Angeklagter unschuldig ist, kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn diese Garantie schützt nur (bzw. aus der Sicht des Prozessablaufes: erst) davor, dass trotz des Vorliegens eines begründeten Zweifels eine strafrechtliche Sanktion verhängt wird; sie gilt jedoch (noch) nicht in Bezug auf bloß vorläufige, zeitlich relativ eng begrenzte (Erst-)Maßnahmen.

 

Trotz einer sog. "Aussage gegen Aussage"-Situation erweist sich daher im Ergebnis die Anordnung des Betretungsverbotes im vorliegenden Fall als rechtmäßig, weil die einschreitende Beamtin auf Grund der zuvor dargelegten Umstände von einem bevorstehenden gefährlichen Angriff des Rechtsmittelwerbers gegen seine Gattin ausgehen konnte und sich dieser Eingriff als ein zum Zweck der Deeskalation und des Aggressionsabbaus sowohl geeignetes als auch verhältnismäßiges – weil bloß vorläufig und lediglich minder gravierend die Rechtssphäre tangierendes – Mittel darstellte.  

 

3.3. Anderes gilt jedoch für den sich daran anschließenden Zeitraum der weiteren Aufrechterhaltung des Betretungsverbotes:

 

Denn die gesetzliche Anordnung, dass die Behörde dieses binnen 48 Stunden zu überprüfen hat (vgl. § 38a Abs. 6 SPG), verfolgt erkennbar den Zweck, dass im unmittelbaren Anschluss an die Verhängung einer primären Sicherungsmaßnahme eine Beruhigungsphase eintreten und diese vornehmlich dazu genützt werden soll, die kontradiktorischen, von den Beteiligten in aller Regel zunächst bloß behaupteten Vorwürfe auf deren jeweilige Stichhaltigkeit hin zu überprüfen, d.h.: Die anfängliche "Aussage gegen Aussage"-Situation soll möglichst rasch in das Stadium der Verifikation übergeführt werden, wobei der Garantie des Art. 6 Abs. 2 EMRK dabei im Zeitverlauf immer größeres Gewicht zukommt. Denn der zwangweise Eingriff in die subjektive Rechtssphäre kann nur dann noch umso länger weiter aufrecht erhalten werden, je stichhaltigere Nachweise für das (Weiter-)Bestehen einer aktuellen Gefährdungssituation vorliegen; ansonsten müsste dieser so rasch als möglich beendet werden.

 

Im Hinblick darauf ergibt sich jedoch, dass im gegenständlichen Fall während des Zeitpunktes der Anordnung des Betretungsverbotes am 10. Februar 2013 zwischen 18:00 und 22:00 Uhr und der am 11. Februar 2013 um 8:30 Uhr erfolgten telefonischen Bekanntgabe, dass dieses nicht aufgehoben wird, de facto keine zweckdienlichen Ermittlungsschritte gesetzt wurden. Insbesondere wurde keine neuerliche Einvernahme der Ehegattin des Rechtsmittelwerbers im Beisein einer professionellen Dolmetscherin durchgeführt und auch nicht erhoben, ob allenfalls andere Bewohner des mehrgeschoßigen Hauses den von der Gattin angezeigten Streit in der vorangegangenen Nacht wahrgenommen haben. Außerdem hat sich erst in der Verhandlung vor dem Oö. Verwaltungssenat ergeben, dass zwischen der telefonischen Kontaktaufnahme der Ehegattin mit ihrem Neffen und dem tatsächlichen Erscheinen beider Personen in der PI Linz-X bereits mehrere Stunden vergangen waren; daraus lässt sich ableiten, dass die Bedrohung durch den Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt als nicht akut, sondern der Vorfall der vergangenen Nacht vielmehr bloß derart empfunden wurde, dass durch diesen – mit Blick auf gleichartige frühere Übergriffe – gleichsam "das Fass zum Überlaufen gebracht" wurde.

 

Deshalb – und auch angesichts der gravierenden Folgen, die diese Maßnahme nach sich gezogen hat (die aber freilich nicht mehr von der belangten Behörde zu verantworten sind): Denn in der Folge wurde dem Rechtsmittelwerber ohne vorherige persönliche Anhörung (!) für einen Zeitraum von weiteren sechs Monaten gerichtlich untersagt, seine Wohnung zu betreten – erweist sich die am 11. Februar 2013 um 8:30 Uhr behördlich verfügte Aufrechterhaltung des Betretungsverbotes als rechtswidrig.

 

3.4. Insoweit war daher der vorliegenden Beschwerde gemäß § 67c Abs. 3 AVG stattzugeben; im Übrigen war diese hingegen als unbegründet abzuweisen.

 

4. Eine Kostenentscheidung gemäß § 79a AVG war mangels darauf gerichteter Anträge der Verfahrensparteien nicht zu treffen.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweise:

 

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 240 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von 14,30 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

Dr.  G r ó f

 

VwSen-420785/21/Gf/Rt vom 22. April 2013

 

MRK Art6 Abs2;

SPG 1991 §38a Abs1;

SPG 1991 §38a Abs2;

SPG 1991 §38a Abs6;

SPG 1991 §38a Abs7

 

* Da im Zuge der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Zwangsmaßnahme entscheidend ist, ob die Exekutivorgane aus deren Blickwinkel vertretbar davon ausgehen konnten, dass die Voraussetzungen für die Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt zum Zeitpunkt ihres Einschreitens tatsächlich vorlagen, kommt es lediglich darauf an, ob das Vorbringen seiner Ehegattin dahin, dass sie der Beschwerdeführer mit dem Umbringen bedroht und sexuell genötigt habe, objektiv besehen ernst zu nehmen war.

 

* Trifft dies zu, so kann bei Vorliegen einer sog. "Aussage gegen Aussage"-Situation auch der Umstand, dass Art. 6 Abs. 2 EMRK fordert, dass bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld vermutet wird, dass ein wegen einer strafbaren Handlung Angeklagter unschuldig ist, zu keinem anderen Ergebnis führen; denn diese Garantie schützt nur (bzw. aus der Sicht des Prozessverlaufes: erst) davor, dass trotz des Vorliegens eines begründeten Zweifels eine strafrechtliche Sanktion verhängt wird; sie gilt jedoch (noch) nicht in Bezug auf bloß vorläufige, zeitlich relativ eng begrenzte (Erst-)Maßnahmen.

 

* Die Anordnung des § 38a Abs. 6 SPG, dass die Behörde das Betretungsverbot binnen 48 Stunden zu überprüfen hat, verfolgt erkennbar den Zweck, dass im unmittelbaren Anschluss an die Verhängung einer primären Sicherungsmaßnahme eine Beruhigungsphase eintreten und diese vornehmlich dazu genützt werden soll, die kontradiktorischen, von den Beteiligten in aller Regel zunächst bloß behaupteten Vorwürfe auf deren jeweilige Stichhaltigkeit hin zu überprüfen, dh: Die anfängliche "Aussage gegen Aussage"-Situation soll möglichst rasch in das Stadium der Verifikation übergeführt werden, wobei der Garantie des Art. 6 Abs. 2 EMRK dabei im Zeitverlauf immer größeres Gewicht zukommt; denn der zwangsweise Eingriff in die subjektive Rechtssphäre kann nur dann noch umso länger weiter aufrecht erhalten werden, je stichhaltigere Nachweise für das (Weiter-)Bestehen einer aktuellen Gefährdungssituation vorliegen; ansonsten müsste dieser hingegen so rasch als möglich beendet werden.

 

 

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