Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-240965/4/Gf/VS/Rt

Linz, 18.11.2013

B E S C H L U S S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Dr. Gróf aus Anlass der Berufung des A gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Schärding vom 4. Oktober 2013, Zl. SanRB96-2013, wegen sechs Übertretungen des Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes beschlossen:

Die Berufung wird im Ergebnis als unzulässig – weil verspätet – zurückgewiesen.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG.

 

 

 

 

Begründung:

1.1. Mit Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Schärding vom 4. Oktober 2013, Zl. SanRB96-2013, wurden über den Beschwerdeführer insgesamt sechs Geld­strafen in einer Höhe von jeweils 70 Euro (Ersatzfreiheitsstrafen: jeweils 11 Stunden; Verfahrenskostenbeitrag: 42 Euro; Untersuchungskosten:  658,86 Euro; zu zahlender Gesamtbetrag: 1.120,86 Euro) verhängt, weil er es als Verantwortlicher einer haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft verwaltungsstrafrechtlich zu verantworten habe, dass am 27. Juni 2013 im Kühlraum hinter der Küche seines Gasthauses in K verschiedenartige, im Sinne der Verordnung (EG) 178/2002 für den menschlichen Verzehr ungeeignete Lebensmittel zu Verkaufszwecken bereitgehalten worden seien. Dadurch habe er in sechs Fällen eine Übertretung des § 5 Abs. 1 Z. 1 i.V.m. § 5 Abs. 5 Z. 2 des Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes, BGBl.Nr. I 13/2006 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl.Nr. II 39/2013 (im Folgenden: LMSVG) begangen, weshalb über ihn nach § 90 Abs. 1 Z. 1 LMSVG sechs Strafen zu verhängen gewesen seien. 

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass das dem Beschwerdeführer angelastete Tatverhalten auf Grund entsprechender Gutachten der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES – Institut für Lebensmittelsicherheit Linz) – und zwar vom 2. Juli 2013, Zl. 13, vom 3. Juli 2013, Zln. 14, 18, 10 u. 17, und vom 12. Juli 2013, Zl. 12 – als erwiesen anzusehen sei.

Im Zuge der Strafbemessung seien der Umstand, dass tatsächlich keine gesundheitliche Beeinträchtigung von Gästen eingetreten sei, sowie die bisherige Unbescholtenheit des Rechtsmittelwerbers als mildernd zu werten gewesen, während Erschwerungsgründe nicht hervorgekommen seien; seine Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse (monatliches Nettoeinkommen: 700 Euro; kein Vermögen; Sorgepflicht in Höhe von 100 Euro monatlich) seien entsprechend berücksichtigt worden. 

1.2. Gegen dieses ihm am 8. Oktober 2013 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 29. Oktober bei der Erstbehörde eingegangene Berufung. 

Darin wird zunächst eingewendet, dass die Gasthausküche zum Zeitpunkt der Kontrolle bereits geschlossen gewesen sei, seine Köche es aber vor deren Abreise verabsäumt hätten, die verdorbenen Waren noch zu entsorgen. Jedenfalls sei nie beabsichtigt gewesen, die beanstandeten Lebensmittel zu verarbeiten oder zu verkaufen und damit an Konsumenten abzugeben.

Daher wird – erschließbar – die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses beantragt.

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BH Schärding zu Zl. SanRB96-2013; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und die Verfahrensparteien einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben, konnte im Übrigen von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden. 

2.2. Gemäß § 51c VStG hatte der Oö. Verwaltungssenat im gegenständlichen Fall – weil hier den Betrag von 2.000 Euro übersteigende (Einzel-)Geldstrafen nicht verhängt wurden – durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

 

 

3. Aus Anlass der vorliegenden Berufung hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

 

 

3.1. Gemäß § 90 Abs. 1 Z. 1 LMSVG i.V.m. § 5 Abs. 1 Z. 1 und i.V.m. § 5 Abs. 5 Z. 2 LMSVG begeht u.a. derjenige eine Verwaltungsübertretung und ist hierfür mit einer Geldstrafe bis zu 20.000 Euro zu bestrafen, der Lebensmittel, die für den menschlichen Verkehr ungeeignet sind, d.h. deren bestimmungsgemäße Verwendbarkeit nicht gewährleistet ist, in Verkehr bringt.

 

3.2. Im gegenständlichen Fall wurden dem Rechtsmittelwerber im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses in Bezug auf ein und denselben Tatzeitpunkt („27.6.2013“) sowie ein und denselben Tatort („Bereich der Küche und der Kücheneinrichtung“ des Betriebes seiner GmbHim Kühlraum hinter der Gasthausküche“) insgesamt sechs Übertretungen des § 5 Abs. 1 Z. 1 LMSVG angelastet, und zwar derart, dass in Bezug auf jede der bei der Kontrolle vorgefundene Lebensmittelart (konkret: „Hähnchenbrustfilets“, „Eisbergsalat“, „Artischockenherzen“, „Spaghetti“, „Gouda“ und „Champignons“) jeweils eine Geldstrafe in Höhe von 70 Euro und eine Ersatzfreiheitsstrafe von 15 Stunden verhängt wurde.

 

3.3. In einer solchen Vorgangsweise ist jedoch aus folgenden Gründen ein Verstoß gegen das verfassungsmäßige Doppelverfolgungs- und -bestrafungsverbot des Art. 4 Abs. 1 des 7.ZPMRK zu erblicken (vgl. zu diesem Problembereich allgemein näher C. Fuchs, Grundrechte im Verwaltungsstrafrecht, in: N. Raschauer – W. Wessely (Hrsg), Kommentar zum Verwaltungsstrafgesetz, Wien 2010, RN 44 ff; A. Janko, Subsidiaritätsklauseln und Doppelbestrafungsverbot, in: Fachbereich Öffentliches Recht der Johannes Kepler Universität Linz (Hrsg), 20 Jahre UVS, Linz 2011, 67 f; A. Grof, Ne bis in idem – Das „Zolotukhin“-Urteil des EGMR, Spektrum der Rechtswissenschaft 2011, V&V-J, 1 ff; Th. Riesz, Ärztliche Verschwiegenheitspflicht, Wien 2013, 372 f):

 

3.3.1. Mit seinem richtungsweisenden und in der Folge vielfach bestätigten Urteil vom 10. Februar 2009, 14939/03 (Fall „Zolotukhin“), hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) – zusammengefasst – ausgesprochen (vgl. insbesondere die RN 82 bis 84, 97, 107, 110 und 120 bis 122 dieser Entscheidung), dass eine parallele Verfolgung von Straftaten, die sich jeweils auf identische oder substantiell auf dieselben Fakten beziehen, nur solange zulässig ist, als diesbezüglich noch keine rechtskräftige Entscheidung vorliegt; sobald hingegen eine Erledigung in Rechtskraft erwachsen ist, bedeutet bereits jede weitere Verfolgung, erst recht aber jede zusätzliche Bestrafung dieser Tat einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 des 7.ZPMRK.

 

3.3.2. Der Oö. Verwaltungssenat verkennt nicht, dass der Verfassungsgerichtshof (im Folgenden: VfGH) diesem EGMR-Urteil vom 10. Februar 2009 zunächst nur eingeschränkt gefolgt ist.

 

3.3.2.1. So hat der VfGH insbesondere in seinem Erkenntnis vom 2. Juli 2009, B 559/08 (= VfSlg 18833/2009), darauf hingewiesen, dass die „Zolotukhin“-Entscheidung des EGMR keine Veranlassung bilde, um vom bisherigen Ansatz, wonach es bei der Frage des Vorliegens "derselben strafbaren Handlung" i.S.d. Art. 4 Abs. 1 des 7.ZPMRK nicht auf das tatsächliche Verhalten, sondern vielmehr auf die Straftatbestände – nämlich darauf, ob sich diese in ihren wesentlichen Elementen unterscheiden – ankommt, abzugehen: Denn nur diese "same essential elements"-Doktrin werde auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen des österreichischen Staatsorganisationsrechts, insbesondere dem Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung und damit dem Grundprinzip der Gewaltenteilung gerecht; wenn durch ein dem Bestimmtheitsgebot entsprechendes Gesetz, wie z.B. durch Vorschriften über das Kumulationsprinzip (§§ 22 und 30 VStG), und durch eine hierzu ergangene Rechtsprechung – nämlich den „same essential elements“-Ansatz – klargestellt sei, dass und inwieweit eine Verfolgung wegen unterschiedlicher strafbarer Handlungen bezogen auf denselben Sachverhalt stattfinden darf, sei eben zu prüfen, ob sich die in Betracht kommenden Straftatbestände in ihren wesentlichen Elementen unterscheiden. Hingegen stehe einer weitergehenden dynamischen Interpretation des Art. 4 des 7. ZPMRK – wie bereits im Erkenntnis VfSlg 11500/1987 dargelegt – entgegen, dass der Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung eine verfahrensrechtliche Lösung ausschließe, nach der ein einmal begonnenes Verwaltungsstrafverfahren in höherer Instanz als gerichtliches Strafverfahren oder umgekehrt ein gerichtliches Strafverfahren, das nicht zu einer Verurteilung führt, als Verwaltungsstrafverfahren fortgeführt wird, wobei hinzukomme, dass das österreichische Bundesverfassungsrecht bei eintätigem Zusammentreffen einer Verwaltungsübertretung und einer gerichtlich strafbaren Handlung eine verfassungskonforme Koordination von Verwaltungsstrafverfahren und gerichtlichem Strafverfahren in einem einzigen Verfahren nicht erlaube.

 

Diese nationales Verfassungsrecht über das Völkerrecht stellende Auffassung erscheint vor dem Hintergrund, dass einerseits das Völkerrecht für den VfGH keinen Prüfungsmaßstab bildet und andererseits dadurch Extremfälle – wie z.B. jener, dass beim Vorliegen eines Verkehrsunfalls mit Körperverletzung und Fahrerflucht keine Verurteilung mehr wegen der rechtspolitisch vergleichsweise schwerer wiegenden und daher gerichtlich strafbaren Körperverletzung erfolgen könnte, sobald eine verwaltungsbehördliche Bestrafung wegen § 4 StVO in Rechtskraft erwachsen ist – verhindert werden sollten, konsequent; objektiv besehen ist allerdings zu bedenken, dass zum einen die aus völkerrechtlichen Verträgen (hier: insbesondere die aus Art. 50 EGRC, der als mit Art. 4 Abs. 1 des 7.ZPMRK inhaltlich deckungsgleich anzusehen ist) resultierenden Verpflichtungen einen höherrangigen Verbindlichkeitsgrad als nationales Verfassungsrecht aufweisen und zum anderen gemäß den Art. 19 ff EMRK eben unbestrittenermaßen dem EGMR die Kompetenz zur letztverbindlichen Auslegung dieser Konvention zuerkannt ist.

 

3.3.2.2. Dennoch hat der VfGH in der Folge – wie z.B. im Erkenntnis vom 16. Dezember 2010, B 343/10 – seine Haltung bekräftigt, indem er dezidiert darauf hingewiesen hat, dass eine Verfolgung wegen ein und desselben tatsächlichen Verhaltens nach zwei verschiedenen Straftatbeständen grundsätzlich zulässig sei, sofern sich diese Tatbestände in ihren wesentlichen Elementen unterscheiden; dadurch werde seine frühere Rechtsprechung fortgeführt, wonach es darauf ankomme, ob der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodass kein weiteres Strafbedürfnis mehr gegeben ist.

 

3.3.3. In seiner jüngsten Entscheidung vom 13. Juni 2013, B 422/2013, scheint der VfGH allerdings teilweise doch auf die neue Linie des EGMR eingeschwenkt zu sein, wenn er dort ausgeführt hat, dass eine Regelung, wonach durch eine Tat unterschiedliche Delikte verwirklicht werden (Idealkonkurrenz), nicht zwingend dem Doppelbestrafungsverbot des Art. 4 Abs. 1 des 7.ZPMRK widerspreche. Die Verfolgung wegen ein und desselben tatsächlichen Verhaltens nach zwei verschiedenen Straftatbeständen sei allerdings nur insofern zulässig, als sich jene in ihren wesentlichen Elementen unterscheiden. Hingegen liege eine verfassungsrechtlich unzulässige Doppel- oder Mehrfachbestrafung vor, wenn eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war, also der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft. Ein weitergehendes Strafbedürfnis entfalle daher, wenn und weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfasse: Strafverfolgungen bzw. Verurteilungen wegen mehrerer Delikte, deren Straftatbestände einander wegen wechselseitiger Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion ausschließen, bilden verfassungswidrige Doppelbestrafungen, wenn dadurch ein und dieselbe strafbare Handlung strafrechtlich mehrfach geahndet wird; eine gesetzliche Strafdrohung widerspreche somit dem Art. 4 Abs. 1 des 7.ZPMRK, wenn sie den wesentlichen Gesichtspunkt ("aspect") eines Straftatbestandes, der bereits Teil eines von den Strafgerichten zu ahndenden Straftatbestandes ist, neuerlich einer Beurteilung und Bestrafung durch die Verwaltungsbehörden unterwirft, sich also die Entscheidung des Strafgerichts einerseits und der Verwaltungsbehörde andererseits auf das "gleiche Verhalten" gründen. Davon ausgehend sei eine – gegebenenfalls auch die Gesetzesmaterialien, wonach explizit eine kumulative Bestrafung intendiert war, konterkarierende – verfassungskonforme Interpretation (dort: der Subsidiaritätsklausel des § 52 Abs. 2 Glücksspielgesetz) dahin geboten, dass im Ergebnis eine solche Mehrfachbestrafung hintangehalten wird, wobei in diesem Zusammenhang die Zerlegung einer Tat, also eines Lebenssachverhalts bzw. desselben Verhaltens einer Person (z.B. des in § 52 Abs. 1 Z. 1 Glücksspielgesetz und in § 168 StGB umschriebenen Täterkreises), in mehrere strafbare Handlungen ungeachtet dessen, dass diese strafbaren Handlungen dieselben wesentlichen Elemente ("same essential elements") aufweisen und die eine strafbare Handlung den Unrechtsgehalt der anderen in jeder Beziehung mitumfasst, unzulässig ist.   

 

3.3.4. Als Zwischenergebnis lässt sich daher festhalten, dass der EGMR im Zuge der Auslegung der Garantie des Art. 4 Abs. 1 des 7.ZPMRK gleichsam den prozessualen Aspekt dieser Bestimmung in den Vordergrund stellt; auf den Punkt gebracht ist danach die mehrfache Bestrafung wegen einer einheitlichen Tathandlung zulässig, solange diese in ein und demselben Verfahren erfolgt.

 

Dem gegenüber betont der VfGH den materiellen Aspekt: Die mehrfache Bestrafung einer eintätigen Handlung in unterschiedlichen Verfahren ist zulässig, soweit sich die jeweiligen Strafdrohungen inhaltlich nicht derart überlagern, dass durch die Bestrafung wegen des einen Deliktes der Unrechts- und Schuldgehalt des Täterverhaltens bereits vollständig erschöpft ist.

 

3.3.5. Davon ausgehend ist im nächsten Schritt zu konstatieren, dass diese vom VfGH im Erkenntnis vom 13. Juni 2013, B 422/2013, zur Subsidiaritätsklausel des § 52 Abs. 2 Glücksspielgesetz aus den dargestellten Gründen geforderte verfassungskonforme Interpretation auf Grund der inhaltlichen Identität der Problemlage analog auch für auf das in den §§ 22 und 30 VStG allgemein geregelte Kumulationsprinzip maßgeblich ist.

 

3.3.5.1. Dies bedeutet zunächst, dass § 22 VStG zum einen a priori restriktiv dahin auszulegen ist, dass eine Mehrfachbestrafung nunmehr auch aus national-verfassungsrechtlicher Sicht von vornherein nur insoweit zulässig ist, als sich die konkret in Betracht kommenden, durch eintätiges Handeln verwirklichten Straftatbestände in ihren wesentlichen Elementen unterscheiden; die in § 22 Abs. 1 VStG normierte Subsidiaritätsklausel verkörpert systematisch besehen eine einfachgesetzliche Ausführungsbestimmung des Art. 4 des 7.ZPMRK, und zwar mit der inhaltlichen Vorgabe, dass das grundsätzlich maßgebliche Kumulationsprinzip bei sich auf „essentially the same aspects“ beziehenden Deliktstatbeständen nicht zum Tragen kommt.

 

Zum anderen muss nunmehr auch auf der Sachverhaltsebene berücksichtigt werden, dass in diesem Zusammenhang die Zergliederung einer Tat, also eines einheitlichen Lebenssachverhalts bzw. desselben Verhaltens einer Person in mehrere strafbare Handlungen ungeachtet dessen, dass die subsumierten Deliktstatbestände jeweils dieselben wesentlichen Elemente ("essential elements") aufweisen und die eine strafbare Handlung bereits den Unrechtsgehalt der anderen in jeder Beziehung mitumfasst, unzulässig ist.

 

3.3.5.2. Weiters ist zu beachten, dass einerseits auf der – objektiv besehen primär maßgeblichen – völkerrechtlichen Ebene, nämlich nach der Rechtsansicht des EGMR, der Aspekt der Einheitlichkeit des Lebenssachverhalts gegenüber jenem der Gleichartigkeit der wesentlichen Tatbestandselemente den Vorrang genießt; und andererseits kommt für den Bereich der Bestrafung von mehreren ausschließlich verwaltungsbehördlich zu ahndenden Delikten jenes den „essential-elements“-Ansatz des VfGH zentral stützende Argument des Trennungsgrundsatzes zwischen Gerichtsbarkeit und Verwaltung schon von vornherein nicht zum Tragen; von daher besehen ist in rein verwaltungsbehördlichen (bzw. in gleichsam bloß „verwaltungsinternen“) Kumulationsfällen, also im Anwendungsbereich des § 22 Abs. 2 VStG, eine vollinhaltliche Übernahme der Rechtsansicht des EGMR nicht durch entgegenstehendes nationales Verfassungsorganisationsrecht gehindert.

 

3.3.5.3. Schließlich ist zu konstatieren, dass in der Praxis in aller Regel ohnehin keine allzu große Divergenz aus den systematisch unterschiedlichen Rechtsauffassungen des EGMR und des VfGH resultiert, weil angesichts der jüngsten VfGH-Entscheidung vom 13. Juni 2013, B 422/2013, dann, wenn man dieser das „Zolotukhin“-Urteil des EGMR vom 10. Februar 2009, 14939/03, gegenüberstellt, beide Ansätze letztlich jeweils darauf hinauslaufen, im konkreten Fall entscheiden zu müssen, ob ein einheitlicher Lebenssachverhalt vorliegt bzw. anders gewendet: inwieweit dessen Zergliederung unter dem Aspekt mehrerer Deliktstatbestände zulässig ist (in concreto wurden nämlich sowohl die Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten gegenüber zwei Beamten in einer Polizeistation als auch das Spielen an einem Glücksspielautomaten über eine bestimmte Zeitspanne hinweg jeweils als ein einheitlicher Lebenssachverhalt beurteilt).  

 

3.3.6. All dies berücksichtigend ist daher § 22 Abs. 2 VStG in „rein verwaltungsinternen“ Kumulationsfällen nunmehr völkerrechts- und verfassungskonform dahin auszulegen, dass mehrfache behördliche Verfolgungen und/oder Bestrafungen wegen ein und desselben tatsächlichen Verhaltens solange nicht gegen Art. 4 Abs. 1 des 7.ZPMRK verstoßen, als noch keine rechtskräftige Erledigung vorliegt, diese in ein und demselben Verfahren erledigt werden und soweit sie einen einheitlichen, nicht mehr weiter zergliederbaren Sachverhalt betreffen und sich die in Betracht kommenden Deliktstatbestände nicht essentiell überlagern, nämlich derart, dass durch die Heranziehung eines bestimmten Deliktstypus der Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens bereits vollständig erschöpft ist, sodass kein weiteres Strafbedürfnis mehr gegeben ist; letzterer Aspekt wird in der Praxis umso eher zutreffen, als den in Betracht kommenden Deliktstatbeständen jeweils dasselbe Schutzgut zu Grunde liegt.

 

3.3.7. Inhaltlich besehen wäre es im Hinblick auf die Garantie des Art. 4 Abs. 1 7.ZPMRK daher zwar grundsätzlich zulässig gewesen, die dem Rechtsmittelwerber im angefochtenen Straferkenntnis angelasteten Übertretungen im Rahmen von ein und demselben (Verwaltungsstraf‑)Verfahren zu verfolgen (vgl. oben, 3.3.6.).

 

Ob aber auch – wie im gegenständlichen Fall – für jede als bedenklich qualifizierte Lebensmittelart eine gesonderte Strafe verhängt werden durfte oder nicht vielmehr bloß eine (allenfalls auch wertmäßig höhere) Gesamtstrafe hätte ausgesprochen werden dürfen, bemisst sich hingegen entsprechend dem zuvor Ausgeführten danach, ob bzw. inwieweit sich angesichts des einheitlichen, vernünftigerweise nicht mehr weiter zergliederbaren Lebenssachverhalts die in Betracht kommenden Deliktstatbestände essentiell überlagern, nämlich derart, dass durch die Heranziehung eines bestimmten Deliktstypus der Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens bereits vollständig erschöpft ist, sodass kein weiteres Strafbedürfnis mehr gegeben ist.  

 

Diesbezüglich ist zu konstatieren, dass hier alle sechs verschiedenartige Lebensmittel in überwiegend gleichartiger Weise in ihrer Genusstauglichkeit beeinträchtigt (überhöhter Keimgehalt, Schimmelbefall, Geruchs- und Geschmacksfehler) und damit für den menschlichen Verzehr ungeeignet waren.

 

Davon ausgehend lag aber jeweils eine – wenngleich mit mehreren unterschiedlichen Produkten begangene – Übertretung des § 5 Abs. 1 Z. 1 LMSVG vor, sodass folgerichtig auch nur eine einzige Strafe hätte verhängt werden dürfen (wobei – allerdings nur ! – im Zuge von deren konkreter Bemessung der Umstand, dass hierfür nicht bloß ein, sondern sechs verschiedenartige Lebensmittel kausal waren, entsprechend berücksichtigt hätte werden können).

 

Wegen der hier offenkundig gegebenen inhaltlichen Überlagerung („same essential elements“) verletzt hingegen der Ausspruch mehrerer Strafen den Beschwerdeführer in der ihm durch Art. 4 Abs. 1 des 7.ZPMRK verfassungsmäßig gewährleisteten Garantie.

 

3.4. Eine Aufhebung des bekämpften Straferkenntnisses scheidet jedoch deshalb aus, weil sich die vorliegende Berufung als verspätet erweist.

 

3.4.1. Denn das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Schärding vom 4. Oktober 2013, Zl. SanRB96-8-2013, wurde dem Beschwerdeführer durch Ausfolgung an einen Arbeitnehmer laut dem im Akt erliegenden Rückschein am 8. Oktober 2013 (Dienstag, kein Feiertag) zugestellt. Mit diesem Tag begann die zweiwöchige Berufungsfrist des § 63 Abs. 5 AVG zu laufen; sie endete daher gemäß § 32 Abs. 2 AVG mit Ablauf des 22. Oktober 2013 (Dienstag, kein Feiertag).

 

Die Berufung des Rechtsmittelwerbers ist jedoch erst am 29. Oktober 2013 – und damit offenkundig verspätet – (in einem undatierten Kuvert) bei der BH Schärding eingelangt.

 

3.4.2. Dieser Umstand wurde dem Beschwerdeführer mit h. Schriftsatz vom 4. November 2013, Zl. VwSen-240965/2/Gf/Rt, der von ihm laut Rückschein am 6. November 2013 persönlich übernommen wurde, mitgeteilt; unter einem wurde ihm die Möglichkeit eingeräumt, zur Frage der Verspätung ho. einlangend bis zum 15. November 2013 schriftlich Stellung zu nehmen und dem Oö. Verwaltungssenat gleichzeitig allfällige, einen gegenteiligen Sachverhalt belegende Beweismittel vorzulegen; darüber hinaus wurde er darauf hingewiesen, dass seine Berufung gemäß § 13 Abs. 3 AVG als unzulässig zurückgewiesen werden kann, wenn er dieser Aufforderung nicht oder nicht zeitgerecht nachkommt.

 

3.4.3. Die Tatsache, dass ho. eine entsprechende Äußerung weder fristgerecht noch bis dato eingelangt ist, wertet der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich als Beleg dafür, dass die Berufung vom Rechtsmittelwerber tatsächlich verspätet eingebracht wurde.

 

3.5. Unter solchen Umständen ist es dem Oö. Verwaltungssenat aber schon von vornherein verwehrt, eine Sachentscheidung zu treffen und in deren Zuge entsprechende inhaltliche Rechtswidrigkeiten des angefochtenen Straferkenntnisses aufzugreifen; vielmehr war unter solchen Umständen die gegenständliche Berufung – worauf der belangten Behörde ein entsprechendes subjektiv-prozessuales Recht zukommt – gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG a limine als verspätet zurückzuweisen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung

 

Gegen diesen Bescheid ist ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig.

 

 

 

 

Hinweis

 

Gegen diesen Bescheid kann jedoch innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Sie muss  – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Die dafür zu entrichtende Eingabegebühr beträgt jeweils 240 Euro.

 

Läuft die Beschwerdefrist mit Ende des 31. Dezember 2013 noch und wurde bis dahin noch keine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben, so kann vom 1. Jänner 2014 bis zum Ablauf des 12. Februar 2014 eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

 

Läuft die Beschwerdefrist mit Ende des 31. Dezember 2013 noch und wurde bis dahin bereits eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben, gilt die Beschwerde als rechtzeitig erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof bzw. als rechtzeitig erhobene Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

 

Würde dieser Bescheid nach den Bestimmungen des Zustellgesetzes erst nach Ablauf des 31. Dezember 2013 als zugestellt gelten, kann innerhalb von sechs Wochen ab dessen Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

 

Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und die Revision an den Verwaltungsgerichtshof müssen – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt abgefasst und eingebracht werden. Die dafür zu entrichtende Eingabegebühr beträgt jeweils 240 Euro.

 

Dr.  G r ó f



VwSen-240965/4/Gf/VS/Rt vom 18. November 2013

 

Art.4 Abs.1 7.ZPMRK;

§ 5 Abs.1 Z1 LMSVG;

§ 90 Abs.1 Z1 LMSVG;

§ 52 Abs.2 GSpG;

§ 22 Abs.2 VStG;

§ 30 VStG

 

Beschluss

 

grundsätzlich wie VwSen-240966/2/Gf/TR/Rt vom 15. November 2013, jedoch:

 

Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot des Art. 4 Abs. 1 7.ZPMRK, wenn für jede der insgesamt sechs als bedenklich qualifizierten Arten von Lebensmitteln eine gesonderte Strafe verhängt wurde, obwohl diese jeweils in überwiegend gleichartiger Weise in ihrer Genusstauglichkeit beeinträchtigt (überhöhter Keimgehalt, Schimmelbefall, Geruchs- und Geschmacksfehler) und dadurch für den menschlichen Verzehr ungeeignet waren; denn damit lag jeweils eine – wenngleich mit mehreren unterschiedlichen Produkten begangene – Übertretung des § 5 Abs. 1 Z. 1 LMSVG vor, sodass sich angesichts des einheitlichen, vernünftigerweise nicht mehr weiter zergliederbaren Lebenssachverhalts die in Betracht kommenden Deliktstatbestände essentiell überlagern, nämlich derart, dass durch die Heranziehung eines bestimmten Deliktstypus der Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens bereits vollständig erschöpft ist, sodass ein weiteres Strafbedürfnis nicht mehr gegeben ist. Folgerichtig hätte sohin auch nur eine einzige Strafe verhängt werden dürfen (wobei im Zuge der Bemessung von deren Höhe der Umstand, dass hierfür nicht bloß ein, sondern sechs verschiedenartige Lebensmittel kausal waren, entsprechend berücksichtigt hätte werden können). Wegen der hier offenkundig gegebenen inhaltlichen Überlagerung („same essential elements“) verletzt der Ausspruch mehrerer Strafen den Beschwerdeführer daher in der ihm durch Art. 4 Abs. 1 des 7.ZPMRK verfassungsmäßig gewährleisteten Garantie.

 

Beschlagwortung:

 

Doppelbestrafungsverbot; Doppelverfolgungsverbot; bloß interne verwaltungsstrafrechtliche Kumulation

 

 

 

 

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