Linz, 27.11.2013
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die auf die Höhe der Geldstrafe beschränkte Berufung 1) der X (Berufungswerberin 1), geboren am X, Staatsangehörige von Kasachstan, X, und die Berufungen des X (Berufungswerber 2), geboren am X, des X (Berufungswerber 3), geboren am X und des X (Berufungswerber 4), geboren am X, alle vertreten durch die Mutter X, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 22. August 2013, GZ.: Sich96-1034-2013, wegen Übertretungen nach dem Fremdenpolizeigesetz nach Durchführung einer öffentlichen Verhandlung am 22. November 2013 zu Recht erkannt:
I. Der Berufung gegen die Höhe der Geldstrafe der Berufungswerberin 1 (Spruchpunkt 1., rechtswidriger Aufenthalt der Berufungswerberin 1) wird mit der Maßgabe stattgegeben, als die verhängte Geldstrafe auf 500 Euro, die Ersatzfreiheitsstrafe auf 67 Stunden und der Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor der belangten Behörde auf 50 Euro herabgesetzt werden.
II. Die Berufungswerberin 1 hat keinen Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zu leisten.
III. Den Berufungen der Berufungswerber 2 bis 4 (Spruchpunkt 1, rechtswidriger Aufenthalt der Bw 2 bis 4) wird stattgegeben und das Straferkenntnis im angefochtenen Umfang aufgehoben.
IV. Die Berufungswerber 2 bis 4 haben keinen Kostenbeitrag zu leisten.
V. Den Berufungen der Berufungswerber 3 und 4 (Spruchpunkt 2) wird stattgegeben und das Straferkenntnis im angefochtenen Umfang aufgehoben.
VI. Die Berufungswerber 3 und 4 haben keinen Kostenbeitrag zu leisten.
Rechtsgrundlagen:
zu I.: §§ 24 und 51 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991-VStG iVm. § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG;
zu II., IV. und VI.: § 64ff. VStG;
zu III. und V.: §§ 24, 4, 8, 44a und 51 VStG iVm § 66 Abs. 4 AVG.
Entscheidungsgründe:
1. Mit Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 22. August 2013, GZ.: Sich96-1034-2013, wurden die Berufungswerber 1 bis 4 (in der Folge: Bw 1, Bw 2 bis 4) wie folgt für schuldig erkannt und bestraft:
2. Gegen dieses der Bw am 28. August 2013 zu eigenen Handen zugestellte Straferkenntnis richten sich die vorliegenden, rechtzeitig eingebrachten Berufungen (Poststempel 10. September 2013), welche die Bw wie folgt begründet:
3.1. Mit Schreiben vom 20. September 2013 übermittelte die belangte Behörde den bezughabenden Verwaltungsakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich.
Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck beantragt daher den Berufungen gegen ggst Straferkenntnisse nicht stattzugeben und die angefochtene Straferkenntnisse Sich96-1033-2013, Sich96-1034-2013 und Sich96-1036-2013 vom 22.08.2013 bzw. 23.08.2013 zu bestätigen
3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat für den 22. November 2013 eine öffentliche Verhandlung anberaumt und hiezu die Verfahrensparteien geladen. Die belangte Behörde ist entschuldigt ferngeblieben.
Die Bw 1 hat einleitend dargelegt, dass sie ihre Kinder X, X, X und X im Berufungsverfahren vertrete. X werde derzeit (auch) von ihrem Gatten vertreten.
Nach Zustellung der Straferkenntnisse der belangten Behörde (Sich96-1033-2013, Sich96-1034-2013, Sich96-1035-2013 und Sich96-1036-2013) wäre die weitere Vorgangsweise im Kreise der Familie besprochen und in der Folge die Berufungen von ihr und ihrem Gatten erhoben worden. Sowohl die Bw 1 als auch ihr Gatte hätten in der Begründung der Berufungen die Aufhebungen der Straferkenntnisse gegen die Söhne X und X erschließbar beantragt. Die Geschäftszeichen der die beiden Söhne betreffenden Bescheide seien nicht angeführt worden, es habe auch keine schriftliche Vollmacht der Beiden gegeben, aber das Ersuchen an die Bw 1, ein Rechtsmittel zu erheben, sei eindeutig gewesen und vor der Einbringung der Schriftsätze besprochen worden.
Nach Rücksprache mit dem bevollmächtigten Gatten vertritt die Bw 1 ihren Sohn Nikita im weiteren Verfahren und ersucht um Zustellung der Entscheidung an sie.
Im Verwaltungsstrafverfahren Sich96-1034-2013 (Spruchpunkt 1, unrechtmäßiger Aufenthalt der Bw 1) schränkt die Bw 1 die Berufung auf den Strafausspruch ein. Der Schuldspruch (Spruchpunkt 1, unrechtmäßiger Aufenthalt der Bw1 ) ist daher mit 22. November 2013 in Rechtskraft erwachsen.
3.2.1. Auf Grund der Verhandlung steht folgender relevanter Sachverhalt fest:
Die Bw 1 ist geständig, bestreitet nicht, dass sie sich zum Tatzeitpunkt nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.
Die Bw 2 bis 4 sind nicht strafmündig.
Den Bw 1 und 2 hat Tschechien die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Zumindest diese beiden verfügen in Tschechien über ein Aufenthaltsrecht.
Der Weiterverbleib der Bw 1 bis 4 in Österreich wird wie folgt begründet:
Nach der Anerkennung der Bw 1 und 2 als Flüchtlinge in Tschechien reiste die Bw 1 mit der Familie nach Holland und suchte dort um Asyl an. Die neuerliche Antragstellung wurde damit begründet, dass die Familienerhalter in Tschechien keine Arbeit fanden und die Kinder einer fremdenfeindlichen Stimmung ausgesetzt gewesen waren. In Holland wurde den Bw im Hinblick auf die Entscheidung in Tschechien Asyl verweigert. Die vor der Ausreise nach Holland gewährte Unterstützung und Verpflegung wurde von den tschechischen Behörden nach der Rückkehr nach Tschechien nicht mehr zugestanden. So habe die gesamte Familie fast ein halbes Jahr im Auto gelebt und sich auf Grund des unerträglichen Zustandes entschlossen, Tschechien mit unbekanntem Reiseziel wiederum zu verlassen. In Österreich fanden sie in der Folge Unterkunft und Arbeit. Da nach anfänglichem Erfolg die Legalisierung des Aufenthalts in Österreich nicht dauerhaft möglich war, stellten einige Familienmitglieder Asylanträge. Diese wurden allesamt negativ entschieden und Ausweisungsentscheidungen erlassen. Um nicht neuerlich dem – aus subjektiver Sicht bestehenden – diskriminierenden Umfeld in Tschechien ausgesetzt zu sein, unterblieb eine freiwillige Ausreise nach Tschechien.
Die Bw 1 ist in verwaltungsstrafrechtlicher Hinsicht absolut unbescholten. Sie besitzt keine Vermögenswerte und hat kein regelmäßiges Einkommen.
Einem aktuellen Auszug aus der Fremdeninformation ist zu entnehmen, dass die Bw zur Tatzeit über keinen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt haben und sich auch derzeit nicht rechtmäßig in Österreich aufhalten.
3.2.2. Der festgestellte Sachverhalt ist unbestritten.
4. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:
4.1. Gemäß § 120 Abs. 1a des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 87/2012, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 500 Euro bis zu 2.500 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen zu bestrafen, wer sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Wer wegen einer solchen Tat bereits einmal rechtskräftig bestraft wurde, ist mit Geldstrafe von 2.500 Euro bis zu 7.500 Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu vier Wochen zu bestrafen. Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltsortes; bei Betretung in einem öffentlichen Beförderungsmittel die nächstgelegene Ausstiegsstelle, an der das Verlassen des öffentlichen Beförderungsmittels gemäß dem Fahrplan des Beförderungsunternehmers möglich ist.
Gemäß § 31 Abs. 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf,
1. wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;
2. wenn sie aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;
3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, sofern sie während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen;
4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt;
5. (aufgehoben durch BGBl. I Nr. 122/2009)
6. wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungs- gesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder
7. soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.
4.2.1. Gemäß § 19 VStG sind Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat. Im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) sind überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen.
4.2.2. Hinsichtlich der Strafhöhe ist anzumerken, dass die belangte Behörde ohne weitergehende Abwägung das Doppelte der Mindeststrafe verhängt hat.
Im gegenständlichen Verfahren liegen jedoch Milderungsgründe vor, die die Erschwerungsgründe überwiegen.
Die Bw 1 ist verwaltungsstrafrechtlicher Hinsicht absolut unbescholten.
Sie hat im bisher geführten Verwaltungsstrafverfahren die ihr zur Last gelegte Tat nie bestritten. Die ihr angelastete Verwaltungsübertretung hat sie reumütig eingestanden. Abgesehen von dieser Übertretung ist ihr ein ordentlicher Lebenswandel zu attestieren. Nach Abschluss des Asylverfahrens sah sich die Bw außerstande den gesetzlichen Zustand herzustellen. Ausschlaggebend dafür waren der labile Gesundheitszustand mehrerer Familienmitglieder und das als bedrückend empfundene diskriminierende Umfeld in Tschechien. Eine Ausreise zusammen mit der Familie kam für sie schon aus Gründen der ungesicherten Versorgungs- und Wohnsituation nicht in Frage. Nach Einleitung des Verwaltungsstrafverfahrens hat zumindest der Ehegatte der Bw 1 die ersten Schritte zur Legalisierung seines Aufenthaltes gesetzt. Derzeit versucht er als Schlüsselarbeitskraft einen Aufenthaltstitel zu erlangen.
Betrachtet man die gesamten Umstände des vorliegenden Falles kann nur von einem deutlichen Überwiegen der Milderungsgründe ausgegangen werden. Dies auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK, der nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshof im Strafverfahren Anwendung zu finden hat.
4.2.3. Die Geld- bzw. die Ersatzarreststrafe war daher spruchgemäß auf die Mindeststrafe herabzusetzen.
4.3. Zu den Spruchpunkten III. und V.:
Nach § 4 Abs. 1 VStG ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat das 14. Lebensjahr noch nicht zurückgelegt hat.
Unbestritten haben die Bw 2 bis 4 das 14. Lebensjahr zum Tatzeitpunkt noch nicht zurückgelegt.
Der Spruchpunkt 1, soweit er das „tatbestandsmäßige Verhalten“ der Bw 2 bis 4 betrifft, sowie der Spruchpunkt 2 waren ersatzlos aufzuheben.
4.4. Zu Spruchpunkt II.:
Gemäß § 64ff. VStG war der Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vor der belangten Behörde anzupassen. Ein Kostenbeitrag für die Verfahrensführung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oö. war dem Bw nicht aufzuerlegen.
4.5. Zu den Spruchpunkten IV. und VI.:
Der Kostenausspruch war spruchgemäß zu treffen.
5. Im Begleitschreiben der belangten Behörde vom 20. September 2013 kommt zum Ausdruck, dass mit Straferkenntnis vom 22. August 2013, Sich96-1034-2013, (nur) über die Bw 1 Geldstrafen in der Höhe von 1.750 und 100 Euro verhängt worden sind.
Wollte die belangte Behörde tatsächlich die Bw 1 für das Verhalten der strafunmündigen Bw 2 bis 4 bestrafen und der Bw 1 ein sie treffendes Verschulden zurechnen, dann hätte sie den Vorwurf in Form der Konstruktion des § 7 VStG vorgenommen („vorsätzlich veranlasst, dass ein anderer eine Verwaltungsübertretung begeht oder vorsätzlich einen anderen die Begehung einer Verwaltungsübertretung erleichtert“). Eine solche Tatanlastung kann jedoch nicht einmal in Ansätzen erkannt werden.
Bestätigung findet diese Ansicht auch in den Klammerausdrücken, in denen die Strafbeträge zugeordnet werden (z.B.: € 1.000 für Sie und je € 250 für Ihre minderjährigen Kinder).
Eine Beurteilung war daher im Sinne obiger Ausführungen vorzunehmen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig.
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann jedoch innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Sie muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt oder einer bevollmächtigen Rechtsanwältin eingebracht werden. Die dafür zu entrichtende Eingabegebühr beträgt jeweils 240,-- Euro.
Läuft die Beschwerdefrist mit Ende des 31. Dezember 2013 noch und wurde bis dahin keine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben, so kann vom 1. Jänner bis zum Ablauf des 12. Februar 2014 eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.
Läuft die Beschwerdefrist mit Ende des 31. Dezember 2013 noch und wurde bis dahin eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder Verwaltungsgerichtshof erhoben, gilt die Beschwerde als rechtzeitig erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof bzw als rechtzeitig erhobene Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
Würde der Bescheid nach den Bestimmungen des Zustellgesetzes erst nach Ablauf des 31. Dezember 2013 als zugestellt gelten, kann innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.
Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und die Revision an den Verwaltungsgerichtshof müssen – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt oder einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abgefasst und eingebracht werden. Die dafür zu entrichtende Eingabegebühr beträgt jeweils 240,-- Euro.
Mag. Stierschneider