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VwSen-106944/5/SR/Ri

Linz, 23.06.2000

VwSen-106944/5/SR/Ri Linz, am 23. Juni 2000

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Stierschneider über die Berufung des K-H K, H Str., D- O, vertreten durch RA Dr. M B, S, S, gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von B vom 23. März 2000, VerkR96-4119-1999 wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), zu Recht erkannt:

I.  Der Berufung wird stattgegeben; das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z2 VStG eingestellt.

II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz BGBl.Nr. 51/1991 zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 164/1999 - AVG iVm § 24, § 45 Abs.1 Z2 und § 51e Abs.2 Z1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl.Nr. 52/1991 zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 158/1998 - VStG

zu II.: § 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde der Bw (Bw) wie folgt schuldig erkannt und bestraft:

"Sie haben am 30.4.1999, gegen 17.20 Uhr als Lenker des Motorrades der Marke H P , Kennzeichen M (D) auf der A Bundesstraße in Fahrtrichtung A bei Strkm. Gemeindegebiet von W i.I., beim Fahren hinter dem nächsten vor Ihnen fahrenden Fahrzeug keinen solchen Abstand eingehalten, daß Ihnen jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich gewesen wäre, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst worden wäre, weil Sie auf dieses auffuhren.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:

§ 18 Abs.1 StVO 1960

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:

Gemäß § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960

Geldstrafe von: S 500,--

Falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von 24 Stunden.

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes zu zahlen:

S 50,--

als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% der Strafe (je ein Tag Arrest wird gleich S 200,-- angerechnet);

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe, Kosten, Barauslagen) beträgt daher:

550,00 Schilling (entspricht 39,97 Euro)."

2. Gegen dieses am 28. März 2000 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 31. März 2000 - und damit rechtzeitig - bei der Behörde erster Instanz eingebrachte Berufung.

2.1. Im angefochtenen Straferkenntnis führt die Behörde erster Instanz im Wesentlichen aus, dass das Vorbringen der Unfallgegnerin glaubwürdig ist und daher der Bw die angelastete Verwaltungsübertretung begangen hat.

2.2. Dagegen wendet der Bw ein, dass sich die Kollision im Zuge eines Überholmanövers ereignet habe und allenfalls § 15 StVO anzuwenden gewesen wäre.

3.1. Aus dem vorliegenden Verwaltungsakt ergibt sich folgender relevanter Sachverhalt:

3.1.1. In der Verkehrsunfallanzeige des Gendarmeriepostens A vom 23. Juli 1999 führt die Unfallgegnerin des Bws (in der Folge Zeugin 1) aus, dass sie links in die G Gemeindestraße einbiegen wollte und es plötzlich einen "Kracher" gemacht hätte. Zuerst hätte sie gedacht, dass der Fahrzeuglenker aus Richtung B in die Bundesstraße eingebogen sei. Erst als sie aus dem Fahrzeug ausgestiegen wäre, hätte sie einen Motorradfahrer am linken Fahrbahnrand liegen gesehen.

Der Bw führte aus, dass er den PKW übersehen haben dürfte.

3.1.2. Der Unfallzeuge H (Zeuge 4) führte am 11.5.1999 am Gendarmerieposten A aus, dass er verkehrsbedingt an der Kreuzung Gstraße/Bundesstraße anhalten hätte müssen. Er hätte einen weißen Kombi wahrgenommen, welcher die Geschwindigkeit verringert und links geblinkt hätte, kurz stehen geblieben und anschließend links in die Gstraße eingebogen sei. Plötzlich hätte er gehört, wie ein Motorradfahrer scharf gebremst hätte und anschließend gesehen, wie dieser gegen das Heck des weißen Kombi gefahren sei. Die Lenkerin des weißen Kombi hätte mit Sicherheit geblinkt.

3.1.3. Im Einspruch vom 2. September 1999 führt der Bw an, dass sowohl er, als auch Zeugen, keine Blinkzeichen der Zeugin 1 wahrgenommen hätten und mangels Erkennbarkeit des Abbiegevorhabens hätte der folgende Zusammenstoß nicht vermieden werden können.

3.1.4. Vor der Polizeisinspektion M am Inn führt die Gattin des Bw (Zeugin 2) am 10.12.1999 bei der Zeugenvernehmung aus, dass der Bw vor ihrem PKW gefahren sei. Dieser hätte einen vorausfahrenden PKW überholen wollen und deshalb den linken Blinker gesetzt. Mitten im Überholvorgang sei die Lenkerin des PKWs vor dem Motorrad plötzlich nach links abgebogen. Sie sei sich sicher, dass die Lenkerin nicht geblinkt hätte. Die Fahrgeschwindigkeit hätte vor dem Abbiegen der Frau ca. 60 bis 70 km/h betragen. Weder ein Abbremsen noch ein Einordnen hätte sie bemerkt. Am Unfallort hätte die Zeugin 1 zum Bw gesagt, dass sie geblinkt habe. Der Bw habe dies vor ihr bestritten.

3.1.5. Die Beifahrerin (Zeugin 3) sagte am 10.12.1999 vor der Polizeiinspektion M am I aus, dass sie als Beifahrerin im PKW der Zeugin 2 hinter dem Bw gefahren sei. Die Zeugin 2 sei mit ca. 60 bis 70 km/h gefahren. Vor dem Bw wäre ein weißer Peugeot gefahren. Die Zeugin 1 sei relativ langsam gefahren, das heißt, sie sei deutlich langsamer als der Bw und die Zeugin 2 gefahren. Der Bw hätte nach links und nach hinten geblinkt und sei in der Folge nach links ausgeschert. Offensichtlich hätte er den Peugeot überholen wollen. Als er auf Höhe des Hecks des Peugeot gewesen sei, hätte die Zeugin 2 den PKW nach links, also zu einem Abbiegevorgang, gelenkt. Im Laufe des Gesprächs an der Unfallstelle hätte die Zeugin 2 ausgeführt, dass sie den Bw beim Abbiegen übersehen hätte. Die Zeugin 2 hätte zur Zeugin 1 gesagt, dass sie den linken Blinker nicht betätigt hätte. Die Zeugin 1 hätte darauf keine Aussage getätigt und sei weg gegangen. Ein Unfallzeuge, der sich in einem angrenzenden Anwesen befunden hätte, hätte ihr gegenüber ausgesagt, dass die Zeugin 1 vor dem Abbiegen geblinkt hätte.

3.2. Auf Grund der Aktenlage und der Zeugenaussagen ist davon auszugehen, dass der Bw sich dem langsamer werdenden Fahrzeug der Zeugin 1 genähert hat. Da dem Bw zu diesem Zeitpunkt der Abbiegevorgang nicht erkennbar war, hat er zum Überholen angesetzt. Im Zuge des Überholvorgangs hat die Zeugin 1 das Abbiegemanöver eingeleitet und zeitgleich den Blinker betätigt. Wie der 0,5 m lange Bremsweg des Bws zeigt, konnte dieser zu diesem Zeitpunkt den Überholvorgang nicht mehr abbrechen bzw. war es ihm auch nicht mehr möglich, rechts zu überholen.

3.3. Entgegen der Ansicht der Behörde erster Instanz ist einerseits der Hinweis auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Zeugin 1 für sich alleine nicht geeignet, deren Glaubwürdigkeit zu begründen und berechtigt andererseits die Behörde nicht, die anderen Aussagen unbeachtet zu lassen.

Den Erstaussagen der beiden Unfallbeteiligten kann dem ersten Anschein nach entnommen werden, dass die Zeugin (1) den Motorradfahrer überhaupt nicht wahrgenommen und der Bw die Zeugin (1), die mit ihrem Fahrzeug links abbiegen wollte, übersehen hat.

Die ursprüngliche Vermutung der Zeugin (1) war, dass der "Kracher" von einem Fahrzeuglenker, der aus Richtung B in die Bundesstraße einbiegen wollte, stammen würde. Daraus lässt sich schließen, dass sie den Bw als Verkehrsteilnehmer in ihrer Fahrtrichtung nicht bemerkt und auch als Unfallgegner nicht in Betracht gezogen hat. Würde man jedoch ihrer Aussage folgen und die Anzeige der Fahrtrichtungsänderung und den zuvor angesetzten Blick in den Rückspiegel zu dem von ihr angegebenen Zeitpunkt annehmen, dann hätte sie den hinter ihr fahrenden Motorradfahrer wahrnehmen müssen. Laut Sachverständigengutachten wäre der Blinker dann ca. 9,3 Sekunden in Tätigkeit gewesen und der Abbiegebeginn hätte ca. 3 Sekunden später begonnen. Hätte die Zeugin (1) tatsächlich 9,3 Sekunden vor dem Unfall den Blinker betätigt und trotz Blick in den Seitenspiegel zu diesem Zeitpunkt den Bw nicht gesehen, dann würde dies bedeuten, dass sich der Bw mit hoher Geschwindigkeit der Zeugin (1) genähert habe. Dies würde aber auch bedingen, dass sich der Bw auf die beabsichtigte, da rechtzeitig angezeigte Fahrrichtungsänderung der Zeugin (1), einstellen hätte können. Es würde jeder Lebenserfahrung widersprechen, dass der Bw trotz der bereits angezeigten und in der Folge durchgeführten Fahrtrichtungsänderung versuchen sollte, links zu überholen, wo ihm doch laut Sachverständigen auf seiner Fahrspur ca. 1,9 Meter für ein Rechtsüberholen offengestanden sind.

Ob die Zeugin (1) überhaupt nicht den Blinker betätigt hat, lässt sich nicht mehr feststellen. Aus dem Verwaltungsakt lässt sich jedoch schlüssig ableiten, dass sie ihn nicht zum von ihr angegebenen Zeitpunkt betätigt haben kann.

Sowohl die Zeugin 2 und die Zeugin 3 sprechen von einem nicht wahrgenommenen bzw. einem auszuschließenden Blinkvorgang. Beide Zeuginnen (2 und 3) standen unter Wahrheitspflicht und es ist nicht ersichtlich, dass sie den über 9 Sekunden andauernden Vorgang (Betätigung des Blinkers) nicht wahrgenommen haben. Da beide Zeuginnen (2 und 3) das Verkehrsgeschehen beobachtet und genaue Aussagen über die sonstigen Wahrnehmungen getätigt haben, ist davon auszugehen, dass der Blinker allenfalls kurz in Betrieb gewesen ist. Diese Annahme widerspricht auch nicht den anderen Unfallzeugen, die einen solchen Betrieb nur unmittelbar im Unfallsbereich wahrgenommen haben. Bestärkt wird dies durch die Wortfolge des Zeugen (4). Dieser Zeuge führt an, dass er einem weißen Kombi gesehen hat, der (zuerst) die Geschwindigkeit verringert und (erst dann) links geblinkt habe.

Die Aussagen der Zeuginnen (2 und 3) passen schlüssig in das vom Sachverständigen vorgezeichnete und sich aus dem Akt ergebende Bild. Es ist davon auszugehen, dass die Zeugin (1) frühestens mit Einleitung des Abbiegevorganges den Blinker betätigt hat. Die vorherige Verminderung der Geschwindigkeit, die vom Bw und den Zeugen (1, 3 und 4) übereinstimmend angegeben und wahrgenommen worden ist, dürfte den Bw zur Einleitung des Überholmanövers veranlasst haben. Zum Zeitpunkt der Einleitung der Bogenfahrt, zu der die Zeugin (1) ca. 1,6 Sekunden benötigt hat, befand sich der Bw bereits mittig auf der linken Fahrbahnhälfte.

Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass die Angaben der Zeugen (2 und 3) und das Vorbringen des Bw als glaubwürdig zu werten sind und keinen Widerspruch zu den sonstigen (direkten und indirekten) Aussagen darstellen. Auch jener Teil der Aussage der Zeugin (1) - bei der Einleitung des Abbiegevorganges den Bw nicht bemerkt zu haben - fügt sich ein, da es nachvollziehbar ist, das sie einen Verkehrsteilnehmer, der sich im Zuge des Überholmanövers bereits auf dem linken Fahrstreifen und vermutlich im toten Winkel befindet, nicht wahrnehmen konnte.

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

4.1. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich ist in diesem Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 51 Abs.1 VStG als Berufungsbehörde zuständig und entscheidet gemäß § 51c durch eines seiner Mitglieder, weil keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde. Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass das mit Berufung angefochtene Straferkenntnis aufzuheben war, hatte die mündliche Verhandlung gemäß § 51e Abs. 2 Z1 VStG zu entfallen.

 

 

4.2. § 18 Abs.1 StVO

Der Lenker eines Fahrzeuges hat stets einen solchen Abstand vom nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug einzuhalten, daß ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich ist, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst wird.

§ 15 Abs.1 und Abs.2 StVO

(1) Außer in den Fällen der Abs. 2 und 2a darf der Lenker eines Fahrzeuges nur links überholen.

(2) Rechts sind zu überholen:

a) Fahrzeuge, deren Lenker die Absicht anzeigen, nach links einzubiegen oder zum linken Fahrbahnrand zuzufahren und die Fahrzeuge links eingeordnet haben,

b) Schienenfahrzeuge, wenn der Abstand zwischen ihnen und dem rechten Fahrbahnrand genügend groß ist; auf Einbahnstraßen dürfen Schienenfahrzeuge auch in diesem Fall links überholt werden.

(2a) Fahrzeuge des Straßendienstes, die bei einer Arbeitsfahrt einen anderen als den rechten Fahrstreifen benützen, dürfen rechts überholt werden, sofern nicht noch genügend Platz vorhanden ist, um links zu überholen, und sich aus Straßenverkehrszeichen nichts anderes ergibt.

Wer hinter einem Fahrzeug schnell nachfährt, um es zu überholen, fährt nicht hintereinander. Hintereinanderfahren heißt, mit gleicher Geschwindigkeit fahren (Messiner, Manz, Große Ausgabe der Österreichischen Gesetze, 24b. Band, StVO, Wien 1999, Seite 407, Fußnote 1).

Der Wechsel eines Fahrstreifens zum Zwecke des Überholens ist bereits ein Überholversuch (VwGH 6.9.1973, 84/72, ZVR 1974/133 - Messiner, Manz, Große Ausgabe der Österreichischen Gesetze, 24b. Band, StVO, Wien 1999, Seite 364, E 11).

Auf Grund der Feststellungen und der Beweiswürdigung kann nicht von einem Hintereinanderfahren gesprochen werden. Da der Bw zum Zeitpunkt der Kollision bereits zum Überholen angesetzt hatte und kein Hintereinanderfahren im Sinne des § 18 Abs.1 StVO stattgefunden hat, ist die Anlastung des § 18 Abs.1 StVO verfehlt.

§ 45 Abs.1 Z2 VStG (auszugsweise):

Die Behörde hat von der Fortführung des Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn

......

2. der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat ...

Da der Bw die ihm angelastete Verwaltungsübertretung nicht begangen hat, war das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z2 VStG einzustellen.

5. Gemäß § 66 Abs.1 VStG entfällt damit auch die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S (entspricht 181,68 €) zu entrichten.

Mag. Stierschneider

Beschlagwortung: Hintereinanderfahren, Überholversuch

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